Bei meiner Ersthelferschulung neulich (also vor etwa einem Jahr) traf ich zu meiner Überraschung auf eine Gruppe älterer Herren, die alle von Kleidung und Habitus recht ähnlich waren und die bei der Vorstellungsrunde - ich bräuchte die nicht, aber andere wissen von Leuten, die sie später auf dem Fußboden hin- und herwälzen wohl gern ein paar Basisdaten - als Beschäftigung "Vorstandsfahrer" angaben. Hatte ich noch nie gehört, dementsprechend - man sieht ja nur, was man weiß - hatte ich die Herren auch überhaupt noch nie gesehen. Seit ich sie kennengelernt habe, sehe ich sie aber täglich, kein Wunder, sie sind ja auch fast immer vor dem Gebäude oder in der Lobby des Rapunzelturms. Dort verbringen sie einen Großteil ihrer Zeit mit professionellem Warten. Sie sind dabei nicht ungeduldig, schlunzen aber auch nicht herum sondern befinden sich in einem Zustand der aufmerksam-entspannten Bereitschaft. Dabei trinken sie immer mal wieder einen Kaffee, haben so gut wie immer das Handy in der Hand, ab und an wird auch ein Buch gelesen. Sie sitzen oder stehen in lockeren Gruppen, nicht zu viel Nähe untereinander aber doch das eine oder andere Gespräch, fast immer (ich extrapoliere jetzt vom 2-tägigen Ersthelferkurs) über Belanglosigkeiten und nur ganz am Rande und dezent einmal über die zu fahrende Person: "Es war gestern spät." oder "Das ist eine schwierige Phase." Die Vorstandsfahrer tragen keine Uniform, aber relativ einheitliche Kleidung bestehend aus unauffäligem dunklem Anzug, hellem Hemd, Krawatte.
Mademoiselle hatte heute einen Sportwettkampf. Für eine solche Veranstaltung werden Eltern inhaltlich natürlich nicht benötigt, als Fahrer jedoch schon. Vor Ort warten wir dann - wir sind nicht ungeduldig, es ist von vornherein klar, dass es ein paar Stunden dauern wird. Zwischendurch trinken wir immer mal wieder einen Kaffee und halten das Handy in der Hand. Manche lesen ein Buch. Wir kennen uns nicht näher, haben auch kein Interesse, uns anzufreunden. Klar sitzen wir alle um den Vereinswimpel herum in den Rängen, lassen meist einen Platz zwischendrin frei. Ab und an sagen wir etwas zu einander. Wetter ist ein gutes Thema. Uhrzeit auch (heute morgen musste man um 8:45 Uhr vor Ort sein!). Oder Dinge wie "Es war gestern spät" und "Ist gerade eine schwierige Phase." Dabei tragen wir relativ einheitlich Jeans, Turnschuhe Hoodies oder Strickjacken.
Relativ beruhigt habe ich festgestellt, dass meine Fingernägel doch wachsen. Sie müssen wissen, ich war mir da nicht sicher. Keine Ahnung, wann ich die zum letzten Mal geschnitten habe. Gefeilt nur, wenn was eingerissen war. Eine Nagelschere besitze ich natürlich, dieser Haushalt ist hervorragend ausgestattet, aber ich verwende sie nur zur Pediküre.
Dann hatte ich mir ja Silvester 2014/15 überlegt, dass wenn ich mir etwas zu Neujahr vornehmen würde, was ich nie tue, es "Nägel immer schön lackieren" wäre. 2015/16 fiel mir das wieder ein und ich dachte, hm, Nägel kamen im letzten Jahr nicht vor an den Fingern, in keiner Form. Meine Fingernägel sind immer in optimaler Klavierspiellänge. Naja, weniger bildungsbürgerlich gesagt: Tastaturtipplänge. Vielleicht von Natur aus?
Eine gewisse etwa dreistündige Phase der Beobachtung ergab jedoch: keine gottgegebene Klavierspiel-/Tastaturtipplänge sondern ich beiße die ab. Nicht unmäßig natürlich, wie sähe das denn aus. Auf optimale Länge halt. Das fand ich trotzdem plötzlich nicht mehr altersangemessen.
Also lackierte ich die Nägel, knabberte den Lack ab, lackiere sie wieder, knabberte den Lack mit mittelmäßigem Konzentrationsaufwand nicht wieder ab (schmeckt auch nicht gut) und nun, nach etwa zwei Wochen, stehe ich vor dem nächsten Problem: wie schneidet man sich denn als dezidierte Rechtshänderin an dieser Hand die Nägel? Ruft man dazu Mama an? Oder geht man zu einer kleinen Asiatin für "Neeeeehls"?
