Ich trage nie eine Uhr. Nicht aus Prinzip, es ergibt sich bloß nicht. Trotzdem weiß ich immer ungefähr, wie spät es ist, das leitet sich aus dem Tagesrhythmus und dem Licht etc. ab, ganz normal also. Wie man ja auch normalerweise ohne Nachzudenken weiß, welche Jahreszeit es ist, so ganz unbewusst. Normalerweise.
Dieses Jahr habe ich mich schon einmal total erschreckt, weil ich dachte, ich hätte den Sommerurlaub vergessen. Der kommt aber ja noch. Und heute ging ich vom Büro nach Hause und mir schoss durch den Kopf, dass heute die richtige Stimmung wäre, um mit Mademoiselle den Adventskranz zu binden.
Am Wochenende treffen wir uns mit Freunden. Beim vorvorletzten und vorletzten Treffen wollten wir eigentlich einen Ausflug machen, zu dem man 1,5 Stunden Auto fährt. Beide Male war Blitzeis angesagt. Beim letzten Treffen wollten wir Grillen, es gab Regen und 5 Grad. Für dieses Wochenende haben wir nun eine Unwetterwarnung.
Zum Glück habe ich ausreichend Currypaste im Eisfach, was immer an Wetterlagen also auf uns zukommt bei den nächsten Treffen - es kann immer ganz spontan Curry rot, gelb oder grün geben. Ich muss nur noch überlegen, was für einen Kuchen ich dieses Mal backe. So eine luftige Rhabarbertorte will doch keiner, wenn man sich die Füße abfriert. Lebkuchen?!
Heutige Gemüsekiste, für Frau Sid
Sie sehen: reichlich Käse, aber kein Brot. Da ist was schief gelaufen. Sonst bin ich sehr zufrieden.
Im Rapunzelturm war heute Evakuierungsübung. Ich habe jetzt schon 12 Mal Evakuierungsübung gemacht, zusätzlich einmal Fehlalarm und zweimal "beim Stockwerkwechsel durchs Treppenhaus Zugangskarte vergessen und keiner hörte das Klopfen". Ich kann das also, ich weiß Bescheid und, ich muss zugeben, wenn ich über zwanzig Stockwerke hinabsteige, habe ich eine gewisse Erwartungshaltung an das Evakuierungserlebnis. Leider wurde dieser Erwartung heute nicht entsprochen.
Zunächst einmal gab es keine ordnungsgemäße Ansage. Es gehört so: Erst eine Durchsage, dass die Aufzüge außer Betrieb sind. Dann geht ein Rauschen los, weil die Treppenhäuser druckbelüftet werden (wegen der Rauchfreihaltung). Darauf folgt ein abgewürgtes, sehr lautes "MIOPPP!" gefolgt von einer Sirene und dann kommt eine Stimme, die sagt: "blabla verlassen Sie das Gebäude, blabla es handelt sich um eine Übung".
Die Aufzugdurchsage kam und dann machte es "tuuut" "tuuut" "tuut" - so als ob auf einem sehr lauten Telefon niemand erreichbar wäre. Wir waren zunächst verwirrt. Bedeutet "tuut", dass man Evakuieren soll? Warum rauscht es nicht und warum sagt keiner was?
Ein Anruf in der Sicherheitsleitstelle ergab: ja, das ist der Alarm. Nein, der gehört nicht so. Ja, wir haben technische Probleme. Nein, wir wissen nicht warum und wie man sie behebt. Ja, das ist sehr schlecht.
Murrend evakuierten wir also durch unbelüftete Treppenhäuser, um am Sammelplatz eine kleine, versprengte Gruppe Menschen vorzufinden - der Rest des Turms hatte das mit dem Alarm wohl auch nicht richtig begriffen.
Insgesamt also sehr enttäuschend. Umso mehr habe ich mich gefreut, am frühen Nachmittag eine Anfrage zu "Feedback zur heutigen Räumungsübung" zu erhalten.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch tagebuchbloggen könnte.
