Haben Sie in letzter Zeit schon einmal versucht, ein Tier aus dem Tierheim bei sich aufzunehmen? Mir scheint, das gängige Verfahren ist bald dem Adoptionsverfahren für Menschenkinder angenähert, in Dauer und Umfang.
Telefonisch oder per Mail geht immer schon mal gar nichts, man soll auf jeden Fall (zu relativ kuriosen Öffnungszeiten) vorbeikommen. Auch, bevor die Frage, ob die gewünschte Tiersorte vorrätig ist, überhaupt beantwortet. In einem Tierheim sollte auf das erste "Vorbeikommen" ein "Informationsgespräch" folgen, dann ein "Auswahltermin", dann eine "Wohnungsbesichtigung", dann ein "Vermittlungsgespräch", dann die "Abholung" und zu guter Letzt eine "Nachkontrolle". Ich schlug vor, ein paar dieser Termine zusammenzulegen, aber das wurde nicht wohlwollend aufgenommen. Das betreffende Tierheim klagt übrigens über besonders schlimmen Katzennotstand. Wenig überraschend, würde ich sagen.
Zugegeben, das war ein Sonderfall, bei allen anderen käme man mit drei Terminen davon. Das ist mehr, als ich dachte, aber noch im denkbaren Rahmen. Nicht im Rahmen ist, auf meine gemailte Frage "Vermitteln Sie derzeit auch Katzenkinder?" die Antwort "Sie können gern am Samstag vorbeikommen und sich vorstellen. Dann werden wir sehen, ob Sie für Katzenkinder geeignet sind." Danke, auf Wiedersehen. Was auch nur in begrenztem Umfang geht, jedenfalls für mich, ist, Katzenseiten abzusurfen, die das Wort "Dosi" (eventuell gesteigert schlimm auch "Dosine") und Verwandtes (Fellnase, schnurrige Grüße) verwenden. Gut, eine Zeit lang kann ich diverse Spielchen mitspielen, wissend nicken, wenn mir gesagt wird, dass Katze A eine ganz bestimmte Art von Liegemulde benötigt, Katze B zu einem gewissen Zeitpunkt nicht angeschaut werden kann, weil sie da üblicherweise frisst, Katze C den babypudergeruch eines gewissen Streus sehr schätzt, Katze D nicht aus Näpfen, sondern von normalen Tellern, "wie wir auch", essen möchte. Aber eben nur eine gewisse Zeit lang. Und die ist sehr, sehr bald abgelaufen.
Es wäre also wirklich schön, wenn die heute besichtigten Kätzen bei uns einziehen würden. Damit ich mich diesem Milieu bald wieder entziehen kann.
Heute vor zig Jahren:
Ich habe Ah angerufen und wir verabredeten, dass er um 17 Uhr zu mir kommt. Er kam schon um 16:45 und zwar mit einem „Sunny“, der nur noch auf mein Bett fallen konnte (Alkohol). Wir gingen dann bald runter, wo Ah eine Flasche Wein deponiert hatte. Dann fuhren wir in die Stadt und spazierten dort entlang und überlegten, wo wir ein Bier herbekommen sollten, weil der Wein eklig war und ich ihn nicht trinken wollte (Ah und Sunny schon). Das stellte ein unerwartetes Problem da, denn Ah wollte nicht nach 17 Uhr in die Stadt aus Angst vor den Leuten, mit denen er da Ärger hat und sowieso wollte er nicht mit mir in die Stadt, weil er auch Angst vor Illy hat. Also mussten wir einen total weiten Umweg gehen, um zu einem Kiosk zu kommen, als Entschädigung kaufte Ah mir ein Bier und auf noch eine Flasche Martini. Das Bier war allerdings warm. Dann fuhren