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    Mittwoch, 9. April 2014
    Blogging November - 889

    Ich muss demnächst eine Stelle besetzen, das liegt mir im Magen.

    Vermutlich ist die Frage jetzt erst einmal, was daran schlimm ist, eine Stelle zu besetzten. Viel schlimmer ist doch sicher, eine zu suchen. Ja, das mag sein, noch schlimmer, als eine zu suchen, ist dann aber auch wieder der Hunger in Afrika und wir können uns nicht ausschließlich der großen Dramatik auf der Welt widmen. Nehmen wir mit der kleinen vorlieb: ich muss eine Stelle besetzten.

    Daran ist auf der einen Seite schlimm, dass es zeitlich sehr aufwendig ist. Ich besetzte ja nicht hauptberuflich Stellen sondern mache das ab und an nebenher. Meine Haupttätigkeit sprengt schon den Rahmen der dafür vorgesehenen Arbeitszeit, eine Stellenbesetzung mit grob geschätzt 50 Stunden Arbeitsaufwand plus dem später folgenden Einstellungsaufwand ist daher inopportun.

    Auf der anderen Seite ist daran schlimm, dass es mich psychisch anstrengt. Ich bin (behaupte ich) relativ unneurotisch, aber wenn im Schnitt 100 Personen von mir eine einzige verfügbare Stelle haben möchten, fühle ich mich in gewisser Weise verantwortlich, eine Entscheidung zu treffen, die ich objektiv rechtfertigen kann. Nicht, dass jemand fragen würde, aber vor mir. Mal ganz abgesehen davon, dass es natürlich auch eine gute Entscheidung sein sollte, sonst ist da wer, den man nicht brauchen kann, und man kann keinen anderen mehr holen, weil das Budget weg ist - diese hypothetische Möglichkeit belastet mich jedoch wenig, das ist mir nämlich noch nie passiert.

    Und auf der anderen Seite mag ich eben einfach Menschen. Das ist das Hauptproblem. Es gibt natürlich vorher immer einen definierten Kriterienkatalog. Es gibt aber auch immer Ermessensspielraum: dass die da bei [Konkurrent] so ein schlechtes Zeugnis hatte, kann ich irgendwie verstehen, die sind da ja auch außergewöhnlich bekloppt / ui, eine 4 in der Ausbildungsprüfung? naja, hat vielleicht Prüfungsangst / 10 Stellen in den letzten 3 Jahren - mhm in dem Alter hat man sich manchmal noch nicht gefunden, das ist jetzt sicher anders / oh, da klebt ein Salatblatt an der letzten Seite... na, immerhin isst er gesund!

    Und ich mag Geschichten. Eine handschrifliche Bewerbung über viele Seiten, mit Füller (und Tintenkiller) mühevoll produziert - was treibt diese Person? / Sollte man nicht irgendwie honorieren, dass eine andere Person 15 Jahre hinweg verschiedene Angehörige gepflegt hat, auch wenn sie wirklich gar keine Rechtschreibung kann? / Oder die, deren letzter Vorgesetzer es zu zweifelhafter Prominenz gebracht hat und einsitzt, weshalb sie selbst für mehrere Jahre das Land verließ - die kann doch eigentlich gar nichts dafür?!

    Habe ich es dann geschafft, aus dem ganzen Wust der Leben eine hoffentlich sinnvolle Auswahl zu treffen, kommen die Gespräche. Da versuche ich, jemanden innerhalb einer Stunde so kennenzulernen, dass ich eine Basis für die Entscheidung habe, ob wir die nächsten Jahre zusammenarbeiten möchten. Das ist schlimmer als ein Blind Date - Beziehungen kann man viel einfacher wieder beenden als Arbeitsverhältnisse! Man lässt also alle Kanäle weit offen, um so viele Eindrücke wie irgendwie möglich aufzusaugen. Ich habe dann nach jedem Gespräch einen Migräneanfall. Vielleicht bin ich ja doch neurotischer, als ich denke.

    Personalvermittler einzuschalten, hat sich wenig bewährt. Die Vorauswahl ist meist katastrophal, hauptsächlich liegt das - glaube ich - an der hohen Fluktuation in der Branche. Was konkret bedeutet, dass ich mit jemandem über eine Stunde zusammensitze und unsere Anforderungen durchgehe, ein paar Wochen später hat er dann woandershin gewechselt - nur den Arbeitgeber im besten Fall, dann kann man einfach "mitgehen", aber eben oft auch das Fachgebiet und dann fängt man mit dem Nachfolger wieder bei Null an. Es ist also ein ähnlicher Aufwand, wie bei der Suche mittels Annonce, oft sogar noch frustrierender und langwieriger, weil sämtliche Rückfragen und Terminvereinbarungen über einen Mittler gehen.

