Ab und an - seit ich Katzen habe, eher ab als an, bzw. ich weiß nicht, was genau bedeutet dieses ab und dieses an? - nochmal: Früher oder später, seit ich Katzen habe, eher früher, stehe ich immer einmal wieder vor der Herausforderung, neue Kleidung für nachts zu erwerben. Dabei ergeben sich die folgenden nicht unlösbaren Probleme:
1. - ich hatte früher immer viel Rücken. Seit ein paar Jahren habe ich überhaupt nie mehr Rücken und bin der festen Überzeugung, das liegt zum einen daran, dass ich nicht mehr ins Fitness-Studio gehe und zum anderen daran, dass ich Nachthemden trage. Schlimm für meinen Rücken ist nämlich, wenn ich mich nachts im Traum durch die Decken wühle, ein T-Shirt oder Pyjamaoberteil oder was auch immer dabei hochgeschoben wird und ich auf dem Bauch schlafend mit freigelegtem Rücken die ganze Nacht verbleibe.
2. - ich wühle mich nachts im Traum viel durch die Decken. Ein Nachthemd darf also keinesfalls lang sein, überhaupt schon gar nicht knöchellang, neulich hatte ich bei einem Besuch bei meinen Eltern Nachtkleidung vergessen, meine Mutter lieh mir ein für sie bodenlanges Nachthemd aus, das mir dann noch bis unter die Kniekehlen reichte aber: das war zu viel. Ich verfange mich bei meinen nächtlichen Aktivitäten darin und bekomme Beklemmungen. Ich kann auch nicht in Schlafsäcken schlafen. Keine langen Nachthemden für mich.
3. - der Stoff. Nichts glibschiges. Ich benötige eine gewisse Haftung am Bett. Aber auch nichts zu warmes, Frottee etwa, das geht auch nicht, ist ja auch hässlich. Und nicht Spitze oder so, ich will ja schlafen darin. Gut, ein etwas schickeres Nachthemd habe ich, schwarz, Spitze, so bis Mitte Oberschenkel. Als ich eines Sommers damit auf dem Sofa saß, fiel mir ein, dass der Sperrmüll noch raus muss und ich war nicht in der Stimmung, mich wieder anzuziehen. Mit hohen Schuhen war das kein Problem, die Kioskgang warf jedenfalls keine missbilligenden zweiten oder dritten Blicke auf mich. Kann natürlich auch an Offenbach gelegen haben. Als Nachthemd für gut, also für Sperrmüllaktivitäten, reicht mir aber ein Exemplar. Die übrigen dürfen gern mit in die 60-Grad-Wäsche.
4. Das Muster. Muster sind schlecht. Nachthemden haben aber so gut wie immer Muster. Blümchen hauptsächlich oder psychedelische Schnörkel. Das möchte ich nicht.
Ganz zufällig habe ich neulich das unter Berücksichtigung dieser 4 Punkte perfekte Nachthemd für mich gefunden: ein Zufallsshirt Sonderedition Techniktagebuch in der Ausführung Langamrshirt Herrengröße 3XL. Ich hatte mich beim Kauf verklickt, war erst etwas konsterniert, befand aber dann, dass es die optimale Nachthemdpassform für mich hat, inklusive so langer Ärmel, dass ich die über die natürlich immer über der Bettdecke befindlichen Hände ziehen kann. Es trägt die Aufschrift "Fesch im Denken".
Falls Sie also ähnliche Nachtkleidungskriterien haben, große Kaufempfehlung. Nur die Produktbeschreibungen sind fast noch schöner als die Shirts.
Falls Sie demnächst nichts mehr von mir hören, liegt es an einem der beiden folgenden Umstände (oder an beiden):
1: Vorhin schaltete ich den Laptop ein, der bis dahin am Strom hing, Akku voll. Ich trug ihn zur Couch. Kaum saß ich, verkündete das Gerät "Akku bei 50 %, Akku bei 40 %, Akku bei 20%, Akku bei 10 % schließen Sie das Gerät baldmöglichst aus, Akku bei 7 % schließen Sie das Gerät umgehend an die Stromversorgung an", Zapp, aus. Dies ungefähr in dem Rhythmus, dessen es bedarf, die Fensterchen wegzuklicken. Bei 7 % vollführte ich eine Oberkörperdrehung um etwa 23 Grad, denn dort ist das Kabel, aber da war es schon zu spät. Zapp, aus. Am Strom sofort wieder an, nun aufgeladen auch ohne Kabel alles prima, aber man weiß ja nie. Ich sag es nur.
