Etwas früher als geplant wurde ich bereits um 1:30 Uhr nachts von M geweckt, die zu diesem Zeitpunkt schlafen gehen wollte, aber entdeckte, dass sie ihr Kontaktlinsenzeugs (also die Flüssigkeit in der die nachts schwimmen) vergessen hatte. Um diese Uhrzeit musste ich ein paar Minuten nachdenken, bevor mir eine Lösung einfiel: ich hatte selbst noch Einwegkontaktlinsen dabei (habe ich immer, man weiß ja nie). Davon öffnete ich zwei Packungen, warf die Linsen daraus weg und M konnte ihre in der so gewonnenen Flüssigkeit über Nacht aufbewahren. Endlich konnten wir schlafen.
Das dann bis ungefähr 10 Uhr, zu diesen Zeitpunkt hatten bei meinen Eltern schon ungefähr eine Million Nachbarn und Freunde geklingelt und/oder angerufen. Ich bin ja noch nichtmals eine richtige Spätaufsteherin, 7 Uhr macht mir nichts aus, außer ich habe es gerade (wie momentan) auf Schlafen abgesehen, aber ich entstamme einer Familie von absoluten Frühaufsteherinnen. Ab 5 ist man wach - und fit.
Zum Frühstück reichte mir Mama N. die Tageszeitung, die ich aber schon nach dem Titelblatt angewidert zurückreichte, da war nämlich links in so einer Spalte, in der auch das Wetter und die Lottozahlen und ähnlich bedeutende Ereignisse stehen das Zitat von irgendeinem Kirchentypi der sowas in der Art wie "Wir brauchen das Lächeln von echten Menschen und nicht Selfies mit Smileys" oder so ähnlich äußerte. Keine Ahnung, ob das lustig sein sollte oder irgendwie deep, jedenfalls eine Zeitung, die Klowandsprüche von Kirchentypen auf der Titelseite hat, will ich nicht lesen. Kritisch befragt, wieso sie dieses Blatt abonniert hätten, gaben meine Eltern zur Kenntnis, es sei die Tageszeitung, die die alte Nachbarin vorziehe und der würde sie eben täglich um 11 Uhr weitergegeben. Warum jetzt meine Eltern eine Zeitung kaufen, die die Nachbarin will, habe ich nicht verstanden aber es war dann auch sowieso gerade 11 Uhr und ich brachte die Zeitung ein Stockwerk tiefer, aus dem Auge, aus dem Sinn. Die alte Nachbarin wollte mir für meine Mühen Geld zustecken. Meine Nerven!
Ich hatte für den heutigen Tag eine Aufgabe, nämlich Papa N. auf die Möglichkeit anzusprechen, hier im Haus in eine Wohnung umzuziehen, die im 1. Stock statt im 3. Stock liegt. Papa N. ist nicht mehr gut zu Fuß, das ist der Hintergrund. Die Wohnung im 1. Stock ist definitiv schön aber auch etwas Overkill - deutlich größer und auch deutlich teurer als die jetzige, aber bietet eben den Vorteil, dass das gewohnte Umfeld erhalten bleibt und trotzdem voraussichtlich noch etwas länger die Selbständigkeit, ohne Hilfe das Haus verlassen zu können. Meine Mutter und beide Schwestern hatten das Thema bereits aufgebracht aber Papa N. ist ein westfälischer Sturkopf, der mit Idioten nicht diskutiert und Idioten sind halt alle, die seine Meinung nicht teilen. Seine aktuelle Meinung ist: Umzug ist Quatsch, weil er die Treppen laufen kann und wenn er sie nicht mehr laufen kann bleibt er halt oben. "Mein Rapunzelchen" sagte ich freundlich zu Papa N. und tippte ihm auf die Glatze und wir mussten beide lachen - im Gegensatz zu meinen Schwestern und meiner Mutter werde ich von ihm nämlich nie angefaucht, vielleicht, weil ich das Nachzüglerkind bin, das kleine Küken sozusagen. Lösen konnten wir das Thema noch nicht, aber immerhin genauer herausfinden, warum er einen Umzug so sehr ablehnt, und die Gründe sind durchaus auch nicht einfach vom Tisch zu wischen. Und bieten die Möglichkeit, generell über Möglichkeiten des zukünftigen Wohnens nachzudenken, auch wenn es derzeit keinen konkreten Anlass gibt.
