Ich habe das große Glück, einen sehr schönen Weg zur Arbeit zu haben. Nunja, nicht, wenn ich mit der S-Bahn fahre, dann ist er so wie vermutlich viele Arbeitswege: in die S-Bahn-Station eintauchen, 20 Minuten Tunnel, aus der Station auftauchen, fertig. Aber wenn ich mit dem Rad fahre. Der Weg beträgt knapp 9 km, von denen etwa 7 km direkt am Flussufer entlang gehen. Ich fahre von zu Hause einmal quer durch die Innenstadt, dann durch den Hafen, dann eben die 7 km Fluss, dann über eine Brücke, durch eine lange Straßenschlucht und bin am Rapunzelturm.
Heute gab es auf dem schönen Weg ein Ereignis, und zwar wird etwa auf halber Strecke seit längerem eine Brücke gebaut. Wie man Brücken genau baut, weiß ich natürlich nicht, aber heute musste etwas mit Wasser und mit Schweißen an der Stelle genau über dem Radweg gemacht werden, weshalb zwei Brückenbauarbeiter den Weg sperrten. Ich war die erste, die auf dieses Hindernis stieß. "Nur kurz", hieß es, und ich fragte den Brückenbauarbeiter, was denn da gemacht werde. "Ich habe nicht die Sprache", sagte er. "Mit Feuer und Wasser!" - Ich schaute nach oben und sah im Stahlgerüst Holzteile, die anscheinend irgendwie gewässert oder gesäubert wurden, jedenfalls spritzte Wasser mit ziemlich viel Wucht hindurch, und an anderer Stelle stoben Funken. "Vielleicht Schienen? Oder ein Gerüst?" fragte ich. "Vielleicht!" sagte der Brückenbauarbeiter und rieb sich die Hände.
Mittlerweile - wir standen dort nun geschätzt zwei Minuten - hatte sich eine ständig weiter wachsende Traube Menschen, sämtlich in Bürobekleidung und größtenteils mit diverser Technik im Gepäck, an beiden Seiten der Brücke versammelt und wurde zunehmend angespannt. "Das ist doch nur Wasser..." murrten die einen, "Unverschämtheit!" die anderen. "Feuer und Wasser ja!" sagte der Brückenbauarbeiter. "Nur kurz!"
Mittlerweile war auch Mutter Schwan mit ihren drei Küken herbeigekommen, um die Arbeiten an vielleicht Gerüst oder Schienen zu betrachten. Die Karnickel auf der Wiese hingegen mümmelten völlig unberührt weiter vor sich hin.
"Dass Sie das hier im Berufsverkehr machen müssen!", sagte ein Mann mit Laptoptasche auf dem Gepäckträger. "Ja, muss ich auch Beruf machen", antwortete der Brückenbauarbeiter. "Als ob man das vergleichen könnte!" rief Laptopman. "Ich muss ins Büro! Das ist wohl etwas dringender!" "Bauen Sie größere Brücken?" fragte ich, aber in diesem Moment fuhr ein Radfahrer mit Schwung hinten in die Menschentraube, bremste mit quietschenden Reifen und schrie "Ihr Wichser! Das ist ein Radweg!!" - "Arschloch!" brüllte ein anderer, warf sein Rad auf die Wiese und es gab Gerangel. "Ist gleich fertig!" sagte der Brückenbauarbeiter.
"Ich fahr jetzt, ist doch nur Wasser!" rief eine Frau mit Dutt und Kostüm. "Feuer und Wasser", sagten einige Umstehenden. Die Frau fuhr um den Brückenbauarbeiter herum und unter der Brücke durch, von oben kam ein Funkenregen, wir rochen verschmortes Horn. "Jetzt fahren Sie schon!!" drängelte es von hinten. Ein Dutzend Radfahrer schlängelten sich um die Absperrung und fuhren durch den Regen unter der Brücke.
"Ist nicht gut! Doch nur kurz!", rief der Brückenbauarbeiter. Aber es war vergeblich. Von etwa fünfzig Leuten konnte nur ein Bruchteil noch etwas Zeit aufbringen, um in der morgendlichen Sommerluft am Flussufer den Schwänen, den Karnickeln und dem Bau von Schienen oder Gerüst, vielleicht, zuzuschauen. Die übrigen wollten keinesfalls auch nur eine weitere Minute Aufschub des Bürotages in Kauf nehmen und fuhren mit ihren Anzügen und Kostümen durch den Wasser- und Funkenregen.
"Alle irre", sagte ich zum Brückenbauarbeiter. "Irre?", sagte er fragend. "Verrückt", erklärte ich mit gängiger Geste. "Bekloppt. Haben einen Vogel." Wir schauten noch einen Moment Familie Schwan zu, ein paar weitere Radfahrer fuhren durch Feuer und Wasser. Der Brückenbauarbeiter stieß mich mit haarigem Unterarm an: "Alle irre, ja?!" Ich nickte. Er rieb sich die Hände.
Dann kam von oben das Signal. "Fertig", sagte der Brückenbauarbeiter und trat aus dem Weg.