Vielleicht ist kontrolliertes Beißen doch besser.
Nachdem ich jetzt mehrere Jahrzehnte eigentlich generell gut gelaunt war, wäre es natürlich auch denkbar, dass ich jetzt die nächsten paar Jahrzente einfach generell genervt bin. Warum auch nicht. Ist dann halt so.
Hatte ich bisher auch nicht gedacht, dass ich es in mir trage, dem seit Wochen dauerfastkranken Kind morgens eine Entschuldigung für die Schule zu schreiben, damit es nachmittags fit genug ist, ins Sporttraining zu gehen.
Ich habe ja schon einmal von den Stielkämmen Pink&Schwarz berichtet. Pink weilt übrigens derzeit in Hannover, das aber nur nebenbei. Es gibt nämlich noch (mindestens) einen Gegenstand in diesem Haushalt, der ein Eigenleben führt. Dabei handelt es sich um ein Aufbewahrungsbeutelchen für meinen mp3-Player, das auch Platz bietet für Kopfhörer und USB-Kabel und zusätzliche Kopfhörernupsis, weil ich die ja dauernd verliere und mir dann wutentbrannt die Hörer ohne Nupsi in die Ohren ramme bis sie bluten.
Dieses Täschchen ging neulich verloren, auf der Autofahrt zum schwimmen. Ich schloss im Auto den Player an das Autoradio an, das Täschchen legte ich irgendwo hin, weiter weiß ich darüber nichts, es war halt weg. Ich beauftragte Herrn N., der das Auto meistens fährt, Ausschau zu halten, aber ohne Ergebnis. Ungefähr zwei Wochen später benutzte ich das Auto wieder, fuhr es aus der Garage, stieg aus, um das Tor zu schließen und sah das Täschchen auf dem Garagenboden liegen. Mittig. Erfreut steckte ich es ein.
Ich fuhr dann zu Freunden, verbrachte dort den Tag, ging Einkaufen, fuhr nach Hause. Zu Hause war das Täschchen wieder weg. Wieder beauftragte ich Herrn N. das Auto abzusuchen, gleich am nächsten Tag vermeldet er Erfolglosigkeit. Ich rief die Freunde an, nichts. Ich suchte alle Taschen durch, nichts. Also hatte ich es wohl beim Einkaufen verloren.
Herr N. fuhr weiter mit dem Auto, etwa 4 Wochen später, nämlich Freitag, brauchte ich den Wagen wieder. Mademoiselle stieg ein, ich suchte nochmal Kofferraum und Rückbank ab und wies Mademoiselle an, den vorderen Bereich zu durchsuchen. Nichts. Wir fuhren nach Düsseldorf, stiegen dort aus, räumten das Auto leer. Am nächsten Tag packte ich Einkäufe ins Auto. Zwei Tage später holte ich das Auto und fuhr es ohne Passagiere vor die Haustür von Papa & Mama N, dort stiegen die beiden ein und ich transportierte sie in ein Restaurant, Papa N. saß auf dem Beifahrersitz. Nach dem Essen gingen wir zum Auto zurück, durch die geschlossene Scheibe sah ich das Täschchen auf dem Beifahrersitz liegen. Oder sitzen. Mittig jedenfalls. Sowohl Papa N. als auch Mademoiselle beschworen, es dort in den letzten Tagen bislang nicht gesehen zu haben. Ich hatte es definitiv auch weder beim Einladen der Einkäufe noch beim Wagen vorfahren entdeckt.
Ich sperrte das Täschchen ins Handschuhfach, damit es kein weiteres Mal entkommt. Später fuhr ich mit Mademoiselle wieder über die Autobahn nach Hause, gegen Ende der Fahrt sagte ich ihr wie üblich, sie solle schonmal den ganzen Autokrempel wieder in ihre Tasche packen und auch mein Täschchen aus dem Handschuhfach in meinen Rucksack umpacken.
Zu Hause erzählte ich Herrn N. davon. Er wusste schon, dass das Täschchen wieder aufgetaucht war, hatte es nämlich kurz vor meiner Abfahrt zwischen Sitz und Fahrertür gefunden und auf den Beifahrersitz gelegt, damit ich es entdecke - es war an dem Tag nicht ganz sicher, ob wir uns noch begegnen. Warum und mich genau welchem Unsichtbarkeitszauber das Ding von Freitag bis Sonntagabend umhüllt hatte, bleibt offen.
Als ich es eben aus dem Rucksack nehmen und endlich wieder Player, Kopfhörer und USB-Kabel hineintransferieren und mich an der Nupsisammlung erfreuen wollte, war es aber auch schon nicht mehr da.
