Ich war heute im richtigen Büro, es war völlig weird. Total sauber, nirgends Staub, die Fenster geputzt, überall Ablagefläche, kein Wäscheständer im Raum, alle Anwesenden waren wach, in aufrechter Position und vollständig bekleidet. Jemand anders hatte die Kaffeemaschine startklar gemacht, jemand anders nahm Post und Pakete entgegen, gegen Mittag kam jemand, desinfizierte meine Türklinke und wischte für mich unsichtbaren Schmutz auf dem Besuchertisch weg.
Zugegeben, es war nicht alles Gold. Mein Computer hatte sämtliche Personalisierungen vergessen und ich vergessen, wo ich sie abgespeichert hatte, in meiner Abwesenheit waren 16 Umzugskartons mit zu sichtendem Material aus dem Archiv gekommen und ich selbst habe 2 Monate Ablagematerial von zu Hause mitgebracht.
Ansonsten: puh. Ich habe heute mit 8 verschiedenen Menschen gesprochen und sie dabei richtig, also nicht auf dem Bildschirm, gesehen. Das war ganz unerwartet anstrengend, so ungefiltert, ein richtiger Mensch im Raum mit all seinen Bewegungen, Geräuschen und Gerüchen. Ich hätte nicht gedacht, das schon nach nur 2 Monaten so massiv zu spüren.
Am 29. Januar bin ich beim Friseur. Ein Kunde kommt herein und niest - "es ist aber nicht dieses Corona!" sagt er und alle lachen. Corona ist was recht Neues, ich verfolge die Zahlen in China seit ein paar Tagen, auch aus beruflichen Gründen, aber ansonsten ist das Thema in meinem Alltag noch nicht angekommen.
Am 30. Januar verabreden wir einen Karaoke-Termin für den 21.3. unter Twitterern aus drei Bundesländern.
In den nächsten Wochen stelle ich eine neue Mitarbeiterin ein, habe ein internes Audit, spiele Ukulele und korrespondiere mit Prinz Hamdan und dann haben wir ja auch noch den Sturm Sabine, der dann doch keiner war und ich gebe ein (sehr kleines) Gesangskonzert.
Am 23. Februar bin ich in Düsseldorf beim Karneval, der Umzug wird wegen Sturm abgesagt, Corona ist eher kein Thema. Ich habe meine Eltern seitdem nicht mehr gesehen. Am selben Wochenende verreist mein technischer Support im Büro über den Atlantik.
Am 26. Februar ist Fragmente zum Bloggen bei mir zu Hause, wir sind vorher noch einkaufen und an diesem Tag ist es mir bis dato zum letzten Mal gelungen, die von mir präferierte Toilettenpapiersorte zu kaufen.
Am 27. Februar nimmt das Thema Corona bei mir im Büro weiter an Fahrt auf. Ich lasse die Vorräte an Desinfektionsmitteln überprüfen.
Am 28. Februar sage ich morgens meine Teilnahme am Chorkonzert am 15.3. ab - ich habe nämlich seit 19.1. wegen einer Erkältung keine Stimme und nun auch voraussichtlich in den nächsten Wochen wegen ständiger nächtlicher Pandemiediskussionen, Überbeitung der Vogel- und Schweinegrippepläne und allgemein unübersichtlicher Situation keine Zeit zum Üben. Ich bin aber zuversichtlich, dass ich in der Ostermesse mitsingen kann und mache beim Konzert dann halt den Kartenverkauf.
Am Abend fahre ich Mademoiselle zum Sport und ich will während ihres Trainings "kurz was einkaufen" - dieser Plan scheitert, denn an diesem Abend finden die ersten Hamsterkäufe hier in der Gegend statt.
Am 2. März wären wir zum Büro-Karaoke verabredet gewesen, sagen es aber ab, weil einige TeilnehmerInnen krank sind und die anderen kein so richtig gutes Gefühl dabeihaben. Sowieso habe ich auch immer noch keine Stimme.
