Mein Weblog ist down, ich bin sehr traurig. Frau Novemberregen lässt mich hier gastbloggen, hat ansonsten aber nicht viel Empathie für meine Situation. Die Funktionalität ist ja gegeben, das Problem erstmal gelöst. Mir gefallen die Farben hier nicht, ich kann so nichts schreiben. Aber ich weiß, dass ich, sobald der Adrenalinpeak abgeflacht ist, dankbar sein werde, dass ich hier sein darf.
Jedenfalls: die Arbeit. Seit dieser Woche bin ich wieder im Büro, und habe das, was ich Ende März getan habe, in umgekehrter Reihenfolge wiederholt: Papiere in eine große Tüte, Kabel gelöst, den Laptop in die Tasche, die Dockingstation abgebaut, Keyboard und Maus dazu, ganz am Schluß die beiden Monitore ins Auto geladen. Und dann im Büro alles wieder aufgebaut, ich weiß jetzt schon ganz gut, wie es funktioniert.
Zwischendurch habe ich mich verwandelt: die Haare füllig geföhnt, bisschen Makeup und Schmuck, Business-Outfit und höhere Schuhe, und schon war ich eine andere, zielstrebig und dynamisch. Zwischen den Bankentürmen ist es fast wie immer, mit Männern in Anzügen auf Elektrorollern, Frauen in Kleidern, die ihr Mittagessen in einem Beutel dabei haben, Menschen vom Lieferservice und Paketboten von Amazon. Insgesamt ist es leerer, und hin und wieder trägt jemand eine Maske, aber das war es dann auch.
Im Büro dann eine Sceleton Crew und der Gedanke, dass wir hier drinnen und die da draußen diejenigen sind, die wirklich arbeiten, die essentiell sind, die die Räder am Laufen halten, aber das ist natürlich vermessen. Niemand braucht Leute, die im Büro arbeiten. Aber noch weniger braucht man Manager, die vom Home Office aus in Videokonferenzen rumquaken, denke ich dann, bevor mir der Gedanke wieder entwischt. Back to work.
Gemischte Gefühle. Immer mal wieder so eine Unsicherheit bei mir, weil ich im Grunde genommen gar nicht so richtig weiß, was meine Arbeit ist. Mein Arbeitstag ist eine Aneinanderreihung von Aufgaben, die meisten fallen mir so zu, sie entstehen irgendwie, ich sehe, dass sie gemacht werden müssen, oder es sind kleinste Teilaufgaben eines der großen Projekte, die ich gerade mache. So gut wie nie gibt es jemand, der mir sagt, was zu tun ist, das ist großartig, und es ist schrecklich. Ich habe mich daran gewöhnt.
Ein wenig überrascht bin ich nach wie vor davon, wieviele Menschen das Gespräch mit mir suchen, jetzt, wo ich wieder physisch vor Ort bin, noch mehr als zuvor. Im Home Office bin ich viel produktiver als im Büro, aber bei der Arbeit geht es ja nicht nur darum, Aufgaben abzuarbeiten und produktiv zu sein.
Rounders von Rome hat mal gesagt: du weißt es doch selbst, wenn du etwas schreibst, und es ist gut. So ist das auch mit der Arbeit: ich spüre manchmal, dass ich gerade gut bin in dem, was ich tue, oder gerade etwas gut gemacht habe. Für mich ist das fast das wichtigste: dieses Gefühl zu haben, es ist mir viel wichtiger als ein Lob vom Chef oder einen Beförderung oder Status oder der Glanz in den Augen der anderen. Ich kann es nur nicht replizieren, es kommt und geht, und dazwischen schwimme ich.
Who am I and what is my work? Mein Coach hat immer gesagt, das ist die große Frage. Ich kenne die Antwort nicht, aber ich beginne langsam, die Frage zu verstehen.
Frau Fragmente sitzt weiß ich nicht wo und bloggt, Moment, ich muss erstmal gucken, heute ist alles etwas verwirrend. Ich sehe nur den Vorhang. Der ist aber im Arbeitszimmer, das weiß ich noch.
Ah, jetzt sehe ich auch Frau Fragmente. Erschwerend, naja, in Wirklichkeit nicht, weil wir ja so unglaublich findig sind, kommt heute hinzu, dass Frau Fragmente auf ihr Blog nicht zugreifen kann. Deshalb schreibt sie in meinem, das ist ja kein Problem. Sie sorgt sich allerdings, warum das so ist mit ihrem Blog und wie man das beheben kann. Aber auch das finde ich ein sehr zu vernachlässigendes Problem: wir werden das gleich auf Twitter fragen und dann wird es jemand für sie regeln. So löse ich alle meine Probleme.
Ich habe auch Gurke, also Schlangengurke. Halte das für erwähnenswert.
