Einen sehr entspannten Frühlingstag erlebt mit Spaziergang und Radfahren am Morgen, im Hof spielenden Kindern am Mittag, einem Nachmittag mit Balkonarbeiten und danach praktischerweise draußen trocknender Wäsche. Die ganze Zeit zerbreche ich mir den Kopf, was nochmal mein Problem mit der helleren Jahreshälfte war.
Und jetzt, am Abend, wird alles klar: das Bier muss - um mit Genuss trinkbar zu sein - wieder vom Balkon in den Kühlschrank verräumt werden.
Heute vor zig Jahren:
Wir haben uns kurz mit den Leuten aus unserer Klasse in der Altstadt getroffen, die Jungen wollten schon vorgehen aber Pe und ich wollten noch auf Kiki warten und wir sind dann nachgekommen. In der Spezialkneipe hatte aber nur einer einen Sitzplatz, also sind wir nach nebenan gegangen. Kiki ist dann schon wieder nach Hause gegangen, was echt gar nicht so dumm von ihr war, als Musik gab es nämlich Bros und außerdem war da noch ein aufdringlicher Alter, der uns total angenervt hat. Wir sind dann mit den Jungens zur Tankstelle gegangen aber die haben die ganze Zeit nur blöde Witze gemacht und es war total Scheiße. Dann haben wir auf der anderen Straßenseite zwei Typen von der Fete letzte Woche gesehen, den einen der aussah wie ein Mädchen und den mit dem blauen Flat und sind dann mit denen Pizza holen gegangen und haben die am Denkmal gegessen. Der mit dem blauen Flat heißt Ah und der andere Oh. Danach sind wir nach Hause gefahren.
Es ist wichtig, sich selbst einschätzen zu können. Deshalb kann ich Mademoiselle momentan leider nicht in der Schule abholen (im Ganztagsbereich ist das üblich, weil die Eltern zu verschiedenen Zeiten kommen), sondern muss sie mir vors Tor schicken lassen.
Das liegt daran, dass die Betreuungseinrichtung nächste Woche streikt. Und ich leider für diesen Streik keinerlei Verständnis habe. Worum er geht, weiß ich nicht, es ist mir auch egal. Um irgendwelche Interessen eben.
Es regt mich so auf, weil der Streik - meiner Meinung nach - an die völlig falsche Adresse gerichtet ist. Die Entscheider über die BAT- oder TL-V-Tabellen oder wie auch immer sie heißen mögen, empfinden, denke ich, wenig Druck, wenn mein Kind nicht wie vertraglich vereinbart betreut wird. Im produzierenden Gewerbe ist das sicherlich anders, da wird bei einem Streik nichts hergestellt und nichts verkauft und das bemerkt der Arbeitgeber sehr bald. Bei Kita-Gebühren ist es so, dass sie auch bei Streik weitergezahlt werden, also who cares. Dass die Eltern verärgert sind und diesen Ärger möglicherweise kund tun, mag sein. Aber: bei wem wüsste ich jetzt spontan nicht (ich persönlich habe die Betreuungsleitung angeschissen, aber das ist natürlich nicht die richtige Adresse), das herauszufinden fehlt auch die Zeit, die ich jetzt nämlich darauf verwenden muss, eine andere Betreuungsmöglichkeit zu finden. Und - am wichtigsten: das ist doch nun auch ums Verrecken nicht meine Aufgabe. Die Leute sollen sich bitte selbst mit wem-auch-immer auseinandersetzen. Im Zweifelsfall mit "denen da oben", was genau wie diese BAT/TL-V-Dinge ein Reizwort für mich ist, weil ich nicht weiß, warum das heute überhaupt noch existiert, warum Verträge nicht einfach individuell ausgehandelt werden - es will doch sonst auch immer jeder individuell und selbstverwirklicht sein - dann ist auch kein kollektives Gejammere nötig.
Fazit: ich fühle mich nicht solidarisch, sondern instrumentalisiert. Zur Durchsetzung irgendwelcher Interessen wird in die Betreuung meines Kindes und in die Sicherung meines Lebensunterhaltes eingegriffen - damit in elementare Bestandteile meines Alltags. Wieso gehen öffentlich Bediensteten nicht in ihrer Freizeit zu wem-auch-immer und werfen Tomaten oder machen eine Sitzblockade vor seinem Haus? Vermutlich könnte man dafür nicht so viele mobilisieren wie für einen freien Tag. Ich bin weit davon entfernt, Verständnis zu haben. Gewissermaßen bin ich aufgebracht.
