Gleich viermal habe es heute gewagt, einen kleinen Ausflug aus dem Haus zu unternehmen. Zusätzlich habe ich mir drei Telefonate zugetraut, die verliefen aber allesamt wenig ermutigend mit einem Spektrum zwischen blankem Entsetzen und schallendem Gelächter aufgrund meiner (aktuellen) Stimme, also erzähle ich lieber von meinen Exkursionen bzw. nur von einer, der schönsten, und die ging zur Post. Da mag man sich wundern, Post ist ja gemeinhin nichts, was ich in Begeisterungsreden versetzt, aber dieser Postbesuch war in vielerlei Hinsicht lohnend, auch wenn der Anlass zunächst wenig vielversprechend "Eine Packstationssendung wurde umgeleitet" hieß.
Als erstes sah ich die lange Schlange in der Post. Keine große Überraschung. Als ich duldsam ans Ende der Schlange ging, erblickt ich jedoch einen Schalter mit einem handgemalten Plakat: "Hier nur Abholungen!". Das ist mal sinnvoll in der Vorweihnachtszeit. Hinter dem Schalter war ein junger Mann, der gerade einem alten Mann erklärte, dass er ihm keine Briefmarken verkaufen kann, weil er nur eine Aushilfe ist und Pakete herausgibt und sonst nichts kann und nichts darf. Nach dem alten Mann war ich schon an der Reihe, und während der junge Mann meine Pakete heraussuchte, sah ich ein Schild. Auf dem Schild stand so ungefähr: "Wenn Sie eine Immobilie verkaufen wollen, oder jemanden kennen, der das will, wenden Sie sich an uns! Ansprechpartner in ist Filialleiterin Frau G."
Ich kenne aus Mademoiselles Schule eine Frau G. Jedes Mal wenn ich diese Frau G. sehe, denke ich: "Die kenne ich doch noch aus einem anderen Kontext. Nur woher?". Mit der Zeit habe ich mich darauf verlegt, dass Frau G. Linienbusfahrerin ist, zum einen, weil sie meist dunkelblau gekleidet ist, zum anderen, weil ich sehr viele LinienbusfahrerInnen kenne, die ich außerhalb ihres Fahrzeuges nie gut einorden kann und drittens, weil ich finde, es würde gut passen. Vielleicht, dachte ich heute, ist Frau G. aber ja auch Postfilialleiterin. Dann würde ich schon zwei Postfilialleitungen kennen, das wäre auch nett. Ob die Lage der Post und der Schule mit den Wegen, auf denen ich Frau G. öfters begegne besser übereinstimmt als die Lage des Linienbusfahrerumstiegplatzes, überlegte ich, und wie sich die Postfilialleitungsarbeitszeiten mit den Schulzeiten decken und ob Frau G., die an Betreuungsschließtagen immer die Notfallbetreuung in Anspruch nimmt, die man nur bekommt, wenn man eine Bescheinigung vom Arbeitgeber vorlegt, dass man nicht freinehmen kann, falls sie Postfilialleiterin wäre, sich diese selbst schreibt, und ob es einen Herrn G. gibt und was der wohl macht - man kann über so etwas gut mal nachdenken - bekam dann aber schon die Pakete, bekam zusätzlich einen "Hubwagen" (was ist eigentlich ein Hubwagen?) angeboten, den ich aber ablehnte, weil die Pakete zwar groß, aber sehr leicht waren, und traf im Hinausgehen Frau G., in Dunkelblau und mit Namensschild und ganz offensichtlich Postfilialleiterin. Ob das Publikum in der Post angenehmer ist als im Bus? Ich fragte Frau G., woher sollte sie das auch wissen.
Am Fahrrad angekommen hielt ein Paket nicht auf dem Gepäckträger, genau gesagt hielten dort beide nicht aber eines sollte auch gar nicht dort halten, es war in einer Tasche am Lenkrad und damit irrelevant. Da andere, störrische Paket, fiel herunter und der alte Mann, der am Paketausgabeschalter Briefmarken kaufen wollte, eilte herbei und hob es auf, ich hob es selbst aber auch auf und wir rangelten ein bisschen schließlich ließ ich es ihn aufheben, um nicht unhöflich zu sein. "Ich helfe Ihnen, Sie sind ja so erkältet!", sagte der alte Mann. Er klemmte das Paket auf meinen Gepäckträger, es hielt wieder nicht, er ruckelte herum, ich schlug mit der Handkante eine ordentliche Delle ins Paket, klemmte es unter dem Sattel fest und sagte: "So!", der alte Mann war besorgt, ob das ausreichen würde und erbat einen Moment Geduld. Er kramte in seiner Tasche und zog ein Eimachgummi hervor. "Hier, machense das mal damit fest." Ich machte eine Schlaufe um den Gepäckträger und zog sie zum Sattel, es reichte nicht ganz, er fummelte ein weiteres Einmachgummi herbei, das ich mit dem ersten verschlaufte, nun passte es perfekt. "Ich habe die nämlich immer, damit es in meiner Tasche nicht so wackelt!", sagte der Mann und wackelte mit der Tasche und zig Pfandflaschen fielen heraus. Wir wollten beide die Pfandflaschen aufheben und rangelten wieder ein bisschen, schließlich ließ der alte Mann mir den Vortritt, vermutlich, um nicht unhöflich zu sein. In seiner Tasche hatte er noch ein paar andere Pfandflaschenbündel, ordentlich mit Einmachgummis zusammengehalten. "Das Geld liegt auf der Straße!", sagte der alte Mann. "Und gut, dass ich so ordentlich bin, sonst hätte ich Ihnen nicht helfen können. Es ist immer gut, ein paar Strippen dabei zu haben! Und jetzt machen Sie den Knopf da oben an Ihrer Jacke zu, sonst werde Sie nie gesund, und fahren Sie nach Hause ins Warme!".
Und das habe ich dann natürlich auch gemacht.
Heute vor zig Jahren:
Nichts besonderes.