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    Samstag, 13. Dezember 2014
    Blogging November - 1137

    Ich gehe die Treppe zur Zwischenebene der S-Bahn-Station hinunter. Dort steht ein junge Mann, Punk, und hält einen Becher, in dem er Geld sammelt. Der Mann steht jeden Tag da. Jeden einzelnen Tag, wenn ich die Treppe nachmittags hinuntergehe, steht er da. Manchmal mit Hund, manchmal ohne. Ganz selten ist er mal in seinen Schlafsack gewickelt und schläf, dann sorge ich mich kurz, ob er noch lebt (aber man sieht ihn atmen und es ist auch nicht kalt dort).

    Ich würde mir allerdings wünschen, dass er nicht da steht. Jedoch dreht sich die Welt bedauerlicherweise nicht nach meinen Wünschen, nach seinen vermutlich auch nicht, und deshalb steht er da. Und das strengt mich an. Weil er nämlich nicht einfach da steht sondern immer, immer, immer guckt. Von wenn ich die Treppe runterkomme bis wenn ich die nächste Treppe, die Rolltreppe, hinunter verschwinde, guckt er und hält den Becher hin und manchmal macht er Grimassen. Es strengt mich an, weil ich selten so sehr in Gedanken bin, dass ich ihn nicht sehe, meist fällt er mir auf und es gelingt mir dann nicht, ihn auszublenden, so dass ich ihm folglich jeden Tag bewusst begegne und das würde mich bei den allermeisten Leuten stören. Ich würde auch nicht gern meine Nachbarn jeden einzelnen Tag an der S-Bahn-Station treffen, ich treffe auch nicht gerne Kollegen dort, eigentlich will ich einfach nur nach Hause fahren, ohne Sozialkontakt.

    Nun steht dieser Mann aber da und ich komme die Treppe runter und weiß schon nicht, welchen Gesichtsausdruck ich aufsetzen soll. Soll ich einfach starr geradeaus gucken und vorbeigehen? Das ist unfreundlich und außerdem auch irgendwie falsch, ich gucke normalerweise nie starr geradeaus sondern schaue mich um, schaue mir Leute an, und dann sehe ich ihn eben und erkenne ihn, weil ich ihn ja von zig anderen Tagen vorher kenne, ich erkenne ihn als wieder und und ich gucke an Leuten, die ich wiedererkenne, nicht vorbei wie an Wandkacheln. Es würde mich stören, wenn ich mich zu einem starren Blick drängen ließe, der mir gar nicht passt. Also kein starrer Blick.

    Soll ich lächeln? Das weckt vielleicht falsche Hoffnungen, nämlich, dass ich Geld gebe, und das habe ich nicht vor, das Geld ist nämlich in meiner Tasche und die ist verschlossen und ich habe keine Lust, in der Zwischenebene alles halb auszupacken und darin herumzuwühlen und dann noch irgendwas zu verlieren oder auch nur verloren zu glauben, bis ich es irgendwoanders wiedergefunden habe. Natürlich könnte ich auch schon vorher, also bevor ich losgehe, noch im Büro, daran denken, Geld in die Jackentasche zu stecken, ich weiß ja schließlich, dass der da steht. Dazu habe ich aber auch wieder keine Lust, ich will doch meinen Alltag nicht danach richten, wo andere Leute an der S-Bahn stehen und Geld wollen, das geht zu weit. Und schiebt das Problem auch nur auf, am nächsten würde ich wieder nicht wissen, wie ich gucken soll. Außer, ich gebe ihm jeden Tag etwas. Ich arbeite etwa 220 Tage im Kalenderjahr, das wäre machbar. Aber absurd.

    Ich könnte auch einfach an der anderen Station einsteigen, die ist auch nicht weiter entfernt, mein Arbeitsplatz liegt zwischen zwei Stationen. Aber ich will ja gar nicht an der anderen Station einsteigen, ich will an dieser Station einsteigen, ohne mir einen Gesichtsausdruck überlegen zu müssen, wenn ich die Treppe heruntergehe. Ich wechsele wegen niemandem die Station. Vermeidung ist ja nicht so meins. Es ist kompliziert. Jedenfalls gucke ich mittlerweile ich vermutlich relativ unfreundlich.

    All das geht mir auf den 50 Metern von der Treppe bis zur Rolltreppe durch den Kopf. Ich wundere mich nicht, dass ich öfters Kopfschmerzen habe.

    An der Rolltreppe sage ich "Hi", der Mann sagt auch "Hi" (man kennt sich schließlich vom Sehen) und rappelt mit dem Becher, ich sage "Nee" und gehe weiter. Wie jeden Tag.

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