Wie Sie wissen, möchte ich mich seit ungefähr Herbst nicht mehr allzu sehr anstrengen. Als weiteres Stück der Vereinfachung des Alltags habe ich jetzt einen Speiseplan eingeführt, damit ich nicht mehr jeden Tag mühsam überlegen muss, was es wohl zu Essen geben könnte.
Es gibt jetzt immer das Folgende:
Dienstag (die Woche beginnt Dienstag, weil Mittwochabend die neue Gemüsekiste kommt): Restgemüse der Woche aus der Pfanne mit irgendwas dazu.
Mittwoch: Rotes Thai-Curry vom besten Asiaten oder - sollte ich dem je überdrüssig werden - irgendwas Bestelltes (wegen Sport am Abend ist es zu anstrengend, selbst zu kochen)
Donnerstag: der Salat aus der neuen Gemüsekiste (dann ist er frisch) mit belegten Broten (Brot ist auch in der Kiste)
Freitag: Suppenartiges (kann man ggf. am Wochenende gut aufwärmen, je nachdem was für Pläne anstehen)
Samstag & Sonntag: freies Kochen vorwiegend aus Gemüsekisteninhalt oder Essen gehen
Montag: Nudeln mit irgendwas
Ich denke, das erspart mir täglich etwa 15 Minuten Entscheidungsfindungszeit.
Atmen üben soll ich, sagt der Gesangslehrer, Atmen üben. Also richtig atmen. Nicht hektisch flach mit Schultern hoch ziehen, wie man das eben so macht, wenn man angespannt ist. Und angespannt bin ich natürlich immer, wenn ein schwieriger Ton droht, und wenn der dann nicht durchgestützt ist sondern irgendwo aus der Schulter kommt wird es so schrill, dass ich vor Schreck gar nicht mehr atme sondern mich verschlucke.
Also übe ich Atmen. Morgens wenn der Wecker klingelt versuche ich, das genervte Einatmen nicht in den Nacken sondern in den Bauch zu ziehen. Und an der Bus- oder Bahnhaltestelle stehe ich und schaue nicht auf die heruntertickenden Minuten sondern atme ein - durch die Nase in den Bauch, Bauchmuskeln ganz locker lassen - und durch die Nase aus, ganz langsam. Eeeeeeeeiiiiiiiiiiin - aaaaauuuuuuuuussssss. Eeeeeeeeiiiiiiiiiiin - aaaaauuuuuuuuussssss. Fast schlafe ich wieder ein.
Wenn im Rapunzelturm der Aufzug kommt, atme ich einmal besonders tief ein. Und dann versuche ich, während der gesamten Fahrt absolut gleichmäßig durch den Mund, mit einem leichten schhhhhhhhhh auszuatmen. Versuchen Sie das mal über 24 Stockwerke. Wenn alle um Sie herum Sie anstarren!
Im Rapunzelturm klingelt das Telefon. Ich atme tief ein, hole die Stimme von ganz unten, kein bisschen nasal und sage schwingend-sonor "Novemberregen?" "Wer spricht da??!!" fragt der Oberchef genervt. Ich japse schnell in die Schultern und quieke "Ich bin es nur!" Der Oberchef brummelt etwas von nur keine Krankheiten ins Büro tragen. Als er aufgelegt hat hechele ich kurz vor mich hin. Mit offenem Mund, ganz schnell und kurz, aber in den Bauch, die Schultern dürfen sich nicht bewegen. Kurz bevor mir schwindlig wird japse ich einmal tief - auch in den Bauch. Das kann ich noch nicht so gut. Das Hecheln ja, das Japsen nicht. Ich probiere es nochmal, während ich eine Mail im Takt tippe.
Auf dem Heimweg beim Einkaufen - warten an der Kasse - übe ich das langsame Ausamten wie im Fahrstuhl, nur auf mmmmm. mmmmmmmm. mmmmmmmmmmmmmm. Die Lippen müssen vibrieren dabei, so dass es kitzelt, sonst liegen sie zu fest aufeinander. Die Füße müssen beide fest auf dem Boden stehen, wie dort festgeklebt. Mmmmmmmm. Ich muss lachen. Der Mann vor mir dreht sich um und lässt mich vor. Ich stolpere kurz, weil ich mir so sehr eingebildet hatte, dass meine Füße festkleben.
So geht es den ganzen Tag. Aus jedem orrr wird ein pfffffffffffff, es hat etwas von Geburstsvorbereitungskurs. Und glauben Sie mir: ich habe einiges zu veratmen derzeit.
Den ganzen Tag die verschiedensten Dinge gelesen - nichts davon hat überzeugt.
Vielleicht haben Wotanfon und ich eine Lösung gefunden, nicht für das ständig auftretende Internetproblem aber für die Unannehmlichkeiten, die mir damit entstehen (und eigentlich nur darum geht es ja). Nämlich schicken sie mir nun einen MiFi-Router mit SIM-Karte und 50 GB Volumen, die sie dann immer, wenn ich eine Störung melde, neu draufbuchen. So richtig glaube ich an die Lösung zwar erst, wenn sie installiert ist und auch wie besprochen funktioniert, aber das ist schonmal ein guter Ansatz.
