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    Dienstag, 21. Juli 2020
    Entführung ins Serail

    Die virtuelle Büropartnerin war heute verschollen. Also eigentlich natürlich nicht, aber in meinem Kopf. Das kam so: ich brauchte Hilfe bei der Formulierung einer Trauerkarte und schilderte gerade die Begleitumstände, als sie sich vorbeugte und "Moment, der Kunde kommt gerade, ich bin mal weg!" sagte. Das muss so gegen 14 Uhr gewesen sein schätze ich? Dann war sie weg. Und blieb weg. Erstmal nicht so ungewöhnlich, es war ja ein Arbeitstag, die Mittagspause um, ich wunderte mich nur ganz wenig, eigentlich nur, weil ich "ich bin mal weg" als "ich bin mal eine Weile weg und helfe dir dann umgehend mit der Karte!" interpretiert hatte, aber nicht als "ich bin für den Rest des Tages weg, sieh halt zu, wie du klarkommst". Das hatte ich aber halt einfach falsch interpretiert, dachte ich mir.

    Nun war ich aber am Abend nochmal privat mit der virtuellen Büropartnerin verabredet, zusammen noch mit der Dritten im Bunde, zur Bearbeitung des Alltagsstapels. Nun muss man wissen: die virtuelle Büropartnerin ist da so ein bisschen die Großmacht. Immer schon ein paar Minuten vor dem Termin schickt sie den Zugangslink, man fühlt sich immer ein wenig in Zugzwang.

    Heute aber waren wir anderen zwei allein, bzw. erstmal war niemand da, ich schickte fragende Nachrichten, die ohne Antwort blieben, dann waren wir zu zweit und so perplex, dass wir beschlossen, das zu tun, was in Schocksituationen das beste ist: erstmal was essen. Wir vertagten uns auf eine Stunde später.

    In dieser Stunde überlegte ich genau, was geschehen sein könnte. Ich hatte dazu sehr, sehr viele Ideen und möchte nur die wahrscheinlichste hier teilen: Der Kunde kam, er wurde mir bisher als durchaus seriös beschrieben, man weiß aber ja, was Corona mit den Leuten macht. Vielleicht hatte er Furcht vor dem nächsten Lockdown, den er ohne kompetente Unterstützung verbringen müsste, und hatte sich daher für Kidnapping entschieden. Wenn man genug Geld hat ist das ja einfach umzusetzen und kann schnell wie eine rationale Lösung erscheinen, insbesondere, wenn man für angenehme Verhältnisse sorgt (Suite, Pool, weitläufiger Park etc.), die die Freiheitsberaubung nicht ganz so schwerwiegend erscheinen lassen. Das konnte ich mir sehr gut vorstellen. Vielleicht würde man der virtuellen Büropartnerin sogar das Handy zurückgeben, wenn sich in ein paar Tagen ein kleines Stockholmsyndrom manifestiert hätte - wer glaubt schon an Entführung, wenn Bilder mit Schirmchendrink an Gewässer oder grünen Wiesen mit Alpacas auf Instagram zu sehen sind?

    Ich jedenfalls schmiedete schon Pläne, wie man die Wahrheit herausfinden könnte ("Wenn du nicht jederzeit da weg kannst, trag im nächsten Post einen pinkfarbenen Bikini oder sag in die Kamera, dass der Limoncello dort viel besser schmeckt als dein eigener!") und auch, wie man eingreifen könnte (Rekrutierung der Twitter-Followerschaft der virtuellen Bürokollegin). Ich selbst hätte im Hintergrund durch kluge Rückschlüsse ihr Gmail-Passowort gehackt, um den genauen Standort des goldenen Käfigs ausmachen zu können.

    Ja, genau so, war das allerwahrscheinlichste Szenario in meinem Kopf. In Wirklichkeit war es dann einfach nur Arbeit und ein bisschen Stau. Schade.

    Montag, 20. Juli 2020

    Es gedeiht nichts auf dem Balkon in diesem Jahr. Einfach gar nichts. Weder die Pflanzen, die ich im Treppenhaus überwintern ließ noch die kleinen Pflänzchen, die ich neu kaufte und einsetze und auch aus den zwei Packungen Blumensamen (alle essbar) kam so gut wie nichts hervor, jedenfalls nichts, das sich zu essen lohnen würde.