Am 5. März beraten wir wegen einer Reise nach München Ende März. Soll sie stattfinden oder nicht? Ich teile mit, dass ich tiefenentspannt bin und fest vorhabe, die Reise anzutreten.
Am Nachmittag desselben Tages überlegen wir, ob eine Mitarbeiterin, die gerade in Südtirol im Urlaub ist, nach dem Wochenende wieder ins Büro kommen darf, denn von dort werden gerade erste Infektionsfälle gemeldet. Wir entscheiden, dass ja.
Vom 6.-7. März bin ich auf einem Seminar in NRW. Ich fahre Zug (und habe noch immer kaum Stimme). Am Vorabend erscheint mir die Situation etwas unklar, ich frage daher Freundin C., ob sie mich im allergrößten Notfall - also falls der Zugverkehr eingestellt wird und ich keinen Mietwagen bekomme und auch sonst keine Lösung finde - dort abholen würde. Nicht am selben Tag, aber auch nicht erst in einem halben Jahr. Das würde sie. Ich packe 1x Unterwäsche zusätzlich ein und bin mir sehr unsicher, ob ich total vernünftig bin oder lächerlich überreagiere.
Am Vormittag wird Südtirol zum Risikogebiet erklärt. Ich rufe noch aus dem Zug die Mitarbeiterin dort an und sage ihr, dass sie die nächsten zwei Wochen doch nicht ins Büro kommen kann.
Während des Seminars werden wir angehalten uns häufig die Hände zu waschen und zu desinfizieren und nach Hause zu fahren, falls wir uns krank fühlen. Am zweiten Seminartag wird ein Teil von NRW vom RKI zum Risikogebiet erklärt - ich bin aber in einem anderen Teil.
Corona ist nun das neue Smalltalk-Thema, sowohl im Rahmen des Seminars als auch im Restaurant und im Zug.
Am 10. März beraten wir über den Twitter-Karaoketermin, kommen aber zu dem Entschluss dass das (ist ja nur mit 4 Personen) schon noch geht. Außerdem frage ich nach, ob das Chorkonzert tatsächlich stattfinden soll? Es soll. Ich fühle mich dabei nicht wohl, habe aber den Kartenverkauf nun einmal versprochen. Erwäge allen KäuferInnen "Flieht, Ihr Narren!" zuzurufen.
Am 11. März wird das Elsass vom RKI zum Risikogebiet erklärt. Eine Mitarbeiterin ist dort gerade bei ihrer Familie. Ich rufe sie an und teile ihr mit, dass sie nach Rückkehr noch zwei Wochen zu Hause bleiben muss.
Abends bin ich mit einer Freundin zum Essen verabredet. Wir sind die einzigen im Lokal und es fühlt sich sehr komisch an. Wir überlegen beim Abschied, ob wir uns umarmen und entscheiden, dass ja. Das war die letzte Verabredung für mehrere Wochen und die letzte mit Körperkontakt bis heute.
Am 12. März spreche ich morgens mit meinen Eltern darüber, dass sie besser die nächsten Wochen zu Hause bleiben und wie wir das organisieren können.
Später am Tag habe ich eine Sitzung mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit. Es ist ein Thema geplant, das mir unbequem ist, ich habe daher die Idee, um Aufschiebung dieses Themas und statt dessen Beratung in Bezug auf den Infektionsschutz zu bitten. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt halten das Infektionsschutz aber für komplett überbewertet, unsere Maßnahmen seien sowieso schon weit über dem Notwendigen und nach 5 Minuten drängen sie auf das mir unbequeme Thema. Die beiden sind die ersten, denen ich nicht mehr die Hand gebe, mir kommt der Infektionsschutz hier gerade sehr gelegen. Meine Kollegen schütteln die Hände noch.
Am Mittag wird das Chorkonzert abgesagt, ich bin erleichtert. Die Ostermesse und alles drum herum entfällt damit auch.
