Autofahren. Wie absurd das doch eigentlich ist, in so einem Metallkästchen zu sitzen und diese Maschine zu bedienen, mehrere Stunden lang, immer vorn herauszuschauen, am Rad ein bisschen nach links und ein bisschen nach rechts zu drehen, mit den Füßen zwischen drei Pedalen abzuwechseln und ab und an ein Hebelchen anzutippen. Unglaublich. So absurd, dass ich mir währenddessen gar nicht mehr vorstellen kann, das wirklich zu tun, das muss doch ein abgefahrener Traum sein, das kann nur erfunden sein, hihihi, fährt das überhaupt wirklich oder läuft da Landschaft auf einer Projektionsfläche an mir vorbei? Mir ist danach, die Augen zu schließen und etwas anderes zu träumen.
Ich bin vielleicht doch eher so der Bahnfahrtyp.
Heute vor zig Jahren:
Wir haben lange geschlafen. Um 12:50 fuhren wir zum Friseur und danach in ein vietnamesisches Restaurant. Da gibt es eine total leckere Gemüseplatte mit Pilzen, die ist total lecker und mit Stäbchen essen ist auch genial. Abends fuhren wir in eine Nachbarstadt aber da gefiel es uns nicht, so dass wir sofort wieder zurückfuhren. Um 1 Uhr geschlafen.
Weihnachtsplätzchenbacken bei Familie N. Höchste Besinnlichkeit:
Frau N: "Pass auf, wir geben dem Kind einen eigenen Teig, damit macht es, was es will und wie es will und Oma macht da mit. Schwester N. und ich machen die richtigen Plätzchen."
Papa N: "Dass hier aber auch was geschafft wird!"
Mama N: "Ich mach uns Musik an."
Alle: "Neiiiiiin!!!"
Mama N: "Doch, ein bisschen Weihnachtsmusik. Hier wird ja nicht gesungen."
Frau N: "Wir singen gleich sofort, wenn hier alles geklärt ist. Papa, willst du mir den Teig ausrollen?"
Papa N: "Fängt hier jetzt mal wer an zu arbeiten?"
Schwester N: "Ich mach die Butterplätzchen."
Papa N: "Wie viele machen wir mit Schokolade?"
Schwester N: "Gar keine, wir mögen die alle lieber ohne."
Papa N: "Eure Schwester auch?"
Schwester N: "Keine Schokolade."
Frau N: "Papa, willst du mir den Teig ausrollen?"
Mario Lanza, crescendo: "Siiiiiiileeeent Niiiiiiight!"
Alle: "Mama!!!!"
Mama N: "Hier sing ja keiner! Wollt ihr lieber die Toten Hosen hören?"
Alle: "Nein!!!"
Papa N, zu Frau N: "He, was machst Du mit dem Teig!"
Frau N: "Ausrollen?!"
Papa N: "Gib her, ich kann das besser."
Schwester N: "Wieso steht hier Schokolade?"
Papa N: "Für die Butterplätzchen."
Schwester N: "Wir wollen die doch ohne Schokolade"
Papa N: "Andere Leute wollen die mit Schokolade."
Schwestesr N: "Backen wir für andere Leute?"
Papa N: "Sei ruhig!"
Mama N: "Früher wurde hier immer gesungen!"
Schwester N. und Frau N, zweistimmig: "Engel auf dehen Feeeeldern siiingen..."
Mario Lanza, getragen: "Awaaaaaay in aaaa maaanger..."
Schwester N. und Frau N, hysterisch: "Gloooohohohohohooooohohohohohoooohohohohooooria IN EXCELSIS DEEEEOOOO"
Papa N: "HÖRNER UND SCHWÄNZE IMMER IN DIE MITTE!"
Frau N: "Was??"
Papa N, auf ein Einhorn deutend: "Dieser Fisselskram, was ist das überhaupt? Macht doch Ponys! Das Horn verbrennt eh und fällt dann ab."
Frau N: "Vielleicht auch nicht."
Papa N: "Du musst die Hörner zwischen die Füße legen. Die Schwänze auch. Sonst werden die dunkler als der Rest."
Frau N: "Kommt doch eh Guss drauf."