wir vor eine Tanzschule weil Ah meinte, da wäre es immer gut. Als wir dort waren, war da allerdings gar nichts, so dass Ah zum Kiosk zurückwollte. In der Bahn entschieden wir uns aber um und fuhren an den Bach, da ist ein Stromkasten mit Bank, in der Nähe von Ahs Mutter. An dem Stromkasten wartete Pe schon auf uns, obwohl wir uns gar nicht da verabredet hatten, wir hatten verabredet, dass ich Pe anrufe wenn klar ist, wo wir länger bleiben. Als Ah fragte, wieso sie da ist und wusste, dass wir kommen, meinte Pe nur „wo solltet ihr denn sonst sein?“ Ah ging nochmal los und kaufte nochmal den gleichen ekligen Wein und trank die Flasche auch noch mit Sunny aus und dann dasselbe Spiel nochmal. Ich trank den Martini weil ich den Wein zu widerlich fand und das Bier zu warm war, vom Martini wurde mir aber schlecht und ich bekam Kotzanfälle. Pe war sofort stocknüchtern und Herrin der Lage, sie schickte Ah Wasser holen und legte mich stabile-Seitenlage-mäßig auf die Bank und so schlief ich dann ein. Irgendwann wachte ich auf weil Pe Flaschen zerschlug und Sunny verjagte, er hatte sich irgendwie schlecht benommen, keine Ahnung. Wir fuhren dann mit dem Bus zum Karl, der uns Kaffee machte und immer „Röschen, Röschen, Röschen...“ mit sorgenvoller Stimme murmelte. Wir guckten Fernsehen, Ah schlief und ich kotzte nochmal. Dann gingen wir zu mir und übernachteten bei mir. Um ca. 1 Uhr wurden wir total hungrig und ich kochte eine geniale Gemüsesuppe.
In meinem Vierersitz in der S-Bahn mit mir zwei Herren, Anzug, mittleres Alter.
Herr 1: Haste heute früher Feierabend?
Herr 2: Ja, wegen Halloween.
Herr 1: Macht ihr da was zu Hause?
Herr 2: Nee, aber die Nachbarskinder. Da ist mein Sohn auch eingeladen. Da geht der aber nicht hin, das wollen wir nicht, dass er da um die Häuser zieht und um Süßigkeiten bettelt. Der kann in zwei Wochen Martinslieder singen. Das kommt doch alles aus dem Amerikanischen, reiner Kommerz, wie - ähm, wie heißt es nochmal, äh...
Herr 1: Äh, ich weiß, was Du meinst, Muttertag?
Frau N (souffliert leise): Valentinstag
Herr 2: Nee, Valentinstag. Muttertag gehört zu uns, aber Valentinstag kommt auch von den Amis.
(kurze Nachdenkpause für alle)
Herr 1: Also wieso gehste denn jetzt heute früher?
Herr 2: Na wegen Halloween! Ich muss dann mit meinem Sohn woanders hin, sonst gibt das Stress mit dem, wenn der nicht mit den Freunden raus darf!
Herr 1: Achso. Und wo geht Ihr hin? Zoo?
Herr 2: Nee. Viel zu kalt. Ich dachte, wir gehen zu - Burger King.
Frau N: (steigt mit schlimmstem Lachanfall der Welt eine Station zu früh aus)
Heute vor zig Jahren:
Wir waren in der Stadt, Klamotten vom Trödelgeld kaufen.
Ich war auf einem Elternabend und es war überhaupt nicht schlimm. Waren auch keine nervigen Eltern da. Die meisten Fragen habe ich selbst gestellt, nämlich insgesamt eine, und nach einer guten Stunde war der Spuk vorbei. Gab sogar ein paar interessante Informationen.
Da, nehmt das!
Heute vor zig Jahren:
Wir stehen um 6 auf und verkaufen Trödel und nehmen total viel Geld ein.
