Gute Tat für heute: einem Fremden geholfen, Obstsalat ohne Melone zu bekommen.
Der Fremde war in der Cafeteria des Rapunzelturms. Der Obstsalat auch. Der Obstsalat ist immer in einer großen Schale, mit einer Kelle kann man sich ein eigenes, kleines Schälchen füllen. Der Fremde füllte sich ein Schälchen und versuchte, die Melone zu vermeiden. Daraufhin stürzte die Kassiererin herbei: man dürfe nicht einzelne Sorten herauspicken!
Jeder normale Mensch, also ich, hätte jetzt erst einmal folgendes ausführlich besprochen: erstens, dass er nicht einzelne Sorten herauspicke sondern eine Sorte vermeide. Zweitens, dass doch sicher eine große Schale zum Selbernehmen gerade dazu auffordere, ein bisschen nach Geschmack zu schöpfen - wofür ist die Schale sonst gut, glauben die etwa, jemand nimmt nur ein halbes Schälchen und zahlt den vollen Preis? Und drittens: ist eine Schale mit erlaubtem Herauspicken nicht gleichzeitig ein wunderbares Markforschungsinstrument, an dem die Cafeteriabetreiber herauslesen können, welche Obstsorten besonders geschätzt werden, um dann ihr Angebot darauf auszurichten?
Nichts dergeichen tat jedoch der Fremde. Er schöpfte gehorsam sein Schälchen voll und blieb dann vor dem Tresen stehen, trippelte ein bisschen und schaute nervös. Als ich an die Obstschale trat fragte er: "Mögen Sie auch keine Melone?". Ich mag Melone ja sogar besonders gern - der Obstsalat besteht meist aus Melone, Ananas, Trauben und Apfel, Melone ist mein Favorit gefolgt von Ananas, dann Trauben, den Apfel nehme ich hin. Ich erklärte das.
"Möchten Sie meine Melone haben?", fragte der Fremde weiter. Das erschien mir aber eine in der Umsetzung sehr unpraktische Überlegung, außer, man würde den Obstsalat jetzt zusammen verzehren, was ich aber nicht wollte. Ich machte also einen Gegenvorschlag:
"Passen Sie auf, ich nehem ihre Schale und dann machen Sie sich eine neue ohne Melone." Das traue er sich nicht, sagte der Fremde. "Also gut", sagte ich. "Geben Sie mir Deckung!".
Der Fremde stellte sich zwischen mich und die Kassiererin. Ich schöpfte schnell ein Schälchen mit möglichst wenig Melone. Der Mann flüsterte nervös, dass ein paar Stücke nichts ausmachen, ich solle mich nur bitte beeilen, bevor wir auffliegen. Ich musste kichern.
"Was machen Sie den da an der Obstschüssel??", rauschte de Kassiererin heran. Schnell kippte ich noch eine Kelle fast-nur-Ananas obendrauf und klappte den Deckel zu. "Kann ich zahlen?" Misstrauisch beäugte die Kassiererin mich und das Obstsalatschälchen, erkannte aber, dass ihr nichts anders übrig blieb, als zu kassieren.
Hinter der Kasse tauschten der Fremde und ich die Schälchen aus. Ein bisschen wie Geheimagenten, nur war kein Ententeich in der Nähe und statt einer zusammengerollten Zeitung hatten wir Mobiltelefone in der Hand.
Sehen Sie, so aufregend kann das Leben im Büroturm sein.