Auch am 12.3. beschließen Frau Fragmente und ich, die Blogtermine ab jetzt virtuell stattfinden zu lassen. Und auch am 12.3. sage ich die München-Reise ab und verkünde im selben Kreis, dass ich Home Office bei uns definitiv nicht sehe.
Am 13. März wird Mademoiselles Schule (und auch alle übrigen Schulen in Hessen) geschlossen. Am selben Nachmittag schicke ich eine Kollegin, die nun ein Kinderbetreuungsproblem hat, als Versuchskaninchen ins Home Office.
Ich frage an diesem Abend auf Twitter "Und, was habt ihr heute so gemacht?" Aus einer Laune heraus, weil ich mal was anderes lesen möchte als Corona-Aufregung. Aus diversen (und wechselnden) Gründen stelle ich die Frage bis heute täglich.
Am 14. März sage ich den Twitter-Karaoke-Termin ab.
Das ganze Wochenende über bin ich damit beschäftigt, MitarbeiterInnen und/oder ihre Familienangehörigen aus anderen Ländern zurückzuholen, denn teilweise wird der Flugverkehr eingestellt, teilweise werden Grenzen geschlossen, teilweise herrscht einfach Chaos. Der technische Support meines Büros hängt auf der anderen Seite des Atlantiks fest.
Vom 17.-19. März lasse ich das Büro räumen. Das sind rund 60 Personen, von denen rund 40 noch nie von außerhalb des Büros gearbeitet haben und auch keine Firmenlaptops oder Firmenhandys haben - natürlich haben wir auch keine 40 Geräte einfach mal so irgendwo im Lager. Ich lasse alle Beziehungen spielen, die ich in den letzten Jahren aufgebaut habe, fordere alle Gefälligkeiten ein und frage nicht mehr nach Genehmigungen.
Am 18. März fühle ich mich zum allerersten Mal in meinem Leben beruflich komplett überfordert. Abends hält Bundeskanzlerin Merkel eine Fernsehansprache: die Maßnahmen gehen nicht so weit, wie wir befürchtet hatten, wir werden das Bürogebäude weiter ohne Einschränkungen betreten können. Das nimmt etwas Druck aus unserer Räumung, denn: was wir vergessen können wir ja später noch holen.
Am 19. März sind alle zu Hause und bis auf drei Personen - von denen zwei im Urlaub sind - von dort aus arbeitsfähig.
Das Osterfest mit meinen Eltern sage ich ab.
Vom 17. März bis 4. April arbeite ich eigentlich komplett durch. Irgendwann Ende März befindet sich auch der technische Support wieder auf dem selben Kontinent wie das Büro. Konkrete Erinnerungen habe ich an diesen Zeitraum nicht; wenn ich nicht arbeite, schlafe ich. Manchmal schlafe ich im Auto ein, wenn ich Mademoiselle abends irgendwo abhole in den wenigen Minuten zwischen meiner Nachricht "ich bin da" und bis sie dann zum Parkplatz kommt. Manchmal denke ich auch, ich schaffe es nur noch bis zu Haus, nicht mehr bis in die Wohnung und möchte mich auf die Straße legen und schlafen. Dann beschließe ich, dass das so nicht geht und arbeite ab da nur noch etwa 12 Stunden am Tag. Alle MitarbeiterInnen sind jetzt von zu Hause arbeitsfähig und in irgendeiner Weise an das Firmennetz angebunden. Ich sage alle Veranstaltungen bis Sommer ab, die Schule sagt alle Fahrten für das Schulhalbjahr ab.
Am 8. April lasse ich mir von Mademoiselle die Haare schneiden. Wird gut!