Papa N: *kaut auf seinem Gebiss*
Schwester N, zu Frau N: "Hilf doch der Oma mal, die Buchstaben richtig in die Schiene zu kriegen. Die müssen rückwärts und spiegelverkehrt."
Frau N: *macht Zettel mit FROHE WEIHNACHTEN, holt Spiegel, schiebt beides über den Tisch*
Schwester N: "Du sollst helfen, nicht erziehen.
Mario Lanza: "Aaaaaaaaaave Mariihiiiia..."
Frau N, sopranös: "Beeeeneeeediihihicta tu..."
Mama N: "Ruhig!"
Schwester N: "Jetzt hast du schon zum dritten Mal heimlich Mario Lanza angemacht, das ist wirklich schlimm!"
Mama N: "Aber ich liebe den doch!"
Papa N: "Ruhig!"
Frau N: "Was ist das denn, wer hat denn die ganzen Hörner von den Einhörnern abgeschnitten?"
Papa N: "Die sind beim Backen abgefallen."
Frau N: "Die sind noch ROH!!" *rollt Teig neu aus*
Papa N: "Lass das, ich kann das besser."
Schwester N: "Wer hat denn die Butterplätzchen mit Schokolade überzogen!?"
Mario Lanza, laut: "Hark! The herald angels sing!"
Schwester N. und Frau N., Mario Lanza übertönend: "Joyful, all ye nations rise, join the triumph of the skies!"
Papa N: "Hier sind schon wieder die Hörner nicht zwischen den Schwänzen! Leute, die das nicht können, sollten nur runde Kekse backen!"
Schwester N: "Wieso steht hier "WEIHNACHTEN FROHE" auf den Plätzchen?"
Mama N: "Wir können auch was Rockiges hören."
Frau N: *rollt Teig aus*
Papa N, zu Frau N: "Du kannst den Teig schon ganz gut ausrollen. Woher kannst Du das?"
Frau N: "Weil ich sonst in meinem Leben noch kein einziges Plätzchen ausgestochen hätte - du vergisst mich immer beim Teig verteilen."
Mama N: "Ach du armes Kind."
Papa N: "Ich habe dich gut erzogen. Deine Schwestern können mit Mitte 40 noch keinen Teig vernünftig ausrollen."
Frau N: "Und deshalb darf ich auch Einhörner backen?"
Papa N, mit Blick auf den Ofen: "Die Hörner verbrennen gerade."
Frau N: "Hol sie raus!!!"
Papa N: "Zurück, du rettest den Freund nicht mehr!"
Mario Lanza und Mama N., beschwingt: "Pa rum pum pum pum!"
Frau N: *glasiert die verbrannten Einhornhörner weiß*
Papa N: "Habt ihr überhaupt Dosen mitgebracht?"
Schwester N. und Frau N: "Klar."
Papa N: "Ihr habt ja jedes Jahr keine Dosen dabei."
Mama N: "Ich hole Euch Dosen, Kinder, wir haben doch Dosen für euch."
Schwester N. und Frau N: "Wir haben Dosen!"
Mama N: *holt Dosen*
Papa N: "Die Hörner brechen in der Dose natürlich ab."
Mario Lanza und Frau N: "O hush the noise, ye men of strife, and hear the angels sing"
Schwester N: "Ruhig!"
Papa N: "Ich hab Euch noch die mit Schokolade obendrauf gepackt. Wir wollen die ja nicht."