    Der gekaufte Lavendel sieht vertrocknet aus, obwohl es an Wasser nicht gemangelt hat und Lavendel doch sowieso Trockenheit verträgt. Im Kasten daneben blüht eine Pflanze, die ich über den Winter gerettet habe, blass und irgendwie welklich vor sich hin. Daneben, das ist der größte Witz, ein Blatt Aloe Vera, das M aus Spaß hineinsteckte und das tatsächlich Wurzeln geschlagen hat. Total absurd. Die Rosentags-Rose hat dafür nicht eine einzige Blüte bekommen und die Kapuzinerkresse in diesem Kasten sieht aus, als hätte irgendwas Nukleares den Erbcode zerstört.

    Die Walderdbeere, die ich seit über 10 Jahren habe und die immer zuverlässig trägt, hat mir bisher 5 halb vertrocknete Beerchen geliefert. Die Minze, die ich sonst händeweise ausreiße (ich mag ja keine Minze) besteht aus 5 mageren Stilen mit wenigen Blättern. Keine einzige Blüte an den Duftbegonien, die "normalen" Begonien sehen merkwürdig ausgedünnt aus, die Margeriten wirken verbrannt. Sogar das Katzengras ist eingegangen. Schon zum zweiten Mal.

    Corona-Handbuch

    Heute war ich zum ersten Mal seit Corona an einer Autobahnraststätte und als ich aus dem Auto stieg, auf dem Parkplatz, fiel mir auf, dass ich noch gar nichts über die Konventionen dort wusste. Erstaunlich viele Menschen saßen nämlich draußen auf Bänken, dem Asphalt oder im Gras und aßen und tranken. Darf man es drinnen nicht? Nicht, dass ich das überhaupt hätte tun wollen, ich wollte nur aufs Klo. Und trägt man auf dem Weg zum Klo eine Maske? Ist das bundeslandabhängig? Nicht, dass ich gewusst hätte, in welchem Bundesland ich mich gerade befand, wer achtet denn auf sowas.

    Dass man Masken tragen soll wurde gleich an der Tür klar, ein Herr "oben ohne" wurde nämlich abgewiesen. Ich bot ihm eine Maske an aber er wollte lieber schimpfend davonlaufen.

    Als ich wieder herauskam, stand ein junger Mann da mit einem Pappschild in der Hand und er wollte genau dahin, wo ich hinfuhr. Nimmt man während Corona Anhalter mit? Also vorausgesetzt, man nimmt generell welche mit.

    Es ist alles sehr kompliziert. Ich brauche ein Handbuch, dann könnte ich nachschlagen: R - Raststättencompliance. T - Tramper. Und so weiter. Das ständige neu einordnen ist anstrengend.

    Samstag, 18. Juli 2020
    Wespenfutter

    Ich habe versehentlich eine Wespenfutterstation auf dem Balkon installiert.

    Bzw. eigentlich sind die Vögel schuld. Im Frühjahr fraßen sie Rosinen ohne Ende, ich kaufte extra einen Sack Futterrosinen, die dann so gut schmeckten, dass ich den Hersteller anschrieb um zu erfragen, ob Menschen sie auch essen dürfen - ich habe keine Antwort erhalten. Also jedenfalls musste ich morgens und abends Rosinen nachlegen und jetzt, in den letzten Tagen, wurden die einfach nicht mehr gefressen. Und die Erdnüsse auch nicht.

    Ich dachte, ich warte mal ab, vielleicht sind Elstern in der Nähe oder sonst irgendwas - wegen der Katzen blieben sie jedenfalls nicht weg, die Katzen verbringen schon seit März den Tag auf dem Balkon und das stört die Vögel überhaupt nicht, die Futterstelle ist außerhalb des Katzennetzes und das haben sie, glaube ich, recht schnell begriffen.

    Dann war es regnerisch und heute schien die Sonne und dann waren die Wespen sehr erfreut. Die Rosinen waren aufgequollen und aufgeplatzt, rochen noch aromatischer als sonst und viele, ziemlich viele Wespen tummelten sich um die Futterstelle.

    Der Kater hat interessanterweise Angst vor Wespen, obwohl er meines Wissens nie gestochen wurde. Motten und Fliegen jagt er, vor Wespen läuft er davon.

    Mir waren es tatsächlich auch einige Wespen zu viel (30? 40?), also schloss ich heute am frühen Abend die Balkontür und wartete ab bis gerade eben. Die Wespen sind jetzt schlafen gegangen. Ich habe die Futterstelle gesäubert, die zermatschten Rosinen sind jetzt weg. Die Blumen habe ich bei der Gelegenheit auch gewässert. Ab morgen herrscht wieder Ordnung auf dem Balkon und die Vögel, naja, weiß ich auch nicht. Bestimmt gibt es jetzt einfach genug Insekten und Würmer. Sollen sie die fressen, die Rosinen halten noch bis zum Winter - schöner natürlich wäre, der Hersteller würde mir nett zurückmailen, dass ich sie selbst essen kann.