Vom 10. April bis 19. April habe ich Urlaub und freue mich sehr darauf, ich habe eine Million Pläne, die ich zu Hause umsetzen möchte. Vom 10.-16.4 habe ich Migräne, am 16.4. endete mein Urlaub ungeplant sehr abrupt und ich arbeitete ab da wieder durch. Immerhin treffe ich am 17.4. zum ersten Mal wieder eine Freundin, zu einem Spaziergang, mein Hauptthema dabei wohl die Jammerei über die lästige Maske, die ich an diesem Tag zum ersten Mal trage. Ansonsten erinnere ich diesen Zeitraum auch nur sehr verschwommen.
Ab dem 27. April beschränkt sich der Job dann endlich auf die üblichen 8 Stunden am Tag. Sofort werde ich ungeduldig mit jammerigen und unlogischen Personen und die ganze Coronasache geht mir unglaublich auf die Nerven. Dafür entwickele ich eine gewisse Routine, backe viel, sortiere viel zu Hause aus und reduziere den Stapel des Grauens.
Ab dem 6. Mai planen wir die stufenweise Rückkehr ins Büro, erfragen Präferenzen, treffen Vorbereitungen, kommunizieren Maßnahmen.
Am 7. Mai gehe ich zum Friseur (vor Friseur keine Rückkehr ins Büro, das hatte ich dem nOC als Fakt mitgeteilt) und danach ins Büro, um einige Dinge dort abzustellen und einige andere mitzunehmen. Ich bin beeindruckt, wie gut die Personen dort schon mit Abstand und Masken umgehen können; ich selbst kann das noch nicht so gut und vergesse die Maske mehrfach auf dem Weg zum Aufzug. Ich beschließe, dass ich öfter rausgehen muss, um das einzuüben.
Um den 11. Mai herum werden die Details zur "Schulöffnung" ab dem 18.5. bekannt. Die meisten Schulen, auch die von Mademoiselle, bieten eher halbtags Unterricht an und auch das nur manchmal. Mademoiselle wird bis zum Beginn der Sommerferien im Juli noch an 7 Tagen Schule haben und dann für jeweils drei Schulstunden. Für uns ganz persönlich ist das lediglich amüsant; beruflich wird auch das noch ein Thema sein das mich länger beschäftigt, denn ich habe einige MitarbeiterInnen mit Kindern, die noch nicht den ganzen Tag allein bleiben können.
Am 15. Mai packe ich abends ich das Home Office zusammen, um ab Montag ins Büro zurückzukehren.
Heute 17. Mai, kann ich berichten, dass ich mich an die Maske gewöhnt habe. Stört mich nicht mehr. Gestern nach dem Einkaufen vergaß ich sogar, sie abzulegen.
Wie sehe ich die Situation gerade, was sehe ich für die nächsten Wochen, was plane ich?
Ich finde die Rückkehr in die Schule für 7 Tage mit jeweils 3 Stunden komplett unnötig.
Die Rückkehr ins Büro habe ich mitentschieden und halte sie aktuell für unbedenklich. Wir haben kein Großraumbüro sondern einzelne Räume mit der Möglichkeit, Fenster zu öffnen. Etwa 1/3 aller MitarbeiterInnen kann zu Fuß oder mit dem Rad ins Büro kommen, bei einem weiteren großen Teil können die Arbeitszeiten flexibel gehandhabt werden, so dass sie volle Bahnen hoffentlich vermeiden können. An sehr wenigen Stellen geht das nicht, da müssen wir überlegen (aber da sind wir noch nicht, im ersten Schritt kommen nur die zurück, die das selbst möchten).
Die fehlende Kinderbetreuung wird ein Problem sein, eine pauschale Lösung wird es, denke ich, in diesem Jahr nicht mehr geben. Wir werden das individuell regeln müssen, das wird noch schwierig.
