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    Sonntag, 16. Dezember 2012
    Blogging November - 409

    Es ist gut, dass es bei meinem Klavier die Möglichkeit gibt, es stumm zu schalten und über Kopfhörer zu hören, denn sonst würden mich die Nachbarn jetzt hassen.

    Nein, so ist das nicht gut, ich fange nochmal an:

    Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich soeben ein jahrzehntealtes Trauma bewältigt habe.

    Nein, so ist das auch nicht gut, ich fange nochmal an:

    Einmal, vor vielen Jahren - ich war 10 oder 11 Jahre alt, sollte ich beim Weihnachtskonzert ein Stück auf dem Klavier vortragen und ich suchte "Tochter Zion" aus, weil es mir gut gefiel. Mein Klavierlehrer war dagegen; er fand es zu schwer. Nun könnte man als Klavierlehrer sicher irgendwo ein ganz simpel gesetztes "Tochter Zion" auffinden oder kurz selbst machen - mein Klavierlehrer entschied sich aber anders und zwar so, dass ich "Als ich bei meinen Schafen wacht'" spielen sollte. Das wollte ich aber auf keinen Fall, das fand ich ganz schrecklich. Wie genau sich die Verhandlungen im folgenden gestalteten, weiß ich nicht mehr. Ich war kein aufsässiges 10-jähriges Mädchen. Ich war eher ein bisschen schüchtern, oder vielleicht auch einfach ganz normal 10-jährig - nicht so, dass ich nicht mit Fremden/Erwachsenen/Klavierlehrern reden konnte, ohne zu stammeln, aber ich tat es einfach nicht gern. Aber noch weniger gern wollte ich "Als ich bei meinen Schafen wacht'" spielen, eigentlich wollte ich sowieso gar nichts vorspielen. Letztendlich sollte ich bis zur nächsten Unterrichtsstunde in Gottes Namen "Tocher Zion" üben, was ich tat, jeden Tag sehr gründlich, und ich konnte es dann auch schon recht gut.

    In der nächsten Unterrichtsstunde spielte ich es dem Lehrer vor, er war recht zufrieden und fing mit der Feinarbeit an. Und dann strich er in einem Takt ein paar Noten weg, die wären für mich zu viel, da würde ich mich sonst beim Konzert verspielen. Ich hatte diese Stelle vorher fehlerfrei drauf gehabt. Ab dem Moment, in dem er die Noten weggestrichen hatte, war ich dort unsicher.

    Sie wissen jetzt, was kommt, aus heutiger Sicht wüsste ich es auch, dass der Klavierlehrer es wusste, möchte ich ihm nicht unterstellen - ich jedenfalls wusste es damals nicht: beim Weihnachtskonzert verhaspelte ich natürlich genau an dieser Stelle, genau gesagt aus Respekt vor den weggestrichenen Noten schon einen Takt vorher, und ich verspielte mich noch nichtmals einfach so, in dem Sinne, dass ich schlicht falsche Tasten nahm oder ganz rauskam, sondern meine Finger taten merkwürdige Dinge und spielen plötzlich eine Art Triller vor Nervosität. Was ich - mit 10 Jahren - natürlich unendlich viel peinlicher fand, als mich normal zu verspielen. Verspielt hat sich fast jeder bei diesen Konzerten, aber niemand machte einfach eine komische Verzierung, die da nicht hingehörte. Ich wäre am liebesten im Erdboden versunken.

    Man könnte nun meinen, ich hätte "Tochter Zion" seither vielleicht nie wieder gespielt. So ist es im Leben aber ja nicht. Tatsächlich habe ich es seitdem jedes Jahr gespielt, es gehört seitdem zum Standardweihnachtsgesangsrepertoire der Familie und ich begleite auf dem Klavier. Seit Jahrzehnten. Ich kann mich an keine Ausnahme erinnern. Gut, vielleicht 2004, da war Mademoiselle 3 Monate alt und heulte wegen den Kirchenglocken, der Querflöte, dem Gesang, dem Klavier - vielleicht haben 2004 ein reduziertes Programm gespielt, das mag sein. Aber auch ohne 2004 kommen wir auf locker 25 Jahre "Tochter Zion". Und ich habe diese zwei Takte nie wieder richtig gespielt. Was nicht daran liegt, dass sie schwierig wären. Das sind sie nicht:



    Heute dachte ich, dass es vielleicht dieses Jahr an der Zeit wäre, "Tochter Zion" fehlerfrei zu spielen. Deshalb habe ich die beiden Takte nun ein paar Mal geübt - rechte Hand, linke Hand, zusammen, langsam, schnell. Es war keine große Kunst. Aber dann, wenn ich das ganze Stück von vorn bis hinten durchgespielt habe, verhaspelte ich mich wieder. Also musste ich es so oft spielen, bis es langweilig wurde, bis meine Gedanken ganz woanders waren, bis ich vergessen hatte, dass da in der Mitte die beiden speziellen Takte sitzen. Das hat etwa zwei Stunden gedauert. Klingt jetzt lang, aber für ein Trauma von 25 Jahren sind zwei Stunden doch eigentlich erstaunlich wenig.

    Wir werden also dieses Jahr an Weihnachten "Tochter Zion" singen, ohne dass die Begleitung in zwei Takten in der Mitte plötzlich Verzierungen einbaut, versehentlich einhändig wird oder sich schlichtweg verhaut. Hosianna!




    Heute vor zig Jahren:
    Wir holen Ah gegen 17:00 Uhr ab und gehen er will unbedingt mit uns zu dieser komischen Jugendgruppe gehen, also tun wir ihm den Gefallen. Dort wird ein Film gezeigt. Der Streberjunge-G. labert uns zu. Hinterher will Ah zum Karl, wir wollen aber nicht, Ah sagt, er ist müde und hat ganz weiche Knie und ihm ist kalt, also bringen wir den armen Jungen nach Hause und verabreden uns für morgen, 1:00 Uhr, bei mir vor der Tür. Wir holen Pommes, gehen zur Bahn, verpassen die Bahn, gehen wieder zurück, holen eine Cola, verpassen die Bahn und kommen irgendwann zu Hause an.

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