    Freitag, 17. Juli 2020

    Frau Fragmente sitzt an meinem Küchentisch und bloggt, ich sitze auch an meinem Küchentisch und blogge über Frau Fragmente. Keine 1,5 Meter Abstand zwischen uns. Frau Fragmente trinkt Cola Zero. Die Zeit macht hier einen kleinen Loop, ich bin ein wenig verwirrt und unsicher: haben wir Februar oder haben wir Juli? Das Wetter verrät es auch nicht. Aber nur ein paar Monate Pandemie und Frau Fragmente und ich können schon wieder gemeinsam an einem Tisch sitzen. Geht schon, alles.

    Wir sind arg verzögert, ich noch mehr als Frau Fragmente, dafür tippe ich natürlich schneller. Das liegt daran, dass wir zunächst Steak essen waren. Auch da waren wir glaube ich schon der Zeit hinterher, weil wir uns kurz wegen eines besonders starken Regenschauers unterstellen mussten, ich wurde heute schon mehrfach von Kopf bis Fuß nass und auf ein weiteres Mal hatte ich keine Lust. Dann das Steak. Wir saßen draußen, weil es drinnen nicht vertrauenserweckend aussah, das hatte ich mir schon so gedacht, deshalb waren wir warm angezogen. Also ich natürlich nicht, ich friere ja nicht, aber Frau Fragmente. Wir waren die einzigen Gäste draußen, zunächst, erst viel später kamen noch andere. Der Service war außerordentlich schlecht. Vermutlich aufgrundderaktuellensituation, Kurzarbeit oder sowas, ich bin mittlerweile nur noch enttäuscht aber nicht mehr überrascht darüber, dass alles, was es an Servicementalität mal gab offenbar von Corona (oder vom HomeOffice) dahingerafft wurde. Aber das ist ein anderes Thema. Das Steak war erfreulich. Nicht so grandios wie sonst aber es kann natürlich auch nicht immer gleich grandios sein, sagten wir einander gespielt verständnisvoll. Demnächst werden wir mal eine andere Location ausprobieren. Vielleicht können die immer gleich grandios sein.

    Dann kamen wir zurück und ich machte kurz den Abendanruf bei meiner Mutter, die hatte aber ein Computerproblem, das verzögerte den Ablauf weiterhin. Sie hatte sich aus einem Account ausgesperrt, das eine meiner Schwestern eingerichtet hatte und das mir vorliegende Passwort war das vorvorletzte (oder so), die Wiederherstellungsmail aber die der Schwester, die schon schläft um diese Zeit und die Wiederherstellungstelefonnummer in Schottland, alles sehr mühsam, Mama will doch Wordfeud spielen! Glücklicherweise sind meine Schwestern mit den Passwörtern nicht allzu kreativ und ich konnte es mir nach einigen Fehlerversuchen erschließen und auf Mamas Wunschpasswort ändern. Lustigerweise hätte das ganze auch notfalls nur zwei Tage warten müssen, dann sehe ich meine Eltern nämlich (erstmalig seit Karneval) wieder. Aber das wissen sich noch nicht, es wird eine Überraschung und daher konnte ich natürlich nicht vertrösten. Man macht was mit.

    So. Was sonst. Frau Fragmente hat ihr kleines iPad inklusive Ständer und Dings hintendran und ihre Klapptastatur dabei, neben ihr steht die Cola Zero (ohne Eis, ich hätte Eiswürfel, aber wegen der Verzögerung litt die Gastfreundschaft, ich stellte ihr einfach nur eine Flasche vor die Nase, während ich schon am Telefon war), auf der anderen Seite die iPad-Hülle und die Autoschlüssel. Der Autoschlüssel, es ist natürlich nur einer, warum sagen man so oft "die Autoschlüssel"? Das fällt mir jetzt gerade auf. Ansonsten ist Fragmente büromäßig gekleidet, sie war ja auch im Büro. Selbst ihr Schirm war seriös. Meiner war weiß mit bunten Punkten.

    Unterwegs dachte ich kurz, Fragmentes Schirm würde ein merkwürdiges Geräusch machen. Als wir uns in einem Hauseingang vor dem Regen untergestellt hatten. Nein, erst dachte ich, sie hätte sich gegen eine Klingel gelehnt, die weit im inneren des Hauses ein Zirpen macht. Fragmente sagte aber, es sei der Schirm, sie schlug ihn gegen die Stufen und sagte, "das war das Geräusch". Damit meinte sie das Klopfen, das meinte ich aber ja gar nicht, ich meinte eine Schwingung und dachte, sie meint, die Gräten vom Schirm (das heißt nicht Gräten, oder? Streben?) würden diese Schwingung erzeugen, weil sie genau in diesem Moment wieder auftrat. Es war aber nicht der Schirm, es war etwas anderes. Was fanden wir nicht heraus, der Regen prasselte zu laut.