(Heute z.B. kamen wir im absolut letzten Moment an der Schule an, obwohl das gesamte Aufstehen etc. völlig korrekt abgewickelt worden war. Mysteriös. In der Schule wurde mir noch ein Zettel zum Unterschreiben hingehalten - die Einladung zum Elternabend nämlich, und ich war versucht, sie nicht zu unterschreiben sondern erstmal das Format in Ordnung zu bringen (Zeilenabstände ohne durchgängiges System, Bullets falsch eingerückt etc.). Habe ich aber natürlich nicht gemacht. Statt dessen fiel mein Blick auf den Tagesordnungspunkt "Umgang mit Medien", so dass ich auf dem gesamten Weg ins Büro meine Gegenrede formulierte und, glaube ich, teilweise auch laut vortrug, bis ich mich erinnerte, dass ich ja gar nicht hingehen will zum Medien-Elternabend.
Was ich im Büro gemacht habe, weiß ich nicht mehr, aber ich habe zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder eine Mittagspause geschafft und es gab sehr leckere Zucchinispalten mit Quark in der Kantine. Dann kam noch der Entwurf des Protokolls eines anderen Elternabends per Mail und auch da habe ich unter inneren Qualen am Format nichts geändert, nur ganz schlimme Fehler und falsche Namen verbessert und dann mit schmerzvoll verzerrtem Gesicht und geschlossenen Augen auf Send geklickt. Man darf sich nicht immer in alles einmischen, sonst muss man es selbst machen.
In der S-Bahn schlief ich ein, wachte aber dank guter Bahnfahrerroutine rechtzeitig zur Zielstation auf und ging zum Schuster. Dem Schuster hatte ich letzte Woche ein paar Schuhe mit zerkratzten Absätzen gebracht, um sie wieder schön machen zu lassen, es sollte bis Samstag dauern. Grundsätzlich ist dieser Schuster aber nie mit den Schuhen fertig, wenn man kommt, erst findet er die Schuhe gar nicht und wenn er sie dann hat, bietet er an, zu warten. Das mache ich und beobachte alles ganz genau, und ich schwöre, wenn das noch lange so geht, habe ich bald die Handgriffe selbst drauf und dann kaufe ich mir so eine monströse Maschine und stelle sie in das Zimmer von Frau Herzbruch, wenn die einen anderen Job hat, und dann mache ich mir meine Schuhe selbst wieder schön. Echt jetzt.
Danach ging es weiter zur Schule, Mademoiselle erwartete mich bereits mit ihrem Muttertagsgeschenk in der Hand, und zwar ein Mobile bestehend aus einem Ast mit zwei Papiervögelchen, einem Papierschmetterling und einer dicken Pfeifenreinigerhummel. Sehr niedlich. Den Heimweg verbrachten wir damit, zu überlegen wo wir es aufhängen könnten. Ich finde übrigens das generelle Muttertagsbashing relativ langweilig bis blöd. Ja, die Nazis haben den gepusht, ja, es gibt auch schlechte Mütter, ja, die Blumenindustrie profitiert, mimimi. Mademoiselle freut sich wie irre, wenn sie ein Geschenk machen kann, ich freue mich über das Astmobile (und die Katzen erst!) und es ist echt alles nicht so schlimm, man kann sich ab und zu mal den Stock aus dem Arsch ziehen. Ich schweife ab.
Eigentlich wollte ich mich bei Ankunft zu Hause ein paar Minuten auf die Couch legen, weil ich ja in der S-Bahn schon eingeschlafen war. Allerdings bedurfte dann erst das bereits gestern per Hand gepatchte Computerspiel des Kindes einer weiteren elterlichen Modifikation. Während dieses Vorganges zog sich das Kind einen Splitter zu - ja, am Schreibtisch sitzend, so etwas ist definitiv möglich, auch wenn ich nicht weiß, wie. Es musste also der Splitter noch rasch herausoperiert werden. Als nächstes wollte ich dann noch kurz die Wäscheständer aus dem Wohnzimmer wieder ins Büro räumen, damit ich es auf der Couch gemütlicher habe, es schien mir aber clever, vorher im Büro zu saugen, wobei das Saugen an sich nichts, ich wiederhole mit allem Nachdruck: nichts (!) mit dem kürzlichen Besuch von 2/3 der Familie Herzbruch zu tun hatte sondern einen reinen Routineprozess darstellte. Jedenfalls fiel mir dabei auf, dass der Staubsauger nicht so gut saugte wie sonst, weshalb ich ihn ein bisschen auseinander nahm. Und ich sage Ihnen: ich sah Dinge, die ich nie sehen wollte!