Zimt sieht jetzt aus wie Pfirsich. Vielleicht. Glaubte ich heute für etwa 30 Minuten. Und das kam so:
Ich ging heute für die Kollegen Dessert kaufen, in einem Feinkostladen. Die Kollegen hatten "Milchreis" bestellt - das Sortiment des Ladens ist mehr oder weniger fix (nur montags kein Club-Sandwich, wie ich erfuhr), also kein Problem. Im Regal wurde tatsächlich gerade der Milchreis eingeräumt (ich war früh dran), allerdings hatten alle Milchreistöpfchen unten noch etwas Gelbes drin. Meine Frage, ob dies der einzige Milchreis sei, wurde mit "Jo!" beantwortet. Meine zweite Frage, ob es an manchen Tagen wohl noch anderen Milchreis gäbe, wurde mit "Nee!" beantwortet. Ich fragte sicherheitshalber zusätzlich noch, ob, wenn mir jemand sagt, ich soll von eben diesem Feinkostladen Milchreis mitbringen, wohl ausschließlich der vorhandene gemeint sein kann, der mit Obst unten drin, und erfuhr: Da ist gar kein Obst untendrin. Das ist Zimt!
Ich wagte zu wiedersprechen. Zimt ist doch nicht pfirsichgelb, stückig und feuchtglänzend. Zimt ist das Pulver obendrauf! Die Verkäuferin tippte auf den Deckel und sagte: "Hier steht es doch. Zutaten: entrahmte Milch, Reis, Sahne, Zimt. Wenn da noch was anderes drin wäre, müsste das ja draufstehen." Noch einmal zeigte ich verbissen auf den gestückelten Pfirsich, der das untere Viertel des Bechers füllte. "Zimt!", sagte die Verkäuferin.
Manchmal passiert es mir, dass ich einem ganz offensichtlichen Sachverhalt gegenüberstehe, der für jeden sonnenklar ist. Wenn dann aber eine Person kommt und diesen kategorisch ausschließt, werde ich unsicher. Viel unsicherer als bei Punkten, die von vornherein strittig sind. Man behauptet schließlich nicht, ein Pfirsich sei Zimt, wenn man es nicht wirklich tausendprozentig weiß. Ich kaufte also den Milchreis mit der minimalen unterschwelligen Erwartung, dass es sich bei dem unteren Viertel eindeutiger Pfirsichstücke tatsächlich um Zimt handeln könnte. Ein neue Sorte eventuell, wir sind schließlich im Feinkostladen. Oder vielleicht habe ich in Bezug auf Zimt in den letzten Jahrzehnten etwas Wesentliches missverstanden. Egal, wie auch immer, ein bisschen glaubte ich der Frau.
Aber tja, was dann? Herbe Enttäuschung. Es war Pfirsich. Wie langweilig!
Heute vor zig Jahren:
Morgens erklärt die Projektlehrerin mir mein Horoskop und sagt, dass Leute mit so Konstellationen wie ich meistens einen schwierigen Charakter haben.
Danach hole ich mir ein neues T-Shirt. Nachmittags gehen wir zu Ah (zur Mutter) und Danni ist auch schon da. Um 19 Uhr gingen wir zur KJG. Wir sind dank unserer Beziehungen noch reingekommen. Die Marienkäfer waren da, sie laberten uns zu, dass nämlich Ah ein Milchbubi ist. Stefan raucht wieder und kann uns was besorgen und fragt, ob ich mit ihm zusammen sein will. Will ich nicht. Er geht pogen und bricht sich einen Zahn ab. Dann sind noch diverse Leute aus der Schule und aus der Stadt auf der KJG.
Das Katzennetz hängt jetzt, zumindest provisorisch. Man wird mit Häkchen und einem Spannseil noch etwas nacharbeiten müssen, aber die plötzliche Dunkelheit verhinderte alle weiteren Maßnahmen. Was ich festgestellt habe: Es macht mir weiterhin so gut wie gar nichts aus, in größeren Höhen herumzuturnen (aktuelles Beispiel: ganz oben auf einer großen Leiter, die an der Brüstung eines Balkons im 2. Stock steht). Ein bisschen unwohl wird mir aber durch die Reaktion der Leiterhalter, weniger durch das, was sie sagen, als durch die Sprechweise, die eine Mischung aus nervös und kompetent-krisensituationsadäquat ist. Aber bestimmt ist das gut. Bestimmt bin ich einfach total empathisch oder so.
