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    Montag, 31. Oktober 2016
    Wien

    Noch zwei Tage vorher hatte ich überlegt, einfach alles abzusagen. Weil ich so wackelig war, nicht nur auf dem einen Bein sondern auch im Kopf, davon, dass einfach seit Wochen nichts mehr richtig funktioniert, wo ich mich doch sonst immer so fühle, als ob ich Flügel hätte. Aber dazu war ich dann doch zu bockig. Zum Glück.

    So kamen wir also nach einer völlig problemlosen Anreise - 8 Stunden im Zug sind mit 12-jährigem Kind ein Witz, man liest halt, trinkt Heißgetränke, lernt die Sitznachbarn kennen und schmiedet Pläne - im Hotel an und auch dort war alles prima. Ich wohne immer gerne möglichst mittendrin, mit dem Hotel ViennArt direkt am Museumsquartier hatten wir es gut getroffen und erfreuten uns an der Aussicht.



    Gleich am ersten Abend ereilte mich dann ein weiteres kleines Sprachdebakel: ich hatte von zu Hause schon geschaut, wo man wohl humpelfußläufig in Nähe des Hotels etwas zu Essen bekommen könnte und eben auch schon teilweise reserviert. Zu der Lokalität des ersten Abends hatte ich mir nur "irgendwas mit Beisl" gemerkt. Beisl ist ja ein hinreichend merkwürdiges Wort, so dass man das Lokal schnell sollte. Allerdings - WienerInnen und Wienkundige werden es natürlich schon wissen - bezeichnet "Beisl" einfach nur ein kleineres Gasthaus.

    Den ersten vollen Tag in Wien fuhren wir Touribus. Ich kann das sehr empfehlen und habe mir schon in diversen Städten auf diese Art den ersten groben Überblick verschafft. Ich hatte von zu Hause schon gebucht, allerdings in meinem Tran der letzten Wochen leider falsch (nur eine Tour statt alle Touren), auch das aber kein Problem, ein hilfreicher Oberbusbeauftragter regelte alles für uns.

    So fuhren wir morgens die Innenstadtroute und ließen uns per Kopfhörer alles erklären - die Kopfhörer darf man mitnehmen, sehr praktisch, Mademoiselle hatte ihre nämlich zu Hause vergessen und wir hätten sonst allabendlich um das Musik- oder Videoprogramm kämpfen müssen. Dann machten wir eine kleine Pause auf Kaffee und Kuchen in der Konditorei Gerstner.



    Hier war keine dritte Person anwesend sondern Mademoiselle hatte unglaublichen Hunger. Der aber nach der Hälfte des ersten Törtchens schlagartig versiegte. Zum Glück ekele ich mich nicht vor Kuchen, so dass nichts weggeworfen werden musste. Und in einen Bus schafft man es ja auch nach 2,5 Stück Torte noch. Der Nachmittagsbus fuhr dann eine größere Runde außerhalb des Gürtels und danach waren wir randvoll mit Informationen und legten ein wenig die Füße hoch, bevor wir am Abend aufbrachen, um das legendäre Figlmüller-Schnitzel zu essen.



    Mademoiselle hat ihr Schnitzel komplett allein geschafft. Ich nicht. Aber ich hatte ja auch Torte.

    Am zweiten Tag - Mittwoch - verbrachten wir den Vormittag bei der Morgenarbeit in der Spanischen Hofreitschule. Darüber liest man im Netz sehr gemischte Erfahrungsberichte, meine Erwartungen wurden aber übertroffen. Für 15 Euro (Vollpreis, Kinder weniger, Rabatt mit Wien-Karte) kann man zwei Stunden lang verschiedenen Gruppen von Pferden beim Trainieren zuschauen, dabei wird die Geschichte der Hofreitschule erzählt und Besonderheiten des Trainings allgemein und des Trainings, das gerade zu sehen ist, erläutert. Fotografieren ist leider verboten, aber man kann hier einen Eindruck von der wirklich schönen Reithalle bekommen. Auch außerhalb der Saison ist die Morgenarbeit recht gut besucht, man sollte also zur Kassenöffnungszeit da sein (Vorverkauf gibt es nicht) und müsste dann eigentlich eine Stunde in der Schlange warten (freie Platzwahl). Allerdings fanden wir durch Zufall heraus, dass man sich auch einfach fußlahm in das Café neben der Kasse setzen kann und dann, wenn die Reithalle geöffnet wird, durch einen separaten Eingang ganz an die Spitze der Warteschlagen geleitet wird. Ähem.

