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    Mittwoch, 17. Juni 2020

    Frau Fragmente sitzt in ihrem Schlafzimmer am Schreibtisch und bloggt, ich sitze an meinem Schreibtisch und blogge über Frau Fragmente. Ich sehe heute zum ersten mal ihre Tischplatte aus der Nähe. Eiche würde ich sagen.

    Frau Fragmente trägt heute ein Headset: große Kopfhörer und ein Mikro vor dem Mund. Es sieht sehr professionell aus. Ich selbst bin heute zerrauft, was zum einen daran liegt, dass ich zweimal in den Regen gekommen bin, zum anderen daran, dass ich bis eine Sekunde vor unserem Treffen noch in einer konkurrierenden Videoveranstaltung war und dann sind meine Haare auch noch zu lang. Aber das wird morgen behoben.

    Ansonsten hatte ich heute einen recht entspannten Tag. Es gab wenige akute Fälle und ich hatte Zeit, mich komplexeren Themen zu widmen, mehrere Stunden am Stück in Unterlagen abzutauchen und so etwas. Das führt bei mir meistens dazu, dass ich die Zeit vergesse und mich auch später nicht mehr so genau erinnern kann, was ich gemacht habe. Aber was im Kopf ist, ist im Kopf, darauf wollen wir einfach mal vertrauen.

    Frau Fragmente trinkt Cola glaube ich, vermutlich Cola Zero, die trinkt sie nämlich immer. Das erinnert mich daran, dass ich neue Getränke bestellen muss bzw. bestellen möchte, ich muss natürlich nicht, es gibt ja Wasser aus der Leitung, aber ich möchte auch Cola Zero haben. Allerdings kam ich diese Woche an jedem Abend zu spät nach Hause.

    Ich trinke alles Mögliche, ich habe nämlich heute eine Aufgabe, die mich quasi am bloggen hindert: ich muss sehr viel aufessen. das liegt daran, dass die Gemüsekiste kam und die ist im Sommer immer viel umfangreicher, als ich es erwarte. Ich bin gedanklich ja noch im März, daher hatte ich mit der Sommerkiste nicht gerechnet. Nun ist diverses Zeug in den Kühlschrank zu packen und anderes muss heraus, außerdem war ein wirklich ganz riesiges Brot in der Kiste, von dem ich die Hälfte einfrieren muss und daher muss auch aus dem Eisschrank etwas raus. Aus dem Eisschrank musste Bananen-Joghurt-Eis raus, das ist schon aufgegessen. Nun habe ich das letzte Glas Apfelsekt (die Flasche musste raus) und eine Schale Ananas mit Melone (war schon essfertig vorbereitet und muss weg), mit Sahne (über das Ablaufdatum) und später sollte es im Idealfall noch Bananenmilchshake (sind sehr braun) geben. Wenn möglich wären zwischendurch noch einige runzlige Äpfel zu essen. Sie sehen, es gibt viel zu tun.

    So, was noch? Frau Fragmente hat wieder ein Zöpfchen und hinter ihr steht eine Schublade ein wenig auf, an der Kommode, die möglicherweise Hemnes ist. Warum steht das auf? Hat sie da vorhin etwas rausgeholt? Als ich von meinem Webinar zu ihr wechselte, lief sie noch durch die Wohnung, holte die Tastatur und Ähnliches. Vielleicht ist die Schublade der Aufbewahrungsort der Tastatur. Über der offenen Schublade liegt eine Pappverpackung, es sieht verdächtig nach einer Amazon-Bestellung aus. Dahinter ist etwas Grünes aufgetaucht, auf die Ferne wirkt es wie ein Aufsteller mit Prospekten, aber das hat man in Privathaushalten ja eher nicht.

    Meine Güte, Frau Fragmente tippt und tippt und tippt. ich sehe mich gewissermaßen unter Zugzwang, habe aber eigentlich heute echt einen chilligen Tag und will das am Abend nicht aufgeben. Worüber schreibt sie bloß? Ich hatte ja kurz überlegt, über das Thema "Home Office" zu schreiben, irgendwo habe ich dazu sogar ein Textfragment, das ich getippt habe, als ich mich einmal allzu sehr aufgeregt habe. Aber das ist jetzt auch schon wieder ein paar Tage her.

    Oh, entweder ist das Bild eingefroren oder Frau Fragmente tippt jetzt einhändig so schnell wie sonst mit 6 Fingern. Mit der rechten Hand kratzt sie sich nämlich gerade am Kopf, die Tippgeräusche klingen aber munter weiter. "Man denkt, man kennt die Leute, aber dann erfährt man so etwas", sagte Fragmente vorhin noch als ich erwähnte, dass ich keine Minze mag. Also ich kann Minze durchaus essen, kein Problem, am Liebsten aber pur, denn ich finde, keine Speise und kein Getränk der Welt werden durch ihre Zugabe von Minze in irgendeiner Weise verbessert. Das hat Frau Fragmente erstaunt. Sie reagierte mit einem speziellen Blick, es ist ein kurzes Innehalten, ein Blickkontakt, der ein paar Millisekungen länger ist als normal, das ergibt ein Gefühl, als würde die Situation eingloggt, bestätigt, einmal Enter gedrückt. Novemberregen mag keine Minze [Blick] [Enter], für alle Ewigkeit gespeichert.

