"Sprich mich an", scheint heute auf meiner Stirn zu stehen. Eine andere Biersorte will mir der eine aufschwatzen und begleitet mich deshalb einmal quer durch das gesamte Einkaufszentrum. Warum ich das Wasser zurückgestellt habe und ein anderes nehme, möchte der nächste erfahren und verwickelt mich in ein Gespräch. Die Blumenfrau möchte mir die Dornen von der Rose entfernen. Hallo? Rosen ohne Dornen sind Nelken, oder so. Ts. Jedenfalls folgt auch hier eine umfangreiche Besprechung.
Suchen Sie mich nicht die nächsten Tage, ich bin unter Menschen, und so wie es aussieht, wollen die alle ganz viel mit mir reden.
So overdressed wie ich gestern war, so underdressed bin ich heute. Was daran liegt, dass ich mangels Zeit und insbesondere mangels Denkfähigkeit heute morgen einfach die Biergartensachen wieder angezogen habe. Fühle mich aber wohler so, als gestern, jetzt rein in Bezug auf die Kleidung, denn eine noch so abgetragene Jeans kann man mit im Büro gelagerten Stilettos aufwerten, wohingegen sich ein unfreiwilliger Flamenco-Dress durch das Überziehen einer im Büro gelagerten Fleece-Jacke nachweislich nicht verbessert.
Zum sonstigen Befinden gibt es eine einfache Rechenregel: Die Anzahl der geschlafenen Stunden sollte die Anzahl der getrunkenen Biere übersteigen. Ist das nicht der Fall, tritt Unpässlichkeit ein. q.e.d.
(Dass heute der Tag ist, an dem ich mich überreden ließ, am Nachmittag mit der Kindergartenmeute durch die sonnengeflutete Innenstadt zu ziehen, weil wegen Personalmangel sonst kein Bilderbuchkinobesuch möglich gewesen wäre, verdränge ich noch ein paar Stunden...)
Dienstag ist ja immer so ein wuschi-Tag, weil da Musikschule ist, und zwar mittendrin. Wobei ich den Dientag schon etwas ent-wuschi-t habe - daher jetzt auch genau 10 Minuten hier sitze - aber dafür ernte ich, gen Tagesende, ein komplett übermüdetes Kind, das sich vor der Musikschule aufs Trottoir legt oder die oder wegen mysteriöser Körperschmerzen nur rückwärts und mit den Händen auf den Fußstützen im Kinderfahrradsitz sitzen kann, oder mit dergleichen Müdigkeitssymptomen halt, kenntmanja.
Daher ist in diesen 10 Minuten zu entscheiden, ob ich meinen unfreiwilligen und vom Radfahren angemüffelten Schein-Flamenco-in-Wirklichkeit-Büro-Dress schonmal ablege und mich in die abendliche Biertrinkkluft werfe, oder aber ob mir die Kindertransportaktion derartige Schweißausbrüche verschaffen wird, dass es noch nicht lohnt, ich also lieber die Büroklamotten vollschwitze und dafür dann abends taufrisch im Biergarten sitze. Oder ob ich evtl. heute noch zweimal dusche und die Garderobe wechsle? Nach der Musikschule hätte ich immerhin nochmal 10 Minuten...
Fragen über Fragen. Und wenn ich lang genug schreibe, beantworten sie sich von allein, dann ist die Zeit nämlich um.
Gerade gedacht, dass die Nachbarn echt komisch sind. Wie ich bei gutem Wetter allabendlich von meinem Balkon beobachte, lassen sie nämlich recht pünktlich um 19 Uhr die Jalousien runter, um sie dann um kurz nach 20 Uhr wieder hochzuziehen. Schon spektakulär vermutet, die hätten nur im Dunkeln Sex, und mich mit mir selbst im Kopf auf eine weit ausufernde Lästertour begeben.
Bis mir dann auffiel, dass ich in Mademoiselles Zimmer dasselbe mache, nur zu leicht anderen Uhrzeiten.
Ähja.
Man weiß es nicht, was in so genau in Mademoiselles Kopf vor sich geht. Aber heraus kommt sowas:
"Bitte! Donke! Na jut!
