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    Sonntag, 14. Februar 2016
    Morgens um kurz nach 10 schon durch mit allem

    Beim Bäcker, vor dem Bäcker, ein verdreckter schwarzer PKW im eingeschränkten Halteverbot, ein Kind schreit darin, ein junger Mann mit Bäckertüte und zwei Kaffee steigt ein, der Mann steigt mit einem Kaffee wieder aus, "lass doch, ist egal wir müssen fahren" ruft es aus dem Auto, "ich beeil' mich" sagt der Mann, bekommt von drinnen einen zweiten Kaffee gereicht, die Frau auf dem Beifahrersitz dreht sich um zur Rückbank, das Kind hinten plärrt.

    Beim Bäcker, drinnen, eine lange Schlange, die Leute stehen in einem Knubbel in der Tür, ich füge mich dem Knubbel hinzu, der Mann mit den Kaffees steht vor der Tür, ich lasse ihn durch, die anderen bemerken ihn nicht, vorsichtig schiebt er sich Richtung Theke, Stirnrunzeln und Füßescharren, er bleibt in dritter Reihe hängen, es ist warm in diesem Bäckerladen, nach einiger Zeit öffne ich den Mantel, der Mann hat in jeder Hand einen Kaffee und sein Haaransatz wird langsam dunkler.

    "Wer bekommt?" fragt der Verkäufer, ich mache eine Handbewegung zum jungen Mann mit dem Kaffee. "Die Milch im Kaffee ist schlecht", sagt er leise. "Was?" sagt der Verkäufer. "Die Milch im Kaffee ist sauer", sagt er etwas lauter. Der Verkäufer lacht. Ich weiß, dass das eine Übersprungsreaktion ist, trotzdem bin ich schon so weit, dass ich ihm am liebsten fünf Puddingbrezeln in den offen lachenden Mund stopfen möchte.

    Ich kratze mich am Nacken. Wenn ich Puls bekomme, fängt mein Nacken an zu jucken, so ein roter Streifen bildet sich da, ich kann deshalb nur selten Schals tragen, obwohl ich Schals über alles liebe. Dünne Tücher, Baumwolle, Seide, das geht manchmal. Sehen Sie mich mit dickem Wollschal, nehme ich an, mich in einer besonders ausgeglichenen Lebensphase zu befinden. Manchmal irre ich mich.

    Der Verkäufer lacht, er schaut über den Mann hinweg, der Mann schaut auf den Kaffee, er stellt ihn auf der Theke ab und hebt einen Deckel: "Hier, das ist ausgeflockt."

    "Einen Moment", sagt der Verkäufer. Er will die Kollegin ansprechen, deutlich älter als er, vermutlich hat sie heute das Sagen. Die Ansagerin bedient. Hektisch, einen nach dem anderen, sie hat keine Zeit für ihren Kollegen. "Du…", sagt der Verkäufer. "Du, der Mann da…" – "Gleich!", zischt die Ansagerin. 4 Kürbiskern, 2 Bio-Körner, 1 Laugencroissant, 5 Brioche. Die Kasse geht nicht, sie läuft in den hinteren Ladenbereich zur anderen Kasse, der Verkäufer läuft ihr hinterher, sie beachtet ihn nicht, sie rennt in ihn hinein, der Mann mit dem Kaffee versucht, durch das Fenster die Situation im Auto zu checken.

    "Sie bekommen?", fragt mich die Ansagerin. Ich mache wieder eine Handbewegung zum Mann mit dem Kaffee. "Der sagt, die Milch ist verdorben", souffliert der Verkäufer. Und lacht wieder. Die Ansagerin richtet sich auf. "Sofort alle Milch entsorgen!!!", kommandiert sie zur dritten im Bunde, die die Brötchen belegt. Die belegt noch gerade eins mit Ei. "Die Milch, die Milch! Alles entsorgen!", schallt es erneut. "Welche Milch?", fragt die Brötchenbelegerin. "ALLE Milch!" Der Verkäufer lacht. Die Brötchenbelegerin sammelt Milchkannen von den Tischen und reißt Tetrapaks aus dem Kühlschrank. "Doch nicht die verschlossene!!"

    Der junge Mann dreht sich zum Auto um, ich drehe mich zum Auto um, die Frau steht neben dem Wagen und gestikuliert wild, die Brötchenbelegerin entsorgt Milch und prüft Haltbarkeitsdaten, die Ansagerin beobachtet dies mit Argusaugen, die Leute knubbeln sich in der Tür, der Verkäufer lacht mit weit aufgerissenem Mund und leerem Blick. Ich kratze mich mehr im Nacken. "Der da hatte zwei Kaffee", sagt der Verkäufer. "Jetzt nicht!!", herrscht ihn die Ansagerin an. Man hört nun das Kind vom Auto bis in den Laden brüllen. Laut brüllen. Der junge Mann wischt sich die Stirn, dreht sich hin und zurück, immer wieder, seine Augen werden glasig, er zieht die Schultern hoch.

    Ich versuche mich an einer Übung aus dem Gesangsunterricht, nämlich: stehen. Einfach nur stehen, ohne zu zappeln. Im Raum stehen, präsent und nicht geistig entrückt, nicht wild umherschauen, nicht im Nacken kratzen, nicht die Nase rümpfen oder auf die Lippe beißen, auch nicht mit dem Fuß wippen oder an den Fingernägeln knibbeln, einfach nur stehen und atmen und da sein. Ich kann das nicht gut, gar nicht gut.

    Drei Personen stehen da, jede einzelne von ihnen könnte genau in diesem Moment die Realität ändern, indem sie einfach nur sagt: "Die Milch ist sauer? Bitte entschuldigen Sie, das darf natürlich nicht passieren. Ich mache Ihnen sofort neuen Kaffee, suchen Sie sich doch in der Zeit zwei Stück Kuchen aufs Haus dazu aus." Aber niemand hier kann diesen einen kleinen Schritt aus der Situation heraus machen und so nimmt alles seinen vorgezeichneten Lauf.

    Ich habe recht gute Reflexe aber eigentlich reagiere ich nur schnell genug, weil ich weiß, was jetzt kommt: "Verdammter Scheißladen!!", brüllt der junge Mann und fegt mit der Hand einen Kaffeebecher von der Theke, dreht sich um, stößt die Leute weg und stürmt hinaus. Ich reiche dem jetzt nur noch wild starrenden Verkäufer den aufgefangenen Becher, nur ganz wenig ist übergeschwappt. Seine Hand zittert bei der Übergabe. "Alles gut", sage ich zu ihm wie zu einem panischen Tier, das keiner Ratio zugänglich ist. "Alles gut." Die Ansagerin schnalzt mit der Zunge und will dem Verkäufer ruppig den Becher aus der Hand nehmen, dabei fällt der ganze Mist in den Bienenstich. Ich übe nochmal stehen, wer weiß schon wie lange. Dann bekomme ich meine 6 Brötchen und ein Laugencroissant für Mademoiselle.

    Zwei Erwachsene fahren jetzt mit einem hysterisch schreienden Baby unterkoffeiniert, durchgeschwitzt und gestresst in einem dreckigen schwarzen PKW umher. Drei VerkäuferInnen werden heute nach der Schicht von dem unverschämten Kunden erzählen, der den Kaffee in den Bienenstich geschmissen hat und aus dem Laden gestürmt ist. Und das alles wäre so leicht zu vermeiden gewesen.

    Und ich halte mich für den Rest des Tages von Menschen fern.

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