    Auf dem Heimweg fanden wir uns plötzlich mitten zwischen Panzern, anderen Militärfahrzeugen, vielen Uniformen und sogar auch Booten wieder. Am Mittwoch war in Österreich nämlich Nationalfeiertag und anlässlich dessen fand eine Heeresschau statt. Das kennt man ja aus Deutschland auch eher nicht so.

    Nach einer kleinen Erholungspause trafen wir uns dann am Nachmittag mit dem Schizophrenisten, um uns diese berüchtigte Bloggergestalt einmal näher anzuschauen und ihn und seine Bronx einem Reality Check zu unterziehen. Ich kann Ihnen sagen: es ist alles echt, auch und insbesondere der Parkettboden in der Goadfather-Bude. Und ich kann Ihnen noch etwas sagen: das beste Wiener Schnitzel gibt es nicht beim Figlmüller. Das gibt es dort in der Bronx und kostet grob ein Drittel vom Figlmüller-Schnitzel, ist aber genauso groß. Den Unterschied macht die Panade, so viel sei gesagt. Am Wirtshaustisch sprachen wir mit einem fremden älteren Herrn (bei seinem Schweinsbraten - in Wien stehen übrigens an allen möglichen Ecken Personenwaagen an der Straße, warum um alles in der Welt ist das so? Wer muss den auf dem Weg ins Büro oder sonstwohin noch rasch sein aktuelles Gewicht erfahren?) über Diät, mit einem fremden jungen Herrn über die (seine) Einsamkeit in der Nacht und spielten ansonsten beim Schizophrenisten Backgammon, ich probierte den Hometrainer aus und Mademoiselle genoss das schnelle Internet ohne die Ausfälle, wie sie bei uns zu Hause üblich sind.

    Am dritten Tag - Donnerstag - durfte Mademoiselle aussuchen und sie entschied sich für den Prater. Den Wurstlprater.



    Mademoiselle fuhr auf diversen wilden Dingen, ich beschränkte mich ganz klassisch auf das Riesenrad und auf ein Kettenkarussell, das allerdings 174 Meter in die Höhe ging.



    Am Abend gingen wir dann noch einmal in ein Café, das Café Sperl. Mit eigenem Pokéstop, das nur nebenbei.



    Hier beobachteten wir noch ein Spiel, das ich nicht kenne, vielleicht kann das jemand aufklären: es wird auf einem Tisch gespielt, der eigentlich so aussieht wie ein Billiard-Tisch, aber es gibt nur drei weiße und eine dunkle (braun? schwarz?) Kugel, die man alle immer hin- und herschießt ohne dass je eine in ein Loch fällt, dafür werden auf einem Holzbrett mit Knäufen irgenwelche Einstellungen vorgenommen. Wegen akuter Müdigkeit Mademoiselles konnte ich dieser Sache nicht mehr auf den Grund gehen.

    Am letzten Tag stand bekamen wir vom Hotelpersonal alle möglichen Gegenstände ausgehändigt, die wir über die Tage in der Bar vergessen hatten (nochmal ähem) und ansonsten stand vor der Rückreise nur noch der Kauf von Souvenirs und Proviant an.

    Wir haben also reichlich erlebt und viel gesehen, auch, wenn wir uns die Stadt nicht so erlaufen konnten, wie ich es vor ein paar Wochen noch im Kopf hatte. Mademoiselle fand das aber nicht sonderlich nachteilig: es sei viel weniger stressig mit mir gewesen als sonst, meinte sie.

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