Im nächsten Schritt fuhren wir in einen großen, dunklen Wald.

Was Sie hier sehen, ist ein Faszinosum. Sie sehen meinen Schuh, aber nicht an meinem Fuß. Es ergab sich somit für mich die einmalige Gelegenheit "Ey, mein Schuh ist auf!" zu bemerken und damit gleichzeitig eine Handlungsaufforderung auszudrücken, mich aber nicht im Bereich der Unverschämtheit zu bewegen.
Der Wald war wirklich enorm dunkel und die Taschenlampe, wie Frau Herzbruch bemerkte, nun eben auch nicht gerade eine Maglite. Tatsächlich war es eine rosafarbene Kindertaschenlampe, die Schaufel hingegen war absolut industrial size. Trotz übergroßer Schüppe war es aber an mir, nach etwa einem Kilometer zu bemerken: "Das war kein guter Plan." "Sag das nochmal," erwiderte Frau Herzbruch. "Das war kein guter Plan.", sagte ich. Frau Herzbruch: "Ich freue mich, dass Du das sagst." Solche Gespräche führe ich ja ansonsten nur im Büro.

Wir planten also um. Lassen Sie es sich gesagt sein - wenn im Fernsehen Leute mal so eben eine Leiche verbuddeln, dann ist das irgendwie gestellt und da gerade frischer Mutterboden locker aufgeschüttet oder so. Stellen Sie sich das mal alles nicht zu einfach vor! Wenn Sie tatsächlich mal wen zu beseitigen haben sollten, ist 'Loch im Wald' graben vermutlich die mit Abstand schlechteste Wahl, die Sie treffen können. Probieren Sie lieber etwas aus in Richtung Neubaugebiet, wo gerade Betonpfeiler gegossen werden.
Wenn es ein Loch im Waldboden sein muss, hilft Ihnen quasi nur archäologische Auslandserfahrung in Verbindung mit absoluter Zielorientierung, sprich: Sie müssten uns buchen. Allein, wir hätten keine Lust. Wir sind froh, jetzt wieder über Eck am Küchentisch zu sitzen und uns den dazwischen stehenden Stuhl als Fußablage aufzuteilen.
Heute vor zig Jahren:
Wir gehen zur Karl-Fete. Auf der Treppe werden wir von zwei prolligen Mädchen empfangen, beide so ca. 13 Jahre alt. Sie heißen Danni und Nicole-mit-Betonung-auf-dem-i. Auf der nächsten Treppe kommt uns Ah entgegen und umarmt und überschwänglich, schmeißt sich auf die Knie und umarmt unsere Beine und sagt er sei so froh dass wir ihm nicht mehr böse sind. Dann haut er auf den Docs-Kappen rum und freut sich sichtlich, dass die mit Stahl sind. Dann geht er an uns vorbei nach unten. Wir gehen hoch. Er fragt, ob wir nicht kommen und wir sagen, wir hätten gedacht, endlich mal wieder rein zu dürfen. Wir dürfen und er kommt sogar mit, serviert uns Getränke und dann sind die Prollmädchen wieder da und haben noch einen kleinen Prolljungen mitgebracht namens Klausi. Es stellt sich einiges heraus: Danni behauptet, sie ist 15 und Nicole-mit-Betonung-auf-dem-i 14 aber das muss gelogen sein denn dann wären die ja fast so alt wie wir. Danni ist mit Ah zusammen. Wir erzählen mit Ah über Pe2 und Oh und was wir so gemacht haben und versuchen, die drei Kinder so gut wie möglich zu ignorieren.
