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    Sonntag, 7. Januar 2007
    Neujahrswunsch

    Die Sonne scheint und zum ersten Mal seit 6 Jahren habe ich Heimweh, ich will nach Hause, ich habe hier keine Vergangenheit, keine Straßen, durch die ich schlendern kann und die wahlweise mit heiteren oder melancholischen Erinnerungen gefüllt sind, das fehlt mir, das fehlt mir so sehr. Ich will, dass wieder alles so ist, wie es mal war, und bei näherer Überlegung, welche Zeit genau ich mir zurückwünsche, stelle ich fest, dass es sie nicht gibt, diese Zeit, dass es eine Illusion ist, zusammengesetzt aus Fragmenten einzelner Lebensphasen, und es wird sie nie geben. Das macht es einerseits besser, denn ich habe nichts verloren, aber andererseits auch schlimmer, denn ich kann nichts wiederfinden, letztendlich suche ich meine Mitte und die habe ich bislang nie gefunden.

    Silvester doch mit den falschen Leuten verbracht denn ich bin neidisch auf sie, auf meine Freundin, die diese Mitte gefunden hat oder schon immer hatte. Sie geht von A nach B wo ich endlos zwischen C und Z eiere. Ich nenne das gern langweilig oder eingeschränkt, aber eingeschränkt ist sie nicht, sie hat sich lediglich zwischen den vielen Möglichkeiten, die sie hat und sieht, entschieden, und langweilig ist sie auch nicht, sie ist gelassen, und nach dieser Gelassenheit sehne ich mich.

    Ist man bei ihr zu Besuch, ist eine Leckerei vorbereitet, Geburtstagskarten kommen pünklich am Festtag an, die Wohnung ist jahreszeitlich angemessen dekoriert. Alles ist an seinem Platz, physisch wie psychisch. Man mag das spießig nennen, aber ganz ehrlich, wer freut sich nicht über einen frischen Kuchen, über einen Geburtstagsgruß und über einen freien Sitzplatz auf der Couch? Ganz tief drinnen bin ich ein ordnungsliebender Mensch - ich zweifle an so vielen, ich will nicht noch an dem Aufenthaltsort meines Schlüsselbundes zweifeln müssen denke ich, als ich zum dritten Mal auf eine heruntergefallene Spaghetti trete und voll Schrecken einen Riss im Parkett vermute. Sie hätte die Nudel schon längst aufgehoben, ohne endlos darüber nachzudenken natürlich, und gerade deshalb hebe ich sie nicht auf, ich will sie nicht nach endlosem Geeiere aufheben sondern spontan weil es meinem Naturell entspricht im Lot zu sein und heruntergefallene Nudeln umgehend aufzuheben, oder sonst gar nicht, so.

    Und ich vermisse sie so und verfluche die vertane Zeit, denn ich hätte sie viel früher kennen lernen können. Erst kurz vor meinem Wegzug haben wir unsere Gemeinsamkeiten entdeckt, die gemeinsame Liebe zu Dingen, die sonst wenige interessieren, das fehlende Gegenstück gefunden, für ein paar Monate zumindest. Eigentlich kenne ich sie schon ewig und habe sie nur nicht bemerkt, weil sie mir so langweilig und normal erschien und keiner verstand, wieso die beiden ein Paar waren, was er an ihr fand, aber jetzt weiß ich es, oh jetzt weiß ich es. Seit 20 Jahren sind sie zusammen, das ist in unserem Alter absolut lächerlich, wirklich, absurd regelrecht, aber sie hat sich entschieden, von A nach B, wozu endlos ausprobieren wenn man doch weiß was man will. Ich war immer das Relikt aus den wilden Tagen ihres Mannes, ein häufiger Gast mehr für ihn als für sie, mit dem man am späten Abend betrunken versackt, von "früher" spricht und fragt, was "die anderen" so machen, über den man mit großer Toleranz ob der wechselhaft angeschleppten merkwürdigen Gestalten die Augen verdreht.

    Ich hätte so gern für 2007 Urlaub von mir, einen Kopf, der irgendwie anders tickt, der nicht alles auf einmal will, der eine Mitte finden, Prioritäten setzen kann, von A nach B, das mag eingeschränkt sein, aber C bis Z bringen nichts, wenn für nichts wirklich Zeit bleibt und alles in einem unsäglichen Chaos versinkt.

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