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    Montag, 13. Juli 2020

    Ich glaube, M hat einen richtig guten Sommer und das liegt an Corona. Normalerweise ist es ja so: es sind 6 Wochen Sommerferien und jede Familie fährt irgendwann 2-3 Wochen (oder auch länger, wenn es Familie im Ausland gibt) weg, dann sind noch 1-2 Wochen für irgendwelche Sport- oder Sprachcamps verplant. Und weil sich diese ganze Pläne eher nach den Verpflichtungen der Eltern als nach den Wünschen der Kinder richten, sind dann die Cliquen über den Sommer auseinandergerissen, weil die Wochen, in denen sich die befreundeten Kinder gleichzeitig zu Hause aufhalten, nicht identisch sind.

    Das ist dieses Jahr anders, eben weil ja so gut wie niemand wegfährt. Dieses Jahr ist sehr viel Badesee angesagt und gemeinsames Abhängen in den verschiedenen Häusern und Gärten und Wohnungen - immer da, wo die Erwachsenen gerade nicht sind. Wenn in irgendeinem Haushalt die Erwachsenen arbeiten oder für ein paar Tage Verwandschaft besuchen oder sonstwie abgängig, sind, dann ist das der Ort, an dem die Teenager zu finden sind. Was sie genau tun ist unklar aber es erfordert in jedem Fall viele Softdrinks, Snacks, häufig ist auch einfach der Kühlschrank leer, wenn man zurückkommt und oft gibt es eine Meldung von Paypal, dass etwas für einen Lieferdienst abgebucht oder eben Badeseetickets bestellt wurden. Komme ich von der Arbeit nach Hause, ist niemand da, aber es war jemand da, das sehe ich an den leeren Flaschen und Chipstüten.

    Das Kind kommt bei Einbruch der Dunkelheit heim, das Handy in der einen Hand, mit der anderen winkt es "Hallo" und schiebt mit dem Fuß die Tür zu ihrem Zimmer zu. Später wird die Tür wieder geöffnet und mit dem anderen Fuß (oder auch demselben ) werden viele Handtücher und Badekleidung und auch immer erstaunlich viele fremde T-Shirts vor die Wäschekiste geschoben - nie bis hinein, das geht ja auch mit dem Fuß nicht.

    Wenn ich schlafen gehe, macht sie sich nochmal Essen, wenn ich im Bett liege, videochattet sie, das ist ziemlich laut, viel Lachen, viel Kreischen, viel Fluchen und Schreien und man fällt sich ins Wort, aber für mich immer eine schöne Einschlafgeschichte und außerdem so gut wie die einzige Möglichkeit, etwas über den geplanten Ablauf des nächsten Tages zu erfahren.

    Manchmal wache ich gegen 3 Uhr nochmal auf, weil die kleine Katze durchdreht und denkt, es wäre Morgen, weil nämlich die Dusche läuft. Dann sehe ich auch das Kind noch einmal kurz, um diese Uhrzeit ist es immer ausnehmend gut gelaunt und sehr zugänglich, umarmt mich, gibt mir einen Gute-Nacht-Kuss und verschwindet in ein Handtuch gewickelt und mit tropfenden Haaren im Bett - es wird dann nicht mehr laut telefoniert sondern geflüstert oder leise gesungen oder irgendwie herumgeräumt.

    Wenn ich am nächsten Morgen zur Arbeit gehe, schläft sie noch tief und fest und komplett selbstvergessen und ich streichele ihr über die Haare, die immer noch etwas feucht sind.

    Ja, ich glaube tatsächlich, der Coronasommer ist ein schöner Sommer für die Teenager.

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