Auf den Zettel, der mir mitteilte, dass ich in der nächsten Woche keine Betreuung in Anspruch nehmen kann und auf dem um mein Verständnis gebeten wird, habe ich rückgemeldet, dass ich kein Verständnis habe und sehr verärgert bin. Gerade konnte ich mich noch bremsen, aufzuschreiben, dass man auch bitte von politischer Indoktrinierung meiner Tochter im Unterricht absehen möchte - ich will ja keinen Krieg. Eigentlich will ich nur den blöden Erzieher/Innen per Mund-zu-Mund-Beatmung in die Fresse kotzen oder ihnen zumindest mit dem Stiefelabsatz den Hinterkopf aufpicken. Sehen Sie, und deshalb kann ich Mademoiselle momentan nicht in der Schule abholen. Es ist wirklich wichtig, sich selbst einschätzen zu können.
Heute vor zig Jahren:
Ich werde aus Politik rausgeschmissen weil ich dem Lehrer B. auf eine blöde Frage eine blöde Antwort gebe. [Anmerkung heute: leider weder Frage noch Antwort sind überliefert.] Eigentlich aber voll gut weil ich die Hausaufgaben für Englisch nicht habe. Die habe ich dann im Gang gemacht. In Englisch haben wir dann aber einen Film geguckt und die Hausaufgaben wurden nicht nachgeguckt. Ich komm mir voll verarscht vor.
Zwei Tage in Folge bin ich um 6 Uhr aufgestanden, habe geduscht, mich angezogen, gekämmt, geföhnt und habe mich um 6:50 Uhr wieder umgezogen und zurück ins Bett neben ein jammerndes Kind gelegt.
Nun gibt es deutlich schlimmere Dinge als ein krankes Schulkind - ein krankes Kleinkind oder sogar Baby z.B. - mit dem man immerhin interessante Bücher lesen, interessante Filme gucken und interessante Spiele auf Spielekonsolen spielen kann. Aber so ein doppeltes von Null auf Hundert und kurz darauf zurück auf Null macht mir absolut Matsch im Kopf. Ich möchte wetten, morgen verschlafe ich, und stehe dafür am Wochenende jeden Morgen um kurz vor sechs senkrecht.
Heute vor zig Jahren:
Pe und ich sind nach der Schule in die Altstadt gefahren, war aber voll kalt. Wir haben uns in der Passage auf den Boden gesetzt und geredet, dauernd haben uns Leute Geld vor die Füße geworfen. Ein Typ hat einen 50-Mark-Schein hingeworfen, dann hat er den aber wieder genommen und gemeint, er läd uns ein was zu trinken. Der war voll merkwürdig und hat genervt ohne Ende, ist einfach nicht weggegangen, wir sind mit ihm in die Spezialkneipe gegangen und als er die Getränke bestellt hat haben wir gesagt, wir gehen aufs Klo. Dann sind wir hinten im Hof über die Mauer geklettert und durch den Hintereingang in die Kneipe nebenan rein und da dann raus und abgehauen.
Frau N., mit Brötchentüte, schlendert den Gehweg entlang. Hinter ihr wildes Fahrradklingeln.
Frau N, zur Seite gehend: "Meine Güte, nicht so wild klingeln, da kriegt man ja nen Herzinfarkt!"
Mann: "Ja dann müssen Sie besser aufpassen und nicht den Gehweg versperren!"
Frau N: "Entschuldigung, ich habe hinten keine Augen im Kopf, aber einmal klingeln hätte gereicht. Und außerdem sind Sie hier eh nur Gast."
Mann: "Ich hab genauso deutschen Pass wie Sie!! Was soll das, sind Sie Nazi oder was??"
Frau N. "Orrrr. GAST! Mit dem FAHRRAD. Auf dem GEHWEG. Mir doch egal, wo Sie herkommen!"
Mann: "Oh. Äh, ja. Das ist so, man erlebt so viel, da wird man schon paranoid, wissen Sie, einmal war das so..."
Frau N., unterbrechend: "Entschuldigung, das interessiert mich nicht, ich bin in Eile."
Mann: "Nur kurz, Moment, damit Sie das verstehen, das beruht ja auf Erlebnissen..."