Um ca. 20 Uhr gingen wir zum Bus, weil Danni dringend nach Hause wollte um einen Film aufzunehmen, nämlich: La Boum. Am Bus kotzt Danni auf den Boden und legt sich hin, wir müssen sie also nach Hause bringen. Die Eltern wollen sie nicht rein lassen, also bringen wir sie zu ihrer „Omma“. Ah fragt, ob wir nicht eigentlich bald Geburtstag hätten und sagt, wenn wir mit ihm feiern, gibt er einen Kasten aus. Wir sagen zu unter der Bedingung, dass die Kinder nicht dabei sind. Danni fragt Pe, ob sie mit dem Klausi zusammen sein will. Sie will nicht. Wir liefern Danni bei der Omma ab und gehen dann zur Mutter vom Ah und hören Musik. Plötzlich klingelt es und Danni und Klausi stehen wieder vor der Tür. Ah rennt runter um sie zu verscheuchen, als er nicht zurückommt rennen wir hinterher und sehen, wie Ah und Klausi irgendwen verprügeln. Wir greifen sofort ein und schubsen Klausi und Ah in den Hauseingang und lassen sie nicht mehr raus und der Typ flieht auf einem Fahrrad, Ah sagt, der hätte Schuhe angehabt die er nicht anhaben darf und wir sagen Ah, dass er ein Arsch ist und wir ihm absolut verbieten, Leute zu verprügeln, völlig egal weshalb. Dann setzten wir uns vors Kino bis Pe vorschlug, woandershin zu gehen und was zu trinken zu holen. Wir, also Pe, Ah und ich rennen einfach weg und lassen Danni und Klausi zurück und holen uns am Kiosk eine Flasche Sekt. Dann fahren wir zum Karl. Ah und ich schlafen im Bus und später auch beim Karl, Pe unterhält sich mit Karl über das Leben an sich und weckt mich um Mitternacht, damit wir nach Hause gehen.
Dringlicher Service-Hinweis:
Wenn man den Tag über mindestens bei fünf Gelegenheiten erwähnt, dass kein Grund zur Eile besteht, weil die Uhr umgestellt wird und in der Nacht eine Stunde mehr zur Verfügung steht, so dass man die Zeit locker wieder aufholen kann - dann geht das am Ende des Tages überraschenderweise nicht so wirklich auf.
Heute vor zig Jahren:
Nachmittags ruft Ah an und läd uns zu einer Fete beim Karl ein.
Nach dem Frühstück zum Schneider, dann ein Strumpfhoseneinkaufsbummel, dann in den Pralinenladen. Um halb 12 im Büro gelandet. Mittagspause von Viertel nach 1 bis halb vier. Zurück am Arbeitsplatz nichts zu tun gefunden und nach zwei Stunden wieder gegangen.
Im Regen spaziert, in der Bäckerei etwas gekauft und mit der Verkäuferin über Walnuss-Sahnetorten mit Marzipandach gesprochen. Bei der Abkürzung durchs Einkaufszentrum in einem Krimskramsladen gelandet und erst nach unbestimmter, aber langer Zeit daraus wieder aufgetaucht, ohne etwas zu kaufen. In den Supermarkt gegangen für einen Bagel und Champignon-Brotaufstrich. Mich im Schuladen mit vielen Stiefeln um mich herum wiedergefunden, obwohl ich doch gar keine Stiefel brauche. Wieder gegangen und ein Outlet, das ich bisher noch nie betreten habe, besichtigt. Lange Zeit an einer Straßenecke gestanden und fasziniert beobachtet, wie im Dunkeln die nassen Blätter eines Baumes im Licht einer dahinterstehenden Straßenlaterne funkeln. Wie aus einem Traum aufgewacht und durchnässt und frierend nach Hause gelaufen.
Zu Hause wartet heute keiner. Kein Mann, kein Kind, kein Tier. Würde ich die Nacht vor dem glitzernden Baum verbringen, das würde keinen stören. Nie war ich so allein in den letzten drei Jahren.
Es ist unglaublich, auf wie viele grundverschiedene Arten ein einzelner Mensch glücklich sein kann.
Heute vor zig Jahren:
Nichts besonderes. Ah will sich heute mit uns treffen aber wir haben keine Lust.