Heute vor zig Jahren:
Morgens waren wir in der Altstadt einkaufen. Nirgendwo gab es das richtige Shirt für Pe. Sie holt sich deshalb eins, das ich auch habe. Nach dem Mittagessen fuhren wir aufs Dorf zu ihrer Oma, von da aus weiter in die Kleinstadt, wo Pe zum Zahnarzt geht. In der "Stadt"mitte treffen wir merkwürdige Jugendliche. Irgendwann wollten wir zum Bahnhof gehen, wussten aber nicht, wo der ist, und plötzlich standen wir davor und setzten uns auf eine Bank. In der Bahnhofshalle sahen wir zwei sonderbare Personen: der Junge trug eine überweite Jeans, die gekrempelt war, 12-Loch-Docs mit Stahl, eine Mod-Lederjacke mit Schulterpolstern und ein Elvis-T-Shirt. Dazu hatte er ein rausgewachsenes rotes Flat. Da Mädchen hatte einen Pferdeschwanz, hinten abrasiert und kurze Seiten, den Pony nach oben gestylt. Sie hatte eine schwarze, viel zu große Domestos-Latzhose an, bordeaux-farbene 8-Loch-Docs mit Stahlkappen und eine Baseballjacke. Als sie aus der Halle herauskamen, fragte Pe, wo denn hier was loswäre. Wir kamen ins Gespräch und sie versprachen, uns mit zur Stadthalle zu nehmen, wo an diesem Abend eine Art Disco sein sollte. Wir sagten Bescheid und unterhielten uns dann weiter mt ihnen. Sie erzählten so über ihr Leben und das sie in Frankfurt Klamotten einkaufen. Der Eintritt in der Stadthalle kostete 3 Mark, es war langweilig und die Musik unerträglich. Das Mädchen macht ein Foto von uns und wir von ihnen. Um ca. 21 Uhr gingen wir, nachdem wir Adressen ausgetauscht hatten und sie sagen, wir sollen anrufen, wenn wir mal wieder in der Nähe sind. . Der letzte Bus war schon lange weg und so mussten wir Taxi (20 Mark!) fahren.
Mademoiselle und der Besuchsjunge spielen Schiffeversenken. Am Anfang läuft es sehr gut. Nach ein paar Minuten gibt es die ersten Missverständnisse bei den Buchstaben. "B" oder "D", was wurde gesagt? Ich erzähle von der Möglichkeit, "B wie Bart" oder "D wie Damentoilette" zu sagen. Großes Gelächter natürlich bei Damentoilette, der Titel des Oberclowns ist bei Zweitklässlern billig zu erwerben. Nach "H wie Hallo" und "E wie Elefant" kommen sie auf "A wie Arschloch" (gröhlendes Gelächter und auf dem Boden wälzen vor Erheiterung) und - getuschelt - "F wie konnteichnatürlichleidernichtverstehen". In der Reihe C suchte keiner mehr nach Schiffen. Dann ersetzten Sie J durch K, weil J doof ist und K fehlte. Und dann kam es so:
Mademoiselle: "K wie Kotze 7."
Besuchsjunge: "Kein Treffer."
Mademoiselle: "Oh, ich wollte K wie Katze sagen. Kann ich nochmal sagen? K wie Katze 8."
Besuchsjunge: "Du warst ja schon dran."
Mademoiselle: "Ich will aber unbedingt K wie Katze sagen, ich kann auch die Spannung nicht aushalten! Ich will zweimal machen!"
Besuchsjunge: "Nein, jetzt bin ich dran."
Mademoiselle: "Wenn ich jetzt zweimal darf, darfst du gleich auch zweimal. Okay?"
Besuchsjunge: "Ich will dann dreimal!"
Mademoiselle: "Das ist dann aber ungerecht!"
Besuchsjunge: "Du musst ja nicht Ja sagen.
Mademoiselle: "Okay ich darf jetzt zweimal und ich male Dir ein Bild, du bist ja in mich verliebt, du kannst dann in der Schule damit angeben!"
Besuchsjunge: *überlegt* "Hast Du schon wem anders ein Bild gemalt aus der Schule?"
Mademoiselle: "Ach, so diesem und jenem..."
Besuchsjunge: "Ach das ist zu kompliziert, komm wir prügeln uns einfach."
Mademoiselle: *begeistert* "Au ja! Wir prügeln uns jedes Mal und wer gewinnt ist dran!"
(Kinder wälzen sich auf dem Boden, entscheiden nach mir nicht nachvollziehbaren Kriterien, wer gewonnen hat und dann dran ist. Dies vor jedem weiteren Spielzug. Ca. eine halbe Stunde lang.)
Besuchsjunge: "Jetzt habe ich keine Lust mehr zu Prügeln."
Mademoiselle: "Aber dann wissen wir nicht, wer dran ist - ach ich hab eine Idee! Wir spielen Schach und wer dann gewinnt ist dran!"