Frau N. wieder unterbrechend: "Ich will das nicht wissen! Machen Sie eine Gesprächstherapie oder so, mir egal!!"
Mann: "Vielleicht bei einem Kaffee...??"
Frau N: "GEHEN SIE WEG!!!"
Mann, endlich wegfahrend: "Sie sind aber psychisch auch nicht so ganz stabil..."
Nur 10 Minuten Freigang gehabt und gleich einer bekloppten Person begegnet. Das ist Effizienz!
Heute vor zig Jahren:
Die erste Stunde fällt aus aber keiner sagt einem ja irgendwas - dass in der dritten und vierten Deutschklassenarbeit ist wusste ich auch nicht. Dafür fallen die letzten beiden Stunden wieder aus und Pe und ich können den wirklich wichtigen Dingen nachgehen, nämlich das Schild für ihr Zimmer holen. Vorher kaufen wir noch eine Slime-Platte falls das mit dem Schild nicht klappt.[Anmerkung heute: Zusammenhang??] Das Schild klauen geht schnell, ist total einfach. Sah allerdings von unten viel kleiner aus und wir haben keine Ahnung, wie wir das Riesenteil nach Hause schaffen sollen. Und wie Pe das vor ihren Eltern verstecken soll, gerade wenn es an der Wand hängt. Nicht so richtig nachgedacht. Wir verstecken das Schild im Gebüsch um das alles nochmal genau zu überlegen.
Der Weg ins Büro in der Theorie:
7:30 Uhr entspannt die Wohnung verlassen, 7:31 ein Stockwerk tiefer das Zweitkind einsammeln, die Fahrräder aufschließen, zügig aber ohne Eile auf geradem Wege zur Schule radeln, dort um 7:40 eintreffen, den Kindern helfen, die Räder anzuschließen, noch einmal winken und zur Bahn weiterfahren.
Der Weg ins Büro in der Praxis:
7:29 die Wohnung verlassen. "Boah sind wir früh dran!" denken und sofort danach: "da können wir ja noch das Fahrrad von Mademoiselle aufpumpen!" Luftpumpe suchen. 7:35 die Wohnung verlassen, ein Stockwerk tiefer klingeln, das Zweitkind ist nicht fertig. Dem Zweitkind sagen, wenn es rechtzeitig nach dem Luft aufpumpen fertig ist, kann es noch mit. Im Hof pumpen, Tasche ablegen, pumpen, Schal ablegen, pumpen, Jacke ablegen, pumpen. Keine Veränderung am Rad. Die genaue Untersuchung der Luftpumpe ergibt ein Loch im Schlauch, der zum Ventil führt. Wieder in den 2. Stock laufen und die andere Luftpumpe suchen. In den Keller laufen und dort die andere Luftpumpe suchen. In den 1. Stock zum Zweitkind laufen und dort eine Luftpumpe erbitten - es wäre nicht wirklich so dringlich, die Reifen aufzupumpen. Aber Sie kennen das sicher, wenn man sich verbissen hat.
Das Zweitkind ist jetzt auch fertig. Die Nachbarin sucht eine Luftpumpe in ihrer Wohnung, in ihrem Keller, in ihrer Garage - nichts. Die Nachbarin fragt, ob sie auf ihrem Arbeitsweg die Kinder im Auto mitnehmen soll. Das Zweitkind steigt ins Auto, Mademoiselle will nicht. Das Zweitkind steigt aus dem Auto aus, Mademoiselle steigt ins Auto ein. Beide Kinder sind im Auto und fahren weg. Beide Ranzen und Sporttaschen stehen noch im Hof. Ich werfe die defekte Luftpumpe in den Müll und ziehe mich wieder an, das Auto mit den Kindern kehrt zurück. Beide Kinder steigen aus und steigen aufs Rad. Es ist jetzt 7:55 Uhr.
Fast noch tiefenentspannt fahren wir aus dem Hof. Am Baum vor dem nächsten Haus steht eine (vermutlich defekte) Salzkristalllampe. Beide Kinder steigen ab und bewundern die Lampe. Mademoiselle fällt vor Aufregung mit ihrem Fahrrad um. Die Lampe könnte der Feuerkelch sein, oder der Stein der Weisen. Wir wären Harry, Hermine und Neville (ich will immer Neville sein) und die Lampe wäre ein Bezoar. Vielleicht wären nachts Todesser oder Piraten oder Abenteurer dagewesen und hätten die Lampe vergraben aber es hätte geregnet und die Lampe wäre freigespült worden. Sicher waren Einbrecher im Nachbarhaus zugange und haben die Lampe gestohlen und, weil die Polizei kam, oder ein Detektiv, zurückgelassen. Das kindliche Leben ist voller möglicher Realitäten - die wahrscheinlichste jedoch, dass die Nachbarn das potthässliche Scheißding einfach nicht mehr haben wollten und vor die Tür geschmissen haben, ist im kindlichen Begriffsvermögen nicht angelegt.
