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    Freitag, 11. Mai 2012
    Blogging November - 193

    Wenn man außnahmsweise mal ganz pünktlich in der Schule sein muss, obwohl nicht Mittwoch ist, weil nämlich ein Vorlesewettbewerb stattfindet und man Jurymitglied ist, dann entwickelt das eigene Kind natürlich auf dem Schulweg mysteriöse Schmerzen und Weinen (angenommerner Grund: Aufmerksamkeitsdefizit verursacht durch beruhigende Konversation mit dem Zweitkind/Vorlesewettbewerbteilnehmerin). Man schafft es natürlich gerade noch pünktlich, aber dann steht das Zweitkind ohne Fahrradschloss auf dem Schulhof und man kann es nicht zurückschicken, weil es doch pünktlich da sein muss als Vorlesewettbewerbteilnehmerin. Hat dann aber alles noch geklappt.

    Die Jury bestand aus der Schulleiterin, den drei Siegern des letzten Jahres, einem Vertreter der Schulsozialarbeit und mir.

    Zuerst lasen die Klassensieger der vierten Klassen. Catcalls und begeistertes Johlen bei der Begrüßungsrede der Direktorin. Ansonsten alles sehr eingespielt, Piece-Zeichen wenn alle ruhig werden sollen, und ein Blick der Klassenlehrer reicht aus, um größere Unfugsaktionen zu unterbinden. Beim Lesen stach ein Junge heraus, der seinen vorbereiteten Text scheinbar auswendig konnte und daher Blicke und Gesten nutzen konnte, um das Publikum um den Finger zu wickeln. Der gewann dann auch, sank vor der Jury auf die Knie und küsste den Fußboden der Cafeteria, bevor sich seine Kumpanen auf ihn warfen.

    Danach die zweiten Klassen - hier klaffte das Lesevermögen zwischen dem vorbereiteten Text und dem unbekannten Text besonders weit auseinander. Nicht wirklich verblüffend, aber anstrengend für den Zuhörer. Während des Zusammenrechnens der Punkte gab es in den zweiten Klassen ein moderiertes Bewegungsprogramm. Spontan kamen zwei Zweitklässlerinnen nach vorn und übernahmen das Vorturnen. Nebenher ein kleiner Juryskandal, da zwei Jurymitglieder jüngeren Lebensalters ganz offensichtlich nicht die Lesekompetenz sondern die Beliebtheit einer Teilnehmerin bewertet hatten. Und am Ende Tränen bei der kleinen Letztplatzierten - in der zweiten Klasse ist es noch schwer zu verstehen, dass man die Viertbeste von 100 geworden ist und nicht die Schlechteste von 4. Ich hätte fast mitgeweint.

    Tumultartige Szenen in den dritten Klassen - dieser Jahrgang ist mit Abstand der Lauteste und skandierte klassenweise in Sprechchören die Namen der jeweiligen Favoriten unterbrochen von Beeinflussungsversuchen der Jury ("Ey Hülya schöne Haare!", "Ich will ein Kind von Sie!!", "Frau Schulleiterin Herz Herz Herz!!!" (mit Gestik). Das Zweitkind liest bei dieser Runde mit und es ist schwerer als gedacht, sie unvoreingenommen zu bewerten. Da ich ihre Stimme kenne ist es für mich viel leichter, ihr zu folgen als den anderen, natürlich klingt sie allein durch ihre Vertrautheit deutlicher für mich. Sie hat sich von allen den anspruchsvollsten Text herausgesucht, kein typisches Kinderbuch sondern Momo und daraus eine Stelle, in der es um Freundschaft geht. Das liest sie flüssig, deutlich und gut betont, aber leider viel, viel zu schnell. Zum Glück liest sie den unbekannten Text aber genauso flüssig, damit ist sie den anderen weit voraus die über Wörter wie "Transparent", "niegelnagelneu", "Drahtesel" und "erschrickt" stolpern. Am Ende gewinnt sie mit denkbar knappem Vorsprung (103 Punkte zu 102) vor einem anderen Mädchen, das im vorbereiteten Text sang und Tiergeräusche machte, den unbekannten Text aber nicht verständlich vortragen konnte. Der Saal tobte.

    Es war eine wunderbare Veranstaltung und ich fühlte mich hervorragend unterhalten. Das wirklich einzige Manko war, dass es keinen Kaffee gab. Nein, das ist nicht ganz richtig, denn im allerletzten Moment vor Beginn der nächsten Runde stürmte immer der eine oder andere Lehrer mit einer Tasse Kaffee hinter den Jurytisch. Sowieso sieht man an dieser Schule immer wieder Lehrer mit bunten Kaffeetassen (keine Thermobecher, keine Pappbecher), aber wo der Kaffee herkommt ist ein Mysterium. Im Lehrerzimmer und im Sekretariat ist er jedenfalls nicht, da habe ich schon geschaut. Und jedes Mal, wenn ich irgendeinen Lehrer an der Schule wegen irgendwas treffe und mir Kaffee angeboten wird, verschwindert dieser Lehrer dann längere Zeit in unbestimmte Richtung, um diesen zu beschaffen. Ein paar Mal habe ich schon angeboten, selbst zu gehen wenn man mir nur sagen würde, wohin, oder mitzukommen um Tragen zu helfen, gerade wenn es um Kaffee für eine größere Runde ging. Erfolglos. Der Lehrkörper verteidigt sein Kaffeemonopol mit allen Mitteln. Ich gehe sehr davon aus, dass Kaffee an staatlichen Schulen eine privatfinanzierte Angelegenheit ist. Daher ist mein aktueller Plan, bei einem der nächsten Besuche das eine oder andere Pfund hochwertigen Kaffees mitzubringen und mich derart in den Inner Coffee Circle einzukaufen.

    Sollte das nicht gelingen, wende ich mich an die Schulsozialarbeit.




    Heute vor zig Jahren:

    Der Vertrauenslehrer hat mich in der Pause abgefangen wegen dem Essay und wir saßen dann mit Frau R. in seinem Büro und ich habe voll Ärger bekommen weil ich nicht (!) das Essay von wem anders vorgelesen habe und weil ich mir so schnell tolle Essays ausdenken kann dass man meint, ich hätte das als Hausaufgabe gemacht. Ich habe aufgemuckt dass ich das unfair finde und der Vertrauenslehrer meinte dass man in der Schule auch lernen muss, Regeln zu beachten und ich hätte gleich sagen sollen, dass ich die Hausaufgaben nicht habe. Ich habe gesagt, dass ich das nicht einsehe weil die Hausaufgaben doch dazu da sind dass man Sachen gut lernt und wenn ich das mit dem Essay gut kann ist doch alles in Ordnung. Und ich habe direkt danach gesagt, als ich nochmal vorlesen sollte, dass ich das nicht habe. Was kann ich dafür wenn Frau R. nicht an meine Genialität glauben will, hahaha. Aber jedenfalls hat er gesagt ich soll froh sein dass ich keine Klassenkonferenz kriege. Ich wüsste aber auch gerne mal wofür überhaupt eine Klassenkonferenz. Ich hab ja sonst immer die Hausaufgaben und gestern einmal nicht, da gibt es doch keine Klassenkonferenz. Und dass dieses Riesentheater gekommen ist, war nicht meine Schuld sondern die Frau R. ist selbst schuld weil sie mir nicht geglaubt hat. Man kann denen voll nicht helfen und sowieso finde ich dass ein Vertrauenslehrer nicht so Drohungen machen sollte von denen jeder weiß, dass das nur ausgedacht ist weil ihm sonst nichts einfällt.

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