Besuchsjunge: "Oder Mau Mau!"
Mademoiselle: "Immer Abwechselnd, okay? Einmal Schach, einmal Mau-Mau und wer gewinnt darf ein Feld sagen ob da ein Schiff ist!"
(Holen Schachbrett, Figuren und Spielkarten. Treiben unerklärliche Dinge die ergeben, dass eigentlich beide immer abwechselnd an der Reihe sind, aber nur ca. alle 15 Minuten überhaupt jemand. Ca. 1 Stunde lang.)
Mademoiselle: "Jetzt machen wir Wettrennen als Faktor! Komm, wer erster ist ist dran!"
(Rennen im Kreis durch die Wohnung, rufen sich am Küchentisch eine Buchstaben-Zahl-Kombination zu, rennen weiter, ca. 20 Minuten lang. Kommen am keuchend am Tisch zum Stehen.)
Mademoiselle: "Mama, wie lang spielen wir dieses Spiel schon?"
Frau N: "Knapp 3 Stunden."
Mademoiselle: "Guck mal, hier auf der Packung! Die sagen, das dauert 20 Minuten! Die sind ja voll verrückt!"
Heute vor zig Jahren:
Nachmittags habe ich wieder Ah angerufen, und er ist wieder nicht da. Wir haben uns vorher überlegt, dass ich in diesem Fall die Mutter ausrichten lasse, dass wir am nächsten Tag um 19 Uhr voreikommen. Die Mutter war in Anbetracht dieser Dreistigkeit sehr verwirrt, fragte, ob wir lange bleiben wollten und was denn los sei. Ich sagte, wir blieben nur kurz und es handele sich um einen Geburtstag. Sie versprach, das ganze auszurichten.
Die Katzen leben sich gut ein. Allerdings wissen sie vermutlich noch gar nicht, mit wem sie hier überhaupt zusammenleben.
Als die Katzen ankamen, war die gesamte dreiköpfige Familie Novemberregen anwesend - alles andere wäre angesichts der kritischen Würdigung der Lebensumstände durch die Tierheimfrau natürlich auch gar nicht möglich gewewen. Herr N. reiste dann aber bald ab, an seiner Stelle kam eine Nachbarin mit zwei Kindern für den Nachmittag. Abends waren Mademoiselle und ich allein, am nächsten Tag kam Herr N. zurück und die Tiere waren verwirrt, gewöhnten sich aber schnell an ihn. Montag kam erst ein Gastkind für den gesamten Nachmittag und abends Frau Herzbruch, die ja auch gleich zwei Tage blieb. Heute war den gesamten Vormittag die Putzfrau da und nachmittags kam auch wieder ein Kind mit. Es gab also bisher an keinen zwei Tagen dieselbe Personenkonstellation in diesem Haushalt.
Wenn ich meiner Mutter am Telefon von unseren Besuchern erzähle, wundert sie sich immer ein wenig. Das ist sehr amüsant, hat sie mir doch irgendwann einmal beiläufig erzählt, dass sie in der Kindergarten- und Grundschulzeit meiner Schwestern sowohl (zeitlich versetzt) mehrere Pflegekinder als auch eine psychisch erkrankte Bekannte aufgenommen hatte. Als ich dann kam, wurde ihr das zu anstrengend - was sie aber nicht davon abhielt, für die nächsten Jahre noch die drei Kinder meiner Tante zu uns zu holen, der es nicht gut ging. In meiner Grundschulzeit kamen dann zwei Mädchen immer mit mir nach Hause, deren Eltern beide arbeiteten. Und drei Kinder vom Spielplatz, nämlich Mehmet, Mesut und Musafir, die wie kleine Kletten an meinem Vater klebten und so von ihm mittags immer mit in die Wohnung getragen wurden. Und Mauro, der war in der Klasse meiner Schwestern und hatte immer Hunger. Und natürlich Aramis.