Die Lampe muss mit. [Sie können hier noch eine mehrminütige Diskussion mit Schreien und den guten Argumenten allen samt und sonders auf meiner Seite einfügen, sie fand statt, sie ist aber irrelevant, denn das Ergebnis ist: s.o.] Die Lampe kann natürlich nicht mit zur Schule, sie ist zu schwer und vermutlich hat ein Hund draufgepinkelt (meine Meinung). Die Lampe muss in Haus oder Hof gesichert werden. Keines der Kinder kann die Lampe heben, geschweigedenn transportieren. Ich packe höchst entnervt die Lampe mit beiden Armen - sie wiegt ungefähr so viel wie Mademoiselle - weise die Kinder an, sich keinesfalls von der Stelle zu bewegen oder sämtliche Ranzen, Sportbeutel, Handtaschen aus dem Auge zu lassen und renne mit der Lampe zur Garage. Die Lampe ist schmierig, ich rede mir ein, das sei vom Tau. Ich werfe die Lampe in der Garage auf einen Sack Zement oder so - ich weiß nicht, wo er herkommt, aber er kommt mir gelegen. Ich renne zurück zu den Kindern, die bereits an dem Punkt sind, an dem die Lampe ein geheimnisvoller Meteorit wäre, der Ponys in Einhörner verwandeln kann. Die Kinder sagen, meine Jacke sei schmutzig - tatsächlich ist die gesamte Front meiner Jacke mit einer Salzkristall-Dreck-Tau(!)-Mischung beschmiert. Meine Hände auch. Meine Hände brennen, weil ich immer irgendwelche Schnittverletzungen an den Fingern habe und da nun Salzkristall-Dreck-Tau(!)-Pampe drin ist. Mein Gesicht juckt und ich kann mich mit meinen Händen natürlich nicht kratzen. An der zweiten Ampel droht der Tag sehr zu kippen, wird jedoch von Mademoiselle gerettet, die exakt die juckende Stelle an meiner Nase erwischt und kratzt.
Wir treffen um 8:10 in der Schule ein. Ich helfe den Kindern, die Räder anzuschließen. Ich laufe mit Mademoiselle in den 2. Stock ins Klassenzimmer und wasche mir dort die Hände. Und wasche die Jacke - glücklicherweise Leder - ab. Und erbitte ein feuchtes Tuch, mit dem ich die Fahrradgriffe reinigen kann.
Ich gehe zurück zu meinem Fahrrad, reinige die Griffe und nehme dabei starkes Deoversagen wahr. Irritiert schnuppere ich in meine Jacke, bemerke dann aber den Müllfahrer, der dichter als erwartet hinter mir steht, mir die Hand gibt und "Fahrrad wieder da! Gut!" sagt.
Dann fahre ich weiter zur Bahn.
Heute vor zig Jahren:
Ich warte morgens bis ich aufstehen muss, ich warte bis ich angezogen bin, ich warte bis ich gehen muss, ich warte bis die Bahn kommt, ich warte bis ich in der Schule bin, ich warte bis die Stunde um ist, ich warte bis die Pause um ist, ich warte bis die Schule um ist, ich warte bis die Bahn kommt, ich warte bis ich zu Hause bin, ich warte bis ich ins Bett muss, ich warte bis ich einschlafe, ich warte bis der Wecker klingelt.
Vier Möglichkeiten der Kaffeezubereitung gibt es im Hause Novemberregen, wovon eine rein theoretischer Natur ist.
Zum einen gibt es die Kaffeemaschine. Diese kommt zum Einsatz, wenn die erwartete Trinkmenge zwei große Tassen übersteigt.
Weiter gibt es Instant-Kaffee. Nein, das ist nicht die theoretische Variante. Instant-Kaffee ist gut, denn er erinnert an Campingplatz, Ferienhäuser ohne Kaffeemaschine und damit an Urlaub. Instant-Kaffee trinke aber, glaube ich, nur ich, und zwar dann, wenn ich nur eine Tasse möchte und keine Zeit habe.