Besser, du fährst auf dem Schiff als du wirst tot gemacht. Besser, du fährst nach England weil du sonst tot gemacht wirst. Dankeschön. Ihr kommt erst dran. Bitte warten. Melde dich, ewiglich! Bitte warten. Melde dich, ewiglich. Bitte warten. Bitte hierhin. Melde dich, ewiglich (ca. 10x in hohem Singsang). Bitte hier vorn hin. Warte nicht, ewiglich, bitte nicht. Öffne dich, bitte nicht, bitte früher Eintritt nehmen! Bedanke dich, ewiglich! Bitte warten! Dableiben. Bedanke dich, weine nicht! Bitte hierhin! He, Familie, ich hab erst drei Personen. (mit sehr tiefer Stimme): Wer eintretet, bitte einen Stab abgeben. Bleib.
Na juuuut, dann mach ich sie rein.
Blume und Schmetterling kommen sowieso dran. Bitte früher Platz nehmen! Totüüüüütap, totüüüüüütap.
Ich will schlafen - bitte eine Eintrittskarte!
Ich möchte bitte auuuuch - bitte Eintrittskarte!
Bitte bezahlen. Na jut."
Ts. Wie einfach das sein kann, wenn man mal losspringt. Dies. Und das. Und jenes auch. Ts.
Yep, das Kind schläft sich gerade gesund, ich kann sowas riechen. Krank und gesund werden kann ich häufig riechen, allerdings nur bei nahstehenden Personen, in den Haaren oder hinter dem Ohr. Und Fieber per Stirnkuss (eigentlich nicht Stirn, sondern knapp oberhalb hinter der Schläfe) abfragen, mit erstaunlich geringer Fehlertoleranz, obwohl doch immer gesagt wird, das ginge gar nicht. Ist sehr praktisch.
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Ich könnte mich immer noch scheckig lachen über die Gesprächseröffnung von neulich, als ich auf der Bank am Bahnhof saß, ein Fremder hinzukam und sprach: "Ich sag Ihnen gleich, meine Lebensgeschichte ist sehr lang. Aber ich leg dann einfach mal los!". Wenig später zog er ein laminiertes Bild des Kindes auf der orangefarbenen Zwiebackpackung aus der Geldbörse und sagte: das bin ich als Kind! Ich protestierte, neee, das ist doch das Kind von der Zwiebackpackung. Und er - übrigens deutlich südländischer Herkunft: Ja, genau. Ich bin das Kind von der Zwiebackpackung! Als Beweis (?) zeigte er mir seinen Personalausweis.
(Weiß hier irgendwer, wie das Kind von der Zwiebackpackung heißt??)
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Die eine immer so beflissen. Die andere immer so drängend. Das mit der dritten versteh ich nicht. Kein Wunder, dass mir nur die vierte nahe geht. Isjaauchegal.
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Auch verwirrend war der Moment, zu dem eine Kleingruppe (ca 5-7) italienischer Nonnen und ein paar irgendwie dazugehöige Männer an mir vorbeizogen. Verwirrend, weil wirklich alle absolut gleich groß waren (oder diesen Eindruck durch spezielle Absatzhöhen herbeiführten, was mir aber erst später einfiel, so dass ich es nicht ueberprüfen konnte).
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Wie ich dieses Ausgebremst werden, von jetzt auf gleich hasse und mich einfach nicht damit arrangieren kann, dass sowas mit Kindern nunmal vorkommt.
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Ah, da isse wieder wach.
Nachtrag: ähm, ein bisschen irritiert es schon, wenn Mademoiselle aufwacht, verlangt, dass das Video zurückgespult wird - und dann an exakt derselben Stelle wieder einschläft. Ok, da wird ein Schlaflied gesungen. Aber dieses Kind ist überhaupt noch nie wegen eines Schlafliedes eingeschlafen. Ts...
Ich bin in Bezug auf Haarschnitte wirklich nicht pingelig - wächst ja alles nach, sag ich mir immer - aber beim ersten Mal hab ich gekniffen. Das war, als ich mit Maximal-Viertelkrankem-Kind vormittags in der Fußgängerzone an einem Billigfriseur vorbeikam und spontan hineinstürmte, um Mademoiselle die Haare schneiden zu lassen. Es war leer und das Kind gut gestimmt, so dass ich mich bereits dem Gedanken hingab, mich im selben Zuge mitbeschnippeln zu lassen. Bis mir auffiel, dass der simple Kinderhaarschnitt außerordentlich lange dauerte. Weil der Friseur nicht nur vor jeder Strähne nachzudenken schien, sondern zwischendrin mehrfach zu einem kleinen Schränkchen lief, eine Schublade aufzog und eine laminierte A4-Karte konsultiere, auf der Haarpartien und Schnittrichtungen abgebildet waren. Da hab ich gekniffen.