Als ich auf die weiterführende Schule wechselte, zogen nacheinander zwei Freunde meiner anderen Schwester bei uns ein. Der eine war angehender Chirurg und lagerte öfters Körperteile zur weiteren wissenschaftlichen Untersuchung in unserem Eisschrank - darf man sowas heute noch (bzw. durfte man das damals eigentlich)? Egal. Dann kamen Leute aus anderen Ländern. Zuerst eine Zugbekanntschaft meiner mittleren Schwester, ein französisches Mädchen namens Sylvie. Durch Sylvie habe ich das linguistische Phänomen der "falschen Freunde" kennengelernt, denn mein Vater - Bäcker - bot ihr ein "baiser" an. Baiser heißt auf Französisch aber meringue, das weiß ich durch den resultierenden Aufruhr schon seit meiner Grundschulzeit. Weitere Erinnerungen habe ich an Sylvie nicht, nur, dass sie in der Wuppertaler Schwebebahn vor Angst so laut kreischte, das ich Kopfschmerzen bekam.
Gut erinnern kann ich mich hingegen an Chris, einen Kanadier auf der Flucht vor dem Wehrdienst. So habe ich das jedenfalls verstanden, man könnte heute sicher ergoogeln, ob es in den 80ern notwendig gewesen sein könnte, aus Kanada vor dem Wehrdienst zu fliehen. Damals ging das nicht, aber rein optisch hätte es gepasst. Chris war Hippie und rauchte komische Dinge bei uns, deshalb musste er nach ein paar Monaten weiterziehen. Ich glaube, Chris wurde - ebenso wie der Monsieur - von meiner ältesten Schwester eingeladen. Der Monsieur war ein älterer Herr aus Frankreich und blieb etwa ein halbes Jahr. Er sprach mit mir immer Latein, weil ich Latein schon in der Schule hatte und Französisch eben nicht. Wo er herkam und wo er hinging habe ich leider vergessen.
Im Übrigens spielte sich das alles auf genau der Hälfte der Wohnfläche ab, die wir hier zu dritt mit den zwei Katzen und Frau Herzbruch teilen. Ich muss meine Mutter unbedingt bei nächster Gelegenheit daran erinnern, dass Kinder bekanntlich selten nach anderen Leuten kommen.
Heute vor zig Jahren:
Ruhetag. Ich rufe Ah an, aber der ist nicht da. Sonst nichts besonderes.
Der kritischste Moment in meinem Tagesablauf ist der, an dem ich nach der Arbeit im Erdgeschoss aus dem Aufzug steige. Das liegt daran: es gibt vier Aufzüge, auf jeder Seite zwei. Auf der Fahrt nach oben ist unproblematisch: Man steigt unten irgendwo ein und kommt oben irgendwo an, findet dann zu beiden Seiten Glastüren die in jeweils einen Flur führen. Beide Flure kann ich in so gut wie alle Richtungen nutzen, um zu meinem Büro zu gelangen, ich kann jedenfalls einen guten Grund finden, aus dem ich eine Richtung eingeschlagen habe. Ich möchte vorher meine Post mitnehmen. Ich möchte kurz mit der Rezeption sprechen. Ich möchte den kürzesten Weg nehmen. Ich möchte etwas in den Kühlschrank legen. Alles ganz einfach, für jede Richtung gibt es immer einen Grund.
Der Rückweg ist das Problem. Man tritt aus einem der Flure - je nachdem, wo man vorher noch kurz "Tschüss" gesagt hat - in den Aufzugvorraum und geht, ohne weiter nachzudenken, in einen der vier Aufzüge. Auf der einen oder auf der anderen Seite, wer weiß das schon, das kommt ja auch darauf an, von wo man kommt und welcher Aufzug zuerst da ist. Dann geht es nach unten, ein paar Sekunden innehalten, es öffnet sich die Aufzugtür und - voilà! Blackout. Völlige Desorientierung. Ich weiß nie, wirklich nie, in welche Richtung ich im Erdgeschoss gehen muss. Es gibt zwei Möglichkeiten, die eine führt zum Hauptausgang hinaus und ist die richtige, die andere führt zum Hinterausgang und ist für mich ein erheblicher Umweg.