Bei der theoretischen Variante handelt es sich um die Drückkanne. Heißt das so? Ich weiß es nicht, muss es auch nicht wissen, denn ich habe es nie verwendet und nie angeboten. Das Utensil steht aber im Schrank. Möchte jemand eine Drückkanne? Ich hätte eine zu verschenken.
Die vierte Möglichkeit ist natürlich die Caffettiera für auf den Herd. Daraus schmeckt mir der Kaffee mit Abstand am besten, erfordert jedoch ein gewisses Maß an Aufwand und Aufsicht. Nicht nur wegen der Caffettiera an sich, sondern weil der Kaffee für selbige im Hause N. aus ganzen Bohnen frisch gemahlen wird, und zwar in der Kaffeemühle von Tante Christine.

Tante Christine ist allerdings nicht meine Tante, sondern die Großtante meiner Mutter, wodurch man die Kaffeemühle getrost als Familienerbstück bezeichnen kann. Jedenfalls - bis die Bohnen in der Christinemühle gemahlen sind, vergehen ein paar Minuten, dann die Aufsicht über die Caffettiera, etc. Sie werden verstehen, dass dies nur an besonders entspannten Tagen stattfindet. Heute war so einer.
Manchmal frage ich mich, ob ich für die Caffettiera fertig gemahlenes Espressopulver kaufen sollte, um häufiger den allerbesten Kaffee zu trinnken. Allerdings glaube ich, dass das Wissen, die Bohnen mit der Christinemühle gemahlen zu haben, unabdingbarer Bestandteil des Kaffeegenusses ist.
Heute vor zig Jahren:
Den ganzen Tag nur geschlafen.
Eben war wieder kein DSL im Haus. Und da sieht man: so ein Ersthelfertraining zahlt sich absolut aus. Ich war nur einen minimalen Moment komplett geschockt mit Schweißausbruch, Tunnelblick und - am allerschlimmsten - instantan der Warteschleifenmusik von Vodafone im Ohr - spulte sodann aber kompetent den Notfallalgorithmus ab, der mit "Situation erfassen" beginnt. Und da offenbarte sich auch gleich das Problem: es war ein Kabel aus dem Router gerutscht. Kabel wieder rein, Internet wiederbelebt, alles gut.
Sowieso ist daran der Besuch schuld gewesen, der nämlich mit Laptop zum Kaffeetrinken kam. Warum kommen Leute denn mit Laptop hierher zum Sonntagskaffee? Haben wir nicht genügend Gästerechner im Haus Sind wir nicht interessant genug? Jedenfalls kam besagter Laptop nicht ins Wlan, weshalb ich das 15-Meter-Kabel reichte und da muss es später beim Aufräumen wohl passiert sein.
Es war klar, dass die Bewältigung meines Vodafone-Traumas einer guten Aufarbeitung bedarf. Sollte das Mittel der Wahl dazu eine Reizkonfrontationstherapie sein, wurde heute der erste Schritt getan.
Heute vor zig Jahren:
Wir sind von unseren Eltern gezwungen worden, einen Babysitterkurs zu machen. Danach wollten wir zum Rhein fahren. Wir hatten aber keine Motivation, den ganzen Rhein nach Leuten, die wir kennen, abzusuchen und hatten auch gehört, dass beim Kuli eine Fete ist, also sind wir dahin gefahren. Wir hatten zwar keine richtige Lust aber was sollten wir sonst machen. Pe hat sich ein Bier geholt und wir haben uns unterwegs erstmal auf die Straße gesetzt und ausgeruht. Irgendwann haben wir uns aufraffen können, zur Fete zu gehen. Wir hatten das Gefühl, nicht besonders willkommen zu sein und es waren auch kaum Leute da, die wir kannten: drei Leute aus der Parallelklasse, zwei Punks die die ganze Zeit die Platten vom Kuli durchwühlt haben, ein Mädchen mit rotem Schlauchkleid und Stöckelschuhen, ein Mädchen in schwarzen Klamotten (das war ein Junge, aber das haben wir erst später gerafft), ein Psycho mit blauem und einer mit gelbem Flat, noch ein paar unauffällige Leute und der Kuli, der die meisten Leute selbst nicht kannte.