    So ist das von meiner Seite. Es ist also gar nicht das Gefühl "hey, ich habe eine Stelle zu vergeben, ich trinke viel Kaffee, caste ein paar Leute und rette die Welt", sondern eher: ich habe 1 Stelle, 100 Bewerbungen und 50 Stunden Zusatzarbeit. Nunja.

    Dienstag, 8. April 2014
    Blogging November - 888

    Mademoiselle hatte sich heute die Haare gewaschen, kopfüber, so dass beim Aufrichten vor dem Spiegel die Haare dann wie ein sehr langes Horn nach vorne standen. Ein Wassertropfen lief ihr übers Gesicht, sie schaute in den Spiegel und sagte: "Das traurige Einhorn!". Und weil es so rührend aussah, hätte sie beinah gleich angefangen zu weinen.

    Aber dann mussten wir beide doch sehr lachen.

    Sonntag, 6. April 2014
    Blogging November - 887

    Gestern zu Ende gelesen:

    Stephen King: On Writing

    Wenige Romane von Stephen Kind habe ich angefangen, noch weniger zu Ende gelesen und das Genre "Horror" stößt mich generell ab. In einem Camping-Urlaub las ich aber - ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam - The Stand und fand es sehr eindringlich (manchmal träume ich noch heute schlecht davon). Im letzten Jahr habe ich auch den Dark Tower Zyklus angefangen und war über die ersten Bände total gefesselt, das ließ aber irgendwo in Band 6 nach. Schluß war für mich, als die Romanfiguren den Autor - also Herrn King - im Roman besuchen. Ich finde, sowas geht nicht. Das möchte ich nicht. Das macht die Geschichte kaputt und stört mich tatsächlich so sehr, dass ich dann einfach nicht mehr weiterlese. Selten bekloppte Idee, meiner Meinung nach.

    "On Writing" habe ich gelesen, weil ich wissen wollte, wie man so viele Bücher schreiben kann. Wie viele mögen das sein - 60? 70? Sehr viele jedenfalls. Wie geht das, wie kriegt er das hin, wie geht er vor?

    Die Antwort scheint zu sein: er macht es einfach.

    Samstag, 5. April 2014
    Blogging November - 886 (WmdedgT 4/14)

    Um 0:03 Uhr rumpelt es im Kinderzimmer, was unerwartet kommt, denn Mademoiselle und das Besuchskind nächtigen im Büro und die Katzen liegen entspannt und schlafen. Ich schaue also nach und entdecke - noch unerwarteter - dass Mademoiselle und Freundin sich gerade mit Papier und Glitzerstiften ausgestattet haben, um noch etwas zu malen. Kurz darauf beschließe ich, einfach schlafen zu gehen und die Auflösung der Situation entweder Herrn N. oder sich selbst zu überlassen.

    Den nächsten bewussten Moment erlebe ich, als Mademoiselle an meinem Bett steht und fragt, ob ich ihr eine aufgezeichnete Sendung von der Festplatte laden könnte. Es ist noch dunkel, aber es sind Flugzeuge zu hören, also wird es zwischen 6 und 7 Uhr sein. Ich verneine und schlafe weiter.

    Wieder später springt der Kater auf mich um maunzt sehr ausgiebig. Ich schleppe mich in die Küche und stelle Katzenfutter hin. Draußen geht die Sonne auf, überall in der Wohnung ist das Licht angeschaltet, Toast und Nutella liegen in der Küche. Die Kinder finde ich auf dem Balkon, sie haben die Kapuzen ihrer Hoodies hochgezogen, weil es in Strömen regnet. Sie schnitzen Stöcke und der Boden des Bakons hat sich in ein Bett mit Rindenmulch verwandelt. Ich gehe wieder schlafen.

    Um 9:30 Uhr wache ich auf. Herr N. ist verschwunden. Auf dem Bakon ist niemand, aber die Tür ist weit aufgerissen. Barfuß und im Pyjama fege ich den Mulch zusammen - eine halbe Einkaufstüte voll. Das Bad ist besetzt. Die Küche ist unaufgeräumt. Ich gehe wieder ins Bett und lese, als das Bad frei wird, dusche ich, Herr N. kommt mit Brötchen. Beim Frühstück beklagen sich die Kinder, dass ich den Bakon gefegt habe, denn sie wollten das machen und zwar so unbedingt, dass das jetzt ein Problem ist, weshalb neue Stöcke geholt werden müssen, damit man neue Rinde abschälen kann, die man dann wegfegen kann.