Beim zweiten Mal, gestern, im Friseursalon des langjährigen Vertrauens, war die mir über Jahre zugeteilte Fachkraft im Urlaub. Das wurde mir aber telefonisch bereits beschieden. Also ging es mit einer Ersatzperson munter ans Werk. Und zum Kneifen war es zu spät, als sie, eifrig in meinen Haaren fuhrwerkend, dauerhaft Selbstgespräche der Art "Ah, hier auch noch. Und diese. Oh, da muss ich auch kürzen. Maaannn sind das viele Haare. Wo ist denn hier jetzt was?? Hier noch... und da... wie mach ich das jetzt?? Man kommt da echt durcheinander..." führte. So ungefähr wie wenn ein Handwerker zu uns kommt und immer erst einmal ruft: "Nä! Das geht gaaar nicht!!" Dann verlasse ich mit "Sie machen das schon" den Raum. Beim Friseur geht das schlecht. Weshalb es ja gerade so wichtig ist, dass Friseure Smalltalk machen. Ein "oh-oh-oh..." beim Auswaschen des Färbeproduktes oder ein "uuups!" beim Schneiden hört der Kunde nicht gern!
Nun denn. Gleich nach dem Duschen wird sich feststellen lassen, was nun tatsächlich aus dem Schnitt geworden ist.
Heute morgen am Bahnsteig stelle ich fest, dass ich die (analoge) Uhr nicht lesen kann, weil es mir völlig unklar ist, ob die Zeiger auf 10 vor 8, 10 nach 8 oder evtl. auch 10 vor oder nach 4 stehen. Die Zuordnung rechts-links und die Richtungen haben einen Großteil ihrer Relevanz verloren. In diesem Moment fallen die übrigen Bruchstücke an ihren Platz: das aussetzende Kurzzeitgedächtnis (wo ist das Kind?? Achso, im Kindergarten abgegeben. Bin ich gerade auf dem Hin- oder auf dem Rückweg? Ach, ich fahr einfach mal weiter geradeaus, dann wird es sich schon klären...), das komische schwebende Gefühl beim Gehen und manchmal der Eindruck, rückwärts zu gehen oder zu stehen, während die Welt an mir vorbeizieht, die Probleme beim räumlichen Sehen, so dass ich Leuten ausweiche, die noch weit entfernt sind, andererseits aber ständig gegen Geländer oder Türrahmen stoße.
In der Bahn schrecke ich immer wieder hoch. Ich erkenne die draußen vorbeiziehenden Straßen nicht wieder und wähne mich im falschen Zug. Ich habe wieder vergessen, wohin ich unterwegs bin. Die Leute, die um mich herum sprechen, und ich weiß nicht, ob sie mir mir sprechen, weil ich die Richtung, in die die Stimmen gehen, die Blicke und Mimik und die Lautstärke nicht interpretieren kann. Ich starre in die Zeitung, lese die Sätze aber kann ihnen keine Wertigkeit zuordnen. Was ist wichtig, was ist nebensächlich, was ist normal, was ist aufsehenerregend, was ist gut, was ist schlecht. Die Struktur der Welt verschwimmt.
Ein Migräneanfall ist das Auge des Tornados. Während alles wirbelt und tobt und meine Gedanken sich gegenseitig in Fetzen reißen, schaltet der Kopf plötzlich einfach ab, fährt alle Systeme herunter. Wo keine Parameter mehr existieren, können keine Bewertungen mehr vorgenommen werden und folglich keine Entscheidungen mehr getroffen werden. Nichts geht mehr. Für einen Moment, für ein paar Stunden, für ein paar Tage. Der Kopfschmerz an sich lässt sich - bei mir - relativ einfach mit mittleren Dosen Schmerzmittel zurückdrängen. Beim Rest hilft nur Struktur, absolutes Leben nach Plan, um dem unverständlich und un(be)greifbar an mir vorbeifließenden Alltag zumindest ein Skelett zu verleihen, an dem ich mich halten kann. Am besten immer mit Musik im Ohr, als Taktgeber für die simpelsten Dinge wie Atmen, Gehen, Sprechen. Als Kopfschrittmacher.
Nachdem Mademoiselle heute morgen allein ein Lernspiel aus der Bücherei entlieh (Fahrtweg natürlich nicht allein), installierte sie es allein auf dem Computer ("Mama - ich leg das schonmal rein." "Mama, ich muss immer nur auf "JA" klicken, oder?" "Mama - Du musst gar nicht kommen, das Spiel ist schon an."). Nun pumpt sie allein ihr Platschbecken auf.
Geht ja doch alles sehr schnell...