Den Song vom Gesangslehrer habe ich mittlerweile auch erfolgreich über GooglePlay gekauft - endlich weiß ich etwas mit meinem Guthaben dort anzufangen. Guthaben dort hab ich, weil ich ab und an zwei Fragen zu meinem Einkaufserlebnis im Rewe-Markt beantworte, nämlich "waren Sie da?" (ja) und "wie war es auf einer Skala von 1-5" (3). Damit habe ich schon um die 15 Euro verdient, mit denen ich aber nichts anzufangen weiß. Jetzt sind es immerhin 99 Cent weniger.
Den größten Teil des Tages saß ich aber sowieso in einer Sporthalle und las dort meine Papierzeitung. Die Papierzeitung sorgte für Aufsehen, niemand außer mir hatte eine dabei. Ob sie interessant sei wurde ich gefragt (ja). Und ob ich verstehen würde, was da so steht (JA??!!). Bei solchen nicht-kommerzialisierten Sportveranstaltungen gibt es übrigens meiner Kenntnis nach immer hervorragenden hausgemachten Kuchen zu Spottpreisen. Es wundert mich, dass es noch nicht allgemein üblich ist, am Wochenende einfach auf gut Glück Sporthallen aufzusuchen, um sich dort an Tortenstücken für 1 Euro satt zu essen. Vielleicht, weil der Kaffee so grauenhaft ist. Profisportlerinnenmutter die ich bin hatte ich aber selbstverständlich (neben der Papierzeitung) meinen eigenen gut gefüllten Thermobecher dabei.
Die Zeit rast nur so im Moment, das ist fürchterlich und angenehm zugleich. Aber um zumindest einigermaßen alles unterzubekommen, muss ich mir für morgen früh den Wecker stellen. Nicht auf 6 Uhr, wie unter der Woche, natürlich. 9 Uhr reicht. Ich muss den Wecker also umstellen.
Ich hatte mir zu Weihnachten einen Wecker gewünscht und verweigert, weitere Informationen dazu zu geben, außer dass es ein Funkwecker sein sollte. Bekommen habe ich dann einen Wecker, der ausgerechnet kein Funkwecker ist und den ich mir nie im Leben gekauft hätte, sicherlich nicht, ich hätte sofort weitergeklickt, wenn er bei Amazon aufgetaucht wäre. Aber als ich ihn auspackte aus dem Geschenkpapier wusste ich sofort: ja genau, das ist mein Wecker. Einen anderen will ich nicht, der ist exakt der Allerbeste, den es für mich gibt.
Es ist dieser Wecker hier. Die Beinchen kann man abmachen - erst wusste ich nicht, wozu man sie überhaupt dran machen sollte, aber das steht ja im Link online in der Beschreibung (die ich gerade auch zum ersten Mal lese): sie verleihen ihm eine charmante Note.
Ich schaute mir kurz die Bedienungsanleitung an, was man wie einstellt halt und fand, das sei intuitiv und das Papier könne weg.
Im Februar wollte ich dann zum ersten Mal den Wecker umstellen auf eine andere Zeit und scheiterte - es war aber auch schon 1 Uhr nachts und ich kam vom Karaoke mit der Frau Violinista und war auch nicht nüchtern, ich gab auf und stellte statt dessen den Handywecker, was ich eigentlich gar nicht leiden kann.
Heute fiel mir aber schon um 23 Uhr ein, dass ich den Wecker umstellen will und tadaaa! Ich habe nur knapp 30 Minuten gebraucht, um unter den drei Knöpfen und einem Schiebeschalter die richtige Kombination herauszufinden.
Für den Fall, dass ich es wieder vergesse:
Die Knöpfe + und - gleichzeitig drücken lässt die Weckuhrzeit blinken, dann kann man sie umstellen.
Den Knopf Set etwas länger drücken lässt der Reihe nach alles andere (Uhrzeit, Datum, anderes unnützes Zeug) blinken und man kann es nach Belieben ändern.
Der Gesangslehrer schreibt mir eine WhatsApp, dass seine neue Single morgen herauskommt. "Wo lädst du deine Musik, iTunes? Ich schick dir dann den passenden Link, falls du sie haben willst."
Ich bin völlig irritiert. Ich lade meine Musik überhaupt nirgendwo. Das letzte Mal habe ich um 2002 Musik gekauft, eine CD, die ich online irgendwo bestellt habe, das war damals fortschrittlich (glaube ich). Wenig später bekam ich einen mp3-Player (mittlerweile wohl auch schon wieder veraltet, aber das ist mir egal) geschenkt und da machen andere Menschen mir Musik drauf, entweder, indem ich ihnen das Gerät für ein paar Tage überlasse oder, indem sie mir einen USB-Stick geben. So wie Mixtapes nur digital. Ansonsten höre ich Radio oder Youtube.