2: Seit heute morgen: immer, wenn ich mit beiden Händen auf der Tastatur tippe, kommt der Kater angerannt und stürzt sich auf meinen rechten Arm. Er umklammert ihn und benagt mein Handgelenk wie ein Rottweiler den Knochen. Entfernt man den Kater mit beherztem Nackengriff (mit links), strampelt er wütend mit den Füßchen, trampeltrampel kratzkratz, dann haut er ab und kehrt wenige Minuten später zurück. Bald ist das Handgelenk durch. Lesen und klicken kann ich dann noch, schreiben werd ich aber nichts mehr, das ist mit einer Hand zu mühsam, dann ist wer anders mal dran. Da kommt der Kater schon wieder!
Um die körperliche Fitness zu verbessern soll es bekanntlich wichtig sein, sportliche Aktivitäten in den Alltag zu integrieren. Nachdem ich schon seit vieln, vielen Jahren im Büro vor Gesprächen, bei denen ich, sagen wir, nicht übermäßig emotional reagieren möchte, Treppen steigen gehe, habe ich nun ein neues Level der Alltagsintegration erreicht:
Und zwar hat die kleine Katze - ich glaube, ich berichtete - schon vor längerer Zeit die Macke entwickelt, beim Fressen Gesellschaft einzufordern. Mindestens im selben Raum, gern aber auch direkt mit neben dem Napf. Das tut sie auf so penetrant-niedliche Art und Weise dass ich mich davon gegen jede Vernunft immer wieder einwickeln lasse. Mittlerweile macht der Kater auch mit.
Der Katze beim Fressen zuschauen ist aber gar nicht mal so interessant, also nutze ich die Zeit auf dem Fußboden schon seit längerem, um ein paar Dehnübungen zu machen. Besonders auch für die Waden und Füße, wegen der Anemonenfüße und der Krampfgefahr beim Kraulschwimmen. Seit ein paar Tagen habe ich nun auch noch Liegestütze mit eingebaut.
Man könnte also sagen, dass mein Sportprogramm aus Ausrastern und Katzenfüttern besteht.
Pe sagte früher, dass an diesen Tagen die Luftmoleküle sichtbar wären. Ich habe es immer als den Sog bezeichnet, eine Unterströmung wie manchmal im Meer, unsichtbar aber vorhanden.
Diese Tage, an denen es nach draußen zieht. An denen wir mit der S-Bahn oder dem Bus einfach irgendwohin fuhren, in einen Teil der Stadt, den wir nicht kannten und losliefen, in irgendeine Richtung. An denen die Schritte immer langsamer wurden, um alles genau aufzusaugen, um den Moment nicht zu verpassen, an dem alles umschlägt. Manchmal waren es ein paar Leute, die aus einer Bahn stiegen, manchmal Musik aus einem Fenster im Erdgeschoss, manchmal eine Gruppe in einem Park oder in einer Nebenstraße das Schild einer Kneipe und wir sahen uns an und wussten: Dort. Die.
Diese Tage, die zu Nächten in Parks oder auf fremden Partys führten und zu Konzerten von uns bis dahin unbekannten Bands, die in anderen Städten oder fremden Betten oder auf dem Polizeirevier oder in der Notaufnahme endeten. Und immer deselbe Ablauf: den Luftmolekülen oder dem Sog in die Dämmerung folgen, suchend umschauen, die Gelegenheit sehen, Gänsehaut auf dem Kopf und wenn man sich dann treiben lässt, wird irgendetwas sehr anders. Vielleicht gut, vielleicht schlecht, vielleicht egal, aber anders in jedem Fall.
Will man das nicht, muss man sehr, sehr schnell wegrennen.
Schon ist mein Bäckerei-Trauma wieder behoben.
Neulich irgendwann kam ich auf die Idee, dass ich gar nicht die kompletten zwei Stunden während Mademoiselles Training im Auto auf einem dunklen Parkplatz sitzen muss sondern auch einen angenehmeren Ort anfahren kann. Eine Bäckerei zum Beispiel. So erkläre ich es mir auch, dass ich gleich die erstbeste Bäckerei mehrere Wochen lang aufsuchte, obwohl sie nun wirklich nicht so dolle war. Aber angenehmer als der Parkplatz, komplette Zielerreichung also, wer hinterfragt da schon.