Während ich mich mit dem Staubsauger beschäftigte, sprang ein Knopf von meiner Jeans ab, so ein Nietenknopfdings, und ich erinnerte mich, dass der schonmal abgesprungen war und ich ihn per Hand wieder zusammengedrückt und mich schon gewundert hatte, dass das so gut hält (es hielt vermutlich gut, weil die Hose zu weit ist und der Knopf deshalb normalerweise nicht unter Spannung steht, nun, bei Staubsaugerarbeiten dann schon). Zusammendrücken ging dieses Mal nicht gut, so dass ich die Staubsaugerreparatur kurz zugunsten einer Jeansreparatur unterbrach. Ich sah genau drei Möglichkeiten: 1. Den Knopf manuell zusammenklicken und dann mit einer Zange verbiegen, so dass der Stift nicht mehr herausrutschen kann, 2. Einen normalen Knopf annähen, 3. Die Jeans zum Schneider tragen, der allerdings schon zwei meiner Hosen zum Kürzen hat, weil ich immer Langgrößen brauche, die mir dann aber 1 cm zu lang sind, normale Größen hingegen sind mir mehrere cm zu kurz. Ich entschied mich für 1, war aber wohl sehr in Schwung, so dass ich den Knopf nicht nur verbog sondern in zwei Teile teilte. Sehr mysteriös. Ich schwenkte zu Möglichkeit 2 um.
Dann klingelte die Hausmeisterin und berichtete mir vom Sperrmüll, den sie organisiert hatte und dem wir Dinge hinzufügen wollten, u.a einen Autokindersitz, welchen aber das Sperrmüllauto - wie die Hausmeisterin mir sagte - nicht mitnehmen wolle. Was erstens falsch und zweitens egal ist, weil ich am Wochenende entschieden habe, dass wir den Sitz doch noch behalten wollen; das beides der Hausmeisterin zu erklären, war aber schwierig, zusätzlich war ich von Kopf bis Fuß in Staubsaugerresiduen gehüllt und hatte einen Kater um die Schultern, alles etwas anstrengend.
Endlich konnte ich den Staubsauger wieder zusammenbasteln und das Büro saugen und dann auch das Wohnzimmer und den gesamten Rest der Wohnung, und dann die Wäscheständer rüberräumen, wobei ich aber entdeckte, dass eine nicht initiierte Person Eingriff in die Wäscheständersystematik genommen hatte, ganz offensichtlich ohne das zugrundeliegende System zu verstehen. Als alles wieder so war, wie es gehört, warf ich schnell noch eine Ladung Wäsche an. Und dann hätte ich mich auf die Couch legen können, nur war ich dann nicht mehr müde und es war auch schon viel zu spät.
Also machte ich Essen aus den Resten der Gemüsekiste, und zwar eine Pfanne mit Zwiebeln, Knoblauch, Auberginen, Zucchini, Tomaten, Steinchampignons und grünem Spargel.
Und das war es dann auch schon.)
Aber das wollen wir nicht wirklich, oder?
Wenn das Kind 8 ist und sich seit mehreren Tagen durch ein PC-Adventure arbeitet, dieses aber dann durch einen ungekärten Bug an einer Stelle im letzten Drittel hängen bleibt, sind plötzlich ganz neue Fähigkeiten gefragt: nämlich Foren durchforsten auf der Suche nach Patches, Konfigurationen oder gespeicherten Spielständen, die man dann nach abspulen diverser dubioser Programme irgendwo in die Eingeweide des Spiels implantiert. Und siehe da, nach nur einer halben Stunde ist alles top. Währenddessen möchte Frau Herzbruch den ipod für den 4jährigen aufbereiten und klickt sich diverse Skripte zusammen, die sich hübsch weiß auf schwarz selbstverwirklichen. Haha, und Sie dachten, wir sind so Muttis - wir können auch ganz anders!
Von den derart technikverwöhnten Kindern, die versprachen, sich nach Ende der zweiten Folge Jim Knopf unverzüglich selbst ins Bett zu bringen, ist allerdings das Kleinere gerade nackt auf Katzenjagd und das Größere schläft wohl schon, hat jedoch einen Zettel hinterlassen mit der Aufschrift "Ich Schlaf Bei euch!" Klappt also so mittel.