Absolut keine Ahnung, wo es sich jetzt befindet.
(Was Wmdedg ist und die übrigen Beiträge findet man hier.)
Mademoiselle und ich sind heute bei Papa und Mama N. zu Besuch, die praktischerweise so dicht beieinander Geburtstag haben, dass sie immer zusammen feiern können. Dementsprechend wache ich in meinem alten Kinderzimmer auf, das natürlich schon längst nicht mehr so aussieht. Ich erwache aus ziemlich unruhigen Träumen, in denen ich mit Freundin A. in ein skandinavisches Land verreist war. Dort waren wir am Flughafen, um den Rückflug anzutreten und im letzten Moment fiel uns ein, dass wir völlig vergessen hatten, für die daheimgebliebenen Kinder ein Mitbringsel zu erwerben. Wir schauten uns also in einem Geschäft am Flughafen um, es gab ein hübsches Glas aus Eis mit Eisblumen, das Mademoiselle gefallen hätte, davon gab es aber nur ein Exemplar und A. war es sehr wichtig, das alle Kinder das gleich bekommen. Also suchten wir weiter, von allen Gegenständen, die in Frage kamen, gab es aber nur noch einen, bis wir in einem hinteren Regal die Fußsäcke entdeckten. Also Stoffsäcke, die man sich über die Füße stülpft, damit die schön warm bleiben wenn man am Laptop sitzt, und diese speziellen Fußsäcke sahen aus wie die Köpfe von landestypischen Tieren, die Füße steckte man dann ins Maul. Die waren schon hübsch, diese Fußsäcke! Die schönste Farbe war weinrot (welches einheimische skandinavische Tier weinrot ist, könnte ich jetzt auf Anhieb nicht sagen), davon gab es auch noch einen Stapel, es waren genau 4, praktisch, einer für Mademoiselle und drei für die Kinder von A. Ich freute mich, bis A entrüstet sagte, ja und die C?! Die C wäre doch ihr wenige Monate altes Baby! Ich konnte mich beim besten Willen an keine C erinnern, auch an keine Schwangerschaft und Geburt, A. war höchst enerviert und beschimpfte mich, wie nachlässig ich mit Freundschaften umgehe, dann wachte ich vor Schreck auf.
Was macht man so, wenn man bei den Eltern zu Besuch ist. Computerprobleme lösen natürlich. Zwischendrin wunderte ich mich über Menschen und wie man versucht, sie irgendwie zu verstehen und doch oft einfach scheitert und ich ging einkaufen, Lebensmittel und Sachen, die Papa und Mama N. nicht mehr so gut tragen können. Im Supermarkt war es laut und voll und viele Menschen und einen Moment lang wurde mir schwindlig und sehr, sehr heiß und es war, als würden die ganzen Stimmen durch meine Ohren in mich reinkriechen, dann konzentrierte ich mich auf einen Camembert, der vor mir im Regal lag und dan war alles wieder gut. Keine Ahnung, was das sollte. Dann kaufte ich noch etwas auf dem Markt, der Händler gab mir statt auf 50 Euro auf 20 heraus, ich monierte das, das Restgeld kam umgehend mit den Worten "is doch nich so schlimm, musste so sehen, dat Jeld is ja nich wech, dat is nur umverteilt!" Ich musste so lachen, dass ich mich verschluckte, "Watt, Schneewittche, ich han dir doch jar keene Appel jejeben?" witzelte der Händler noch, ich ergriff die Flucht, imerhin mit Einkauf und Restgeld.
Von Mahlzeiten unterbrochen unterhielten wir uns dann - für Außenstehende sehen die Gespräche bei mir zu Hause vermutlich immer wie Streit aus. Wir sind grundsätzlich alle unterschiedlicher Meinung und besprechen das mit allen Mitteln. Maulfechten nennt man das hier. Themen waren unter anderem eine Pomelo, Ravioli, die ständige Neigung von Papa N., bewährte und heißgeliebte Kindheitsrezepte einfach irgendwie abzuändern, der gestrandete Pottwal am Rhein, ein Imam in Dänemark der Steinigungen einführen möchte, Fortuna Düsseldorf, Karriere in Teilzeit, ob man sich um den Nachbarn sorgen muss, der seit sein Lebensgefährte ausgezogen ist immer sehr laut mit sich selbst spricht, Solarlampen und digitales Erbe. Nebenher verfolgten wir auf Flightradar den Rückflug einer meiner Schwestern aus Lappland.
