Heute morgen am Bahnsteig stelle ich fest, dass ich die (analoge) Uhr nicht lesen kann, weil es mir völlig unklar ist, ob die Zeiger auf 10 vor 8, 10 nach 8 oder evtl. auch 10 vor oder nach 4 stehen. Die Zuordnung rechts-links und die Richtungen haben einen Großteil ihrer Relevanz verloren. In diesem Moment fallen die übrigen Bruchstücke an ihren Platz: das aussetzende Kurzzeitgedächtnis (wo ist das Kind?? Achso, im Kindergarten abgegeben. Bin ich gerade auf dem Hin- oder auf dem Rückweg? Ach, ich fahr einfach mal weiter geradeaus, dann wird es sich schon klären...), das komische schwebende Gefühl beim Gehen und manchmal der Eindruck, rückwärts zu gehen oder zu stehen, während die Welt an mir vorbeizieht, die Probleme beim räumlichen Sehen, so dass ich Leuten ausweiche, die noch weit entfernt sind, andererseits aber ständig gegen Geländer oder Türrahmen stoße.
In der Bahn schrecke ich immer wieder hoch. Ich erkenne die draußen vorbeiziehenden Straßen nicht wieder und wähne mich im falschen Zug. Ich habe wieder vergessen, wohin ich unterwegs bin. Die Leute, die um mich herum sprechen, und ich weiß nicht, ob sie mir mir sprechen, weil ich die Richtung, in die die Stimmen gehen, die Blicke und Mimik und die Lautstärke nicht interpretieren kann. Ich starre in die Zeitung, lese die Sätze aber kann ihnen keine Wertigkeit zuordnen. Was ist wichtig, was ist nebensächlich, was ist normal, was ist aufsehenerregend, was ist gut, was ist schlecht. Die Struktur der Welt verschwimmt.
Ein Migräneanfall ist das Auge des Tornados. Während alles wirbelt und tobt und meine Gedanken sich gegenseitig in Fetzen reißen, schaltet der Kopf plötzlich einfach ab, fährt alle Systeme herunter. Wo keine Parameter mehr existieren, können keine Bewertungen mehr vorgenommen werden und folglich keine Entscheidungen mehr getroffen werden. Nichts geht mehr. Für einen Moment, für ein paar Stunden, für ein paar Tage. Der Kopfschmerz an sich lässt sich - bei mir - relativ einfach mit mittleren Dosen Schmerzmittel zurückdrängen. Beim Rest hilft nur Struktur, absolutes Leben nach Plan, um dem unverständlich und un(be)greifbar an mir vorbeifließenden Alltag zumindest ein Skelett zu verleihen, an dem ich mich halten kann. Am besten immer mit Musik im Ohr, als Taktgeber für die simpelsten Dinge wie Atmen, Gehen, Sprechen. Als Kopfschrittmacher.
Nachdem Mademoiselle heute morgen allein ein Lernspiel aus der Bücherei entlieh (Fahrtweg natürlich nicht allein), installierte sie es allein auf dem Computer ("Mama - ich leg das schonmal rein." "Mama, ich muss immer nur auf "JA" klicken, oder?" "Mama - Du musst gar nicht kommen, das Spiel ist schon an."). Nun pumpt sie allein ihr Platschbecken auf.
Geht ja doch alles sehr schnell...
Eigentlich mussten wir zu IKEA, die Frau Diagonale und ich, um dort an etwas teilzunehmen, das wechselweise ein Interview, eine Gruppentherapie oder ein Vortrag war. "Ihr habt aber doch jetzt den großen Kofferraum", sagte Frau D. "Da könnten wir vielleicht rasch vorher noch den Meerschweinchenkäfig zu Deinen Eltern fahren."