Wir saßen im Zimmer von Kulis Schwester und dann kamm der Kuli rein und lallte "die rauchen da drüben alle Pfeife". Da sind wir mal gucken gegangen und haben uns die Rauchtechnik erklären lassen und haben das mal ausprobiert, die hatten sich aus Zewarollen was zusammengebaut. Das schwarze Mädchen das ein Junge war hing auf einem Bett rum und hat sich die ganze Zeit über alle Leute lustig gemacht und der Psycho mit dem blauen Flat hat immer wieder bei seinem Nachbarn angerufen der ihn ziemlich nervt und gesagt "Hihihi bei Ihnen liegt ne Bombe im Haus, hihihi ich bin kein Psychopath." Das Mädchen im Schlauchkleid hat immer Babysprache gesprochen. Um 23 Uhr hat es uns gereicht, die wollten uns aber nicht gehen lassen, nachdem wir ein paar Mal fest zugetreten haben kamen wir aber ohne Probleme raus. Draußen war es voll komisch, wir sind dann in die S-Bahn eingestiegen aber das war ein Zug und fuhr ganz woanders hin, zum Glück kamen wir am Hauptbahnhof noch raus. Meine Jacke riecht immer noch nach dem Zeug.
In der Nacht ein Alptraum: Ich fuhr Auto, schnell und natürlich auf Serpentinenstraßen mit Berg auf der einen und Abgrund auf der anderen Seite und dann kam der Klassiker: Bremsenversagen. Dann natürlich Schock, Schreien, wilde Bremsversuche mit Strampeln im Bett, nach einer Unendlichkeit kam der Wagen dann doch noch zum Stehen und ich wachte schweißgebadet auf. Bis dahin ok.
Ich stand auf, schaute ein bisschen aus dem Fenster bis der Puls sich wieder beruhigte, wusch mir die Hände, trank einen Schluck Wasser, ging wieder ins Bett. Wie man das so macht.
Ich schlief wieder ein, stand vor dem Wagen, dachte mir, naja, es ist ja alles gut gegangen. Jetzt weiß ich Bescheid und irgendwie weiterkommen will ich ja auch. Fahre ich halt weiter. Und fuhr und fuhr und fuhr, hoch konzentriert mit waghalsigsten Schlenkern, wohldosierter Beschleunigung und unter Ausnutzung der Motorbremse durch geschickte Schaltmanöver die Serpentinen entlang bis zum Zielort. Belohnt wurde ich heute morgen mit Ganzkörpermuskelkater und einem Wadenkrampf.
Manchmal frage ich mich, ob mein Unterbewusstsein eigentlich noch ganz bei Trost ist.
Heute vor zig Jahren:
Pe und ich sind in die Altstadt gefahren und dachten, wir würden vielleicht wen treffen. Aber es war keiner da. Da haben wir rumtelefoniert und herausgefunden, dass fast alle aus unserer Klasse beim Kuli sind und wir haben am Treffpunkt mit Edding auf ein Plakat geschrieben, dass alle dahin kommen sollen, die noch kommen. Am Hauptbahnhof haben wir dann noch geschnorrt und in der Nähe vom Kuli annem Büdchen Bier geholt, das wir beim Kuli dann auch gleich an die anderen losgeworden sind. Irgendwer hat in die halb getrunkenen Bierdosen dann Wein geschüttet, voll ekelhaft aber hat gewirkt. Irgendwann sind dann alle gegangen aber Pe war auch verschwunden und hatte mein Monatskarte in der Tasche. Schöne Scheiße. Ich hab dann beim Kuli noch gewartet, wir haben uns aufs Bett gelegt und seine Platten durchgehört aber immer, wenn wir gerade weggedöst waren, kam seine Mutter rein und wollte irgendwas, voll die Psychopathin. Um halb 12 hat es mir dann gereicht und ich bin gegangen und hab im Park zufällig Pe gefunden, die saß mit Andy am Teich und die haben ihre Füße da reingehalten, mit Schuhen. Voll merkwürdig. Um Mitternacht sollten wir zu Hause sein, das hat gerade noch geklappt.
Heute kam ich nach einem langen Tag nach Hause um festzustellen, dass nach 1,5 Jahren die regelmäßige Mitbewohnerin vorerst endgültig ausgezogen ist, so richtig mit alles mitnehmen, auch die Zahnbürste (und so einiges andere). Gut, angekündigt hatte sie es schon häufiger, aber das waren immer nur Bluffs. Jetzt hat sie ernst gemacht.