2 Stunden auf 1,5 qm mit Frau Merkel (aka Ona Herzbruch, immer wild jubelfuchtelnd) und einem Tyrannosaurus rex (Frau Herzbruch, eingeklemmt so dass nur zwei angewinkelte Ärmchen oben rausschauten) verbracht. Sonst alles gut.
Bonustrack I - Dramatis Personae
Zu den allermeisten habe ich keinen Kontakt mehr und natürlich tragen einige davon - so bedauerlicherweise Jana, Turek und Stefan-dass-das-klar-ist - Allerweltsnamen, die sich nicht gut googeln lassen. Andere sind trotz weniger durchschnittlicher Namen nicht auffindbar (Phil z.B.), bei wieder anderen waren mir die Namen nicht vollständig bekannt. Insbesondere den bürgerlichen Namen von Zett habe ich nie erfahren.
Oh und Pe2 blieben noch länger ein Paar und probierten einiges an Drogen aus. Oh wurde dann von seiner Mutter zu Verwandtschaft in exportiert, wo er auf einer Farm ein neues Leben anfangen sollte. Weniger Monate darauf raste er mit seinem Motorrad in einen Lastwagen; der Unfall war tödlich. Oh wurde 18.
Pe2 ist verheiratet, hat ein Kind und ist Niederlassungsleiterin eines großen deutschen Personalvermittlungsunternehmens in einer großen deutschen Stadt. Wir haben über unsere Eltern noch lockeren Kontakt.
Wenn man dem Facebookprofil von Mig glauben darf, arbeitet er in einem Reifendiscounter (oder besitzt ihn) und züchtet Kanarienvögel.
Yvette hat ein Kind im Alter von Mademoiselle und ist Sozialarbeiterin. Wir sehen uns manchmal bei Pe.
Tanja ist verheiratet mit frischem Baby, wohnt jetzt bei mir in der Nähe, wir telefonieren etwa alle 2 Jahre mal.
Rob - mein "Zwillingsbruder" - hat ein Tattoostudio in meiner Heimatstadt.
Steven hat im Sommer 2011 bei einem Preisausschreiben (Sudoku) der Lokalzeitung 50 Euro gewonnen. Mehr verrät Google nicht.
Der Frosch hat einen Malermeisterbetrieb, der stilistisch in Richtung Zen zu gehen scheint.
Den Schrank habe ich eine Zeit lang häufiger im Rapunzelturm im Aufzug gesehen, eine Begebenheit davon hatte ich mal erzählt. Er scheint einer Anzug-Tätigkeit nachzugehen. Seitdem ich andere Arbeitszeiten habe, hab ich ihn aber nicht mehr getroffen. Gesprochen haben wir nie.
Ahs Vater, Karl, starb ein paar Jahre später, als wir schon länger keinen Kontakt mehr hatten. Ah rief an, um Pe und mich zum Einen-auf-ihn-Trinken einzuladen. Wir gingen hin, sahen durch das Fenster in der Kneipe aber eine derartige Glatzenansammlung, dass wir es nicht über uns gebracht haben, hineinzugehen. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Vor ein paar Jahren habe ich ihn gegoogelt, damals war er in der Gebäudereinigungsfirma seines Bruders tätig. Heute finde ich keine Spur mehr.
Der Kuli ist ein regional recht erfolgreicher Fotograf.
Illy ist - das war die größte Überraschung - in diversen Bereichen zertifizierter Coach mit eigener Praxis und einer Reihe Veröffentlichungen. Eines ihrer Spezialgebiete ist Opferberatung.
Pe ist promovierte Biologin - wir haben während des Studiums zusammengewohnt - hat das alles aber vor zwei Jahren geschmissen und macht nun etwas ganz anderes, das ihr mehr Spaß macht. Ihr Sohn ist mein Patenkind und Mademoiselle ihres. Sie ist in unserer Heimatstadt geblieben und wir sehen uns fast immer, wenn ich dort bin.
Ich bin Frau N. Mich kennen Sie ja.
Es gibt diese Momente, in denen man sich plötzlich fragt: Was mache ich hier eigentlich?
So einen hatte ich eben, als ich mich nämlich auf dem Klo versteckt habe, um heimlich (also: ohne, dass meine Eltern es bemerken) ein Seniorenhandy mit Sim-Karte zu bestücken, freizuschalten und einzurichten.
Immerhin: es war einfach und ging schnell.
