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    Mittwoch, 6. Mai 2020

    Frau Fragmente sitzt in ihrem Arbeitszimmer am Schreibtisch und bloggt (sie hat ja in jedem Zimmer einen Schreibtisch) und ich sitze da, wo ich halt dauernd sitze, langsam wird das ein wenig langweilig. Also wo ich sitze. Wo Frau Fragmente sitzt, wird es langsam etwas empörend, vorhin als allererstes eröffnete sich mir der Anblick auf Putzeimer und ein Mineralwasserlager, so dass ich annahm wir seien in einer Abstellkammer oder der Garage. Es war aber anders: Frau Fragmente hatte ihr Regal aufgeräumt und wollte das unauffällig-aber-doch-auffällig-genug-zur-Kenntnisnahme vorzeigen, zwecks Lob. Nachdem ich lobte, wurde der Vorhang wieder vor das Regal gezogen, halleluja.

    Im Arbeitszimmer sind auch zwei Wäscheständer, jetzt nicht mehr im Bild und ein Schränkchen mit einem lustigen kleinen weißen Plastikhocker darauf, von dem ich erst befürchtete, er könnte für Blumentöpfe sein aber Frau Fragmente beschwört, sie hält ihn für Kleinkinderbesuche vorrätig. Diese Behauptung wird auch durch eine Bauklotztrommel im Regel gestützt, das erkenne ich an. Über dem Blumen- sorry, Kleinkindhocker ist ein Bild mit einem weißen Pferd, darauf zwei Personen: Fragmente und ihre Mutter. Ich kenne das Bild "live" und mag es sehr.

    Außerdem im Raum: eine kleine Schachtelansammlung, von der Frau Fragmente sich trennen wird. Wir sprachen vorhin darüber, denn ich neige auch zu Schachtelansammlungen. Zugegeben, nicht so dezenten wie Frau Fragmente, bei der die Schachteln eben in einer Art Schuhkarton auf einem Schränkchen sind. Bei mir nehmen die Schachteln eher 3qm Bodenfläche ein und stapeln sich überkopfhoch, das ist mir schon einmal passiert, als ich eine Ebay-Verkaufsphase hatte, nun ist es mir passiert, weil ich dachte, ich müsse sie alle auseinanderschneiden um damit einen Rollstuhl transportgerecht zu verpacken. Das ist aber eine ganz andere Geschichte und hat sich auch anders gelöst, weshalb ich heute schon mit der Beseitigung der Schachtelsammlung begann und sie morgen wohl beenden werde, spätestens übermorgen.

    Sammlungen von gleichartigen nützlichen Gegenständen sind ein wenig meine Marotte. Ich erinnere hier an den Vorfall mit den Gü-Gläschen: das war zu Zeiten, als Frau Herzbruch hier noch regelmäßig wohnte und wir regelmäßig Gü aßen, Gü kommt in Glasschälchen daher, die man weiterverwenden kann: zum Mischen von Fingerfarbe, zum Hinstellen von kleinen Mengen Süßigkeiten, zur Zubereitung von Soufflé oder Käsekuchen im Glas oder Schokoladenfondue mit drei Sorten Schokoade für jeden. Also warf ich die Gläschen erstmal nicht weg, bis Frau Herzbruch mich eines Abends beiseite nahm und sagte: "es gibt ein Gläschen-Problem". Sie öffnete die Türen aller Küchenschränke und hinter jeder Tür waren Gläschen, Gläschen, Gläschen. Fast schon wie einem Horrorfim. War mir ehrlich nicht aufgefallen vorher. Ich packte die Gläschen in Umzugskartons (Plural!), einen stellte ich in den Keller, den Rest transportierte ich zum Glascontainer. 12 Gläschen verbleiben in der Wohnung und erwiesen sich in den folgenden Jahren als absolut ausreichend für alle Zwecke.