Zufällig verfuhr ich mich heute auf dem Weg zu dieser untermittelmäßigen Bäckerei, der immer nur geradeaus führt, denn ich war in Gedanken. Als ich das bemerkte, bog ich ab um zu wenden und dann fiel mir plötzlich wieder ein, dass ich einfach irgendwo parken kann, ich war nämlich in einem Dorf, da kann man ja immer überall parken. So etwas nehme ich meist nicht wahr. Auch bei Frau V fahre ich häufig diverse Male den Berg rauf und runter bis ich mich erinnere, dass ich einfach vor dem Haus anhalten kann. Freie Straßenränder erschließen sich mir nicht, mein Blick ist auf rare und enge Innenstadtparkplätze geeicht. Aber heute hatte ich eben im Kaff die Erleuchtung (bezüglich der Parkplätze, nicht des Lebens an sich), sowas lässt man nicht ungenutzt verstreichen, ich parkte also irgendwo, einfach, weil ich es konnte, und stieg aus und ging irgendwo hin, auch einfach so, warum auch nicht, und dann stand ich vor einer mir unbekannten Bäckerei und ging hinein.
Das Personal lächelte und scherzte, die anderen Kunden grüßten, ein angenehmer Platz war frei, der Kaffee gut und hinter mir saß eine größere Gruppe Menschen und sprach in völlig normalem Tonfall über völlig normale Themen. So blieb es anderthalb Stunden lang, dann ging ich zurück zum Auto und fuhr wieder zur Sporthalle.
Ich gehe nicht wirklich davon aus, dass ich diese Bäckerei jemals wiederfinden werde. Es muss sich ein Wurmloch zu einem Paralleluniversum gebildet haben. Oder es war alles ein Traum.
Mir ist ja, als wären heute aggressivere Schwimmer und Schwimmerinnen im Becken unterwegs gewesen. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, weil ich den Tag auf der Couch statt im Büro verbracht hatte. Aggressivität ist ja relativ. Ich hatte jedenfalls zahlreiche, wie man wohl sagt, Begegnungen.
Aber von vorn. Zum Glück war die Kraulschwimmpartnerin noch kurz vor der angedachten Abfahrtzeit aufgewacht. Ich hätte sonst ja glatt angenommen, sie habe keine Lust. Ich selbst habe bis kurz vor der angedachten Abfahrtzeit Liegestütze geübt. Genauer müssen wir sagen: eine Liegestütze geübt. Ich kann nämlich gar keine, wie ich zu meinem blanken Entsetzen feststellte. Mademoiselle behauptet, 50 zu können, sie war schon bei etwa 20 als mir einfiel, dass sie ja Fieber hat und ich sie zurück unter die Decke beorderte. Ich wollte ja auch sowieso vom Schwimmen erzählen. Und da fiel mir auf, schon nach den ersten paar Bahnen, dass es vielleicht gar nicht so clever war, unmittelbar vorher etwa eine halbe Stunde lang Liegestütz Numero Uno auf dem Wohnzimmerfußboden zu probieren.
Wir schwimmen ja jetzt jede Woche 100 Meter mehr, bzw. die Kraulschwimmpartnerin schwimmt alle 2 Wochen 200 Meter mehr, das ist mir persönlich zu kompliziert, ich kann mir ja so schon die Anzahl der Bahnen nicht merken und hatte mich schon nach der ersten verzählt. Also schwimme ich einfach stumpf auf und ab. Heute, wie gesagt, mit vielen Begegnungen und ohne, dass sich ein irgendwie geartetes Arrangement im Becken herausgbildet hätte. Ich war schon kurz davor, am Beckenrand das Bikinioberteil zu schwenken und "So Jungs, alle mal raus jetzt und Teambesprechung wer wo schwimmt und wohin ausweicht!" zu brüllen. Ich trug aber ja Badeanzug.
Die Kraulschwimmpartnerin hatte ich mittlerweile aus den Augen verloren, ich kann sie sowieso ohne Brille nur unter Wasser wiederfinden oder wenn sie dort, wo ich am Beckenrand auftauche, steht und wild winkt um mir mitzuteilen, dass ich das Soll erfüllt habe. Sicherheitshalber schwimme ich dann noch 4 Bahnen, man weiß ja nie.
Zusätzlich geplante Features für demnächst: kurze Flossen und ein großes Handtuch zum Einwickeln. Ach ja, und die neue Schwimmbrille.
Eine kleine Sache eigentlich, aber doch erstaunlich: vom allernervigsten Tag der Woche hat sich der Montag zum entspanntesten gewandelt, also vom Wochenende mal abgesehen.