Schlafen. Fast eine Woche lang konnte ich nicht richtig schlafen. Bevor ich krank werde, habe ich immer ein bis zwei schlaflose Nächte - ich erkäre mir das so, dass Immunsystem und Stoffwechsel dann auf Hochtouren laufen, um Viren, Bakterien etc. doch noch rechtzeitig zu besiegen, und daher der Körper zu aufgedreht zum Schlafen ist. Das ist normal. In den Nächten danach hätte ich aber eigentlich gut schlafen müssen, was zunächst durch das Kind und dann durch die ständig laufende Nase verhindert wurde - ich schlafe auf dem Bauch. Wie soll das gehen, wenn dauernd was aus der Nase läuft? Da ertrinkt man ja mitten in der Nacht in einer Rotzpfütze!
Jetzt hole ich das alles nach. Letzte Nacht schlief ich wie ein Stein. Im Büro zog ich mich am späteren Vormittag für eine halbe Stunde in den Liegeraum zu einem Schläfchen zurück. Ich ging früher heim, powernappte schon einmal in der S-Bahn, um dann zu Hause nochmal drei Stunden tief und fest auf der Couch zu schlafen.
Und jetzt geht es gleich weiter. Das Kind kehrt erst am Wochenende zurück, bis dahin wird hier geschlafen, als gäbe es kein morgen.
Gute Nacht!
Heute vor zig Jahren:
Nichts besonderes.
Die Erkältung ist nun in einem Stadium, in dem sie sich ganz gut ignorieren lässt, ABER: ich bin minus zig Sinne. Das finde ich anstrengend.
Beispiel: heute morgen bekam ich Weihnachtsstimmung. Ich radelte durch die Dunkelheit und die Lichter leuchteten und es war alles wie Stille Nacht (nur ohne Schnee), ganz, ganz leise. Tatsächlich war um mich herum Großstadtberufsverkehr, aber ich hab ja die Ohren dicht. Da war mir weihnachtlich, das ist okay, aber ich konnte weder das Surren des Rades hören noch, ob der Dynamo eingeschaltet ist und ich Licht habe. Und auch nicht, ob von hinten ein Auto kommt.
Noch ein Beispiel: Am Montag brannte Frau Herzbruch und mir beim Kochen der Kürbis an und wir entdeckten es nur ganz zufällig, an der Farbe. Denn erstens konnten wir nicht hören, wie die Kochflüssigkeit verblubberte, und zweitens konnten wir nicht riechen, wie der Geruch sich veränderte. Da wir aber ja zusätzlich das Verbrannte auch nicht schmecken konnten, war alles in Ordnung.
Sowieso, riechen und schmecken. Wenn ich erkältet bin, riecht Zigarettenrauch für mich nach Räucherfisch (ich lehne Räucherfisch strikt ab, seit ich einmal in Begleitung von Räucherfisch auf einer hochsommerlichen Autobahnfahrt lange im Stau stand). Mein Erdbeerduschgel riecht nach saurem Hundekot. Bananen riechen nach Erde. Mango riecht nach Putzmittel. Mein Parfum riecht nach Nagellackentferner und der Rotwein nach Essig - gut, der steht schon eine Weile, das gilt nicht.
Dennoch: Ich befinde mich in einer olfaktorisch-gustatorischen Realitätsverschiebung und höre zusätzlich noch schlecht.
Immerhin, ansonsten geht es mir gut.
Heute vor zig Jahren:
Anfang der Projektwoche. Aus Gründen, die keiner kennt, bin ich in ein Astrologie-Projekt eingeteilt worden...
