Heute Morgen war ich beim Bäcker. Es dauerte alles unglaublich lang, weil die Verkäuferin dem Verkäufer ständig bei irgendwas half oder Zahlen korrigierte. Vor mir seufzten und hibbelten die Leute, hinter mir scharrte man mit den Füßen und ich selbst tippte mit der Fußsspitze vor mich hin und sagte leise immer wieder und in wechselnden Betonungen "orrrr" und beobachtete, wie lästig den anderen das Warten fiel. Erst nach einiger Zeit lenkte ich den Blick weg von der genervten Kundschaft und dem noch unerreichbaren Backwerk auf das Personal. Der Verkäufer hatte schon Schweißperlen auf der Stirn und sah aus, als bräche er bald in Tränen aus, die Verkäuferin war sichtlich angestrengt. Eigentlich hatte ich den Verkäufer auch noch nie dort gesehen, vermutlich war er neu. Und da lag mein Fokus plötlzlich nicht mehr auf der unangemessenen Dauer des Kaufs eines Vollkornbrötchens, sondern es war nur noch wichtig, den armen Mann nicht weiter zu stressen, damit er sich wieder beruhigen kann. Es kommt ja wirklich nicht auf ein paar Minuten an.
Später schob ich das mit drei Schulranzen und drei Sportbeuteln und einer Handtasche und zwei Einkaufstaschen beladene Fahrrad entlang einer Hauptverkehrsstraße nach Hause. In einem früheren Leben war ich vermutlich ein asiatischer Fahrradtransportunternehmer. Der Gehweg war schmal, ein paar Meter vor mir fuhr ein Wagen rechts ran und hielt halb auf dem Gehweg, der Fahrer stieg aus und ging in den dort befindlichen Kiosk. Mit dem Rad kam ich eigentlich nicht vorbei, das sah ich schon von weitem und zückte bereits mental den Haustürschlüssel, um dem Fahrer diesen Umstand am Lack des Wagens zu verdeutlichen. Mit einiger Entschlossenheit und dem Wegrammen des Kiosk-Mülleimers ging es mit dem Vorbeikommen dann aber doch. Und die ganze Zeit starrte ich auf das Objekt des Ärgernisses mit der heimlichen Erwartung, es Kraft meiner Wut in die Luft zu jagen. Bis ich dann doch einmal in den Kiosk schaute und dort einen ganz normalen Mann, der mit dem Verkäufer plauderte und einfach nur Spaß hatte - also keinesfalls die heimtückische, verabscheuenswürdige Person, die sich im Laden freudig die Hände reibt, dass keiner mehr auf dem Gehweg vorbeikommt und frohlockend eine Strichliste der aufgehaltenen Personen führt, die ich schon längst vor meinem inneren Auge sah. Schade. Das war eigentlich schön, wie der Spaß hatte, er hatte gute Laune, vielleicht einen guten Tag, vielleicht was Tolles erlebt, das blöde Parken war nur ein winziges Detail, gar nicht so wichtig. Man kann da ruhig großzügig sein - mal kommt man nicht vorbei und mal steht man im Kiosk und lacht, es ist nicht weiter schlimm.
Die Pointe hätte jetzt gutmenschlich sein können, dass es sich lohnt, ab und zu mal den Blick zu heben und von der Sache weg auf die Person zu schauen. Wir leben hier schließlich doch irgendwie alle gemeinsam vor uns hin und wissen mal nicht und mal noch weniger Bescheid, warum. Die Menschen sind wichtiger als die Sache. Tatsächlich ist die Pointe aber, dass ich beim "auf-die-Personen-gucken" ganz, ganz arg in einen Riesenhaufen Hundescheiße getreten bin, so schlimm, dass die Hose bis zum Knöchel mitbetroffen war und ich zu Hause mit Latexhandschuhen, Zahnbürste und Desinfektionsmittel hantierte. Insofern mein Rat: Gucken Sie doch besser auf die Straße.
Heute vor zig Jahren:
Pe2 ruft abends an, sie ist immer noch mit Oh zusammen und ihr geht es gut.