    Donnerstag, 16. Juli 2020

    Frau Fragmente schreibt heute über Narbengeschichten - wir bloggen heute nicht zusammen, das wird morgen stattfinden, aber ich schreibe nun einfach auch über Narbengeschichten.

    Ich habe, glaube ich, nur sehr deppige Narben (also von den üblichen am Knie, die vom Hinfallen stammen, abgesehen - okay möglicherweise sind auch die deppig.)

    Die erste, an deren Entstehung ich mich erinnere, ist eine waagerechte Narbe an der Nasenwurzel. Wie es zu ihr kam ist eigentlich absolut unerklärlich, ich versuche es trotzdem. Es war im Schwimmbad, im tiefen Becken, wir versuchten, bis zum Boden zu tauchen, es war schwierig für uns aber ich wollte es unbedingt schaffen. Also holte ich tief Luft und tauchte los mit so viel Kraft, wie ich aufbringen konnte. Ich konnte unten dann nicht rechtzeitig abbremsen und "knallte" (wie ist das im Wasser möglich?) mit dem Kopf, also mit der Stelle zwischen Stirn und Nase (wie ist das möglich? Meine Nase ist nicht sehr flach) auf den Boden vom Schwimmbecken, als ich wieder auftauchte, war alles voll Blut, ein Rieseneklat im Schwimmbad, zu Hause wurde diskutiert, ob man das jetzt Nähen lässt oder nicht und dann eben für "nicht" entschieden. Seitdem ist da die Narbe.

    Die nächste, vielleicht die deppigste Narbe habe ich am Oberschenkel. Ich habe mir ein Messer ca. 3 cm tief hineingestochen, nicht absichtlich natürlich. Über den tatsächlichen Grund habe ich so viele unterschiedliche Geschichten erzählt über die Jahre, dass ich ihn tatsächlich nicht mehr weiß. Diese Narbe musste genäht werden. Ich dachte erst nicht, hatte alles mit Heftpflaster gut verklebt aber es blutete dann doch durch alles durch und dann rief jemand den Krankenwagen.

    Dann habe ich zwei Narben an den Fingerknöcheln. Die eine stammt von der Entfernung einer sehr kleinen Warze und ist größer, als die Warze je war. Die andere stammt von einem Sturz von einer Mauer in betrunkenem Zustand.

    Noch eine enorm deppige Narbe, allerdings über die Jahre so verblasst, dass man sie nur noch sieht, wenn man danach schaut: eine kreisrunde Brandnarbe mitten auf der Wange (ich weiß auswendig nicht, auf welcher und bin zu faul, nachzuschauen). Da hat mir meine beste Freundin bei einer trunkenen Umarmung eine Zigarette ins Gesicht gedrückt, versehentlich natürlich. Behandlung durch a) Brandsalbe und b) Ingorieren.

    Eine weitere Narbe habe ich am Handgelenk, Innenseite. Die stammt von einem Rattenbiss. M hatte ja einige Zeit lang Ratten und eine davon bekam einen Tumor, wir ließen sie operieren - das hat sich gelohnt, sie lebte danach noch über ein Jahr sehr zufrieden. Allerdings biss sich das dumme Tier nach der Operation die Naht immer wieder auf und so musste man ihm zweimal täglich den Bauch spülen mit Betaisodona-Lösung. Das findet eine Ratte nur recht begrenzt witzig und einmal hatte ich den Schutzhandschuh eben nicht korrekt angezogen. Der Biss war etwas gruselig, er ging recht tief, so dass ich etwas in meinem Handgelenk sah, das ich als "Hülle" meiner Pulsader interpretierte, weil es halt pulsierte. Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes, ich habe in Wirklichkeit keine Ahnung, wie Adern aussehen. Auch hier stand "Nähen" im Raum, aber ich hatte erst zu viel zu tun und als ich später im Krankenhaus anrief wurde mir gesagt, dass man Tierbisse nur sehr frisch näht, weil sonst die Infektionsgefahr zu hoch sei.

    Die letzten zwei Narben sind die kleinsten, aber stammen von meiner spektakulärsten Verletzung (bisher und hoffentlich für immer!), die ich mir beim Kampfsport zuzog, als ich mir jemanden auf mein eigenes Bein warf. Das resultierte in einem Kreuzband-Innenband-Meniskusriss, der in diesem Blog aber schon mehr als ausreichend besprochen wurde (Einträge dazu zwischen dem 21. Juni 2017, OP-Termin und 29. Juli 2017, Abnehmen der Orthese).

