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    Dienstag, 28. Mai 2019

    Die Idee war, heute aufzuwachen und mit einem fixen Plan gesegnet zu sein, wie sich alles zu Erledigende in die nächsten Tage sortieren möge. So geschah es nicht.

    Ich wachte auf und wusste genauso wenig wie am Vortag, also packte ich einen Umzugskarton voller Akten, einen ca. 1x1 Meter großen Spiegel, drei Pakete, eine große leere Ikea-Tasche für Einkäufe und Sportzeug ins Auto und fuhr erst einmal ins Büro. Vielleicht würde die Inspiration zu einem späteren Zeitpunkt zuschlagen - ich wollte alles dabei haben, um in diesem Moment absolut handlungsfähig zu sein.

    Im Büro verschlang mich allerdings die Parallelrealität und als sich mich nach 8,5 Stunden - gut durchgekaut - wieder ausspuckte, wusste ich gerade noch, wie ich heiße, aber ganz sicher nicht, wie ich meine privaten Angelegenheiten regeln sollte. Zeit hatte ich noch für eine einzige Erledigung und ich beschloss, die einzige wirklich wichtige wäre der Einkauf, Essen muss man haben, alle anderen Erledigungen zu versäumen ist möglicherweise unangenehm und erklärungsbedürftig, aber keinesfalls existenzbedrohend. Ich gab den präferierten Supermarkt ins Navi ein.

    Auf halber Strecke kam jedoch ein Anruf von der Frau, der ich den Spiegel zurückgeben wollte - sie konnte es möglich machen, heute doch bis 18:00 Uhr auf mich zu warten, danach hatte ich wohl gestern gefragt, auch wenn ich keinerlei Erinnerung daran habe. Nunja, wenn die Frau das so freundlich möglich macht, fahre ich halt doch zu ihr, einkaufen kann ich auch morgen noch, war meine Überlegung und ich gab ein neues Ziel ins Navi ein.

    Dann war Stau, es wurde alles sehr knapp, da, wo bei der Spiegelfrau sonst immer ein Parkplatz frei ist, war keiner frei, ich fuhr in irgendeine unbekannte Ecke, packte den Spiegel, rannte los, es ging sich alles noch aus, auf dem Rückweg zum Auto sah ich aus dem Augenwinkel einen DHL Shop, der noch geöffnet hatte. Das traf sich natürlich gut für meine drei Pakete, ich holte sie aus dem Kofferraum und gab sie ab. Als ich aus dem DHL Shop trat, sah ich wieder ein paar Meter weiter einen Supermarkt. Dies war also der Moment, in dem sich alles irgendwie von selbst sortierte. Ich glaube, ich hörte die Klänge der Himmelsphären, aber vielleicht war es auch mein Tinnitus.

    Es war immer noch alles sehr knapp denn um 19 Uhr wollte ich beim Sport sein, hauptsächlich aus einer Zickigkeit heraus, dass es doch wohl nicht sein kann, dass es auf diese eine Stunde, die dem Sport vorbehalten ist, ankommen soll bei den wichtigen Erledigungen. Man muss einfach die verbleibenden 23 Stunden alle etwa 2,5 Minuten schneller leben, dann ist auch genug Zeit für Sport. Das ist ja nun wirklich keine Herausforderung.

    Ich rannte also zum Auto zurück, holte die Ikea-Tüte, rannte zum Supermarkt, rannte mit dem Einkaufswagen durch die Gänge, kaufte alles ein und hatte am Ende eine Ikea-Tüte, die ich kaum noch heben konnte, egal, er Einkaufswagen wollte sich nicht mehr in die Reihe der anderen Wagen schieben lassen, auch egal, ich rannte einfach weiter, es war wirklich so, alles löste sich von selbst, alles ging auf, alles rückte an den richtigen Platz. Aber: No rose without a thorn.

    Dann riss die Tüte.

    Ich meine, im Ernst, ist Ihnen schonmal eine Ikea-tüte gerissen? Das ist doch keine akzeptable Realität. In solchen Momenten kommt es nur auf die Hartnäckigkeit an, diese Realität absolut zu leugnen, sich keinesfalls beeindrucken zu lassen, komplett emotionsfrei packt man die Sachen wieder ein, hält die ca. 20 kg schwere gerissene Tasche mit einer Hand unten zu und rennt weiter. Es kann sich ja nur um ein ganz kurzfristiges Problem handeln, schon wenige Minuten später wird man wieder in einem Handlungsstrang angekommen sein, in dem Ikea-Tüten nicht reißen.

    Gut, 20 kg gerissene Ikea-Tüte stellte ich also einen halben Kilometer weiter vor dem Auto ab, schloss auf, hob die Tüte in den Kofferraum und es tropfte etwas heraus.

    Na, wissen Sie, was es war?

    Genau.

    Sahne.

    Es ist jetzt Zeit, anzuerkennen, dass dieser Handlungsstrang, in den man aus irgendeinem Grund geraten ist, doch nicht irgendwie von selbst wieder verschwindet. Man wischt in diesem Fall jedes einzelne Teil des 20-kg-Einkaufs notdürftig mit Papiertaschentüchern (ein Hoch auf die Apotheken!) ab, legt sie in alles behälterartige, das sich im Kofferraum findet (immerhin zwei Stofftaschen und ein sehr großer Kochtopf, fragen Sie nicht...), dann hat man eine zerrissene, tropfende Ikea-Tüte mit einem Sahnesee und eine Lawine an sahneverseuchten zerknüllten Papiertüchern übrig. Es ist kein Mülleimer in der Nähe.

    Im Auto ist aber ja noch der Karton mit den Akten, die kann man einfach auf dem Rücksitz auskippen, den ganzen Dreck in den Karton werfen. Es ist jetzt 18:20 Uhr.

    Dann ging alles ganz schnell: 18:40 zu Hause, Karton mit Inhalt in den Müll, Auto in die Garage, alle Einkäufe ins Waschbecken, mit heißem Wasser und Spüli bearbeiten und sich dabei vorkommen wie so ein kompett irrer Mensch, der Angst vor Bakterien hat und deshalb seine Einkäufe abwäscht (kannte mal so wen), Kühlzeugs in den Kühlschrank, alles andere zum Abtropfen stehen lassen, wieder runter rennen, Sportzeug aus dem Auto holen, mit dem Rad zum Sport fahren, nur knapp 5 Minuten zu spät angekommen.

    Wie schön es gewesen wäre, einfach auf der Gymnastikmatte schlafen zu dürfen, aber so war es natürlich nicht.

    Nach dem Sport im Supermarkt neue Sahne gekauft, den Fahrradhelm abgesetzt und die Sahne den Rest des Weges darin geschützt transportiert. Auf halber Strecke die Überzeugung gewonnen, dass noch etwas gegessen werden muss, es mir aber definitiv nicht mehr möglich sein wird, Essen zuzubereiten. Beim Syrer angehalten und Falafel für alle gekauft und Hummus nur für mich.

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