Heute vor zig Jahren:
Englischklausur ist einfach, zusätzlich noch ein Bio-Test, hatte ich total vergessen, ist aber auch einfach, Neuronen und so. Nach der Schule kommt überraschend so einer aus meiner Stufe vorbei, ich weiß erst gar nicht, wie der heißt, aber er tut so, als wären wir total befreundet, sehr merkwürdig. Dann kommt aber auch noch Micha unangemeldet zu Besuch und der aus meiner Stufe hat Angst vor Micha und haut ab und meint noch, er hätte gedacht wir hängen nicht mehr mit solchen Leuten ab. Micha meint, er schaut bald mal wieder vorbei und bringt vielleicht ein paar Leute mit, weil alle uns gern sehen wollen aber sich nicht trauen, in der Stadt was mit uns zu machen wegen Zett. Ich wimmele Micha dann ab, auf so Schisser können wir gut verzichten.
- - - Ende der Aufzeichnungen - - -
Immer dann, wenn ich etwas angestrengt bin, wenn alles etwas viel ist und wenn mir alle Sachen um mich herum zu viel sind, zu viel Unordnung, zu viel Krempel, zu viel Unnützes, dann möchte ich die Maus von Herrn Maus suchen.
Herrn Maus habe ich auf einer Familienfeier kennengelernt, etwa im Grundschulalter. Welche Feier es war, weiß ich nicht mehr, in meiner Erinnerung gab es ständig Feiern unglaublich alter Leute die eine merkwürdige Sprache sprachen, die ich nicht verstand (einen westfälischen Dialekt), die Männer trugen alle Kappen und Spazierstöcke, die Frauen trugen Oberteile, die über den Busen spannten und von dort kerzengerade nach unten fielen. Wenn die Frauen spülten - und das taten sie oft - trugen sie geblümte Kittelschürzen. Die Feiern fand ich meist langweilig und vor den Leuten hatte ich ein bisschen Angst, um Mitternacht gab es allerdings meist Eis so viel man wollte, das war gut. Später schlief man in kleinen Pensionszimmern, die nach Dorf rochen und in denen alles merkwürdig knarrte und sehr, sehr dunkel war, Papa schnarchte Laut und Mama kotzte einmal nachts aus dem Fenster.
Auf einer dieser Feiern flog Papa ein großes Insekt ins Ohr (Papa hat große Ohren - ich auch, ich habe die von ihm geerbt), das wussten wir aber nicht, es stellte sich erst etwa zwei Wochen später nach diversen Ärztlichen Untersuchungen beim Ohrenausspülen heraus, ich glaube, es war eine Hummel. An dem Abend wusste man aber nur, dass ihm schwindlig wurde und es knatterte komisch in seinem Kopf, so dass meine Mutter mit ihm vor die Tür ging, für frische Luft.
So saß ich dann in diesem Raum - meistens waren es Gemeindesäle oder Bürgerhäuser oder so etwas, und die Tische waren in U-Form und mit Tischdecken und Tischdeckenfesthaltklipsen, und ich war müde und verängstigt, weil ständig alte, bekappte Männer mit wässrigen Augen zu mir sprachen oder Frauen mich an ihre überpafümierten großen Busen drückten und ich kein Wort verstand.
Dann kam Herr Maus. Herr Maus stand plötzlich vor mir und sagte klar verständlich: "Hallo, ich heiße Herr Maus, damit die Leute, die ich kennenlerne, sich das besser merken können, schenke ich ihnen immer eine kleine Maus. Darf ich dir auch eine Maus schenken?" Ich bejahte und Herr Maus schenkte mir eine kleine Maus aus Ton oder so ähnlich, die auf einem Ansteckpin befestigt war. Dann war Mitternacht und Herr Maus sorgte dafür, dass ich genug Eis bekam und dann kamen meine Eltern zurück und wir gingen im dunklen, knarrenden Pensionszimmer, das nach Dorf roch, schlafen.
Die Maus von Herrn Maus hütete ich lange wie einen Schatz, sie lag immer in derselben Schachtel, zusammen mit einem Indianerbild, das ich an meinem ersten Kindergartentag bekommen hatte, einem Foto von meiner Katze, meiner ersten Geldbörse, später einem Stück "Mammutzahn" und schließlich meinen Milchzähnen.