Als ich Frau Fragmente heute sah, dachte ich, sie käme frisch aus der Dusche. Tatsächlich war sie 10 Minuten zuvor erst aus dem Büro gekommen. Ich möchte mich hier ein bisschen in dem wohligen "hab ich doch gesagt"-Gefühl räkeln, denn schließlich schrieb ich letzte Woche davon, wie Frau Fragmente als frischer Head of ihr Reich möglicherweise bald begehen möchte. Ich scherze so gut wie nie, ich formuliere die Dinge nur unterhaltsam, das ist eins der Missverständnisse meines Lebens.
Frau Fragmente denkt gerade besorgt an ihr Blog, das sehe ich ihr an. Ich habe einen Blick dafür, wenn Personen in einem Gedanken versinken und gar nicht mehr richtig da sind, wo ich bin. Das ist mir heute schon mehrfach passiert. Jetzt ist sie gleich ganz weggegangen, das passiert mir offen gesagt nun doch eher selten, so mittendrin und ohne Ankündigung. Gehen wir mal davon aus, dass es an der instabilen Internetverbindung liegt. Ah, tut es, wie hingezaubert ist sie wieder in ihrem Stuhl und ein wenig bissig: ihr gefallen die Farben in meinem Weblog nicht. Hört, hört.
Ich kann Frau Fragmente heute nicht ganz sehen, die Kamera steht ungünstig, aber ich traue mich nicht, etwas zu sagen, sie sieht gerade aus wie jemand, der Verbesserungsvorschlägen eher unzugänglich gegenübersteht. Ich sehe dafür heute den Ventilator im Hintergrund. Ich habe den gleichen, weil Frau Fragmente ihn mir zum Kauf empfohlen hat. Vor mehreren Jahren war das; seit etwa einem Jahr empfiehlt sie mir nämlich immer wieder, eine Klimaanlage zu kaufen. Die virtuelle Bürokollegin übrigens auch. Sehr verdächtig. Ich lehne Klimaanlagen zu Hause aus ethischen Gründen ab (es lohnt sich, diese Aussage mit dem letzten Satz aus Absatz 3 im Hinterkopf zu lesen).
Kurz hatte ich jetzt gerade einen Themenhänger. Also davon abgesehen, dass ich nie wirklich ein Thema habe. Aber Frau Fragmente tippt schon wieder so eifrig, dass ich mich abgehängt fühlt und erfragte, ob sie etwa auch heute wieder ein Thema habe. Frau Fragmente sagte: "Ich habe immer ein Thema." Ich sagte: "OK."
Ich verrate es jetzt, sie wird - wenn sie noch dazu kommt - darüber schreiben, wie man sich die Welt verfügbar macht, ein Konzept von Hartmut Rosa, von dem mir Frau Fragmente häufiger Vorträge oder Lesungen oder so ans Herz gelegt hat, die ich aber alle nicht angehört habe, weil ich ja niemandem zuhören kann. Außer Rezo in seinem CDU-Zerstörungs-Video, in seinem Pressevideo jetzt leider auch schon nur noch halb. Das brachte mich aber auf ein anderes Thema (also das "verfügbar machen", nicht das Zuhördilemma).
Ich suchte neulich nämlich nach einem Spiel. Also: einem Spiel für mich. Online natürlich, wie und wann soll man es sonst spielen, so ein Spiel, das irgendwo gegenständlich ist und damit zu maximal 50% am selben Ort wie ich. Ich kam darauf, weil ich WoW ausprobierte, das gefiel mir gut, ist aber nur am PC spielbar und damit eben auch nicht immer verfügbar, ich bräuchte ein plattformübergreifendes Spiel, am besten zusätzlich auch am Handy spielbar. Ich spielte alle möglichen Spiele an, die mir mal gefallen hatten, die empfohlen wurden, von denen ich mal gehört hatte, es war eine wahre Downloadschlacht, bis mir der Kopf schwirrte und ich mich fragte, was ich eigentlich suche in dem Spiel, das ich suche.
Was ich suchte war eine neue Rolle. Irgendwas frisches, nicht so festgefahren. Nochmal etwas von vorne machen, ohne jemanden zu kennen, sich neu erfinden können, nicht schon so vieles als gegeben annehmen können - im Spiel natürlich nur, nicht im Leben an sich, vielen Dank, es ist schon recht komfortabel so.
Gefunden habe ich nichts. Statt dessen las ich dann ein Buch, weil für mich das Gefühl einer neuen Rolle, eines anderen Lebens, beim Lesen auch entsteht. Nur ist beim Lesen der Pfad durch das Buch vorgegeben, im Spiel variabel.
So. Eine Sache noch: ich werde später diese Woche die Bio-Tonne benutzen. Habe ich bisher noch nie, denn die Bio-Tonne ist nichts für Menschen, die im zweiten Stock wohnen. Wenn ich aber zu diesem noch undefinierten Zeitpunkt in der nahen Zukunft die Tonne verwenden werde, werfe ich dafür gleich einen ganzen Baum hinein. So ist das, all in or nothin', drunter mache ich es nicht. Ich muss von dem Bäumchen aber erst noch tränenreich Abschied nehmen.
(Frau Fragmente schreibt noch etwa 10 Minuten, ich werde derweil mal versuchen, ihr Weblog zu reparieren.)