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    Samstag, 14. Februar 2015
    Blogging November - 1201

    Es gibt einen Witz - erschrecken Sie nicht, es wird nicht ab jetzt jeden Tag einen Witz hier geben - also, es gibt einen Witz - eigentlich kann ich mir Witze nie merken, nur einen speziellen, der mir allerdings gerade entfallen ist, und diesen hier, weil, das merken Sie gleich - also, es gibt einen Witz - ganz genau erinnere ich mich allerdings nicht an ihn, aber ich denke, den Punkt, den ich machen will, kann ich machen - also: dieser Witz geht (ungefähr) so:

    Geht ein Rentnerpaar zum Orthopäden und fragt nach einem Termin.
    "Kommen Sie in einem halben Jahr!", sagt der Arzt.
    "Ok, wenn ich dann noch lebe...", sagt der Mann.
    "Sonst komm ich allein", sagt die Frau.

    Merken kann ich mir diesen Witz, weil: das Rentnerpaar sind natürlich Papa und Mama N.

    Papa und Mama N. bereiten sich auf den Tod vor. Es gibt dazu keinen konkreten Anlass, aber unbestritten läuft (wie für jeden von uns) die Zeit, und das wird vielleicht deutlicher spürbar, wenn man den 2. Weltkrieg noch miterlebt hat. Vorsorgevollmachten und Kontenzugriffe sind geklärt, die Wohnung ist schon lange entrümpelt und es wird darauf geachtet, dass nicht zu viel Neues hinzukommt. Bücher nur noch aus der Bücherei, geschenkte Bücher nach dem Lesen gleich weitergeben, nimm doch mal dein Fotoalbum mit und den Karton mit den Klaviernoten, kannst du ein paar Weingläser brauchen, die blaue Tischdecke findest du doch so schön und ob es sich lohnt, die defekte Waschmaschine durch ein Markengerät zu ersetzen, das hält dann zwar 20 Jahre, aber - nunja? Als Weihnachtsgeschenke sind auch nur noch Gegenstände erlaubt, zu denen sich gleich eine potentielle Erbin bereitstellt.

    Organisatorisch sind wir also auf Spur, um das Emotionale soll es hier nicht gehen. Es geht - vielleicht überrascht das jetzt - um Marzipantorte.

    Papa N. ist Bäcker und Konditor, ich kann seit dem Kindergartenalter Eier trennen, Zucker brennen, Tortenböden schneiden und am Klopfen erkennen, ob der Kuchen fertig ist. An Gebäck hat es uns nie gemangelt und auch nicht an Geschichten über die 10.000 Berliner, die in einer Karnevalsnacht zwischen 2 und 7 Uhr morgens apricotiert und glasiert werden. Das Signature-Gebäck der Familie sind jedoch Lebkuchenplätzchen und Marzipan-Walnuss-Torte.

    Das Rezept für die Lebkuchenplätzchen wird nicht preisgegeben. Es steht in einem kleinen Büchlein in einem vermutlich unbenannten Format irgendwo zwischen A5 und A4, mit schwarzem Ledereinband, es wirkt ein wenig wie ein Moleskine, damals gab es aber noch gar keine Moleskines. Das Papier ist leicht angegilbt, die Rezepte sind für den Bäckereibetrieb berechnet und die Mengen mit dem alten, schnörkeligen Zeichen für "Pfund" angegeben. Rechnet man auf "Hausfrauenbäckerei" um, benötigt man für die Abmessung mancher Gewürze eine Federwaage. Irgendwann in der hoffentlich weit entfernten Zukunft (Papa N. sagt: in etwa 10 Jahren) werde ich dieses schwarze Büchlein erben.

    Das Rezept für die Marzipan-Walnuss-Torte existiert nur im Kopf von Papa N. und basiert im Wesentlichen auf einer Walnusspaste, von der etwa drei Teelöffel (aber manchmal sind es nur zwei, man schmeckt es ab, weil es auch mit dem Aroma der verwendeten gehackten Walnüsse zusammenhängt) benötigt werden. Die Paste befindet sich seit ich denken kann in einem unbeschrifteten Marmeladenglas im Kühlschrank. Immer, wenn ich Bedenken bezüglich der Haltbarkeit äußere, lacht Papa N. Immer, wenn ich Bedenken bezüglich des Pegelstandes im Glas äußere, sagt er "Ich han jenoch." Bei der letzten Tortenerstellung schüttelte er das Glas, zwinkerte in meine Richtung und sagte: "15. Vielleicht 20." Ich wurde nervös.

    Wenn ich nervös werde, verfalle ich in Aktionismus. Papa N. zu befragen, blieb jedoch völlig ergebnislos. "Ich han jenoch!", sagte er beharrlich. Also recherchierte ich. Ich googelte alles, was das Internet mit Walnuss und Konditorei hergibt, ich verglich Werbeaufschriften von Messern, Paletten, Schürzen und Schüsseln, die sich noch aus Papa Ns aktiven Zeiten in unserem Haushalt befinden und glich diese mit den Dosierungsanleitungen der entsprechenden Produzenten von Walnusspasten ab. Und siehe da: mittels meines Putzeimers (ein ehemaliges 20-Liter-Aufbewahrungsgefäß für Fondant) wurde ich fündig.

    Ich weiß jetzt, wo es genau die Walnusspaste gibt, die ich benötige, und der Rest ist ein Klacks. Bestellen kann ich sie Einheiten von mindestens drei Dosen mit jeweils 1 kg Inhalt. Das dürfte etwa 150 Torten entsprechen.

    Mitlesende Familie, Mitbewohner, Freunde, Kollegen: Macht euch auf was gefasst.

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