Ich hoffe und glaube, wir werden gut über den Sommer kommen und dann im Herbst vermutlich nochmal alle nach Hause schicken. Deshalb möchte ich mich in den nächsten Wochen mit allen in Ruhe besprechen. Ich möchte wissen, was aus ihrer Sicht gut lief, was nicht, was sollte anders sein, was hätten wir besser machen können, wo hat es gehakt, wo habe ich zu wenig hingeschaut, was habe ich schlicht übersehen. Es war keine Zeit, viel zu denken oder zu fragen zwischen dem 17.3. und dem 27.4. Das ist okay so, wir haben in der Zeit etwas bewerkstelligt, was noch eine Woche zuvor niemand für möglich hielt. Aber jetzt ist Zeit zum Fragen und zum Reflektieren und das möchte ich nutzen, um bei einer zweiten Welle noch stabiler zu stehen.
Was ich persönlich anders machen würde: schwer zu sagen. Ich kann mir keine Maßnahme vorstellen, durch die es unnötig geworden wäre, die Wochen ab Mitte März bis Ende April einfach durchzuziehen. Alles, was ich gemacht habe, musste gemacht werden und war nicht aufschiebbar und nicht delegierbar.
Nach dem 27.4. hätte ich schneller eine gesündere Routine finden sollen, da saß ich dann nach der Arbeit nur noch atemlos herum, statt regelmäßig Spaziergänge zu machen, Bücher zu lesen, Kontakt zu Freunden aufzunehmen. Das würde ich beim nächsten Mal besser planen, denn ohne Planung komme ich aus so einer starrend-herumsitz-Situation nicht gut heraus.
Vielleicht noch ein Nachsatz: was hat geholfen in dieser Zeit? Hauptsächlich, glaube ich, flexibel zu bleiben, einfach in der Situation zu schwimmen. Sich nicht zu versteifen, sondern auch immer wieder umzuentscheiden, wenn die Parameter sich eben geändert haben.
Es hat definitiv auch geholfen, ein Netzwerk aufgebaut zu haben, ohne wäre das alles nicht möglich gewesen. Und eine gewisse Integrität, die bewirkt, eben nicht alles erklären und begründen zu müssen sondern zu sagen "wir brauchen das und zwar jetzt sofort, warum kann ich gerne in einem ruhigen Moment erklären, aber der ist nicht jetzt."
Immerhin, ein Stück Normalität ist in die Welt zurückgekehrt. Ich werde jetzt wieder im Supermarkt und auf der Straße von Menschen angesprochen - erst war man ja im Wesentlichen nicht draußen, dann tat man, als wäre allein der Anblick eines anderen Menschen potentiell tödlich und danach musste man erstmal ausprobieren, ob und wie man mit einer Maske überhaupt sprechen kann.
Diese Phasen scheinen überwunden. Ich durfte heute mit einer anderen Kundin diskutieren, ob Sauerrahm gleich saure Sahne oder gleich Schmand ist und wie dann Sour Cream ins Spiel kommt und später auf dem Parkplatz Fußspuren auf einem anderen Fahrzeug mit auswerten. Ich hätte gesagt "Katze", der Fahrer meinte aber "Marder", ich weiß gar nicht, was Marter für Fußspuren hinterlassen, das muss ich gleich erstmal googeln.
Erstaunlicherweise habe ich diese Gespräche vermisst
Unglaublich, ich habe die Steuererklärung 2019 fertig aber komme nicht weiter, weil mir noch Unterlagen fehlen, die von anderen kommen müssen. Von der Hausverwaltung zum Beispiel. Ich werde da mal nachhaken. Und dann, wenn dieser Brocken weg ist, hab ich nur noch ein größeres Task im Stapel des Grauens und danach kann ich anfangen, bei allem möglichen nachzuhaken. Und bei noch mehr, was mir alles so einfällt. Das wird lustig!
Heute bin ich gleich mehrfach in Situationen geraten, in denen mir ein Problem geschildert wurde und ich ein paar Lösungsvorschläge darreichte und das war jedes Mal ganz falsch, denn es war gar keine Lösung erwünscht. Es war Jammern und empathisches Zuhören erwünscht.