Die Schachtel habe ich noch, aber die Maus von Herrn Maus ist weg, schon recht lange. Wie lange genau und wie das kam, weiß ich nicht, das erste Mal habe ich kurz vor meinem Auszug zu Hause intensiv danach gesucht, dann mehrmals in meiner Studenten-WG, in der alten Wohnung hier auch ein paar Mal, in der neuen bisher noch nicht, denn in dieser neuen Wohnung wohne ich ja immer mit Kind, so dass ich - auch wenn ich von der psychischen Verfassung her gern eine großangelegte Suchaktion nach der Maus von Herrn Maus starten würde, dazu überhaupt keine Zeit hätte. Kinder sind gut gegen Zwangshandlungen.
Irritierenderweise hab ich aber heute auf einem unserer Kühlschrankmagnete eine Maus wahrgenommen, klein und aus Ton oder so ähnlich, die auf dieses Magnet ganz offensichtlich mit Sekundenkleber aufgeklebt ist, und das nicht in einer Form, wie man es im Laden kaufen könnte. Ich habe diese Magnetmaus schon öfters gesehen, aber nie bewusst. Wo kommt diese Magnetmaus her? Ist das die Maus von Herrn Maus, die ich vielleicht doch irgendwann nochmal wiedergefunden und zur Sicherheit dort aufgeklebt habe? Man weiß es nicht, Phasen der Herrmausmaussuche sind keine Phasen, an die man sich später im Detail erinnert.
Morgen haben wir ein größeres Familientreffen. Ich werde dort herumfragen, wer eigentlich Herr Maus genau war, ob ihn noch jemand kennt, ob es ihn noch gibt, ob er noch Mäuse verschenkt, ob jemand eine Maus hat und wenn ja, ob ich die mal sehen könnte.
Heute vor zig Jahren:
Die Schule hat zwei Russinnen beschafft, die die Klassenstreberin und mich auf diesen Sprachwettberwerb vorbereiten sollen. Ich hab da ja nicht so Bock drauf, die Bücher sind auch alle total langweilig. Um 14 Uhr kommt Pe2 und wir labern so. Um 16 Uhr Spanischklausur, um 18:30 Uhr zu Hause, morgen Englischklausur.
Wie gut, dass ich nicht tagebuchblogge, sonst wüsste ich ja heute gar nichts zu schreiben.
Ich bin gespannt, denn: ich habe Klamotten bestellt und kann die morgen abholen. Ich habe neulich schon einmal Sachen bestellt, dabei war ich aber irgendwie nicht ich selbst. Ich fand, es wäre an der Zeit, dass ich mal bunte Dinge trage und mit Muster. Frau Herzbruch hatte so ein schönes orange-psychedelisches Shirt an und ich dachte: das kann ich doch auch! Und sowieso kann ich jetzt auch mal teurere Sachen bestellen, dachte ich, die sind dann hochwertiger und halten länger und wenn man sie gerade so richtig eingetragen hat, muss man sie nicht schon wieder wegen ausgeblichen und ausgeleiert entsorgen.
Dann kam die Lieferung und, naja. Teilweise hatte ich Sachen bestellt, die im Katalog irgendwie dezent aussahen, in Wirklichkeit aber große Blümchenmuster aufwiesen oder sogar irgendwas mit Tieren. Teilweise hatte ich auch Sachen bestellt, die Frau Herzbruch tragen könnte, aber ich natürlich nicht (orange, braun und so). Und dann konnte ich am höheren Preis auch nicht unbedingt bessere Qualität ausmachen.
Das war lehrreich. Ich bin ganz offensichtlich eben nicht braun, orange, beige oder gelb sondern uni schwarz und blau und grau (und vielleicht noch rosa, auch wenn ich das ungern zugebe). Und vermutlich bin ich auch eher billig.
Heute vor zig Jahren:
Philo-Klausur, ist okay. Vor Spanisch treffen wir Steven und er ist besorgt, ob wir noch zerstritten sind, dabei waren wir gar nicht zerstritten, wir haben nur zur Abwechslung mal etwas unterschiedlich gemacht. Nach Spanisch zu Hause essen, dann Klavier.
Aktuelles Gemüsekistenbild für Frau Sid

Hiermit auch festgestellt: Essensfotografie ist nichts, womit ich mal ganz groß rauskommen werde.
Das Kassenpersonal der gerade öffnenden Supermarktkasse kommt mit einem länglichen, metallenen Gegenstand angerannt: "Was ist das denn?"