    Nun gab es hier neulich eine Crème brûlée-Phase, und die kommt in ganz ähnlichen Gläschen. Aber ich bin lernfähig, die allermeisten Fehler mache ich nicht mehrfach in ähnlicher Form. Als der eine Schrank vor Gläschen nicht mehr zuging, machte ich ein Foto, stellte es auf Ebay-Kleinanzeigen und gestern wurden zwei Stoffbeutel voller Gläschen von einem freudlichen jungen Mann - der wie alle Abholer von verschenktem Zeugs in den letzten Tagen eine Mundnasenmaske trug - abgeholt. Die Übergabe findet übrigens mit einem halben Stockwerk Abstand statt, dort ist eine Fensterbank, auf die ich die Sachen lege und wenn die Person kommt, nimmt sie sie von dort mit und wir winken uns freundlich zu. Klappt perfekt und hat glaube ich einen unerwarteten, aber sehr erwünschten Nebenaspekt: es unterbleiben Gegengeschenke! Bei der letzten Geschenkerunde kam es dazu, dass eine überdimensionale Muschel in meinen Haushalt einzog und ich bringe es nicht übers Herz, sie auszusortieren, weil sie mit so viel Freude übergeben wurde. Das ist ein noch größeres Problem als die Geschenke von Chipstüten, Schokoadentafeln und versteinerten Marzipanrosen.

    Geschenke finde ich sowieso am besten, wenn sie nicht in materieller Form daher kommen oder sich zumindest verbrauchen. Ich kaufe seit etwa zwei Jahren keine Gegenstände mehr, außer es ist unvermeidbar: einen neuen Schneebesen brauchte ich irgendwann letzten Januar, diesen Januar war ein neues Sofa und ein Sessel notwendig, jetzt ist der Milchtopf kaputt gegangen. Aber ansonsten: keine Gegenstände für mich bitte, ich habe mehr als genug. Essen, Trinken, tolle Duschgels oder Lotions und Bücher in elektronischer Form jederzeit gerne, aber nichts, das bleibt. Außer, in der Erinnerung: meine liebsten Geschenke sind Erlebnisgeschenke. Ich hoffe sehr, der Workshop mit abschließendem Jodeldiplom, den mir Frau Violinista zum Geburtstag geschenkt hat und der im September geplant ist, kann stattfinden.

    Ich habe noch gar nicht viel zu Frau Fragmente heute geschrieben. Vielleicht bin ich etwas unaufmerksam, ich habe mich heute aber schon so viel über Menschen gewundert, dass mein sonst sehr ausgeprägtes menschliches Interesse für den Rest des Abends etwas erlahmt ist. Es war ein Tag voller menschlicher Komplikationen ohne jede sachliche Grundlage, die allermeisten enstanden nur, weil meine Lebensregel (oder man mag es auch Glaubenssatz nennen) Nr. 7 ("Entscheide dich!") sich noch nicht wie es ihr gebührt durchgesetzt hat. Frau Fragmente tippt halt vor sich hin mit ihren Mittelfingern, sie trägt zu meiner Beruhigung eine ihrer Ketten (wenn sie keine trägt bin ich immer ganz irrtiert, denn ich lernte sie mit Kette kennen, mit einer mit einem dunklen, tropfenförmigen Stein, in dem ein wenig ihr bordeauxroter Blazer widerschimmerte), neben hier liegt ein blauer Kopfhörer, den ich auch schonmal in echt gesehen habe, auch wenn ich den Zusammenhang nicht mehr erinnere und links von ihr liegt Papier, ob sie sich etwa schon wieder Notizen gemacht hat?

    ich bin recht dankbar, dass mein eigener Hintergrund gerade in Dunkelheit versinkt, hier ist es nämlich unordentlich, eben wegen der Aussortieraktion aber auch, weil auf dem Sofa ein Haufen frischer Wäsche liegt und in diesem liegen seit heute morgen sehr glücklich die Katzen. Immer mindestens eine, so dass ich den Berg nicht wegräumen kann. Ich glaube, die haben sich abgesprochen.

    So, alles erledigt. Jetzt ein Bier.

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