    Mittwoch, 15. Juli 2020

    Heute habe ich eine sehr nette Mail bekommen. Ich hatte bei einem Versandhändler mehrere Kleidungsstücke bestellt und dann zwei zurückgesendet. Gestern kam eine Mahnung für eines dieser Kleidungsstücke und ein Blick in mein Kundenkonto zeigte, dass es nicht als zurückgeschickt markiert war - das andere aber schon. Der ganze Fall wurde zusätzlich verkompliziert, weil zu der Sendung noch ein anderes Kleidungsstück gehörte, dass ich sehr, sehr gerne behalten wollte, aber leider hatte es sich nach dem ersten Waschgang sozusagen teilweise aufgelöst. Das hatte ich reklamiert und eine Gutschrift erhalten. Der Mahnbetrag war also zwar nur sehr gering, in Wirklichkeit hätte ich aber ein Guthaben gehabt, von dem man durchaus schon nett Abendessen gehen kann.

    Darüber zeigte ich mich morgens in einer Nachricht an den Versandhändler "überrascht über die unglückliche Situation". Und das führte dazu, dass ich nur eine halbe Stunde später eine sehr nette Mail von Eva mit vielen Grüßen aus Berlin bekam. Eva machte sich die Mühe, mein Paket noch einmal hervorzuziehen und "manuell zu untersuchen". Tatsächlich fand sie dabei den zweiten Artikel und schrieb mir umgehend den Betrag gut. Von wo Eva das Paket genau hervorzog, schrieb sich nicht. Möglicherweise hat sie sehr lange Arme, denn meine Rücksendung ging nach Süddeutschland.

    Jedenfalls, dieser Vorgang hat mich "überrascht und erheitert". Natürlich hätte Eva auch einfach schreiben können "wir können das alles leider nicht nachvollziehen aber glauben Ihnen als geschätzter Kundin natürlich und erstatten aus Kulanz". Aber, zugegebenerweise: das wäre bei weitem nicht so lustig gewesen.

    Dienstag, 14. Juli 2020

    Und für mich ist es auch ein guter Sommer, der sich schon seit Wochen nach Ferien anfühlt, obwohl ich gar nicht frei habe. Aber weil kein Kind geweckt werden muss und es keinen Badezimmer-Stau gibt, kann ich viel länger schlafen, ich habe ja sowieso keine festen Anfangszeiten. Und weil ich aus März/April (und vorher) so viele Überstunden habe, muss ich, auch wenn ich spät komme, nicht länger bleiben. Und es steht auch überhaupt nichts absolut Dringliches an.

    Ferienstimmung.

    Montag, 13. Juli 2020

    Ich glaube, M hat einen richtig guten Sommer und das liegt an Corona. Normalerweise ist es ja so: es sind 6 Wochen Sommerferien und jede Familie fährt irgendwann 2-3 Wochen (oder auch länger, wenn es Familie im Ausland gibt) weg, dann sind noch 1-2 Wochen für irgendwelche Sport- oder Sprachcamps verplant. Und weil sich diese ganze Pläne eher nach den Verpflichtungen der Eltern als nach den Wünschen der Kinder richten, sind dann die Cliquen über den Sommer auseinandergerissen, weil die Wochen, in denen sich die befreundeten Kinder gleichzeitig zu Hause aufhalten, nicht identisch sind.

    Das ist dieses Jahr anders, eben weil ja so gut wie niemand wegfährt. Dieses Jahr ist sehr viel Badesee angesagt und gemeinsames Abhängen in den verschiedenen Häusern und Gärten und Wohnungen - immer da, wo die Erwachsenen gerade nicht sind. Wenn in irgendeinem Haushalt die Erwachsenen arbeiten oder für ein paar Tage Verwandschaft besuchen oder sonstwie abgängig, sind, dann ist das der Ort, an dem die Teenager zu finden sind. Was sie genau tun ist unklar aber es erfordert in jedem Fall viele Softdrinks, Snacks, häufig ist auch einfach der Kühlschrank leer, wenn man zurückkommt und oft gibt es eine Meldung von Paypal, dass etwas für einen Lieferdienst abgebucht oder eben Badeseetickets bestellt wurden. Komme ich von der Arbeit nach Hause, ist niemand da, aber es war jemand da, das sehe ich an den leeren Flaschen und Chipstüten.