Frau N: "Ein Ananasschneider."
Kassenpersonal: "Damit schneidet man Ananas?!"
Frau N: "Ja. Hier, dieses runde Ding ist eigentlich fest, das setzt man auf die Ananas. Der Strunk sitzt unter dem Loch, hier, das Rohr ist ja hohl. Dann dreht man und das Runde Ding schneidet die Schale ab, den Strunk heraus und gleichzeitig die Ananas in eine Spirale. An den Knöpfen hier drückt man, dann kann man das Rohr durch die Ananas ziehen und der Strunk kommt mit raus. Das ist sehr praktisch."
Kassenpersonal: "Wozu brauchen wir denn sowas?"
Frau N: "Sie verkaufen hier geschälte Ananas. Irgendwer wird die schälen und diesen Ananasschäler dafür verwenden."
Kassenpersonal: "Das lag jetzt aber einfach so im Büro! Was soll ich denn damit?"
Frau N: "Der lag dort, weil er kaputt ist. Geben Sie der Filalleitung Bescheid und fragen Sie, ob schon ein neuer besorgt wurde. Sonst gibt es morgen keine geschälte Ananas. WMF nebenan hat die Dinger."
Kassenpersonal: "Frau Filialleitung, kommst du maaaal? Hier, guck mal, das Ding ist ein Ananasschneider, wir brauchen einen neuen, der ist kaputt. Können wir Nebenan holen."
Frau Filialleitung: "Wie hast du das denn jetzt herausgefunden?"
Kassenpersonal: "Die Kundin hier wusste das alles."
Frau Filialleitung: "Aha. Und woher?"
Kassenpersonal, zu mir: "Und woher?!"
Frau N: "Ich bin ein Fuchs."
Kassenpersonal: "Sie ist ein Fuchs."
Heute vor zig Jahren:
Schule wie immer, nachmittags Philo lernen.
Vorweg: wie zu Hause angekündigt habe ich es geschafft, die Tagesordnung des Elternabends in exakt 18 Minuten durchzuziehen. Aber dann kam diese Frage. Und als diese Frage nach 45 Minuten fertigbesprochen war, war da der Vater mit Karohemd und Pollunder.*
Pollunderman: Ich habe noch eine Frage, eher: einen Wunsch!
Frau N: Bitte.
Pollunderman: Das Protokoll vom letzten Elternabend kam sehr verspätet, es wäre schön, wenn wir das von heute früher bekommen könnten.
Frau N: Da haben Sie Recht, beim letzten Elternabend brannte bei mir das Haus gegenüber ab und meine Tochter war allein zu Hause, da hatte ich das Protokoll komplett vergessen und es viel mir erst Wochen später wieder ein. Dieses Mal dauert es nicht so lange.
Pollunderman: Das reicht mir als Auskunft nicht. Ich möchte das Protokoll binnen einer Woche.
Frau N: Gut - da gibt es genau zwei Möglichkeiten. Die erste ist, Sie schreiben das Protokoll für heute selbst, dann können Sie es gern so schnell verteilen wie Sie möchten. Die zweite ist, dass eine andere Person das Protokoll schreibt, und diese andere Person wird das dann in ihrem eigenen Tempo tun. Mir sind beide Möglichkeiten gleich lieb, Sie können sich das aussuchen.
Schulsozialarbeit: (tut so als müsste sie husten)
Pollunderman: (wischt mit dem Arm einen Teller Süßigkeiten vom Tisch und verlässt wutentbrannt den Raum)
Kopftüchmütter: T-t-t, Männer immer!
Reflektiv gesehen: was ich an meiner Arbeitsstelle besonders schätze, ist die Alltagstauglichkeit der Lernkurve. Ich würde sagen, vor zig Jahren habe ich gelernt, Leute einzuschätzen. Mein aktueller Job ist die darauf aufbauende Meisterklasse in Gesprächsführung mit schwierigen Charakteren.
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*Die Sprachwissenschaftlerin im Haus weist mich auf eine Orthographieschwäche hin. Eigentlich ist es aber Rheinisch, bei uns heißt das mit "o".
Heute vor zig Jahren:
10 Uhr aufstehen, jobben, ich vergesse total, zum Geigen zu gehen. Rufe Pe an, lese. Schulfrei wegen Abitur.