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    Montag, 25. Januar 2016
    Verkehrserziehung

    Ich habe heute ungefähr so viel Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln verbracht wie in der letzten Nacht schlafend - das klingt jetzt erst einmal unspektakulär, könnte ja sein, dass ich auf einen anderen Kontinent gereist bin, da wäre diese Fahrtzeit sicher angebracht, nur: so war es nicht. Der weitaus überwiegende Teil meiner Reisetätigkeit fand auf einer Strecke statt, für die ich mit dem Auto etwa 20 Minuten benötige.

    Nämlich fand ich, es sei heute eine passende Gelegenheit, Mademoiselle klarzumachen, dass es echt überhaupt kein Problem darstellt, mit dem Bus zum Training zu fahren statt kutschiert zu werden - Spoiler vorab: es war auch wirklich kein Problem, zum Training zu gelangen. Sämtliche Probleme traten erst auf der Heimfahrt auf, da war aber Mademoiselle nicht dabei. Weil ich nämlich dachte, statt zwei Stunden vor der Halle zu stehen, fahre ich rasch mit dem Bus wieder zurück und mache mir einen netten Nachmittag und Herr N. sammelt das Kind auf dem Rückweg vom Büro ein.

    Tatsächlich war es dann so: die Fahrtzeit beträgt schon einmal 45 Minuten mit dem Bus. Der Bus selbst fährt alle 30 Minuten. Als ich auf dem Rückweg zur Haltestelle kam, fuhr der Bus gerade weg. Ich ging also kurz in einen Schreibwarenladen, um mir meine tägliche Ration Irrsinn abzuholen. Dann stellte ich mich ordnungsgemäß zum Warten an der Haltestelle auf, es kamen noch ein paar Jugendliche hinzu, nur der Bus kam eben nicht, nicht so schlimm, bis zu einer Stunde Wartezeit kann ich locker mit Scrabble überbrücken. Plötzlich waren jedoch die Jugendlichen weg. Ich geriet kurz in Panik - sollte ich den Bus etwa irgendwie übersehen haben? Nein, doch nicht, erleichtert stellte ich fest, dass die Jugendlichen nur ein paar Schritte von der Haltestelle weggegangen waren, um gemeinschaftlich gegen eine Hauswand zu pinkeln.

    Einen Moment war ich versucht, erzieherisch tätig zu werden. Man sagt ja, es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, ich vermute eher, es braucht in Wirklichkeit eine Großstadt und mit Freude erinnere ich mich an den Tag zurück, als ich mit Mademoiselle, damals 3 oder 4, im Bus saß und sie immer mal wieder schrill kreischte. Natürlich forderte ich sie auf, das zu lassen, sie fragte warum, ich antwortete, weil es nervt, mich und die anderen Leute auch und Mademoiselle sagte: nein, das nervt die nicht. Da drehte sich eine nette Frau um und sagte zu meinem Kind: "Doch, mich nervt das ganz enorm, lass es bleiben, verdammt noch mal!" Seitdem erziehe ich auch munter an anderen Kindern herum, haue ihnen die hochgelegten Füße in der Bahn von den Sitzen, lasse sie im Einkaufszentrum Papier aufheben, das sie auf den Boden geworfen haben und zerre sie auseinander wenn sie sich kloppen, jedenfalls, wenn der Kampf mir sehr unausgewogen erscheint.

    Wo war ich, bei den pinkelnden Jungs. Ich entschied mich gegen eine Ansprache, wegen der Sorge, eventuell zu einer Übereinkunft zu kommen und diese unbedacht per Handschlag zu besiegeln (kleines nachträgliches Schaudern an dieser Stelle).

    Dann kam auch bald (haha) der Bus, nur ging er ein paar Haltestellen später kaputt, dann kam nach etwas mehr Zeit ein Ersatzbus, der fuhr aber einfach woanders hin, dort woanders wartete ich wieder auf einen Bus, der fuhr mich zu einer Bahn, die Bahn wieder im 30-Minuten-Takt - ich will nicht langweilen. Ich kam um 19:30 Uhr zu Hause an und wenige Minuten später trafen auch Mademoiselle und Herr N. ein. Natürlich habe ich das alles geheim gehalten, das Kind denkt weiterhin, dass man sehr locker mal mit dem Bus zum Training fahren kann. Kann man ja auch. Und ich muss mir nicht vorwerfen lassen, dass nicht bereit wäre, mir Erziehung was kosten zu lassen.

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