    Das Kind kommt bei Einbruch der Dunkelheit heim, das Handy in der einen Hand, mit der anderen winkt es "Hallo" und schiebt mit dem Fuß die Tür zu ihrem Zimmer zu. Später wird die Tür wieder geöffnet und mit dem anderen Fuß (oder auch demselben ) werden viele Handtücher und Badekleidung und auch immer erstaunlich viele fremde T-Shirts vor die Wäschekiste geschoben - nie bis hinein, das geht ja auch mit dem Fuß nicht.

    Wenn ich schlafen gehe, macht sie sich nochmal Essen, wenn ich im Bett liege, videochattet sie, das ist ziemlich laut, viel Lachen, viel Kreischen, viel Fluchen und Schreien und man fällt sich ins Wort, aber für mich immer eine schöne Einschlafgeschichte und außerdem so gut wie die einzige Möglichkeit, etwas über den geplanten Ablauf des nächsten Tages zu erfahren.

    Manchmal wache ich gegen 3 Uhr nochmal auf, weil die kleine Katze durchdreht und denkt, es wäre Morgen, weil nämlich die Dusche läuft. Dann sehe ich auch das Kind noch einmal kurz, um diese Uhrzeit ist es immer ausnehmend gut gelaunt und sehr zugänglich, umarmt mich, gibt mir einen Gute-Nacht-Kuss und verschwindet in ein Handtuch gewickelt und mit tropfenden Haaren im Bett - es wird dann nicht mehr laut telefoniert sondern geflüstert oder leise gesungen oder irgendwie herumgeräumt.

    Wenn ich am nächsten Morgen zur Arbeit gehe, schläft sie noch tief und fest und komplett selbstvergessen und ich streichele ihr über die Haare, die immer noch etwas feucht sind.

    Ja, ich glaube tatsächlich, der Coronasommer ist ein schöner Sommer für die Teenager.

    Sonntag, 12. Juli 2020

    Den heutigen Tag verbrachte ich weitgehend stationär im Sessel. Ich weiß nicht, ob es Ermattung oder Entspannung war, jedenfalls schlief ich immer mal wieder ein und war in den wachen Phasen nicht gewillt, mich zu erheben. Irgendwann schleppte ich mich zum Einkauf, ließ Getränke liefern, machte Abendessen und ließ ein paar Ladungen Wäsche laufen.

    Dann hatte ich von etwa 20 Uhr bis 23 Uhr eine extrem fitte Phase - die ich zwar auch im Sessel verbrachte, aber mit der Überzeugung, dass mir noch der Großteil der Nacht zur Verfügung steht, um ganz außerordentliche Leistungen zu vollbringen oder zumindest ein Bananenbrot zu backen, sehr viel Wäsche zusammenzulegen und 1 - 3 Schränke auszusortieren.

    Statt dessen gehe ich jetzt aber wohl einfach schlafen.

    Samstag, 11. Juli 2020
    Fortsetzung der Corona-Chronik

    Wie ging es weiter mit Corona?

    Am 18. Mai starteten wir die erste Rückkehrerwelle ins Büro, komplett freiwillig, nur die, die (aus den unterschiedlichsten Gründen) wollten. Das waren knapp ¼, ich war auch dabei und an den ersten Tagen war ich sehr überfordert von den “vielen” Menschen, von ihrer Körperlichkeit. Es sind mehr Sinneseindrücke, wenn einem jemand gegenübersteht als wenn er in einem kleinen Kästchen zu sehen und zu hören ist. Ich war mehrere Tage sehr angestrengt und sehr müde, besonders vom ständigen Reden, denn alle redeten viel mehr als sonst miteinander. Und ich musste immer und immer wieder über die Covid-Arbeitsschutzmaßnahmen reden, in alle Richtungen: warum dürfen nur 2 Personen in die Küche, die ist doch groß. Warum dürfen 2 Personen in die Küche, um Himmels Willen, das ist doch gefährlich! Müssen wir im Gang Maske tragen, warum müssen wir im Gang keine Maske tragen, warum trägst du eine Maske im Gang, soll ich in deinem Büro die Maske aufsetzen, soll ich in deinem Büro die Maske absetzen, winken wir uns zur Begrüßung zu, dürfen wir Besucher einladen, warum rennt ständig die Putzfrau herum, könnten wir nicht mehr putzen lassen und so weiter. Ich habe in diesen Tagen ganz massiv etwas erfahren, was eigentlich jeder weiß und was man ständig sagt: “man kann es nicht allen Recht machen”. In Bezug auf Corona kann das auf gar keinen Fall, weil hier eine Extremsituation auf die eigenen Vorerfahrungen trifft. Es ist unmöglich, das auf einen Nenner zu bringen, und die Herausforderung ist, die ganz unterschiedlichen Einschätzungen auszuhalten.

    M hat seit dem 18. Mai wieder Schule - also jeweils mittwochs von 7:45 Uhr bis 10:20 Uhr. Sonst nicht.