Nun denke ich mir: meine Güte, langsam müssten mich alle gut genug kennen, um zu wissen, dass ich dafür nicht die richtige Ansprechpartnerin bin! Allerdings denke ich mir auch: meine Güte, langsam müsste ich diese Situationen doch rechtzeitig erkennen!
Frau Fragmente sitzt an ihrem Schreibtisch und bloggt, ich sitze an meinem Schreibtisch und blogge über Frau Fragmente. Wir sind wieder in ihrem Schlafzimmer, darüber habe ich beim letzten Mal bereits berichtet. Heute steht die Kamera aber andersherum, ich sehe eine Ecke von einem Bild, das glaub ich eine Wüste abbildet, ich sehe eine Lampe und dahinter eine Art Plastikbehälter, vielleicht Wäschekorb aber vielleicht auch tragbare Kühltruhe und vorhin sah ich ein Whiteboard.
Ja, Frau Fragmente hat ein Whiteboard in ihrem Schlafzimmer. Darauf ist eine Liste der Dinge, die sie tun möchte, unter anderem ist ein Listenpunkt, dass sie eine Liste machen möchte, was sie putzen möchte. Ich frage mich, ob es irgendwo noch eine Liste gibt mit den Dingen, die sie auf das Whiteboard schreiben möchte aber ich traue mich nicht zu fragen. Auf dem Whiteboard steht jedenfalls auch "how to be more fun". Ich denke mir das nicht aus.
Jetzt steht Frau Fragmente gerade auf und die Wäschekorbkühltruhe ist möglicherweise auch nur eine Art Kissen? Danaben jedenfalls ein Korbsessel, sieht gemütlich aus und nun hat sie eine Lichterkette eingeschaltet und "Stimmuuung!" gerufen. Neben ihr steht ein neues Musikinstrument, das sie seit heute besitzt. Habe vergessen, wie es heißt, es ist ein Resonanzkörper mit Schallloch und darauf befestigt sind Metallstäbe, die man mit dem Finger bedienen kann. Ab und an erzeugt Frau Fragmente damit einen Ton. Ich konnte noch keine Regelmäßigkeit herausfinden, außer, dass sie darauf klimperte, als ich noch kurz in die Küche musste, den Hefezopf in den Ofen schieben. Vorher musste ich noch kurz meiner Mutter erklären, wie sie den NDR Podcastmit Herrn Drosten hören kann und wie sie in der WDR Mediathek eine Sendung findet, auch da spielte Frau Fragmente auf dem Instrument, aber ich hatte sie stummgeschaltet.
Meine Planung war heute für unseren Termin nicht ganz optimal. Das lag daran, dass ich bis etwa 3 Minuten vorher nicht wusste, dass es einen Termin gab. Denn eigentlich wäre Frau Fragmente jetzt auf einer Expeditionsreise. Aufgrundderaktuellensituation ist sie dort nicht, sondern mit mir hier am Computer, ich sagte, das sei ja auch ein [längere Denkpause] Ersatz, daraufhin schwiegen wir bis Frau Fragmente sagte "dann fangen wir mal an".
Frau Fragmente hat auch schon wieder ein Thema. Meint: sie hatte schon, bevor sie anfing, zu schreiben, ein Thema. Es gehört aber zu unsere Routine, dass ich nicht frage, um welches es sich handelt und ich bin sehr häufig später, wenn ich ihren Text sehe, überrascht, dass wir ganz ähnliche Themen angeschnitten haben.
Ok, sie spielt auf dem Instrument, wenn ich mich kurz vom Platz entferne. Ob es eine Art Selbstberuhigung ist oder eine Art Diss kann ich noch nicht einschätzen, vielleicht erfahren wir darüber in den nächsten Wochen mehr.
