Immer, wenn ich sage, dass ich mein Aggressionsproblem glücklicherweise im Griff habe, schmunzeln meine Gesprächspartner. Was für mich der Beweis ist, dass ich die Sache tatsächlich seit vielen Jahren fast ausschließlich im Griff habe, und so wirke ich meist heiter und gelassen und das ist ja eigentlich auch ganz wunderbar.
Der Trick ist, die Energie umzuleiten. Im Büro beispielsweise gehe ich Treppen steigen, wenn ich mich sehr aufrege. In so einem Hochhaus gehen einem die Treppen ja nicht so schnell aus, das ist eine praktische Angelegenheit. Manchmal ist es aber auch nicht ganz so einfach, heute z.B. war das Carsharing-Auto nicht da, als ich es abholen wollte, ich rief also beim Anbieter an und erfuhr, dass der Vorfahrer sich bedauerlicherweise um mindestens eine halbe Stunde verspäten würde. Nun ist mein Tag sehr durchgetaktet, eine halbe Stunde Puffer habe ich nicht, schon gar nicht von jetzt auf gleich. Die wirklich sehr hilfsbereite Frau am anderen Ende der Leitung bot mir einen Wagen knapp 1,5 km entfernt an, ich konnte in dem Moment aber nicht sofort sagen, ob mir das hilft oder nicht, denn ich musste erst einmal die noch zur Verfügung stehende Zeit mental mit den neuen Wegen abgleichen, und mich dabei immer gegen eine rote Wolke aus Wut hinter den Augäpfel stemmen, die mich dazu gebracht hätte, das Telefon auf den Boden zu werfen und dann mit dem Kopf so lange gegen den Bahnhof, vor dem das Auto stehen sollte, zu rennen bis er einstürzt. Schwierig, schwierig, die Frau wollte wissen, ob sie das andere Auto denn nun buchen solle, ich sagte ihr, sie müsse jetzt Geduld haben während ich mit ihr am Ohr ein paar Minuten herumlaufe und mental die nächsten 5 Stunden neu voraussehe. Wir konnten uns dann einigen.
Besonders stolz war ich heute noch auf meinem Einfall, die widrige Situation ganz besonders clever zu meinem Nutzen zu verwenden: neben dem Parkplatz dieses anderen Autos lag nämlich ein Augenbrauenzupfsalon - und zwar ein mir bislang unbekannter. Mit so viel Adrenalin im Blut tut Augenbrauenzupfen natürlich überhaupt nicht weh, das nutzte nach Rückgabe des Wagens noch schnell aus und hatte so doch etwas aus der Situation gewonnen - wenn auch keinen neuen Stammzupfsalon. Eine andere Kundin im angeschlossenen Nagelstudio war nämlich mit irgendwas unzufrieden und tat dies kund, indem sie das gesamte Sammelsurium an Lacken, Ölen, Feilen, Scheren, Clipsen und so weiter mit dem Arm von einem der Nagelmachtische wischte. Dass manche Leute sich immer so aufregen müssen!