Also fuhr ich zunächst bei Frau D. vorbei und wurde auch dieses Mal vom Navi nicht fehlgeleitet. Frau D. führte mich sofort zum Meerschweinchenkäfig, der tatsächlich ungewöhnliche Ausmaßen hatte. So pi mal Daumen hätte ich geschätzt, er umfasse ca. 30qm, war jedenfalls deutlich größer als das Auto, die Wohnungstür und überhaupt. Außerdem ist ja bei Diagonales nichts einfach mal so irgendwie stinknormal, also war es auch der Meerschweinkäfig nicht. Es handelte sich um ein Schloss, mit Zinnen und Türmchen und Mauern und allem. Da aber ja Meerschweinchen nicht in die Höhe klettern, wie Frau D. mir gut informiert mitteilte, lag das Schloss auf der Seite. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, der Käfig wäre einfach seitlich gekippt gewesen. Dann gingen ja auch die Streben in die falsche Richtung. Vielmehr war er gleich als liegendes Schloss konzipiert (von Frau D. übrigens), alles lag also seitlich nur die Gitterstäbe gingen dennoch waagerecht. Speziell, eben.
Diesen Käfig ins Auto zu befördern wäre problematisch, meinte ich. Frau D. hingegen sprach einen kleinen Hexspruch und schwupp war er schon drinnen.
Weil nun noch recht viel Zeit übrig war, begrüßte ich J., die am Küchentisch saß und an einer dieser weißen IKEA-Lampen mit vielen Plastikteilen, die man zu einer Art Kugel zusammenfügt, bastelte. Es gab Probleme, übererall flogen die weißen Plastikteile herum, J. war schlecht gestimmt und versuchte immer wieder, per Handy Tine (die Bautante aus dem Fernsehen) zu erreichen, die in einer ihrer Sendungen auch einmal eine solche Lampe zusammengefügt hatte. Tine war jedoch nicht erreichbar, J.s Stimmung sank weiter doch Frau D. versprach, Tine werde auch an unserem baldigen IKEA-Interview/Vortrag/Gruppentehrapieereignis teilnehmen und sicherlich Auskunft geben.
Wo Herr N. eigentlich sei, fragte ich mich dann, und Frau D. meinte, es wäre doch das Wochenende, an dem er zu Frau A. verreist sei. Tatsächlich war es aber das Wochenende, an dem wir alle zu einer Feier im Ruhrgebiet eingeladen waren, bei der ich, wie ich mich dunkel erinnerte, in genau diesem Moment auch eigentlich sein sollte.
Dennoch zeigte Frau D. mir zunächst noch ihr neuestes Projekt. Für eine nahgelegene KiTa wollte sie "Murmelflächen" bauen, also Flächen, auf denen die Kinder mit Murmeln spielen können. Diese sollten möglichst natürlich aussehen, daher waren Frau D. große Mengen an Erdreich in braun, grün und terracotta angeliefert worden. Tatsächlich erreichen die Mengen tagebauartige Ausmaße und waren zu Bergen aufgetürmt hinter dem Haus zu finden. Frau D. hatte bereits mit der Erstellung von Flächen begonnen, die relativ flachen Böden mit natürlichen Unregelmäßigkeiten glichen. Wir spielten eine Probepartie Murmeln und befanden die Flächen für äußerst gelungen, derweil umkurvte G. in einem alten, amerikanischen Auto die Erdberge. Wann immer er auftauchte wechselte das Bild in Zeichentrickansicht, weshalb ich G. nicht begrüßen und mit ihm plaudern konnte. Frau D. quittierte mein geäußertes Bedauern mit einem Augenzwinkern, woraufhin ein Ausdruck des vorbeifahrenden G. erschien. Eine Sonderfunktion des neuen Laptops, sagte Frau D. G. winkte uns auf dem Ausdruck zu, was er im Vorbeifahren jedoch gar nicht getan hatte.
Fertig :-)
Was ich am Wochenende mache, erfahren Sie hier!
Letzten Mittwoch Kind zum Kindergarten, Arbeit, Anruf von Hr. N. aus dem Krankenwagen, Auto bei Freunden leihen, Kind holen und bei Freunden abgeben, Krankenhausfahrt, Kind wiederholen, Kind ins Bett bringen.