    Nach dem Frühstück gehen wir also los Richtung Wald. Auf halbem Wege kommt mir der Gedanke, dass ich vielleicht gar nicht in den Wald will, eigentlich sehr sicher nicht, denn: was soll ich dort? Ich denke kurz und scharf nach und mir fällt ein, dass in einem Park in der Nähe ein Hochseilgarten ist. Dort gibt es natürlich auch Stöcke, aber zusätzlich kann man herumklettern, das erscheint mir für mich deutlich unterhaltsamer als der Wald an sich. Ich rufe im Hochseilgarten an, ob geöffnet ist, es nicht übervoll ist und ob auch kein Fußballspiel im Stadion daneben stattfindet, was nämlich die Anreise äußerst unattraktiv gestalten würde. Es ist aber alles gut, so dass wir auf der Hacke umdrehen, Schuhe und Jacken wechseln, Getränke einpacken, Haare zusammenbinden und zum Hochseilgarten fahren.

    Dort vergnügen wir uns eigentlich bis 16 Uhr, tatsächlich aber bis 17 Uhr, weil wir ausgerechnet auf der letzten Route hinter Laura, 9 Jahre, klettern. Laura wollte gar nicht hoch, aber ihre Mutter sagte, das wäre gar nicht so wild. Ein paar Stationen vor Ende traut sich Laura aber nicht mehr weiter, leider auch nicht mehr zurück, die Mutter von Laura kann sich selbst kaum noch halten und die Situation fährt sich derart fest, dass selbst die Rettung durch die "Rothelme" zunächst nicht möglich ist: Laura hält sich nämlich mit aller Kraft an einem Ast fest. Es finden Gespräche statt die denen ähneln, wenn sich in amerikanischen Spielfilmen jemand vom Hochhaus stürzen will. "Ich bin der D., ich bin 22 - wie alt bist du denn, Laura? - Gib mir doch mal Deine Hand...". Es wird ziemlich kalt da oben.

    Die Mutter des Besuchskindes ruft an, weil sie es abholen möchte, ich muss eingestehen, dass dies leider zur Zeit unmöglich ist, da wir uns ca. 15 Meter über dem Erdboden auf einem Drahtseil befinden, und zwar auf noch nicht absehbare Zeit.

    Endlich kann Laura abgeseilt werden, wir klettern rasch die letzten Stationen und dann kriegen die Kinder Pommes und ich Kaffee. Ein paar Äste werden noch eingesammelt, die Kinder werfe ich vor der Haustür aus dem Auto und fahre weiter zum Wochenendkeinkauf.

    Danach ist mir auf dem Parkplatz des Supermarktes sehr merkwürdig, so ein bisschen sehr leicht im Kopf und ich bin gar nicht mehr sicher, wo das Auto steht und wie man es eigentlich bedient. Mir fällt auf, dass ich seit morgens nur ein Brötchen und zwei Kaffee zu mir genommen habe. Ich bin plötzlich unsicher, ob das relativ aufwändige Abendessen, für das ich gerade eingekauft habe, sich umsetzen lassen wird, ohne den Tag stressig enden zu lassen. Vermutlich nicht, deshalb kaufe ich einfach noch schnell ein fertiges Hähnchen und Kartoffelsalat und im Nachgedanken eine Apfelsaftschorle, nach der ich mich auch wieder verkehrstauglich fühle.

    Zu Hause finde ich das Kind weinend vor, es hat ein "komisches Gefühl". Alle Erwachsenen wissen, dass dieses komische Gefühl "Übermüdung" heißt, Mademoiselle kann das aber nicht glauben. Wir packen sie auf die Couch, geben ihr Essen, essen selbst und danach geht sie ins Bett. Herr N. geht auch irgendwo hin und ich bleibe auf der Couch sitzen, mit einem Radler und der Hoffnung, dass der Wochenendeinkauf sich vielleicht von selbst in die Schränke räumt. Falls nicht würde ich das dann gleich noch machen.

    [Die weiteren WmdedgTs finden Sie hier.]

    Samstag, 5. April 2014
    Blogging November - 885

    Ich werde das in diesem Leben nicht mehr kapieren, wie der Kollege funktioniert.

    Situation 1: man hat eine Sache gemeinsam zu erledigen, setzt sich zusammen, spricht das durch, handelt aus, wer was wie wann macht, einigt sich, macht einen Plan, in dem jeder seine Verantwortlichekiten hat. Es passiert: nichts.