Dann ein bisschen Alltag: Dinge am Computer der Eltern regeln, Fingernägel lackieren, einkaufen, dabei mit dem Fifty-Fifty-Verkäufer kurz sprechen, ich fragte ihn auch ob er A. gekannt hatte. A. war mein Freund, als ich 16/17 war, er hat sich aus dem Umfeld damals leider nicht herausziehen können, hat dann einige Zeit als Fifty-Fifty-Verkäufer gearbeitet und es ging ihm etwas besser, aber dann hat er es doch nicht geschafft und ist viel zu jung gestorben. Der Verkäufer vor dem Rewe war aber von woanders und erst seit kurzem in der Stadt.
Am späteren Nachmittag gingen wir Essen, Einladung von Papa N. Da hatte es beim letzten Mal einen kleinen Zwischenfall mit M. gegeben, die ja Vegetarierin ist und von unseren Essensausflügen in Offenbach kreative vegetarische Küche gewohnt ist - viel asiatisch oder orientalisch eben - und daher der eher uninspirierten Auflistung von Gemüse-der-Saison-mit-Hollandaise, Gebackener-Camembert-mit-Preisselbeeren und Bandnudeln-in-Champignonsoße eines deutschen Gasthauses nicht viel abgewinnen konnte. Heimlich spähte ich mit ihr die Karte des von Papa N. gewünschten Restaurants online aus, um zu planen, ob sie ggf. schnell zu Hause noch ein Käsebrot isst und im Restaurant dann eben nur ein Dessert. Es gab aber Spaghetti mit Tomatensoße, die gehen ja bekanntlich irgendwie immer.
Im Restaurant war es schön. Die Fahrt dahin war etwas nervenaufreibend - ich fuhr, mit Navi, wurde aber ununterbrochen von Papa N. informiert, wie man auch fahren könnte. Und wie der G. immer fährt. Der W. allerdings würde meist anders fahren. Der W2 mal so mal so. Mir schwirrte der Kopf.
Anschließend saßen wir noch zusammen und M zeigte den Großeltern ihre Urlaubsfotos, das witzige daran ist, dass M ausschließlich Personen fotografiert hat, die Großeltern fragten nach Sehenswürdigkeiten und M erwiderte ehrlich verblüfft "aber wieso soll ich die fotografieren, die kann man doch googeln - die Leute sind doch das Wichtige!". So haben Oma und Opa jetzt ungefähr 300 Fotos von Ms Freunden gesehen, meistens aber nur mit halbem Gesicht (weil: hat man glaube ich jetzt so) oder sonst auch grundsätzlich mit irgendwelchen Filtern verziert.
Am Abend noch eine kurze Auseinandersetzung mit Mama N., die mir ungefragt Schwester2 am Telefon herüberreichte (wer telefoniert denn überhaupt um 23 Uhr noch, das ist doch nicht normal) - also sowohl Schwester2 als auch ich waren ungefragt, Mama N. fand einfach, wir sollten mal miteinander telefonieren. Ich fand, ich hätte für den Tag schon absolut mehr als ausreichend gesprochen und außerdem kann ich solche vermittelten Telefongespräche sowieso nicht leiden, das geht ungefähr in die Richtung, wie wenn man Freundinnen anruft und die geben den Hörer an ihr Kleinkind weiter, das dann da irgendwas Unsinniges hineinbrabbelt. Das konnte ich auch nie leiden. Zum Glück brabbelte meine Schwester nichts Unsinniges, ich hoffentlich auch nicht, wir sprachen über Katzen und Harry Potter und Brexit.
Dann gingen alle schlafen außer M und ich und wir tun jetzt ungestört Dinge.