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    Mittwoch, 15. Mai 2019

    Wecker falsch gestellt - keine Ahnung warum, keine Erinnerung - trotzdem einigermaßen richtig aufgewacht. Mit Nackenschmerzen, die ich auch letzten Mittwoch schon hatte, also seit der Gymnastikkurs begonnen hat immer am Morgen nach diesem. Es wird im Gymnastikkurs recht viel für den Nacken gemacht, weil der ja häufig verspannt ist. Ich habe den Verdacht, dass mein Nacken möglicherweise von Natur aus ganz und gar perfekt und unverspannt ist und jegliche Nackengymnastik daher für mich schädlich. Werde das beobachten. Die Beine und der Rumpf hingegen profitieren von der Gymnastik, sie fühlen sich am Tag danach an, als wollten sie sofort loslaufen, joggen oder am Rapunzelturm von außen hochklettern oder so.


    Der Fuß vom Kind ist etwas besser, weitere Schonung ist jedoch angezeigt. Ich fuhr sie daher mit dem Auto die 800 Meter zur Schule, ich weiß nicht, ob das überhaupt je schon einmal vorkam. Dort wartete ich, während sie ihre Klassenarbeit in Geschichte schrieb, um sie danach wieder nach Hause zu transportieren - allein nach Hause gehen ist nämlich aus Versicherungsgründen nicht gestattet, auch nicht, wenn ich dies im Schulsekretariat ausdrücklich erlaube.

    In der Wartezeit besichtigte ich aus Neugier die Schultoilette (sehr klein/eng aber sauber). Dann zog ich einen nahezu untrinkbaren Milchkaffee für 60 Cent an einem Automaten, der über und über beklebt war mit Belehrungen zu Plastikbechern und wo man in der Schule wann einen Edelstahlbecher mit Schullogo und Karabinerhaken kaufen kann (Spoiler: zu dem Zeitpunkt gerade nicht wegen Unterricht). Ich fühlte mich sehr schlecht.

    Nun wollte ich ein Buch lesen, statt dessen sprach mich aber eine Frau auf Englisch an. Es handelte sich um L., eine chinesische Frau, Mutter eines 14-jährigen Jungen, die beruflich nach Deutschland versetzt wurde, nun auf den Aufenthaltstitel für ihren Sohn hofft (der noch bei der Oma in China ist), eine Schule für das Kind sucht und natürlich eine Milliarde Fragen hatte. Obwohl wir beide fließend Englisch sprachen, war die Verständigung teilweise wegen der verschiedenen kulturellen Prägungen schwierig. So fragte L mich, wie weit Ms Klasse denn im "Mathematikbuch" sei, also nicht welche Themen behandelt werden, sondern wie weit in dem Mathematikbuch, das man - so vermute ich aus dem Gespräch - in China möglicherweise in jeder Schule hat. Und ob es denn gar keine ausländischen Kinder an der Schule gäbe - was mich sehr irritierte, denn an Ms Schule sind überwiegend Kinder, bei denen optisch ein Migrationshintergrund nahe liegt - für L. war das aber ganz offensichtlich überhaupt nicht offensichtlich. Welche Schule die beste im Ort sei, wollte sie noch wissen, auch eine Frage, die ich nicht zu beantworten wusste, und dann schwärmte sie von dem schönen ländlichen Leben - womit sie das Rhein-Main-Gebiet meinte. Die Zeit wurde leider knapp, wir tauschten Telefonnummern aus, denn ich würde L. sehr gerne näher kennenlernen, ich finde es enorm spannend, wie eine Frau mit Kind sich entscheidet, aus beruflichen Gründen in ein Land umzuziehen, zu dem sie bisher ganz offensichtlich keinerlei Verbindung hat. Es wurde dann noch kurz holprig, weil sie natürlich WeChat nutzt, aber wenn sie möchte, wird sie schon irgendeinen Weg finden, mich zu kontaktieren.

    Dann kam M, ich sah sie von weitem und war kurz gerührt, wie dieses Wesen, das mir schon so unglaublich groß und jugendlich erscheint, in ihrer Clique von Oberstufenschülern dann doch wieder klein und zart und recht kindlich wirkt.

    Kurz machetn wir im Schulsekretariat noch die Unfallmeldung und holten das Okay für einen weiteren Tag zu Hause ohne ärztliches Attest ein.

    Auf dem Heimweg beschwerte M sich über die viel zu einfache Geschichtsarbeit, man hätte im Grunde gar nichts lernen müssen, weil sich alles aus dem Text, der - was für eine Zumutung an Langweiligkeit - auch noch zusammengefasst werden musste, ableiten ließ. Der Lehrer hätte es sich doch sehr einfach gemacht, die Aufgabenstellung höchst unkreativ, keinerlei Herausforderung, Note an den Lehrer für die Aufgabenstellung mit gutem Willen gerade noch ausreichend. Man habe völlig umsonst gelernt. Das ließ mich zu einem glühenden Vortrag zu Lernen/Wissen, das nie vergeblich ist sondern Basis und Anknüpfungspunkt, ansetzen, ich sah das Netz vor meinem inneren Auge mit den glühenden Wissenspunkten, den Gedankenlinien zwischen ihnen, den Strahlen, die in noch unentschlossenes Gebiet führen, den (Geistes-)Blitzen der Übertragung. Das Kind hatte glasige Augen, als wir zu Hause eintrafen.

    Weiterfahrt ins Büro, dort bleierne Müdigkeit, mehrere Meetings, ein Vorstellungsgespräch, von dem ich sehr angetan war, die Mitarbeiterin aus dem Team, in dem die Stelle zu besetzen ist, aber nicht. Und da es natürlich keinerlei Sinn gibt, das Team in die Stellenbesetzung einzubeziehen und die daraus folgende Einschätzung dann zu übergehen, werde ich - wenn das morgen noch so steht, wir schlafen immer erst einmal eine Nacht darüber - wohl in den sauren Apfel der Prinzipien beißen.

    Am Schreibtisch nur die Dinge hin- und hergeschoben, weil alles so unglaublich schwierig und anstrengend erschien, nur einen kurzen Energieschub hervorrufen können, um per Mail mit dem (verreisten) Nachfolger vom Oberchef zu streiten. Ein sehr langes Telefonat mit der deutschen Steuerberaterin und ihrem US Counterpart, die sich nicht einigen können, welcher Steuergesetzgebung die Person, die ich demnächst entsenden möchte und die diverse noch nie gehabte steuerrelevante Eigenschaften auf sich vereint, unterliegen wird. Ich wiederholte immer nur "ich will die Details nicht verstehen müssen, ihr müsst zu einem Ergebnis kommen und zwar beide zu demselben, es muss eine eindeutige Antwort auf diese Frage geben" wiederholte. Sehr ermüdend. Dann noch Lagebesprechung zur Situation mit der Hausverwaltung. Auch sehr ermüdend.

    Nach Arbeitsende standen keine Erledigungen an, ich spazierte (ich hatte morgens aus Gründen, die ich abends nicht mehr wusste, das Fahrrad zu Hause stehenlassen) durch die Innenstadt nach Hause, fand im Briefkasten zwei Paketbenachrichtigungen aber die Firma im Hinterhaus, bei der die Pakete sind, hatte schon geschlossen.

    Und jetzt muss ich glaube ich einfach schlafen.

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