    Frau Fragmente schreibt noch eifrig, aber mir reicht es für heute. Sowieso dachte ich ja über Nacht, mein Blog sei voll. Also vollgeschrieben, fertig, Ende. Weil die Einträge sich plötzlich im Header zeigten, es lief also über. Es hatte eine ganz andere Ursache, aber da ich mich nun eine Nacht darauf eingestellt hatte, vielleicht noch ein paar Tage unter sparsamer Verwendung von Buchstaben im Header weiterzuschreiben bis dann gar nichts mehr geht, bin ich mental noch nicht ganz von dem Thema weg und möchte heute nicht übertreiben.


    Ich muss noch etwas schreiben, sonst kann ich nicht schlafen, denn ich habe gerade einen Brief vom Finanzamt geöffnet, "Rückfragen zu Ihrer Einkommenssteuererklärung 2018" und nun bin ich furchtbar freudig aufgeregt, denn ich kann alle Fragen sofort und aus dem Stehgreif beantworten. Nicht nur das: ich weiß sogar ohne zu schauen, wo die Unterlagen sind, die das belegen. Ich könnte Sie sogar - also genau Sie - anweisen, die bei mir zu finden: gehen sie ins Arbeitszimmer, setzen Sie sich an den Schreibtisch, linker Hand unter dem Schreibtisch steht ein Karton, darin ein graues Ablagekörbchen. In dem Körbchen sind jeweils Plastikhüllen betitelt "Steuererklärung 2020", "Steuererklärung 2019", "Steuererklärung 2018", "Steuererklärung 2017". Umgekehrt chronologisch, 2020 liegt ganz oben. Nehmen Sie also 2018 heraus, unter den ersten 10 Blättern im Stapel ist die erste geforderte Unterlage und die zweite müsste etwa mittig sein, wenn nicht ganz mittig so tendenziell noch in der ersten Hälfte.

    Ich kann es gar nicht erwarten, das dem Finanzamt alles genau mitzuteilen, selten war ich so enorm gut vorbereitet, ich fühle mich wie manche der Kinder im Home Office, nein, Home Schooling, die alle Aufgaben und alle Zusatzaufgaben ganz und gar selbständig gemacht haben und nun hören, dass einfach durchweg alle versetzt werden - ich hoffe, das Finanzamt enttäuscht mich nicht in ähnlicher Weise.

    Weil ich die Freude, zu antworten noch aufschiebe (ich soll bis zum 3.7., nächster Stapel-des-Grauens-Termin ist aber deutlich vorher, ich werde overperformen!), überlege ich derweil meine einleitenden Sätze für das Schreiben:

    "Sehr geehrte Damen und Herren, besten Dank für Ihr Schreiben vom 15.06., das mich überrascht und enttäuscht" - nein, natürlich nicht, "überrascht und erfreut"? Aber Überraschung wäre zu viel, so überraschend ist es ja nicht, dass das Finanzamt nachfragt. Vielleicht "Ich freue mich über Ihr Interesse an meiner Einkommenssteuererklärung"? Das würde mir die Möglichkeit geben, wenn für 2019 auch noch etwas angefordert wird, zu schreiben "Ich freue mich über Ihr auch in diesem Jahr fortgesetztes Interesse an meinen Unterlagen". Aber es könnte sein, dass die Finanzbeamt*innen das falsch verstehen, am Ende noch ironisch auffassen. Naja, ich habe ja noch Zeit, darüber zu reflektieren. Weiß gar nicht, ob ich jetzt gleich zum entspannten Einschlafen Drosten höre oder über weitere Möglichkeiten des ersten Satzes im Schreiben nachdenke.

    Über die Grußformel am Ende werde ich mir auch noch Gedanken machen, das übe ich derzeit in der beruflichen Korrespondenz mit Frau Fragmente und ich bin schon recht gut, die Ideen fließen, man muss nur einmal richtig loslassen, dann macht der Körper von selbst, das sagt auch der Gesangslehrer.

    Insgeheim neidisch bin ich aber auf eine Grußformel der virtuellen Bürokollegin, die ich nie anwenden können werde. Sie lautet "Gruß, [Nachname]", zu verwenden als ultimativer Tadel am Ende eines schmallippigen Schreibens. Man muss dazu den richtigen Nachnamen haben, meiner ist nicht richtig, er ist zu lang und zu umständlich für einen knappsten Gruß. Ich kann Ihnen natürlich keine weiteren Hinweise auf den Nachnamen der virtuellen Bürokollegin geben, aber seien Sie versichert, dass die Emotion absolut rüberkommt wie ein Peitschenhieb. Wie gesagt, diese Möglichkeit steht mir nicht zur Verfügung jedenfalls nicht bis zum 3.7. (allzu weit in die Zukunft zu blicken habe ich mir 2020 gründlich abgewöhnt), aber ach fast schon wieder vergessen, ich wollte ja nett schreibejn, gar nicht tadelnd sondern freundlich-begeistert-aber-nicht-merkwürdig.

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