Mademoiselle wurde derweil immer schnupfiger und hustiger und fiebriger, das nimmt auch kein Ende diesen Winter. Deshalb gibt es heute auch einen sehr ruhigen und kurzen Abend, an dem jeder entspannt vor dem Engerät seiner Wahl sitzt.
Den ganzen Tag Büro mit Irrsinn und Geschrei und den ganzen Abend Autobahn mit Schnee und Stau.
Heute konsumiere ich nur noch.
Natürlich war gestern auch schwimmen, aber ich musste ja unbedingt vom Orgonakkumulator berichten und hatte auch total vergessen hatte, dass der Schwimmbericht ansteht. Außerdem hatte ich ja keine Ahnung, dass es so furchtbar aufregend werden würde!
Als wir bebadeschuht (das hebe ich hervor weil ich kurz den Eindruck hatte noch in Straßenschuhen zu sein, ich schaute aber nicht nach sondern "spürte" nach und war dann doch habwegs sicher: Badeschuhe) zum Becken schlenderten sagte die Kraulschwimmpartnerin nämlich ganz nebenher: ich denke, wir schwimmen heute einfach eine Stunde so als Übung für das Totenkopfabzeichen. Das gibt es in Schwarz, in Silber und in Gold, man sollte meinen, Schwarz sei am coolsten, irritierenderweise ist das nicht der Fall sondern ganz konventionell: Gold. Ich mag Gold ja gar nicht. Ich mag schwarz und silber. Aber es ist, wie es ist.
Darüber wie es ist, hatte ich dann im Becken ausreichend Zeit nachzudenken. Ich trage beim Schwimmen natürlich keine Uhr, eigentlich trage ich sowieso keine Uhr, nur hat das Fitnessdingsi eine eingebaute Uhr, das Display ist dunkel, aber wenn man mit dem Arm eine Auf-die-Uhr-schau-Bewegung ausführt, wird die Zeit angezeigt. Das ist schon sehr schick. Außer, man hat es nicht aufgeladen, so wie ich neulich, da war es zwei Tage tot und eine meiner Konkurrentinnen Fitness-Freundinnen mailte gleich besorgt, ob ich etwa tot sei, denn 0 Schritte bis 14 Uhr mittags kam ihr nicht geheuer vor. Man liefert sich selbst den unmöglichsten Überwachungsmechanismen aus, Mama N. ruft am Wochenende nun auch immer sehr früh an, weil sie bemerkt, dass ich einen Scrabble-Zug gemacht habe, allerdings mache ich den oft beim Katzenfüttern gegen 7 und gehe dann nochmal schlafen. Ich erinnere mich bei der Gelegenheit auch, wie wir Papa N. zu Weihnachten ein iPad geschenkt haben und er gleich am 1. Weihnachtstag, als wir nur geringfügig zu spät zum Brunch unterwegs waren, ein latent passiv-aggressives Bild vom überladenen Frühstückstisch per Whatsapp schickte mit dem Hinweis "Kaffee wird kalt".
Wo war ich, ach ja, im Wasser. Keine Uhr, ich sagte also der Kraulschwimmpartnerin, ich würde nun einfach schwimmen bis sie Stopp sagt. Zwar hat die Schwimmhalle auch eine Uhr, die kann ich aber ohne Brille nicht lesen. Und mit Schwimmbrille schon gar nicht, die ist nämlich so zerkratzt mittlerweile, dass ich eine neue benötige. Halbblind und ohne Zeitgefühl gibt es dann im Wasser wirklich nicht mehr allzuviel zu tun als hin und her zu schwimmen. Nach ein paar Bahnen automatisiert sich der Schwimmvorgang, die Gedanken können schweifen, nach ein paar weiteren Bahnen stellte ich aber fest, dass in mir gar nicht so enorm viele Gedanken drin sind, die ich jetzt in Ruhe mal durchdenken könnte (oder wollte). 20 Minuten wären um, rief die Kraulschwimpartnerin. Meine Gedanken reichen also für knapp 20 Minuten. Das war etwas ernüchternd, zur Ablenkung bekam ich kurz einen Krampf im Fuß, den kann man aber wegschwimmen.
Da es nun nichts mehr zu denken gab, überlegte ich, ob ich etwas fühlte. Auch nicht so recht. Latente Zufriedenheit, hin- und herschwimmen zu können. Ein paar Sachen natürlich, über die ich mich aufregen könnte, über die eine oder andere sogar sehr. Probeweise brüllte ich ein bisschen unter Wasser imaginäre Personan an, es klang ganz lustig. Man kann nicht gut Wut ausleben, wenn man wie eine ersaufende Mickey Maus klingt. Was soll man sich auch aufregen, es ist, wie es ist. Ich versuchte unter Wasser zu singen. Das tat in den Ohren weh, nicht wegen des Klangs sondern wegen des Drucks. Schalls. Was auch immer.