Weiter unternehme ich in Bezug auf Musik überhaupt nichts. Ich interessiere mich - vom Hören und Singen abgesehen - gar nicht sonderlich für Musik, geschweige denn für ganze Alben oder gar Interpreten. Wenn ich Glück habe, weiß ich, wie ein Song heißt. Wenn ich viel Glück habe, von wem er ist. In absoluten Ausnahmefällen weiß ich auch mal, wie diese Person aussieht.
Der Gesangslehrer ist meiner Meinung nach aber nicht die passende Zielperson für diese Beichte. Also bluffe ich und antworte "alles außer iTunes". Denn - das weiß ich mit Sicherheit - iTunes ist das letzte Programm, das ich benutzen würde.
"Ich schicke dir morgen den Amazon-Link", antwortet der Gesangslehrer umgehend.
Ich werde also morgen zum ersten Mal seit 2002 oder so wieder Musik einkaufen.
Es sind merkwürdig entspannt-heitere Tage.
Morgens begrüßte uns ein Stromausfall im gesamten Innenstadtbereich und auch im Büro. Das kommt mal vor, nur haben wir - durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, von denen aber glücklicherweise kein einziger in meinem Verantwortungsbereich liegt - im Serverrraum nicht, wie normal, eine Notstromversorgung für 18 Stunden, sondern nur für 28 Minuten. Das reicht noch nicht einmal aus, um alles ordnungsgemäß herunterzufahren. Während wir noch mit der verantwortlichen Abteilung an der USA-Westküste konferierten, ob wir wenigstens teilweise ordnungsgemäß herunterfahren oder auf Glück hoffen und gar nichts machen, kam der Strom zurück. Also alles gut soweit. Und sogar noch besser: die Behebung des Problems, auf die ich, seit ich vor ein paar Tagen davon erfuhr, dränge, wird jetzt wohl zügig verlaufen.
Dann lernte ich in einem Hotel bei einem beruflichen Treffen die Leiterin der Eventabteilung kennen und sie war so rundum nett und sympathisch dass ich beinah einfach "wollen wir nicht Freundinnen werden?" gefragt hätte.
Und noch ein sehr freundlicher Taxifahrer auf dem Hinweg, der mir Hintergrundwissen zu Buchungen verriet. Und nach dem Termin im Hotel, als der Hoteldings (wie heißen die Leute, die draußen vor dem Eingangstehen und die Autotüren aufhalten?*) dann von der Straße ein Taxi heranwinkte war es wieder genau derselbe Fahrer wie auf dem Hinweg war. Unter rund 1700 Frankfurter Taxifahrern. Völlig verrückt.
Im Aufzug blieben wir kurz stecken - eine Nachwirkung des Stromausfalls -aber wirklich nur ganz kurz, dann ging es schon weiter.
Und zu Hause ein krankes Kind, aber nicht so krank, dass man sich Sorgen macht, nur krank genug für verwöhnende Gemütlichkeit und Füßchenkraulen auf der Couch.
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*Portier heißt das, wurde mir per Mail souffliert. Dankeschön.
Heute im Aufzug des Rapunzelturms, als ich von oben nach unten fahren wollte, kam im letzten Moment noch jemand angerannt, ich hielt die Tür auf, der hielt die Tür noch zwei weiteren auf und dann geschah es: ich dachte, jetzt ist es endgültig passiert und meine Aufzugsfreundlichkeit hat mir das Genick gebrochen. Die drei Personen, die einstiegen, waren nämlich die hässlichsten Menschen, die ich je gesehen habe.
Ich behaupte ja gerne, niemand ist wirklich hässlich, wenn man genau hinschaut. Möglicherweise muss ich das revidieren, jedenfalls hat 24 Stockwerke hinschauen heute Nachmittag nicht ausgereicht, um etwas Schönes zu entdecken. Wundern Sie sich nur. Ich weiß auch nicht, wie sowas geht. Jedenfalls erschreckte ich mich fürchterlich und bildete mir einen Moment lang ein, der Aufzug würde nicht ins Erdgeschoss fahren sondern direkt weiter runter in eine irgendwie geartete Hölle im Erdkern, der diese drei Gestalten wohl entsprungen sein mussten und in der sie mich wohl jetzt sehr bald, wenn die Aufzugsfahrt endet nämlich, auffressen würden.
Ich tat also, was ich in solchen Situationen immer tue, auch zum Beispiel wenn mich wer in der Bahn blöd anstarrt. Ich schloss die Augen. Als der Aufzug aufsetzte blinzelte ich vorsichtig. Doch nur Erdgeschoss.
Zu müde für alles, aber ein wohliges Müde, eins bei dem ich mich auf die Bettdecke und das Kopfkissen freue und gleich nach dem Hinlegen in einen weichen, ruhigen Schlaf sinken werde, unaufregend und maximal etas heiter träume und am nächsten Morgen kurz vor dem Wecker ausgeschlafen bin.
Da sitze ich den ganzen Tag an wechselnden Orten und lese, mache sonst so gut wie nichts anderes, aber es ist nicht genug, es reicht einfach nicht, ich möchte noch ein paar Tage - vielleicht drei oder vier - einfach nur weiterlesen.