Was mich im Alltag zunehmend mehr nervt ist die Sache mit Kindern und „Medien“.
Dabei ist „Medien“ ja schon ein schwieriger Begriff, jedenfalls wenn man das Ganze in Gut und Böse einteilen will. Bücher zählen meistens zu „gut“, wobei viele Mit-Kindern-beschäftigte-Personen leichte Abstriche bei Comics machen. Zeitschriften werden schon kritischer gesehen, natürlich nicht Geolino und Konsorten, aber das aktuelle Filly-Heft oder die Bravo Girl, nunja. Hörbücher sind mittel, es sind zwar Bücher, aber man liest ja nichts, Achtung, Berieselungsalarm! Richtig böse ist aber, etwas zu gucken – DVD geht noch, Fernsehen ist schon echt schlimm. Und die Ausgeburt der Hölle ist – wie wir alle wissen: Internet!
Mademoiselle hat mit Internet angefangen, als sie 1 Jahr alt war. Zu ihrem ersten Geburtstag hat sie nämlich von ihrer Tante eine animierte Online-Karte von der Maus bekommen. Die Maus rutschte irgendwo runter und wenn man klickte, dann auch Elefant und Ente. Mademoiselle saß auf meinem Schoß. Sie starrte. Auf die Karte. Ich ließ Maus, Elefant und Ente rutschen. Sie starrte. Sie war wie versteinert. Dann fuhr sie den Zeigefinger aus, deutete auf den Bildschirm und rief „Mauf!!!“ Und dann „Nokma!!!!!“
„Mauf!!!“ und „Nokma!!!!“ und auch „Nok eiiiiiiiimaj!!!“ wurden Teil unseres Alltags. Also die gesamte Maus-Seite. Und Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig. Und das Sandmännchen. Und Vulkanausbrüche auf Youtube.
Als Mademoiselle 4 Jahre alt war, bekam sie zu Weihnachten einen Nintendo - das hatte sei bei einem Mädchen auf einer Party (im Februar!) gesehen, war sofort begeistert und ließ sich die nächsten 10 Monate nicht mehr davon abbringen. Die Verwandtschaft war irritiert bis schockiert. Mademoiselle spielte etwa 3 Wochen lang ununterbrochen, danach war Ruhe. So ist es bis heute, wenn sie ein neues Spiel bekommt: 2 – 3 Wochen spielt sie in jeder freien Minute, dann ist die Sache durch. Genauso, wie wenn sie ein neues Buch hat: dann liest sie tagelang wann immer es geht und dann ist sie fertig.
Am PC spielt sie gerne Wimmelbildspiele. Manchmal macht sie auch Online-Spiele, solche, bei denen man Tiere großzieht oder solche, bei denen man Burgen oder Städte baut oder Gärten anlegt. Manche dieser Spiele haben eine Chatfunktion, so hat sie ihre erste Online-Community kennengelernt, wir haben viel darüber gesprochen, wer diese Leute sein könnten, mit denen sie sich unterhält (mit dem Fazit: wir haben keinen blassen Schimmer, es könnte der schrumplige Nachbar von oben sein oder auch die Schulfreundin, die in der Klasse neben ihr sitzt, oder Tiger021 könnte auch wirklich 19 Jahre und Mechatronikerazubi sein) und was diese Leute von ihr erfahren. Sie schaut gerne Youtube-Videos und es gibt in ihrem Bekanntenkreis einige Jugendliche, die selbst Videos machen und andere, die Videos kommentieren. Sie hat etwa ein halbes Jahr lang immer mal wieder mit einem Online-Tastschreibkurs geübt. Sie hat mit zwei Freundinnen einen dreiviertelstündigen Film gedreht – also deutlich mehr Stunden Material aufgenommen, zusammengschnitten, mit Musik und Texten unterlegt. Mit Klassenkameraden hat sie eine Fotostory gemacht. Für ihr Buchreferat in der 3. Klasse hat sie die Autorin gegoogelt, ist auf eine Homepage gestoßen, hat eine Mail mit Fragen zur Entstehung des Buches geschickt und schon wenige Stunden später eine sehr ausführliche Antwort bekommen. Nach dem letzten Sommerurlaub hat sie ein Kindle bekommen – wir waren in Schottland, die mitgebrachten Bücher waren nach 3 Tagen gelesen und kein deutschsprachiger Nachschub zu bekommen. Ein Hoch auf WLan und Amazon, noch in keinem Urlaub konnten Herr N. und ich so entspannt in Restaurants und Pubs abhängen wie mit dem lesenden Kind nebendran. Seit letztem Weihnachten hat sie auch ein Smartphone, auf dem sie Musik hört, „Violetta“ im Disney Channel schaut und eine Whatsapp-Gruppe mit ihrer Schulklasse, mit ihrer Trainingsgruppe und mit der erweiterten Familie hat.