    Am ersten Arbeitstag war ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren, um Akten zu transportieren. 19. Mai fahre ich mit dem Rad. Ich habe beschlossen, nicht S-Bahn zu fahren, weil: viel zu gefährlich. Ich habe auch beschlossen, weiter 2 Tage pro Woche von zu Hause zu arbeiten, um das Kind noch etwas zu beaufsichtigen.

    Am 22. Mai arbeite ich nochmal von zu Hause aus, am 26. Mai auch, danach nicht mehr, weil es mir einfach zu blöd ist. Sollte eine zweite Welle kommen, werde ich sie im Büro aussitzen. Mademoiselle fährt nun auch wieder überall mit dem Bus hin.

    Am 24. Mai treffen Herr N. und ich uns zum ersten Mal seit die Kontaktbeschränkungen begannen mit mehr als einer anderen Person, nämlich mit einer befreundeten Familie. Draußen, im Garten. Jemanden in der Wohnung zu besuchen kann ich mir noch nicht vorstellen.

    Um den 27. Mai herum wird bekannt, dass sich im Umkreis einer religiösen Veranstaltung in Frankfurt über Hundert Personen mit dem Coronavirus infiziert haben. Das ist für mich beruflich der Anlass, das Sommerfest abzusagen. Wir hatten bis dahin überlegt, es ist draußen, vielleicht ist im Juni/Juli mehr möglich. Aber wir wollen nach dem Frankfurter Bethaus nicht der Frankfurter Arbeitgeber sein, bei dem sich alle bei einer Feier infiziert haben. Die Presse kann man sich nicht leisten. Ich sortiere weiter die Arbeitsplätze im Büro auseinander, damit - auch wenn weitere Personen zurückkehren - möglichst jede*r ein einem Einzelbüro sitzt.

    Am 31. Mai besuchen Herr N. und ich eine Freundin in ihrer Wohnung, im Vorfeld fantasieren wir, dass wir natürlich auf dem Balkon sitzen werden aber tatsächlich sind wir die ganze Zeit drinnen.

    Am 2. Juni lassen wir die zweite Rückkehrerwelle ins Büro kommen, immer noch freiwillig. Ich bin über die unterschiedlichen Reaktionsweisen erstaunt: manche, die fußläufig ganz in der Nähe wohnen, möchten lieber noch zu Hause bleiben, während einige Zugreisende unbedingt zurück wollen. Aber wie gesagt, es sind unterschiedliche Einschätzungen aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen. Das "Richtige" für alle gibt es nicht. Ich fahre ab Anfang Juni wieder ganz normal täglich mit der S-Bahn zur Arbeit.

    Am 12. Juni haben wir zum ersten Mal wieder Besucher im Büro. Eine kleine Gruppe und sie kommen abends, direkt über die Tiefgarage, was etwas lustig ist, denn es ist ja nicht der Zugang zum Bürogebäude das potentiell dumme Verhalten, das man verbergen möchte, sondern das Zusammensitzen im Besprechungsraum.

    Am 14. Juni kommt erstmalig seit März wieder Besuch in meine Wohnung - dann auch noch solcher, den ich nicht kenne, es sind Bekannte vom Gesangslehrer, der mein Wohnzimmer für einen Videodreh benötigt. Es ist etwas merkwürdig, nicht zusammenzusitzen aber wir überlassen die Besucher einfach im Wesentlichen sich selbst. Weil er schon einmal da ist, bietet der Gesangslehrer mir auch eine Unterrichtsstunde an, also live, normal machen wir das ja per Video. Ich überlege kurz: Singen scheint ja so ziemlich das blödeste zu sein, das man in Bezug auf Virusverbreitung machen kann. Aber der Gesangslehrer war nun sowieso schon in meiner Wohnung, ich habe große Räume und hohe Decken und eine offene Balkontür. Also machen wir die Gesangsstunde. Zum Karaoke würde ich aber keinesfalls gehen, in so einem kleinen Raum ist das etwas ganz anderes.

    Am 16. Juni installiere ich mir, ganz early Adoptress, die Corona-WarnApp.

    Am 18. Juni gehe ich erstmals wieder in ein Restaurant, zusammen mit Frau Fragmente. Wir sitzen draußen. Und am 21. Juni gehe ich mit einer Freundin in ein Eiscafé, auch da sitzen wir an Tischen draußen.

