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    Sonntag, 9. August 2015
    Blogging November - 1377

    Ich möchte heute mit Ihnen darüber sprechen, wer "wir" sind.

    Heute Mittag war ich mit einer Freundin und ihrem Baby unterwegs, das Baby ist jetzt knapp 1 Jahr alt. Es kennt mich flüchtig, findet mich auf die Ferne prima, von nahem gewöhnungsbedürftig, sprich: es fremdelte. Es vertraut erstmal nur seinen Eltern, auch Oma und Opa haben es noch schwer, Tanten und Onkel sowieso. So ging es uns allen ja irgendwann mal, und dann haben wir uns daran gewöhnt: dass auch Oma, Oma, Tante, Onkel, die Nachbarin, die Freunde der Eltern dazugehören. Wir, die Kernfamilie. Wir, die erweiterte Familie. Wir, der Freundeskreis. Die Schulklasse - die anderen Klassen sind natürlich doof. Außer, es steht ein Wettkampf gegen eine andere Schule an. Dann ist die eigene Schule gut, die andere Schule doof. Mit der Stadt identifizieren wir uns auch. Und dann sind wir plötzlich Papst Weltmeister, als Land, zusammen mit der doofen Frau N., die mich nicht schuckeln soll während Mama auf dem Klo ist, mit der Parallelklasse 5d in der bekanntlich nur Idioten sind, mit dem Gymnasium gegenüber und zusammen mit Köln. Hossa.

    Wenn allerdings jemand einen Schritt hinter der Grenze zu unserem Land geboren wurde, dann ist er uns ziemlich fremd. Wenn er Glück hat, geht es um eine innereuropäische Grenze, dann darf er hierher, wann immer er will. In Deutschland sind wir mittendrin im Schengen-Raum, da kriegen wir das nicht so mit, "wir" sind schließlich Europäer! Reisefreiheit, eine Währung! Aber lebten wir in einem Land mit EU-Außengrenzen, Ungarn zum Beispiel, hätten wir eine Grenze zu Serbien. Nicht EU, nicht EFTA, nicht Schengen. Wer also einen Schritt hinter dieser Grenze geboren wurde, darf in eine bestimmte Richtung nicht einfach einen Meter weiter gehen. Nicht ohne Visum, da sei Stacheldraht vor. Und auch mit Visum nicht so lange, wie er will.

    Das finden wir logisch. Das sind die, und das andere sind "wir". Und dann gibt es noch andere, die leben noch weiter weg, es sind noch andere Länder dazwischen oder sogar ein Meer. Die sehen auch noch anders aus, ganz fremd alles, das sind nicht "wir". Außer - ich werde wirklich nur ganz kurz polemisch - es käme nun eine Alien-Invasion. Dann wären auch die hinter "unserem" Meer "wir", wir Menschen, wir von der Erde. Die Aliens, das sind die anderen.

    Was ich sagen möchte: das Konzept von "wir" ist dehnbar. Es weitet sich durch Wachstum. Persönliches Wachstum, peu à peu. Wir werden sicherer in uns selbst, dadurch können wir uns auf bisher Fremdes besser einlassen, es kennenlernen. Und manchmal gibt es Einschnitte - wenn das Baby von heute Mittag in den Kindergarten kommt, wird es sich sehr schnell mit bisher Fremden arrangieren müssen. Ebenso ist es bei einem Schulwechsel, wie gerade bei Mademoiselle. Oder, was noch ein viel größerer Einschnitt wäre: wenn wir "unser" Land verlassen müssten, um irgendwo anders zu leben. (Ich setzte dabei "unser" in Anführungszeichen, weil ich finde, es schadet nie, sich bewusst zu machen, dass uns dieses Land nicht in Wirklichkeit gehört. Grenzen haben wir ja nur erfunden. Es gibt keine natürliche Macht, die Menschen in "die einen" und "die anderen" unterteilt, die sagt, wer hier lebt darf das eine, und wer dort lebt, der darf das andere. Das haben wir uns alles nur ausgedacht. Das aber nur nebenbei.)

    In diesem Sinne: aus welcher Motivation irgendjemand aus einem anderen Land hierher kommt, um einen Asylantrag zu stellen, spielt für mich keine Rolle - wirtschaftliche Gründe, Krieg, persönliche Verfolgung, was auch immer. Allein, dass jemand es für nötig hält, alles zurückzulassen, einen dieser äußerst gefährlichen Wege, von denen wir im Moment so viel hören zu beschreiten, um in einer fremden Kultur, einer fremden Sprache, einer fremden Umgebung völlig neu anzufangen, ist für mich Rechtfertigung genug. Völlig unverständlich ist mir, welche Sorgen, welche Ängste ich vor diesen Menschen haben sollte, was sich für mich persönlich verändert. Ich schrieb es schon einmal - sich mit Fremdem, Fremden, neuen Eindrücken auseinanderzusetzen, bedeutet immer eine gewisse Mühe, da das eigene eingerastete Weltbild etwas angeschubst wird - sieh da, es gibt Menschen, die sehen etwas anders, die feiern andere Feste, die machen Salz statt Zucker an ihre Haferflocken! Aus eigener Erfahrung verstehe ich, dass das verunsichern kann. Ich habe aber kein Verständnis für die, bissig werden, weil sie diese Verunsicherung nicht aushalten können. Wir sind alle nicht mehr die kleinen Babys, die weinen müssen, wenn Mama aufs Klo geht.

    Deshalb meine Bitte - helfen Sie den Menschen, die aus anderen Ländern hierher kommen. Und wenn Sie verunsichert sind, denken Sie die Sache noch einmal durch, ich bin mir sehr sicher, sie kommen zu diesem Ergebnis: die Angst und Verunsicherung der Flüchtlinge muss unermesslich viel größer sein als die Ihre. Reichen sie eine Hand, das ist das, was "wir" untereinander so tun.

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