    Situation 2: man hat eine Sache gemeinsam zu erledigen, ich sage: "Du machst das und das und das und zwar dann und dann und dann." Und dann wird das gemacht und ich bekomme Bestätigungen, wenn Teile abgeschlossen sind.

    Wo ist denn da der Sinn?

    Freitag, 4. April 2014
    Blogging November - 884

    Äpfel werden hier ab jetzt nur noch so gegessen:



    Geht ganz einfach - wenn Sie auch wollen, schauen Sie hier.

    Donnerstag, 3. April 2014
    Blogging November - 883

    Ich bin etwas ermüdet, Sie haben sicher Verständnis. Nach mehreren Tagen war ich heute ja mal wieder tagsüber unter Menschen - unter vielen Menschen, über 130, alle in einem Raum und jeder an einem kleinen Tisch mit einem Schildchen mit Nummer drauf, dann stellte jeder eine Halbliterplastikflasche hin (meist: Apfelsaftschorle), es folgen Apfelschnitze, Schokoriegel und Traubenzucker, dann viel Papier und alle schreiben hektisch mit der Hand, 2,5 Stunden lang. Dann rennen alle raus, reden wild durcheinander, rennen wieder rein und dasselbe Verfahren nochmal.

    Ein völlig absurdes Bild. Daran hatte ich Spaß. Morgen wieder.

    Mittwoch, 2. April 2014
    Blogging November - 882

    Seit ungefähr 1,5 Jahren weiß ich ja - also so grob - dass ich morgen eine Prüfung habe. Seitdem habe ich eine Mappe, in die ich immer mal wieder Informationen gesteckt habe - auf kleinen Zetteln, auf großen Zetteln, auf Post-its, auf Sachen, die irgendwo herausgerissen wurden - mit Informationen, von denen ich glaubte, dass sie sich im Zusammenhang mit dieser Prüfung nochmal als nützlich erweisen könnten.

    Heute habe ich im Sinne des Finetunings der Prüfungsvorbereitung diese Mappe durchgesehen. Und dabei entdeckt, dass ich mehr als 10 Mal - zehn! Mal! - exakt dasselbe Diagramm dort hineingelegt habe. Manchmal aus einer Zeitung herausgerissen, machmal säuberlich mit Lineal und Kästchen aufgezeichnet, manchmal zwischen Tür und Angel hingekritzelt und sogar eine verblichene Kopie, die ich von (hüstel) einer Pinnwand woanders entwendet habe. Es war mir offenbar wichtig, aber dann doch auch nicht so wichtig, dass ich mir die Beschaffung dieser Information für länger als 4 Wochen am Stück gemerkt hätte.

    Ich habe diese Zettel jetzt alle weggeworfen. Das werde ich jetzt nicht mehr lernen, denn: das muss doch schon irgendwo in meinem Kopf sein!

    Dienstag, 1. April 2014
    Blogging November - 881

    Wir befinden uns auf einem relativ großen Platz, irgendwo mitten zwischen dem Aufgang einer S-Bahn und einer Bushaltestelle und Kentucky Fried Chicken. Auf diesem Platz harre ich mit zwei Kindern aus, weil das eine Kind dort um 18 Uhr von seiner Mutter abgeholt werden soll. Es ist 18:05 Uhr, die Kinder konnten schon nicht mehr still stehen und machen Handstandüberschlag und so Sachen und ich gehe gedanklich Prüfungsthemen durch, während ich eine Mail an irgendwen im Büro schreibe, der einen fortgesetzten Nervenzusammenbruch vortäuscht, weil ich noch immer (immer noch! seit schon 6 Tagen!! Die Welt geht unter!!!) im Urlaub bin.

    Stimme von rechts: Heeeeee aus dem Weg!

    Frau N: Mhn? (guckt kurz hoch, kein plötzlicher Menschenauflauf oder sonstiger Verkehrsansturm, man weiß ja nie, neulich noch hatte ich einen ausländischen Chef am Telefon, der war am Flughafen und wollte von mir erfragen, wie er wohl trotz Streik nach Hause kommt, doch bevor ihm sagen konnte, dass gar nicht, rief er mit einer gewissen überraschten Contenance "I will call back later, I am being swept away by a trade union march!" Das war aber ja hier alles nicht der Fall. Da stand nur ein einzelner Typ mit Tattoos und wenig Frisur rechts von mir, sonst 50 Meter Luft auf allen Seiten.

    Typ: Aus dem Weeeeeg! Du stehst im Weeeeeg!

    Frau N: (tippend) Nein, nein. Ich stehe hier, der Weg ist woanders.

    Typ: Der Weg ist da, wo ich gehe!

    Frau N: Sie suchen Streit.