Letzten Donnerstag Kind zum Kindergarten, Auto zurückbringen, zum Krankenhaus fahren lassen, mit der Bahn 2h zurückfahren, Kind holen, Kind ins Bett bringen.
Letzten Freitag Kind zum Kindergarten, Arbeit, Auto von Freunden ausleihen, Kind holen, mit Kind zum Krankenhaus fahren, zurückfahren, Kind ins Bett bringen, Wochenendebesuch mit weiterem Kind in Empfang nehmen.
Samstag Wochendebesuch und zwei Kinder zum Krankenhaus karren, Herrn N und alle anderen mit zurücknehmen, Auto zurückbringen, Wochenendbesuch aus der Notapotheke versorgen, leicht hysterisch-entrückt dem augenklappigen Herrn N., den schwindelig-hyperventilierenden Wochenendbesuch und zwei völlig glückliche und abgedrehte Kinder beobachten. Parallel dazu Guacamole, Tzaziki, Auberginenpaste, Dampfnudeln und Vanillesoße kochen und ein grundlegendes Kommunikationsproblem zwischen mir und dem Rest der Welt offenbart bekommen.
Sonntag gefühlt den ganzen Tag Klavier spielen und gleichzeitig den ganzen Tag Mangold-Schafskäse-Pfannkuchen backen und dabei von einer unüberschaubaren Kinderzahl (zwei Kinder an schnell wechselnden Orten wirken oft deutlich mehr!) auf diversen Fahrzeugen gerammt werden. Als glasklare Erinnerung sticht aus diesem Tag nur das Bier beim Skat am Abend und mein grandioser Grand ohne Bauern (den ich grandios verlor, aber man kann das ja mal versuchen) hervor.
Montag Kind zum Kindergarten, Arbeit, Hr. N. und Auto abholen, Kind abholen, zum Schrottauto reisen, Schrottauto schrotten, "Hockock" essen und Dinge zwangskaufen weil das Kind ins Kinderparadies möchte, Kind ins Bett bringen.
Dienstag Kind zum Kindergarten, Arbeit, Hr. N. und Kind im Eiscafe treffen, Kind zur Musikschule bringen, Kind von der Musikschule nach Hause bringen, Sport. Dabei feststellen, dass es an der Zeit ist für ein entgültiges Outing: ich finde Sport doof. So.
Heute ist Mittwoch. Hab schon das Kind zum Kindergarten und mich zur Arbeit gebracht. Heute kommt die Putzfrau und der Gemüsemann, Ein Autokauf steht an und ich mache irgendwas mit 1kg Spinat. Zusätzlich bin ich heute Nachmittag verabredet, sogar doppelt, zwar immerhin zur gleichen Zeit aber mit verschiedenen Personen an unterschiedlichen Orten, was das Ganze etwas ungünstig macht.
Morgen ist Donnerstag. Da bringe ich auch wieder das Kind zum Kindergarten und mich zur Arbeit, danach kaufen wir vielleicht nochmal ein Auto, je nachdem wie sich das heute so anlässt. Oder so. Und dann packe ich so wenig wie Sachen wie möglich ein, um mich und das Kind am Freitag nach dieser Kindergarten- und Arbeitssache per Zug zur Frau V. zu transportieren. Ab dort bin ich nicht mehr zuständig und lasse mich das komplette Wochenende fremdbestimmen.
Die Hinterradbremse tuts nicht? Na das ist kein Wunder wenn die Beläge komplett runter sind. Müssense weniger bremsen, dann passiert das nicht. Kann ich Ihnen grad tauschen, wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben.
Sie kennen sich nicht vielleicht mit Druckern aus? Da ist der Toner leer, hier bei meinem Drucker, und ich weiß nicht, wie man den tauscht. Ah. Nur die Klappe aufreißen und rein-raus? Na das krieg ich hin. Kennt man ja.