Für erstaunlich viele Leute in meinem Bekanntenkreis ist das mit den Kindern und den Medien ein erstaunlich schwieriges Thema. Da werden komplizierte Zeitregelungen getroffen, die möglicherweise durch Leistung (Schule oder Haushalt) erweitert werden können oder technische „Lösungen“ implementiert. Beides finde ich schwierig – haben Sie schon einmal 20 Minuten Mensch-Ärgere-Dich-Nicht gespielt, oder doch eher „eine Runde“? Was ist wenn die Elektrospielzeugzeit aufgebraucht ist, aber sich das Buch, das das Kind gerade liest, auf einem E-Reader befindet? Was hat eine 2 in der Klassenarbeit in Mathe damit zu tun, ob man nachmittags Lego baut oder Minecraft? Und zu den technischen Lösungen, um Himmels Willen, haben wir nicht schon mehr als genug Überwachung am Hals? Und können – wollen! – wir uns auf technische Spielereien zur Kindererziehung verlassen?
Ich reglementiere die Mediennutzung meiner Tochter überhaupt nicht.
Und zwar aus den folgenden Gründen: Zum einen finde ich, dass sie ihre Freizeit selbst gestalten darf. Ich halte es für respektlos, ihr für die Zeit, die neben Schule, Sport, Geigenunterricht und anderen Verpflichtungen bleibt, Vorschriften zu machen. Wir sprechen hier über etwa 1-2 Stunden am Tag und ab und an ein Wochenendtag (wenn keine Wettkämpfe, Aktivitäten oder Besuche geplant sind).
Zweitens finde ich nicht, dass es „wertvolle“ und „wertlose“ Möglichkeiten gibt, sich zu entspannen und Spaß zu haben. Wieso soll es besser sein, Playmobil zu spielen oder ein Bild mit Stiften auf Papier zu malen, als online eine Burg zu bauen oder einen Film zusammenzuschneiden? Was spricht eigentlich dagegen, mein Kind in allen seinen Interessen zu fördern und zu unterstützen?
Und drittens sehe ich meinen Erziehungsauftrag auch gerade darin, nicht zu verbieten, nicht zu reglementieren sondern zu begleiten und zu erklären. Und Achtung, das Zeitfenster, in dem das möglich ist, ist verdammt klein! Einer Vierjährigen kann ich nämlich noch nicht viel über problematische Inhalte, Datenschutz und das Gedächtnis des Netzes, Risiken im Chat, Abofallen, Cybermobbing und natürlich auch Urheberrecht erzählen. Und eine Vierzehnjährige hört mir schon nicht mehr zu! Ich muss – das ist meine Verantwortung als Elternteil – also den Zeitraum irgendwo dazwischen abpassen, in dem die intellektuellen Voraussetzungen schon da sind, und die emotionalen Vorausetzungen noch da sind. Und das ist bei uns jetzt. Jetzt ruft Mademoiselle mich, wenn sie ein besonders interessantes Gespräch im Chat führt, damit ich für sie tippe, weil ich so viel schneller bin. Jetzt zeigt sie mir die Videos ihrer Bekannten und fragt, ob ich es gut fände, wenn sie etwas kommentiert, jetzt fragt sie vor jedem Download, ob ich einverstanden bin, ob sie auf OK klicken darf, ob sie noch irgendetwas beachten muss. Das wird in ein, zwei, drei Jahren wesentlich anders aussehen und – machen wir uns nichts vor – technische Sperren nützen dann auch nichts. Denn dann ist sie mit ihrem Handy mit ganz anderen Freunden in ganz anderen Wlans unterwegs.