Bis vor kurzem war Montag so: verfrüht und hektisch aus dem Büro aufbrechen und das Kind äußerst pünktlich von der Schule abholen und zu Fuß - 45 Minuten Weg - zur Musikschule transportieren, dort 25 Minuten doof rumstehen und dann 30 Minuten zu Fuß retour mit dem ganzen Gepäck des Tages plus Geigenkasten. Alternativ genauso verfrüht und hektisch aus dem Büro aufbrechen und den Carsharing-Wagen abholen, damit zur Schule und keinen Parkplatz finden, kurven bis das Kind herauskommt, Kind einpacken 15 Minuten durch die Innenstadt zur Musikschule, Kind rauslassen, keinen Parkplatz finden und 25 Minuten kreisen, Kind wieder einsammeln, 10 Minuten durch die Innenstadt, Wagen abstellen und nach Hause gehen.
Seit Jahresbeginn hat Mademoiselle jetzt auch montags Training und Musikschule fällt deshalb aus. Jetzt ist der Montag so:
Irgendwann wie es passt aus dem Büro zurückfahren, das Kind kommt nämlich selbstständig mit Schlüssel heim und wird dort um 17 Uhr von der Mutter einer Freundin eingesammelt und zum Training gefahren. Und ich mache dann einfach gar nicht mehr.
Ich finde, das ist eine deutliche Verbesserung.
Beim Bäcker, vor dem Bäcker, ein verdreckter schwarzer PKW im eingeschränkten Halteverbot, ein Kind schreit darin, ein junger Mann mit Bäckertüte und zwei Kaffee steigt ein, der Mann steigt mit einem Kaffee wieder aus, "lass doch, ist egal wir müssen fahren" ruft es aus dem Auto, "ich beeil' mich" sagt der Mann, bekommt von drinnen einen zweiten Kaffee gereicht, die Frau auf dem Beifahrersitz dreht sich um zur Rückbank, das Kind hinten plärrt.
Beim Bäcker, drinnen, eine lange Schlange, die Leute stehen in einem Knubbel in der Tür, ich füge mich dem Knubbel hinzu, der Mann mit den Kaffees steht vor der Tür, ich lasse ihn durch, die anderen bemerken ihn nicht, vorsichtig schiebt er sich Richtung Theke, Stirnrunzeln und Füßescharren, er bleibt in dritter Reihe hängen, es ist warm in diesem Bäckerladen, nach einiger Zeit öffne ich den Mantel, der Mann hat in jeder Hand einen Kaffee und sein Haaransatz wird langsam dunkler.
"Wer bekommt?" fragt der Verkäufer, ich mache eine Handbewegung zum jungen Mann mit dem Kaffee. "Die Milch im Kaffee ist schlecht", sagt er leise. "Was?" sagt der Verkäufer. "Die Milch im Kaffee ist sauer", sagt er etwas lauter. Der Verkäufer lacht. Ich weiß, dass das eine Übersprungsreaktion ist, trotzdem bin ich schon so weit, dass ich ihm am liebsten fünf Puddingbrezeln in den offen lachenden Mund stopfen möchte.
Ich kratze mich am Nacken. Wenn ich Puls bekomme, fängt mein Nacken an zu jucken, so ein roter Streifen bildet sich da, ich kann deshalb nur selten Schals tragen, obwohl ich Schals über alles liebe. Dünne Tücher, Baumwolle, Seide, das geht manchmal. Sehen Sie mich mit dickem Wollschal, nehme ich an, mich in einer besonders ausgeglichenen Lebensphase zu befinden. Manchmal irre ich mich.
Der Verkäufer lacht, er schaut über den Mann hinweg, der Mann schaut auf den Kaffee, er stellt ihn auf der Theke ab und hebt einen Deckel: "Hier, das ist ausgeflockt."
"Einen Moment", sagt der Verkäufer. Er will die Kollegin ansprechen, deutlich älter als er, vermutlich hat sie heute das Sagen. Die Ansagerin bedient. Hektisch, einen nach dem anderen, sie hat keine Zeit für ihren Kollegen. "Du…", sagt der Verkäufer. "Du, der Mann da…" – "Gleich!", zischt die Ansagerin. 4 Kürbiskern, 2 Bio-Körner, 1 Laugencroissant, 5 Brioche. Die Kasse geht nicht, sie läuft in den hinteren Ladenbereich zur anderen Kasse, der Verkäufer läuft ihr hinterher, sie beachtet ihn nicht, sie rennt in ihn hinein, der Mann mit dem Kaffee versucht, durch das Fenster die Situation im Auto zu checken.