Uni hat sich auch nicht so sehr verändert in den letzten 10 Jahren. Gut, auch bei mir hat sich nicht verändert, dass ich erst eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn aufwache und in eine gewisse Eile gerate, aber ich bin ja auch krank. Und musste auch noch inoffiziell fahren, ich mag nicht sagen "schwarzfahren", denn ich habe ja eine Jahreskarte, nur lag die zu Hause - ich bin krank, das passiert sowas, ich war schon stolz, dass ich an den Haustürschlüssel gedacht habe, aber Geldbörse, meine Güte - wurde also auch von niemand anderem genutzt, war nur eben bei der Fahrt nicht dabei. Ich habe das Beförderungsentgelt entrichtet und war Eigentümer einer Fahrkarte, nur eben nicht Besitzer, wobei es auch keinen anderen Besitzer gab, zwischen mir und der Fahrkarte war sozusagen nur das Naheverhältnis gestört, oder: Ich hatte einen gültigen Fahrausweis, nur halt gerade nicht da. Sie sehen, es beschäftigt mich immer noch enorm, ich hätte es der Kontrolle natürlich auch (natürlich erfolglos) exakt so erklärt, es kam aber keine, umso besser, auf dem Rückweg habe ich dann ein Ticket gekauft, um nicht länger über diesen Sachverhalt nachdenken zu müssen, mein Seelenfrieden ist mir € 4,10 wert (sagt mal, RMV, seid ihr eigentlich noch von dieser Welt, € 4,10 für 5 Stationen S-Bahn???!). Gut, wir können fortfahren. (€ 4,10!!!! Alle irre!!)
Ich würde übrigens anregen, dass irgendwelche reichen Mäzene, naja, also Absolventen, die es sich leisten können und ihre Universität in sentimentaler Erinnerung behalten - naja, gut, wer sollte das sein... - also falls es so Leute gäbe, könnten sie ja Patenschaften für Räume übernehmen und dort dafür sorgen, dass die Tische und Stühle mal instand gesetzt werden und das Linoleum korrekt befestigt. Das würde zur Lernatmosphäre beitragen. [Das war subtile Kritik.]
Jedenfalls: Die Studenten haben sich auch gar nicht verändert, ich war konstant damit beschäftigt, meine Kommilitonentypen von früher im Seminarraum von Frau Herzbruch wiederzufinden. Es gab die Mädchen mit so Kettchen und Spängchen, es gab die Mädchen, die um 14 Uhr aussehen wie frisch aus dem Bett gefallen, es gab den Seniorstudenten, es gab eine mit Hennahaaren und Notizen in pinkfarbener und lila Tinte, es gab die Cliquenhühner und die Einzelgänger und die Austauschstudenten, alles wie immer. Mich selbst habe ich auch gefunden, Frau Herzbruch sagte später, diese Studentin sei ihr aufgefallen, weil sie mal ein Tier mit in die Veranstaltung brachte, sich aber nicht meldete, als zur Erläuterung eines Beispiels gefragt wurde, ob jemand zufällig ein solches Tier besäße. Das könnte wirklich ich sein, ich habe auch nie gern auf Offensichtliches nochmal hingewiesen.
Mit der Lehre an sich hatte ich viel Spaß, es war allerdings ein bisschen wie Perlen vor die Säue, denn die Studentenschaft befand sich noch am Anfang der Ausbildung und konnte den subtilen Linguistenscherzen der Vortragenden nicht folgen. Ich schon, jetzt nicht aus spezieller Cleverness sondern schlicht, weil ich dasselbe auch mal studiert habe.
Bei der Verteilung der Arbeitsaufgaben wurde es schwierig. Bis nächste Woche einen Vortrag vorbereiten? Ohgottogott! Ein Thema nehmen, das man jetzt nicht unter den persönlichen Favoriten gehabt hätte? Umhimmelswillen! Aus Sicht von ein paar Jahren Berufserfahrung, in denen man sich ständig einen präsentationsfähigen Überblick über Sachverhalte, deren Existenz man weder erahnt noch erhofft hätte verschaffen muss, und zwar nicht bis nächste Woche sondern bis allerspätestens morgen, war das schon auch amüsant.
Ich bin etwas traurig, dass ich das alles nicht weiter verfolgen kann. Aber sicher wird mir davon erzählt. Ansonsten muss ich mir vielleicht dienstags ab und an Urlaub nehmen.
Heute vor zig Jahren:
Nachmittags sind wir bei mir und schreiben ins Tagebuch.
