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    Samstag, 5. November 2022
    Herzregenreise Tag 2 Teil 2

    Es ist noch immer der 5. November, das Aufstehen heute morgen kommt mir so vor, als sei es ungefähr ein Jahr her. Was daran lag, dass wir kurz nach Verlassen der Wohnung auf einem kleine Märktchen wahren, wo es einen Stand mit lokalen Produkten gab, einen Herrn, der behauptete, er sei Imker und es gab Dinge mit Honig, auch Honigschnaps und Frau H beschloss, dass wir das Probierfingerhütchen gerne annehmen und ah, Sie haben noch einen mit 40%, sehr interessant, ja natürlich probieren wir den auch, und so weiter. Das war alles vor dem Frühstück, weil es ja gar kein Frühstück gab, dafür waren wir zu spät unterwegs, wir hatten ja Mittagessen für 13:30 Uhr gebucht, das war Bier, ach ja, und Ente. Aber vorher sagte Frau H dem vermeintlichen Imker noch, dass wir morgen wieder kommen, das sagte sie auch allen Granatverkäufern, in jedem Laden hieß es "we'll be back tomorrow", auch Thomas, dem Stadtführer sagte sie zu, dass wir uns melden um morgen mit ihm umher zu fahren, ich wurde schon etwas unruhig denn auch, wenn die Tage mit so vielen Erlebnissen gefüllt werden, dass sie unendlich scheinen, weiß ich doch, dass sie das nicht sind und eigentlich wollten wir uns ja treiben lassen.

    Aber dann fiel mir etwas ein, das ich unter anderem auf Twitter und im Büro gelernt habe: die Leute, auch Frau Herzbruch, kündigen immer alles mögliche an, das sie sehr zeitnah tun wollen, und dann passiert das nicht nur nicht sondern war auch nie eine wirkliche Absicht. Das ist bei mir ja nie so. Wenn ich etwas ankündige, habe ich sicher vor, es zu tun und es mag sein, dass es nicht immer gelingt, aber in der Mehrheit der Fälle doch. Egal, als ich verstanden hatte, dass wir nicht zwingend alle gleichen Läden morgen wieder ablaufen müssen - insbesondere nicht den mit der schlimm hustenden Verkäuferin, ich machte mir schon sorgen, dass sie wasweißichwas, also vielleicht Tuberkulose hat, war ich wieder entspannt.

    Jedenfalls sprachen Frau H und ich beim Mittagessen über das Ende des Kapitalismus, also so grob, ich plane nämlich, ihr in den verbleibenden Tagen noch beizubringen, dass ein Gespräch kein Vortrag ist sondern von der Wechselseitigkeit lebt. Zugegebenerweise gibt es dabei eine Vielzahl an Herausforderungen: der anderen Person zuhören und auf ihre Aussagen reagieren, ohne eventuell weitere interessante eigene Einlassungen zu vergessen, auch wenn sich das Gespräch von diesen entfernt, der sich daraus ergebende Tanz will beherrscht werden, ich bin mir aber sicher, das kann Frau H sehr gut. Wenn man sie dazu zwingt.

    Wir kamen darüber aber zu weiteren interessanten Themen, auch auf der Meta-Ebene, nämlich dem inneren Wunsch, immer die runden Dinge, die aufgehenden Gleichungen zu präsentieren oder zumindest die (natürlich immer gute) Absicht dazu gleich mitzureichen, wo aber doch eigentlich die bestehen bleibende Dissonanz das Interessante ist und das Gespräch, auch Diskussion erst ermöglicht. Und dass ich es wichtig finde, sich auf diese Weise zur Verfügung zu stellen, wann immer man es aushalten kann.

    Dann waren wir an einer Stelle noch sehr gerührt, haben aber beide leider zwischenzeitlich wieder vergessen, worum es dabei ging.

    Nun ist es bald Zeit zum Abendessen. Ich glaube schon jetzt, dass ich nie wieder Knödel essen kann und kann man eigentlich nach 1,5 Tagen schon Skorbut entwickeln? Frau Herzbruch, immer fürsorglich, reicht mir Sekt mit Orangensaft an.

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