Gerade sprachen wir noch kurz über Home Office. Für mich hat sich in den letzten Wochen herausgestellt, dass ich kein Home-Office-Typ bin. Mir geht daran so gut wie alles auf die Nerven, die ganzen kleinen Störungen, nicht nur durch andere (Müllabfuhr, Post etc.) zu Hause sondern auch die selbst zugefügten (wenn man die Waschmaschine angestellt hat und die dann fertig ist etc.), gleichzeitig will ich raus gehen und einen richtigen Arbeitsplatz haben, der sich nicht bei mir zu Hause in einem Zimmer befindet, das an sich überhaupt nicht für die Arbeit vorgesehen ist und das - obwohl es jetzt zum Arbeitszimmer umgewidmet wurde - immer noch eine schlechtere Infrastruktur aufweist als ein Büro. Frau Fragmente hingegen bezeichnet sich also totalen Home Office Typ, kurz überlegt sie, ob es daran liegt, dass sie ja allein zu Hause ist. Aber das tut es ganz sicher nicht, ich wäre allein zu Hause noch viel weniger Home Office Typ als sowieso schon, ich müsste dann den ganzen Tag die Wohnungstür auflassen und hoffen, dass irgenwelche Leute von draußen reinlatschen, mit denen man mal sprechen kann.
Was in diesem Zusammenhang lustig ist: ich hielt mich lange Zeit für einen eher introvertierten Menschen, der gut auf Gesellschaft verzichten kann. Mir ist erst vor ein paar Jahren klar geworden, dass das absoluter Unsinn ist, ich komme zwar allein gut zurecht und langweile mich so gut wie nie, aber ich ziehe Energie aus den Begegnungen mit anderen Menschen, aus dem Draußen, aus dem Input. Wenn ich zu lange im eigenen Saft sitze, keine Reibung habe, keinen Abgleich, keine Sozialkontrolle durch andere, kein äußeres Gerüst, muss ich enorm viel Energie aufwenden, um mich selbst zu regulieren. Es geht, aber auf Dauer laugt mich das peu à peu aus. Und deshalb gehe ich ab Montag wieder ins Büro.
Ein Tag wie kalter Stahl, viel zu wenig geschlafen (4 Stunden?), komplett verspannt aufgewacht, alles Muskeln kalt und hart und dann den Vormittag in einer Wohnung mit aufgerissenen Fenstern neben der offenen Balkontür am Schreibtisch verbracht denn: die Putzfrau war da.
Wir erzählten bei ihrer Zigarettenpause auf dem Balkon, sie hat zwei Kinder, eins ist gerade in der Vorklasse (zum Deutsch lernen vor der 1. Klasse) und es sieht so aus, als ob der Schuleinstieg nicht klappen wird, weil nun einfach ein halbes Jahr Spracherwerb fehlt. Die Mutter spricht nur wenig Deutsch, versucht im Moment, vorzulesen, in dem sie die Sätze aus dem Kinderbuch bei Google Translate eintippt und vorlesen lässt und sie sprechen sie dann gemeinsam nach. Hatte kurz den Impuls, mich als Vorlesetante anzubieten, das geht ja auch per Videochat, aber nur in der Theorie, praktisch geht bei mir nichts zusätzliches mehr und ich vermute, nicht nur kurzfristig nicht. Immerhin kann ich kurz drauf der Kollegin, die bis mindestens nach den Sommerferien nicht ins Büro kommen können wird (weil: wohin mit den Kindern?) die Sorge um ihren Arbeitsplatz nehmen.
Zwischendurch hielt ich kurz zwei Vodafone-Techniker in meinem Keller gefangen, das war ein spaßiger Moment.
Nach Verabschiedung der Putzfrau schloss ich alle Fenster und Türen aber warm wurde mir nicht mehr. Kennen sie das, wenn die Finger so kalt sind, dass sie schmerzen, wenn man mit ihnen etwas berührt oder gegen etwas stößt? Sagen Sie nichts von Heizung, es waren gut 23 Grad in der Wohnung und auch die Sitzheizung im Auto konnte nichts ausrichten. Die Kälte kam durch Schlafmangel und allgemeines "durch" sein.
