Wir hatten mit Mademoiselle eine lange Krümelmonsterphase, sprich, einen Zeitraum, in dem sie fast ausschließlich mit einer kleinen Krümelmonsterfigur aus Hartplastik spielte, diese “tappi tappi” über alles Erreichbare machen ließ und die beim Essen mitaß und beim Schlafen mitschlief. Sesamstraße hat sie allerdings nie gesehen, nur ein paar Youtube-Clips. Krümel war wohl hauptsächlich deshalb so beliebt bei ihr weil er blau und griffig war. Und sehr klein - ständig haben wir ihn irgendwo gesucht. Und irgendwann hatte er keine Augen mehr, sie waren abgenuckelt - das Kind war auch noch sehr klein.
Danach folgte eine mehrjährige Urmel-Phase, die noch immer nicht vollständig abgeschlossen ist. Die Version der Augsburger Puppenkiste. Über bestimmt ein Jahr hinweg schaute Mademoiselle ausschließlich die vier Folgen mit den Marionettenpuppen und sonst gar nichts, sie kann sie noch heute alle auswendig. Die zwei Stoffurmels werden heiß und innig geliebt – es sind zwei, weil Urmel I im Kindergartensandkasten verloren ging und daher Urmel II angereist kam, um es zu vertreten. Im nächsten Sommer jedoch baggerte ein Kindergartenkind zufällig Urmel I wieder aus. Es verbrachte einige Zeit in der Waschmaschine, hat seitdem (wie Krümel) keine Augen mehr, ist aber genauso frech wie vorher und erzählt horrende Lügengeschichten aus seiner Zeit als Oberkönig unter dem Kindergartensandkasten. Urmel II ist hübscher, neuer, grüner aber hat nicht das Standing von Urmel I - eine Lektion für's Leben.
Ganz kurz gab es einen Ausflug in die Lillifee-Welt, der aber nach wenigen Wochen von Jim Knopf beendet wurde. Zum Glück. Denn Lillifee ist zwar nicht ganz so doof, wie viele Außenstehende meinen, aber doch schon ziemlich doof. Die Jim-Knopf-Phase ging einen Winter, den wir mit einem Springseil am Maindamm verbrachten – ich oben mit dem einen Ende des Seils, Mademoiselle in der Mitte mit dem anderen Ende, "Rette mich, Lukas, rette mich!" brüllend. Etwa zeitglich war Mademoiselle Bibi von Bibi Blocksberg / Bibi und Tina (wie perfide von den Machern, die kleine Hexe Bibi eines Tages auf einen Reiterhof verreisen zu lassen, darüber werde ich nie hinwegkommen!!). Aber zum Glück nie ortgleich, denn Bibi und Tina war (und ist) nur mit genau einer Freundin aktuell. Alle anderen mussten für einen Winter Jim Knopf spielen.
Der Frühling kam und damit SuperMario. Kein Weg mehr durch die Stadt, ohne auf Gullideckel zu springen und „pling!“ zu rufen oder Laternenpfähle hochzuklettern und „Bonuslevel“ zu krähen. Ich hatte die Rolle Luigis inne, der immer mal wieder „oh-oh…“ oder „oh noooo!“ quiekte.
Aber dann kam Harry Potter. Ich gebe zu: ein bisschen hatte ich Angst, dass die Harry-Potter-Angelegenheit nie abflaut. Zu umfangreich, zu vielschichtig, zu ausgearbeitet. Nichts wie Urmel, wo man, bei aller Zuneigung, einfach irgendwann durch ist. Mein gedanklicher Zeitrahmen war in etwa „bis zum Eintreten der Pubertät“. Jedoch oh höret die Entwicklung nach nur einem Jahr und einem halben: Im Hause Novemberregen featured jetzt Frodo Beutlin, formerly known as Hermine Granger. Wie gut, dass man den Hogwarts-Mantel und den Zauberstab problemlos in Elbenumhang und Schwert umfunktionieren kann! Drachen werden auch weiterhin benötigt. Die Wahrsagekugel von Professor Trewlaney ist nun Palantir, der Sehende Stein. Sämtliche gesammelte Devotionalien sind also weiterverwendbar. Und zwei deutliche Verbesserungen gibt es: während in Harry Potter bekanntlich ständig Festmahle stattfinden, kann ich aktuell das ungeliebte Schulbrot als Lemba verkaufen. Und wenn Mademoiselle keine Lust hat, weitere Wege zu Fuß zurückzulegen, raune ich ihr "Stell Dir vor wir gehen nach Mordor! Du bist Frodo, ich Sam. Die Leute hier sind alle Orks!" zu. Dann läuft sie wie ein Uhrwerk.
Heute vor zig Jahren:
Um 12 Uhr steht Marco bei mir vor der Tür und ich fahre mit ihm in die Stadt. Er schlägt vor, Rob zu besuchen, aber als ich zustimme, will er doch nicht mehr. Wir fahren dann mit der Bahn weiter und treffen einen Typen aus meiner Schule, der ein paar Klassen höher ist und immer mit Bomberjacke rumrennt. Marco kenn den irgendwoher. Auf der Rolltreppe pöbeln Marco und die Bomberjacke einen anderen Typen an, weil der angeblich seine Finger an der Bomberjacke abgewischt hat. Ich sage den beiden, die es ja noch nicht wissen, dass in Gegenwart von Pe und mir oder von Pe oder von mir keine Leute angegriffen werden, das ist Gesetz, wobei am besten überhaupt keine Leute angegriffen werden, auch nicht, wenn wir nicht da sind. In der Altstadt laufen wir Ah über den Weg. Ah trägt eine rote Jacke mit „Specials“-Aufnähern, die er von Jana geliehen hat, und sagt, er hat mit Glatze aufgehört und läuft jetzt ska-mäßig rum. Außerdem hat er ein blaues Auge weil sein Bruder ihn weggeschlagen hat und er war auch im Krankenhaus. Wir hängen dann vor einer Tanzschule ab, es ist ziemlich langweilig, lauter Tanzschulenleute kommen raus und alle prollen herum, ich sage, ich wollte mal aufs Klo gehen und fahre dann einfach nach Hause. Dort rufe ich Pe an und erzähle ihr die Neuigkeiten von Ah.