Die Aufzugtür öffnet sich also, ich gehe hinaus und: nichts. Ein paar Schritte Spiel habe ich, aber nur wenige, dann stehe ich vor den nächsten Aufzügen. Es gilt also, sich in zwei, maximal drei Schritten zu entscheiden, in die eine oder in die andere Richtung abzubiegen. Und während andere aus irgendeinem Grund wissen, wo es lang geht, ob durch Lichtverhältnisse oder weil sie sich gemerkt haben, wo sie eingestiegen sind oder durch einen eingebauten Kompass, blockiert mein Gehirn und bringt mich ein eine Situation maximaler Schwäche. Jedes Mal. Die zwei Sekunden, die ich länger brauche, als alle anderen, spüre ich ganz genau. Erst die Verwirrung, wo ich lang muss, dann der Ärger, es schon wieder nicht zu wissen, dann die Belustigung darüber und plötzlich mit Sorge, dass dieser Zustand nun vielleicht anhält, sich auf andere Lebensbereiche ausdehnt, dass ich vielleicht jetzt immer jemand bin, der eben diese zwei kleinen Sekunden später dran ist als alle anderen: ab jetzt für alle Antworten zwei Sekunden länger brauchen, über Witze immer etwas zu spät lachen, wenn die Ampel auf Grün schaltet erst losgehen, wenn alle anderen schon in der Mitte sind. Für immer. Es passt erstaunlich viel in zwei Sekunden.
Als ich gerade fast anfange, zu schwitzen, ist aber alles klar. Da, wo es heller ist, ist natürlich der Vorderausgang, alles klar. Auf Wiedersehen. Bis zum nächsten Mal.
Heute vor zig Jahren:
Der Spanischunterricht ist verlegt worden und wir können den Raum mal wieder nicht finden, also fahren wir in die Stadt und gucken Klamotten an. Danach gehen wir Pizza essen.
Es ist wahr: wenn man Katzen hat, muss man wirklich nicht rausgehen und erlebt trotzdem lauter Sachen. Der Katzer z.B. fordert hartnäckigst Streicheln ein, und zwar immer dann, wenn man gerade was anderes macht. Hat man Zeit, will er nicht, aber macht man Wäsche oder Essen oder Aufräumen, dann kommt er maunzend an, läuft zwischen den Beinen rum und wirft sich auf den Rücken. Die Katze hingegen hat die Angewohnheit, das Zimmer, in dem alle sind, zu verlassen, weil ihr da zu viel los ist. Dann wandert sie irgendwo hin und beginnt dort fürchterlich zu maunzen, weil sie so weit von allen weg ist, sich fürchtet und zurückgeholt werden möchte.
Also eigentlich alles wie mit Krabbelkind.
Ich habe aber ja ein Schulkind, und in diesem Zusammenhang eine Serviceinformation: Kinder ab dem Alter von 6 Jahren dürfen in Begleitung eines Erziehungsberechtigten Filme mit FSK 12 im Kino anschauen. Das habe ich heute recherchiert, weil wir gerade den Kleinen Hobbit lesen, "wir" ist nicht so merkwürdig-elternmäßig gemeint, sondern wir lesen es tatsächlich gemeinsam: die Satzkonstruktionen sind für eine Zweitklässlerin noch etwas anstrengend, also lese ich meist vor und wenn ich keine Lust mehr habe, liest sie mir noch vor bis sie keine Lust mehr hat, und dann ist Schlafenszeit. Wobei, jetzt nicht mehr, wir müssen ja im Dezember durch sein, wie mir auffiel. Jetzt wird das Kind wachgehalten bis das tägliche Kleiner-Hobbit-Lesesoll erfüllt ist, klare Sache.
Dabei ist mir heute auch aufgefallen, dass ich das Buch noch nie auf Deutsch gelesen habe. Ist aber schön übersetzt, finde ich, ich habe die ältere Übersetzung von Walter Scherf. Hätte man jetzt von mir aus nicht nochmal neu machen müssen. Wobei, wer weiß, die neue kenne ich ja gar nicht. Vielleicht kaufe ich die auch noch, das wird mit Mademoiselle dann interessant, weil sie eins von den Kindern ist, die Vorgelesenes sofort abspeichern und laut protestieren, wenn man beim nächsten Mal irgendwo ein Wort auslässt.