    Zusätzlich werde ich im Juni zeitweise recht angestrengt. Ich habe keine Bock mehr auf Corona, das ist mir alles zu mühsam, ganz besonders das ständige Gerede über Corona, die ständigen Ausreden augrundderkatuellensituation, ich bin an den Punkt, an dem ich denke “meine Güte ja, es ist, wie es ist, es muss nichts mehr darüber gesagt werden, macht halt und hört das Gejaule auf”. Erfreut stelle ich aber auch fest, dass sich mein Kalender langsam wieder füllt.

    Die nächste und letzte Rückkehrerwelle im Büro kommt am 22. Juni, es sind jetzt nur noch ganz vereinzelte Personen aus individuellen Gründen zu Hause. Wir sind damit in den Frankfurter Bankentürmen eher früh als spät, nicht die allerersten, aber vermutlich unter den ersten 20 %. Das liegt in weiten Teilen an unserer Bürostruktur: ich kann die meisten Personen einzeln setzen und nur sehr wenige sind zu zweit in ihrem Raum. Ich lerne sehr viel über Lüftungsanlagen in Hochhäusern.

    Am 26. Juni fahre ich mit Frau Fragmente Auto. Ich bin ganz erstaunt, dass sie das anbietet, schließlich ist das eine Begegnung auf recht engem Raum. Wir fahren zusammen zum Badesee, der seit ein paar Tagen geöffnet hat und natürlich herrscht auch dort Abstandsgebot und Maskenpflicht (an Ein- und Ausgängen und Verkaufsständen, im Wasser natürlich nicht). Abends gehen Herr N und ich mit einer Freundin in ein Lokal, um zu essen und zu trinken, aber wir haben einen Sitzplatz draußen reserviert.

    Am 27. Juni gehe ich zum Karaoke, mit Frau Violinista. Anschließend übernachtet sie bei mir. Neben mir sitzen möchte sie die ganze Zeit aber nicht, was ich ganz und gar eigenartig finde, denn nachdem wir 4 Stunden gemeinsam in einem ca. 6 qm kleinen Raum zusammen gesungen haben denke ich, auf den Abstand kommt es jetzt wirklich nicht mehr an. Aber auch hier gilt: jeder bewertet das Risiko anders und das muss man aushalten können.

    Am 29. Juni wollten Herr N, M und ich nach England fiegen, um Ms Austauschfamilie für da Schulhalbjahr ab September kennenzulernen. In Großbritanninen herrscht aber noch eine 2-wöchige Quarantänepflicht für Einreisende. Die Lufthansa streicht zum Glück die Flüge und so können wir die Reise kostenfrei stornieren.

    Im Juli werde ich mit der Maske nachlässig. Ich erwische mich dabei, wie ich sie gedankenverloren beim Einpacken der Einkäufe schon abnehme (weil ich die Handtasche schließen will), nicht erst am Ausgang des Geschäfts. Einmal setze ich sie an der Bahn auf, steige ein und setze sie dann ab, so, wie man eine Jacke ablegt. Einmal vergesse ich sie morgens gleich ganz zu Hause. Jedes Mal korrigiere ich mich hastig. Ich halte das für eine ganz normale Fehlerreaktion: wenn etwas ganz neu und aufregend ist, achtet man sehr darauf, wird es dann zur Routine und die Aufmerksamkeit lässt nach, kommt es zu Zwischenfällen, bis diese Routine sich endgültig eingeschliffen hat.

    In den ersten Julitagen gehe ich auch erstmalig wieder in ein Restaurant drinnen. Das ist so nicht geplant. Ich bin mit zwei Kolleginnen unterwegs und wir hatten uns verständigt, draußen zu sitzen. Nun ist es aber so, dass Sitzplätze draußen nur in der prallen Sonne verfügbar sind und deshalb gehen wir doch nach drinnen gehen. Dort ist es auch sehr leer. Allerdings nur für ca. 15 Minuten, dann bricht die kollektive Frankfurter-Bankenviertel-Mittagspause über uns herein und es wird voll. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, nicht ganz angenehm.

    Am 9. Juli gehe ich abends mit einem Kollegen aus und vergesse Corona erstmals für mehrere Stunden ganz komplett. Weil es einfach keine Rolle spielt an dem Abend. Ich bin danach unglaublich erholt. Zusammen mit Corona vergesse ich an diesem Abend auch zum ersten Mal seit dem 12. März den täglichen Anruf bei meinen Eltern.

    Am 10. Juli wird der (für Anfang August geplante) Flug meiner Schwester von Schottland nach Deutschland gestrichen. Sie nimmt das als Anlass, die Reise komplett abzusagen. Das ist einerseits schade, andererseits waren wir alle schon in Sorge um den Schutz meiner Eltern, bei denen Sie während ihres Aufenthalts gewohnt hätte - es ist vielleicht so die bessere Lösung.

    (to be continued)

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