"Sie bekommen?", fragt mich die Ansagerin. Ich mache wieder eine Handbewegung zum Mann mit dem Kaffee. "Der sagt, die Milch ist verdorben", souffliert der Verkäufer. Und lacht wieder. Die Ansagerin richtet sich auf. "Sofort alle Milch entsorgen!!!", kommandiert sie zur dritten im Bunde, die die Brötchen belegt. Die belegt noch gerade eins mit Ei. "Die Milch, die Milch! Alles entsorgen!", schallt es erneut. "Welche Milch?", fragt die Brötchenbelegerin. "ALLE Milch!" Der Verkäufer lacht. Die Brötchenbelegerin sammelt Milchkannen von den Tischen und reißt Tetrapaks aus dem Kühlschrank. "Doch nicht die verschlossene!!"
Der junge Mann dreht sich zum Auto um, ich drehe mich zum Auto um, die Frau steht neben dem Wagen und gestikuliert wild, die Brötchenbelegerin entsorgt Milch und prüft Haltbarkeitsdaten, die Ansagerin beobachtet dies mit Argusaugen, die Leute knubbeln sich in der Tür, der Verkäufer lacht mit weit aufgerissenem Mund und leerem Blick. Ich kratze mich mehr im Nacken. "Der da hatte zwei Kaffee", sagt der Verkäufer. "Jetzt nicht!!", herrscht ihn die Ansagerin an. Man hört nun das Kind vom Auto bis in den Laden brüllen. Laut brüllen. Der junge Mann wischt sich die Stirn, dreht sich hin und zurück, immer wieder, seine Augen werden glasig, er zieht die Schultern hoch.
Ich versuche mich an einer Übung aus dem Gesangsunterricht, nämlich: stehen. Einfach nur stehen, ohne zu zappeln. Im Raum stehen, präsent und nicht geistig entrückt, nicht wild umherschauen, nicht im Nacken kratzen, nicht die Nase rümpfen oder auf die Lippe beißen, auch nicht mit dem Fuß wippen oder an den Fingernägeln knibbeln, einfach nur stehen und atmen und da sein. Ich kann das nicht gut, gar nicht gut.
Drei Personen stehen da, jede einzelne von ihnen könnte genau in diesem Moment die Realität ändern, indem sie einfach nur sagt: "Die Milch ist sauer? Bitte entschuldigen Sie, das darf natürlich nicht passieren. Ich mache Ihnen sofort neuen Kaffee, suchen Sie sich doch in der Zeit zwei Stück Kuchen aufs Haus dazu aus." Aber niemand hier kann diesen einen kleinen Schritt aus der Situation heraus machen und so nimmt alles seinen vorgezeichneten Lauf.
Ich habe recht gute Reflexe aber eigentlich reagiere ich nur schnell genug, weil ich weiß, was jetzt kommt: "Verdammter Scheißladen!!", brüllt der junge Mann und fegt mit der Hand einen Kaffeebecher von der Theke, dreht sich um, stößt die Leute weg und stürmt hinaus. Ich reiche dem jetzt nur noch wild starrenden Verkäufer den aufgefangenen Becher, nur ganz wenig ist übergeschwappt. Seine Hand zittert bei der Übergabe. "Alles gut", sage ich zu ihm wie zu einem panischen Tier, das keiner Ratio zugänglich ist. "Alles gut." Die Ansagerin schnalzt mit der Zunge und will dem Verkäufer ruppig den Becher aus der Hand nehmen, dabei fällt der ganze Mist in den Bienenstich. Ich übe nochmal stehen, wer weiß schon wie lange. Dann bekomme ich meine 6 Brötchen und ein Laugencroissant für Mademoiselle.
Zwei Erwachsene fahren jetzt mit einem hysterisch schreienden Baby unterkoffeiniert, durchgeschwitzt und gestresst in einem dreckigen schwarzen PKW umher. Drei VerkäuferInnen werden heute nach der Schicht von dem unverschämten Kunden erzählen, der den Kaffee in den Bienenstich geschmissen hat und aus dem Laden gestürmt ist. Und das alles wäre so leicht zu vermeiden gewesen.
Und ich halte mich für den Rest des Tages von Menschen fern.
(Nachdem ich letzte Nacht im Traum Macarons kaufen wollte und dadurch die Apokalypse auslöste, bin ich heute etwas gehemmt in allem, was ich tue.)
Gleich ein kleiner Reset mittels Schnitzel und Bier und schlafen, schlafen, schlafen.
Und morgen ist alles wie neu.