Bekanntlich fahre ich ganzjährig ein Teilstück meines Arbeitsweges mit dem Rad. Im Sommer fahre ich, wenn ich stabiles Wetter annehme (was ungleich ist mit vom Wetterbericht vorhergesagtes stabiles Wetter) auch gleich mit dem Rad am Rapunzelturm vor. Bei Regen, auch schon bei Niesel, geht das jedoch nicht, denn ein guter Teil des Weges ist rötlicher Sand/Schotter, der mich bei Feuchtigkeit als Invert-Marienkäfer im Büro eintreffen lässt.
Die letzten Tage war aber schönes Wetter, also fuhr ich den kompletten Weg Rad. Das ist bekanntlich gut, für alles eigentlich, man hat Bewegung, man hat Entspannung, man wird fürchterlich ausgeglichen und bekommt den Kopf frei. Was man jedoch nicht hat, ist Unterhaltung. Gut, ein paar Enten und anderes Geflügel hier und da, ab und an ungeübte Skater, denen man ausweichen muss, damit sie sich nicht an einem festklammern, eine Viererabwehrkette aus Kinderwagenmuttis (ich kann das ja ohne jegliches Wimpernzucken sagen - einer der wirklichen Vorteile, wenn man Nachwuchs hat) und Männer mit zu wenig an. Wenn man Enten durch Tauben ersetzt, hat man das aber eigentlich auch alles in der S-Bahn, und dazu ja noch viel mehr.
Auf meiner letzten S-Bahn-Fahrt - vor der Schönwetterperiode - kam eine sehr schöne Frau in die Bahn und erbat Zugang zu einem der Fensterplätze im Vierersitz. Ich saß außen, mir gegenüber ein Mann, der am Telefon wispernd (immerhin) mit seiner Ex über Geld stritt, neben mir ein anderer Mann, der auf seinem Telefon Tetris spielte. Keiner guckte. Wie kann man nicht gucken, wenn ein Mensch mit Ausstrahlung und Präsenz vorbeikommt? Gut, die einen lesen ein Buch, die anderen machen Dinge am Handy, die nächsten glotzen vor sich hin und wälzen im Kopf vermutlich irgendwelche dringenden 7-Uhr-morgens-Probleme und der Großteil schaut aus dem Fenster. Im Tunnel. Wieso schaut man sich nicht die Leute an, mit denen man zusammen in der Bahn ist? Wie kann einen das nicht interessieren? Ich erkenne in "meiner" Bahn ja jeden Neuzugang, sehe, wenn einer der Stammgäste schlecht geschlafen hat, habe erschlossen, dass die ältere Dame die immer außen sitzen will, alle Terry-Pratchett-Bücher chronologisch durcharbeitet und von der Ex vom Gegenüber weiß ich aus seinen Telefonaten über die Jahre vermutlich insgesamt mehr, als er schon verdrängt hat.
Die schöne Frau war nur ein Zufallsgast, das fand ich heraus, als wir uns über den Mülleimer unterhielten. Trotzdem fahre ich morgen zur Abwechslung wieder einmal Bahn. Ich bin ja schon so ausgeglichen, dass es mir zu den Ohren heraushängt.
Heute vor zig Jahren:
In Physik machen wir eine Exkursion. Ist total doof.