Langsam fragte ich mich, wann ich müde werden würde. Oder kalt. Passierte aber nicht. Ich habe - seit ich mich erinnern kann - die Überzeugung, dass ich einen Tod durch ertrinken sterben werde. Keine Ahnung warum, es ist ein wiederkehrendes (Alp-)Traumbild. Vielleicht gehe ich deshalb so gerne schwimmen. Aus Trotz. Sowas habe ich manchmal. Dass ich jetzt in diesem maximal 2,50-m-tiefen Becken ertrinken würde, hielt ich aber für ausgeschlossen, also lohnte auch daran kein zweiter Gedanke. Ich schaute umher soweit es die Kurzsichtigkeit und die zerkratzen Schwimmbrillengläser erlaubten. Das Wasser wirkte nicht so sauber wie irgendwas aus Bergamo. Ich wünschte mir in diesem Moment, Erschöpfung oder irgendwelche Schmerzen würden einsetzen, Krampf, Schulter oder so, dann könnte ich verbissen werden und nicht mehr an die Schwebepartikel im Wasser denken.
Der Punkt an dem man erst kämpft und dann ohne irgendwas zu denken einfach vom puren Willen getrieben wird, kam aber nicht. Als Kind habe ich mich mal sehr gewundert, als im Fernsehen eine Nachricht kam, dass jemand bei einem Marathon umgefallen und verstorben sei. Wie kann das passieren, fragte ich mich, man läuft doch nur, wenn es zu anstrengend wird, hört man eben auf. Ich weiß heute ziemlich genau, wie so etwas passieren kann. Noch 20 Minuten, rief die Kraulschwimmpartnerin.
Die letzten 20 Minuten machte ich Faxen. Ohne Arme schwimmen, ohne Beine schwimmen, Rollen unterwegs und solche Scherze. Dann war die Stunde auch schon um. Inoffizielles Totenkopfabzeichen in schwarz, verliehen durch die Kraulschwimmpartnerin.
Aber was ich absolut nicht verstehe: warum kann ich in Brustlage eine Stunde ohne die geringsten Ermüdungserscheinungen (körperlicher Art - geistig war ich bedient) herumschwimmen, aber nach einer Bahn Kraulen geht mir die Puste aus?
Ich sage ja immer, keine Ahnung, wozu ich blogge, aber zu irgendwas ist es gut. Der heutige Tag hat dies wieder bestätigt, denn ich war mit Kollegen in der Mittagspause und während einer mit Ohrstöpseln und Film da saß, eine andere in ein Buch vertieft war und die Technikerin und ich uns über MiFi unterhielten, berichtete die K. dem Plenum enthusiastisch von ihrem Besuch auf der Veggie-World.
Und dort begegnete sie nämlich dem Orgonakkumulator, trank Wasser, das mit ihm energetisiert war und eigentlich nicht ganz anders schmeckte als Wasser, das durch ihren Brita-Wasserfilter gelaufen ist, aber schon doch auch irgendwie wie bestes Quellwasser aus Bergamo. Sie hatte überlegt, ob sie den Orgonakkumulator eventuell mit ihrem ebenfalls anwesenden Neffen gemeinsam finanzieren wollen würde, 2.500 Euro Messepreis. In diesem Augenblick ließ ich mich von meiner Kompetenz in die Irre führen. (Dieser Satz wurde mir neulich in einem Apfelweinlokal zugetragen und ich wollte ihn länger schon verwenden.) So sagte ich laut: Ach, den gibt es bei Amazon deutlich günstiger!
Ich habe schon viele ganz unterschiedliche Personen im Büro gespielt, von denen aber bislang ganz sicher keine einzige irgendwelche esoterischen Neigungen zeigte. Es schadet aber nicht, auch mal eine falsche Fährte zu legen. Und die K war unendlich zufrieden, intuitiv schon auf der Veggie Fair den Orgonakkumulatorhändler als Betrüger ausgemacht zu haben. 2.500 Euro, wo es den im Internet für etwa die Hälfte gibt, ist ja auch unverschämt.
Die aufregendste Neuigkeit ist wahrscheinlich, dass meine Fingernägel tatsächlich ein Stück gewachsen sind. Mittlerweile knabbere ich auch nichtmals mehr den Lack ab.
Ansonsten komme ich gerade seit einem guten Jahr zum ersten Mal zum Durchatmen. Das ist erstaunlich langweilg.