Das mit dem Drucker ist ja auch wie mit dem Internet. Da klappt nie was. Mit den Bildern, bei wkw. Kennen Sie wkw? Und sind Sie da auch? Na dann können wir ja "du" sagen, dann sind wir ja da beide. Ja, nur zum Bilder gucken kommen viele rein. Wegen den Bildern hab ich ja auch den Ärger gehabt. Die haben mich da einfach rausgeschmissen. Zack, Profil gelöscht. Die Schweine! Klar hab ich nicht mein Foto reingemacht. Ich hab doch die Gruppen SexyHerren* und SexyDamen*. Da muss ich ja ein anderes Bild nehmen, ich mein, guck mich mal an! Das geht doch nicht. Muss ich natürlich das Bild von wem anders nehmen, sonst kommt ja keiner in die Gruppen.
Also wenn du da auch bist, dann können wir uns ja mal kennen lernen und du kannst in die Gruppen kommen. Aber die eine haben sie mir weggenommen, ich hab schon alles gemacht, Mail geschrieben, sogar ein Gedicht, aber dann hat mich der Kerl von der Frau angemailt und gesagt, ich soll seine Alte in Ruhe lassen. Die soll mir doch nur die Gruppe zurück geben, mehr will ich von der nicht. Bei dem Bild schon gar nicht. Selbst schuld, wenn die ihr eigenes nimmt.
So, die Bremsen gehen. Dann sind wir quitt, weil Du mir den Drucker gemacht hast. Der Ständer vom Rad taugt aber auch nix. Ich geb dir über wkw Bescheid, wenn mal ein guter Gebrauchter reinkommt, dann schraub ich dir den schnell an. Wir hör'n voneinander!
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*Namen sinnerhaltend verfremdet
Sehr extrem nervt mich übrigens dieses vorgefertigte:
"Mit freundlichen Grüßen / With kind regards"
unter Mails.
Kann ich nicht erwarten, dass unter einen Text an mich auch noch eine Abschiedsformel an mich getippt wird? Schließlich hat man auch bei persönlichen Treffen kein kleines Klappschild mit der Verabschiedung dabei, das bei Bedarf hochgehalten wird.
- Warum empfange ich Radio, wenn ich Boxen ans Klavier anschließe?
- Was kann man wirklich Leckeres aus Brokkoli machen?
- Wann werde ich es schaffen, mit der Freundin, bei der seit Herbst immer jemand krank ist, ins Kino zu gehen?
- Wieso nimmt jemand ein beinahe schon unangebracht gutes Angebot nicht an sondern wählt die ungünstige Alternative und ist dann schwer gekränkt?
- Weshalb gelingt es mir nicht, die Lebensdauer von Feinstrumpfhosen an meinen Beinen über einen Tag hinaus zu verlängern?
Im Gegenzug habe ich heute aber auch diverse Fragen aus dem Stehgreif kompetent beantwortet, nämlich:
- Wo ist die Waldstraße?
- Was für eine Briefmarke muss auf ein Paket?
- Wo ist hier ein Eiscafe?
- Fährt die Bahn zum Hauptbahnhof?
- Was für eine Fahrkarte brauche ich zum Flughafen?
- Wieviel sind 20% von 7,99? (Mein persönlicher Favorit! Dicht gefolgt von:)
- Was für eine Creme kann ich gegen die Altersflecken auf den Händen nehmen?
- Wie spät ist es?
Sollte sich jemand aus der geschätzten Leserschaft am Samstag in der niedersächsischen Landeshauptstadt aufhalten und Durst auf Kaffee oder Bier (verhandelbar) verspüren, freue ich mich über eine Mailmitteilung. Geht auch ganz spontan, denn das Internet ist beim Alternativprogramm "Shoppen" mit dabei.
Warum sind diese Anti-Hundekacke-Schilder an Hauswänden eigentlich immer auf Augenhöhe der Hunde angebracht? Glaubt irgendwer, dass die Viecher lesen können? Oder dass der Halter auf Augenhöhe mit dem Hunde den potentiellen Pinkelplatz auf Tauglichkeit inspiziert?
Hm?