Auch wenn hier nicht wirklich jemand verlassen worden ist, erinnert mich "Zahnbürste einpacken" bisschen an die Situation, als der langjährige Freund einer Freundin mich morgens mitnehmen sollte zur Uni, jedoch partout nicht wollte, dass ich meine Sachen in den Kofferraum packe, und nachdem dann ein skurriler Streit entbrannte (es war ihr Auto, nicht seins) riss irgendwer den Kofferraumdeckel auf, und da war auch alles drin. Alles, was man so in 4-5 Jahren bei jemandem ansammelt, bei dem man 6-7 Tage pro Woche wohnt. Inklusive Zahnbürste. Wie er sich das jetzt genau vorgestellt hatte, mit seinen Sachen in ihrem Auto und mit dem weiteren zeitlichen Ablauf, fragte die Freundin, und er sagte, er habe noch nicht den richtigen Moment erwischt und nun habe es sich so ergeben, dass er dann doch besser erst wegfährt und dann redet. Ich bin dann mit dem Rad zur Uni gefahren.
Und auch, wenn hier natürlich keinesfalls jemand rausgeflogen ist, erinnert es mich auch an die andere Freundin, deren Freund nach 8 oder 9 Jahren nicht mehr wusste, ob er das alles so wollte, das kann man natürlich niemandem übelnehmen, aber er brauchte eine unangemessen lange Bedenkzeit, so dass sie eines abends, als ich zu Besuch da war, beschloss, doch gar nicht auf seine Entscheidung warten zu müssen, und ihm kurzerhand die Kisten vor die Tür stellte. And she lived happily ever after.
Jedenfalls, was wollte ich sagen? Ich weiß es nicht mehr. Aber "Zahnbürste einpacken" ist immer ein guter Grund, auf der Couch zu sitzen und Tiramisu zu essen.
Heute vor zig Jahren:
Nach der Schule gehen Pe und ich Sekt kaufen und zwar 2 Flaschen. Zuerst versuchen wir, uns älter aussehend zu machen. Dann gehen wir nach Co-op und suchen Sekt aus. Wir haben uns eine Geschichte ausgedacht, die ich an der Kasse erzählen soll. Wir gehen also zur Kasse, aber die Kassiererin achtet gar nicht auf uns. Wir sind fast wütend, dass man uns keine Beachtung schenkt, und besonders, dass wir nicht gleich zwei Flaschen genommen haben. Jetzt müssen wir also die 2. Flasche woanders holen und da ist es teurer. Klappt aber auch alles ohne Probleme.
Um 17:30 Uhr fängt die Fete an und wir wollten uns mit den anderen aus unserer Klasse an einer Post treffen. Pe und ich fahren frierend hin und sehen gut 50 m vor uns die anderen. Wir gehen ihnen hinterher, aber sie gehen an der Post und an der Party vorbei und zwar schnurstracks in eine Kneipe. Wir erwarten sie, als sie wieder rauskommen, und gehen zusammen zur Party. Finden heraus, dass sie noch einkaufen wollten, aber nichts bekommen haben. Auf der Party hat überhaupt keiner außer uns etwas bekommen, also teilen wir mit denen. Alle voll unfähig.
Im Büro so unglaublich aufgeregt, dass mir regelrecht die Galle hochkam. Und das auch noch über Abwesende, wo soll man da hin mit dem Ärger? So geht das doch nicht. Dafür habe ich Händel in die Wege geleitet, das sollte man öfters tun, allein des schönen Wortes wegen.
Später war dann noch eine Vodafone-Angelegenheit zu erledigen, ich ging zu meinem Lieblings-Vodafone-Shop-Berater, der mich immer gleich erkennt, wenn ich den Laden betrete, und so tut als wolle er sich hinter dem Verkaufstresen verstecken. Er hat aber wieder alles hervorragend erledigt. Langsam wird mir das suspekt.
Heute vor zig Jahren:
Pe ruft mich an weil sie sich überlegt hat, dass sie dringend ein Schild, also ein Verkehrsschild, für ihr Zimmer braucht. Wir fahren nach der Schule in den Park um uns umzusehen, was es so gibt und wie die befestigt sind. Finden eins, das sich gut klauen lässt und beschließen, am Dienstag nach der Schule wiederzukommen und es mitzunehmen.