Ich will gar nicht mehr wissen, was der Plan für heute eigentlich war, das allermeiste davon wird aufgrund von Laune nämlich nicht stattgefunden haben.
Die Laune ergab sich am Morgen, als ich in den Zug zur Arbeit einstieg und am Boden eine zusammengebrochene Frau vorfand, sehr viele Leute standen und knieten besorgt um sie herum und redeten viel, in dem "ach Du meine Güte" und "ohje" vorkam und auch die neu Einsteigenden gingen entweder betreten vorbei oder schauten sich hilflos um. Meine Frage "hat jemand den Notruf gewählt?" fand ich absolut naheliegend, sie traf aber nur auf Stille und schafartige Blicke. Ich weiß wirklich nicht, wo das Problem ist, drei Tasten auf dem Handy zu drücken, ein motorisches oder intellektuelles kann es kaum sein, alle Anwesenden wirkten mehr oder weniger fit und waren wohl auf dem Weg in ein Büro, in dem sie komplexere Aufgaben verrichten. Willig waren sie an sich auch, jedenfalls schickte ich einen den Zugführer suchen, einen anderen in die Lichtschranke, damit der Zug nicht abfährt, und so weiter, sie waren alle motiviert dabei. Aber dieses ganze schafherdenartige Verhalten, glotzen und jammern und ein Problem erkennen, ohne dass daraus eine Handlung erwächst, hat mir nachhaltig die Laune verdorben. Ich verfüge an sich über eine große Menschenliebe, aber so ein bisschen sich selbst regulieren, ein bisschen spontan auf eine Situation reagieren und das Notwendige tun, ein bisschen Handlung aus sich selbst heraus, das muss schon sein. Ansonsten fällt es mir sehr schwer, in dieser ganzen Veranstaltung Menschheit einen Sinn zu sehen.
(Der Frau geht es glaube ich gut, sie konnte später selbst aus dem Zug aussteigen.)
c. fabry,
Montag, 25. März 2019, 22:31 Uhr
Ich verstehe Ihre Entrüstung, habe mich aber auch schon in Situationen, in denen jemand Hilfe benötigte völlig kopflos und handlungsunfähig erlebt, es sei denn, außer mir und dem Hilfsbedürftigen war niemand da oder ich war in leitender Rolle. Es ist eine merkwürdige Lähmung, die da über einen kommt und ich habe auch keine vernünftige Erklärung dafür. Gibt, glaube ich, schon jede Menge Studien dazu, die ich aber nicht kenne.
novemberregen,
Montag, 25. März 2019, 22:47
Sie beziehen sich vermutlich auf den Bystander-Effekt. Den kenne ich in der Theorie auch, in der Praxis kann ich mir trotzdem nicht erklären, wie sich einigermaßen alltagstaugliche Menschen nicht über dieses Muster hinwegsetzen können.
hafensonne,
Dienstag, 26. März 2019, 09:30 Uhr
Verantwortungsdiffusion gibt es auch. Die Annahme, bei so vielen Helfern wird schon jemand den Notruf betätigt haben.
novemberregen,
Dienstag, 26. März 2019, 21:09
Ja, gibt es alles, aber dass es ein Label für dummes, herdenartiges Verhalten gibt ist doch keine Entschuldigung. Im Gegenteil, eben weil diese Effekte bekannt sind, kann man sich dagegen stemmen.
sid,
Dienstag, 26. März 2019, 16:22 Uhr
Es gibt wohl noch keine App dafür - sonst hätten die all das gleich auf ihrem Handy gefunden... /sarkasmus off
Schön, daß Sie so geistesgegenwärtig waren, die Herde bisserl anzutreiben, sich nützlich zu verhalten...
susama,
Mittwoch, 27. März 2019, 16:39
Oi, es macht auch mich wiederholt fassungslos, wie Menschen die naheliegensten Dinge in gewissen Situationen einfach nicht tun. Harmloser, aber mühsam: wenn in dem Mehrparteienhaushalt, wo ich wohne, irgendwelche Dinge nicht funktionier(t)en. Die Heizung ausgefallen war, zB., und es bei meiner Rückkehr nach Hause bereits empfindlich kalt war. Und sich herausstellte, alle anderen frieren auch. Dies sei schon länger (vor 2 Tagen) bemerkt worden, und -jammerjammer. Nein, und nie ist dann irgendwer auf die Idee gekommen, die Hausverwaltung zu informieren oder Handwerker zu rufen. Ich versteh das auch nicht. (& mehrfach passiert, betreffend Heizung, Stromausfall, kaputte Türglocke...)