    Typ: Ey ich habs nur eilig, ich muss hier lang! Du stehst im Weg!!

    Frau N: Sie suchen Streit und ich bin gleich für Sie da, wenn ich die Mail fertig geschrieben habe.

    Typ: Und dann? Hä?? Hä?? (macht Rempelbewegungen)

    Frau N: (plustert sich auf und geht ganz schnell ganz nah an den Typen) DANN VERPISST DU DICH!!!

    Typ: (weglaufend) Nur Irre und Ausländer in dieser Stadt, echt nur Irre und Ausländer!!


    (Ich gebe zu, die Nerven liegen etwas blank, wenn man in 2 Tagen Prüfung hat. Don't taunt the wretched.)

    Sonntag, 30. März 2014
    Blogging November - 880

    Gestern war ich im Theater, das war ein Erlebnis. Beinahe denke ich immer, ich wäre noch nie zuvor im Theater gewesen sondern immer nur in der Oper, was aber nicht stimmt (auch wenn ich sicher 10 Mal öfter in der Oper als im Theater war). Zum einen war ich in den letzten Jahren sehr häufig im Kindertheater, gut, das ist ein bisschen was anderes. Ich war aber auch ein paar Mal im English Theatre - gut, das waren meist mit viel Amusement, auch irgendwie was anderes. Dann war das Theater noch relativ häufig bei mir, also: fand nicht in Theaterräumlichkeitne statt sondern kam in die Schule und trat da auf, meist mit brechtesken Stücken, das ist natürlich wirklich etwas völlig anderes, weil das Ganze Drumherum fehlt. Mindestens einmal war ich aber schon in einem richtigen Theater, damals verließen nackte Personen die Bühne Richtung Sitzreihe, es war wohl eine moderne Inszenierung, alles weitere habe ich verdrängt - ähnlich wie das mit Frau Herzbruch durchlebte Krimi-Dinner, über das wir den Mantel des Schweigens decken.

    Gestern sahen wir Biedermann und die Brandstifter - fast hätte das nicht geklappt, denn unmittelbar, nachdem ich der Begleitung meine Bewunderung ausgesprochen hatte, wie sie ohne Navi den Weg durch die Frankfurter Innenstadt meisterte und sie darauf "ich bin ja hier aufgewachsen" antwortete, verfuhren wir uns eklatant und parkten letztendlich einfach irgendwo in gefühlter Nähe zum Theater. Zum Glück parkten andere Leute auch einfach irgendwo und zum weiteren Glück scheint man Theaterbesuchern ihre Passion häufig anzusehen, jedenfalls entschieden wir uns mit einem Blick, den richtigen Personen hinterzuhasen, um eine Minute vor geplantem Beginn der Vorstellung im Foyer zu landen. Und zum dritten Glück scheint Theater cum tempore zu beginnen, so dass wir sogar noch aufs Klo gehen konnten.

    Im Theater selbst beeindruckte mich zuallererst die Parfumwolke der mich umgebenden Damen, dann die tatsächlich klischeehafte Gewandung eines Großteils der Zuschauer, dann wurde es ganz dunkel und dann geschah furchber viel auf einmal. Ganz viele Videoprojektionen mit Bild und Text und Ton - Snowden, Atompilze, hungernde Kinder in Afrika, Obama, Gaza, Gebärdensprache, Zeichentrickfilme, irgendwas im Dschungel, irgendwas in einer Höhle oder so, eine Skyline, Nachrichtensendungen, Talkshows, alles gleichzeitig, dazu eine Opernsängerin und jemand, der nur Vokale spracht und jemand in Unterhose und man dachte sich: wer sind die alle und wann kommt denn jetzt mal Biedermann?

    Biedermann kam und war ein Unsympath der Sorte, die man aus vollem Herzen verachtet, während man sich gleichzeitig mit einem kleinen, weit hinten abgelegten Teil des Bewusstseins in ihm wiederfindet. Die Kernhandlung fand zum Glück auch mit Konsonanten statt. Der Chor blieb etwas befremdlich. Interessant auch, dass schon eine angezündete Zigarette auf der Bühne eines riesigen Saales so viel Gestank verbreitet, wie hat man das eigentlich "früher" in Kneipen ausgehalten?

    Die Aufführung hat mich sehr beeindruckt. Und spannend war sie, obwohl ich die die Handlung ja kannte. Ob ich sie gut fand oder nicht, kann ich noch nicht genau sagen, denn es war alles ein bisschen viel und sehr, sehr anstrengend. Das muss erst noch sacken.

    November seit 6614 Tagen

    Letzter Regen: 28. April 2024, 22:43 Uhr