Ah. Kinder und Katzen. Da hat man Spaß.
Heute vor zig Jahren:
Als wir in Ahs Straße ankamen, sahen wir von weitem zwei Skins, die wir nicht zu kennen glaubten. Wir beschlossen, sie nicht zu beachten, aber als sie vor uns standen, erkannten wir, dass es sich um Ah und einen Freund (Bunny) handelte. Sie hatten eine Literflasche Wein. Da wir uns an der Ecke nicht hinsetzen konnten, gingen wir vor Ahs Tür. Dann setzten wir uns vors Kino, wo Ah und Bunny die Weinflasche kaputt machten und rumprollten. Danach gingen wir zum Eckkiosk und sie holten sich neuen Wein, den sie aber nicht aufbekamen, und in der Zwischenzeit kamen noch Nicole (mit Betonung auf dem i) und Klausi dazu. Pe und ich setzten uns ein bisschen entfernt, weil die gesamte Gruppe uns peinlich war. Also fotografierten wir sie von weitem. Dann wurde uns langweilig und wir wollten ein bisschen den Bach anschauen gehen, und Pe kam auf die Idee, mir 7 Mark zu geben wenn ich auf Socken durch den Bach gehe. Also wollte ich das machen und wir gingen zum Bach runter. Die Böschung war aber so glitschig dass Pe sich mehrmals auf die Fresse legte wozu Ah jedes einzelne Mal bemerkte: "Hat man sich da etwa unfreiwillig hingelegt?" Ich ging also durch den schlammigen Bach und am anderen Ufer versuchte ich, mit Pe und Ah Kontakt aufzunehmen, aber ich bekam keine Antwort. nach einiger Zeit beschloss ich, den Rückweg anzutreten. Als ich angekommen war, setzte ich mich erstmal auf den Boden und wunderte mich, dass Pe und Ah auch total nass waren. Pe war nämlich nochmal ausgerutscht und Ah hatte wieder „Hat man sich da etwa unfreiwillig hingelegt?“ gesagt, und weil das Pe so auf die Nerven ging, hat sie ihn in den Bach geschubst und er hat sie mitgezogen, daher waren jetzt alle nass. Während ich mir die Schuhe wieder anzog versuchte Nicole, die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken indem sie Ah belaberte, wie unerschämt und unzurechnungsfähig Pe und ich wären, woraufhin Pe sich nochmal aufregte und Nicole verjagte.
Später schlief Ah auf der Bank ein und wir malten ihm mit Kajalstift Anarchie-As und „Nazis raus“ auf die Glatze. Dann weckten wir ihn und brachten ihn zur Mutter. Ah sagte uns bei der Verabschiedung vor der Tür, dass er in den nächsten Tagen mal unserer Schule einen Besuch abstatten würde. Plötzlich tauchte Danni mit Klausi auf, Danni macht wieder ein Theater und begann, sich Ahs Namen in den Arm zu ritzen. Ich nahm ihr das Messer weg und warf es in den Bach und Pe brachte sie zur Omma, während Ah behauptete, er würde jetzt den Schlüsseldienst-Oberskin anrufen und mit dem ausmachen, unsere Schule aufzumischen, und Bunny ständig nervte, er wolle in die Stadt, Ah war jetzt auch wieder fit. Irgendwann hatten wir alle in die Straßenbahn gebracht, nach zwei Stationen stiegen wir aber auf Pes Befehl hin wieder aus und gingen zu McDonald's, weil sie aufs Klo musste. Sie blieb dort ziemlich lange und wir dachten, sie wäre entweder zusammengeklappt oder hätte Ärger. Ich wollte nachschauen gehen, aber Ah wollte mich nicht ohne die Gasknarre gehen lassen und ich regte mich auf, dass er die schon wieder dabei hatte, und während wir alle stritten kam Pe zurück. Pe sagte, ohne etwas zu trinken könne sie nicht weiter Richtung Stadt fahren, also gingen wir die zwei Stationen wieder zurück zum Kiosk, wo Pe sich Wein kaufte. Bunny verabschiedete sich dann und wir gingen zur Mutter hoch und Ah lieh mir eine trockene Hose aus. Dann gingen wir wieder runter und setzten uns auf die Bank am Stromkasten. Ah zündelte mit einem Feuerzeug herum und verbrannte mir durch seine Trotteligkeit die Hand. Um 22 Uhr war er müde und ging nach Hause, Pe und ich fuhren noch in die Stadt und lernten ein paar Leute kennen. Auf dem Heimweg schliefen wir in der Bahn ein und wurden kurz vor unserer Station von einem Ehepaar geweckt, die uns vom Sehen kannten. Wir übernachteten bei uns.