Arbeit lief nur mittel, zwar alles erledigt aber nichts davon mit Esprit, dazu zu müde, zu kalt, zu viele Unterbrechungen, kein Flow. Die Arbeit war, sozusagen, Arbeit. Selbes galt für die weitere Bearbeitung des Stapels des Grauens. Zäh.
Immerhin aus den Kühlschrankresten ein vorzügliches Essen gemacht.
Das war eine Nacht mit sehr wenig Schlaf und ihr folgte ein Tag mit sehr viel Handlung. Jetzt aktuell werden von M in der Küche drei verschiedene Sorte Gebäck produziert, es sieht nicht danach aus, als wäre diese Aktion vor 2 Uhr nachts abgeschlossen. Dafür hat eben die Schule angekündigt, dass es bis zu den Sommerferien auf jeden Fall noch 7 Tage mit Unterricht (à 3 Stunden pro Tag) geben wird und damit die Anforderungen des Kultusministeriums vollumfänglich erfüllt sind - verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin in Bezug auf Schule relativ leidenschaftslos aber mich würde schon interessieren, wo diese magische Zahl von "7 Unterrichtstagen" herkommt. Warum 7, warum nicht 6 oder 8? Hat das irgendwas mit den Tagen zu tun, die schon stattfanden, muss man eine einfache Mehrheit an Tagen im Halbjahr erreichen oder so etwas? Ich möchte das recherchieren, aber nicht mehr heute. Falls sie es wissen, verraten Sie es mir gern!
Und ich sorge mich ein wenig um das geistige Wohl der Kollegin, die mir am Freitag voller Freude verkündete, dass die Schule wieder beginnt und sie dann auf jeden Fall, während die Kinder weg sind, selbst wenn die Zeiten etwas verkürzt sind, ins Büro kommen will, weil es zu Hause mit der Brut absolut unerträglich sei und sie raus, raus, raus will. Ich glaube, die hatte nicht 7 Tage à drei Stunden bis zum Sommer im Kopf. Nunja.
Wie Sie wissen, bin ich eine begeisterte und routinierte Aussortiererin, aber genau als solche weiß ich auch: manches braucht Abstand durch Zeit.
So hatte ich noch einen ganzen Schrank von mit Kunstwerken (Gemälde und Gebasteltes) von Mademosielle, entstanden in den Lebensjahren 1-10. Und mir war schon seit ungefähr Lebensjahr 3 klar, dass ich nicht alles aus diesem Schrank für immer brauchen würde, aber wie viel Darstellungen von Kopffüsslern ich genau benötige und auf welche Weise eine Auswahl zwischen den vorhandenen Exemplaren zu treffen sei, konnte ich nicht entscheiden. Also ließ ich alles ein paar Jahre reifen.
Heute war es dann so weit. Ich sichtete - in mehreren Etappen - schätzungsweise gestapelt 1,50 Meter Material. Davon übrig blieb etwa so viel, wie locker in einen (etwas breiteren) Schuhkarton passt. Und es war ganz einfach zu entscheiden.
Zwei Umzugskartons an Zeug haben meine Wohnung heute verschenkt verlassen, darunter mehrere Brettspiele, eine Digitalkamera, ein Basketball, viel Bastelzeug, DVDs, Fotoalben (leer natürlich), kleine technische Geräte, Kosmetik etc. Ich wollte es eigentlich am frühen Nachmittag nur kurz online stellen und hatte dabei vergessen wie schnell das alles geht - noch bevor alles online war, hatte ich schon über 20 Nachrichten, also setzte ich gleich alles wieder offline und war dann den Rest des Nachmittags mit der Verteilung beschäftigt.
Nunja. Jetzt ist das alles weg, eine ganze Ecke in der Wohnung ist nun frei und viele andere haben hoffentlich eine schöne zeit damit.