Wir wurden für würdig befunden! Mesdames et Messieurs, nous vous présentons:
Der Kater:
Die Katze:
Ab jetzt wird es einfach mit dem täglichen posten. Cat-content, einself! Stellen Sie sich begeistertes Merkel-Winken vor.
Heute vor zig Jahren:
Ah ruft an und läd uns für Samstag um 16 Uhr am Kino ein. Er beschwert sich, dass wir uns nicht gemeldet haben.
Lieber Suchende nach "cat content" - Sie sind einen Tag zu früh, die Katzen kommen erst morgen. Dafür ist die Wohnung nun total auf die Bedürfnisse der Katzen - nein, Verzeihung, der Tierheimfrau ausgerichtet. Und wenn die wieder weg ist, machen die Katzen und wir es uns erstmal so richtig bequem.
In der Zwischenzeit bin ich müde, wobei müde untertrieben ist. Ich bin Dornröschen. Nein, Dornröschen und alle ihre Schwestern. Und die Dornenhecke. Alles auf einmal. Ich muss wieder ins Bett. Gute Nacht.
Heute vor zig Jahren:
Nichts besondderes.
Sehr gelacht heute. In der Kirche, als die Pfarrerin elegant die Kinder in die Gottesdiensteröffnung einbeziehen wollte und sie eines davon, auf die Martinslaterne deutend, fragte: "Und was hast Du und die anderen denn da heute Besonderes dabei?" und das Kind, laut und deutlich: "Einen Leuchter!"
Dann später, als ein anderes Kind wohl eigentlich ein Martinslied vorbereitet hatte, aber das Lampenfieber und so, Sie wissen schon, und festlich ist ja vieles: "Du singst heute ein Lieder für uns, das finde ich ja toll, bitte schön!" - Mikro - Kind trompetet los: "Hääääpppy Biiiirthday..."
Und noch über uns selbst, als wir auf dem Heimweg mit einem Herrn und seinem Kind ins Gespräch kamen, die Sperrmüll in ihren weißen Lieferwagen luden und, wie sie erzählten, aus Bulgarien stammten. Was es mit der Laterne auf sich habe, fragte der Mann, und ich erklärte kurz Martinszug mit Singen. Mademoiselle, engagiert wie immer, fragte, ob sie wohl auch ein Martinslied lernen wollten um mitmachen zu können. Noch ehe sie eine Antwort formulieren konnten, hatte Mademoiselle sie aufgestellt mit "Also du stell dich mal nach hier und du weiter nach vorn und jetzt sagt mir nach: Ich geh mit meiner Laterne". Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie das Lied einigermaßen textsicher draufhatten, und dann dirigierte Mademoiselle und ich schwenkte die Laterne und wir sangen zu viert und dann musste ich sehr lachen und der Mann schnell einen anderen Sperrmüllminehmer verscheuchen, der etwas aus dem
weißen Lieferwagen stibitzen wollte.
Nur die Kinder sangen noch ein bisschen weiter, auch noch, als wir schon an der nächsten Straßenecke waren, da grölten sie und Mademoiselle fragte: "Ob der mich wohl länger hört oder ich ihn?". Aber das werden wir natürlich nie erfahren.
Heute vor zig Jahren:
Wir fahren wieder in die Stadt und kaufen uns gegenseitige Geburtstagsgeschenke.
Okay. Das letzte mal aus einer Kneipe rausgeflogen bin ich vor ca. 20 Jahren. Nunja.
Kommen auch wieder andere Tage.
Heute vor zig Jahren:
Nichts besonderes.