"Wir setzen auf einheitliche ethnische Nachbarschaften in Milieuhäusern," sagt der Herr Dilger der Nassauischen Heimstätte Wohnstadt laut der Welt Online, und meint damit, dass künftig nur noch Mieter aus ähnlichen Kulturkreisen in einem Wohnhaus zusammen leben sollten. "Eine 75-jährige deutsche Großmutter hat ein anderes Verständnis von Sauberkeit und Erziehung als eine junge Migrantenfamilie." Und 61% der abstimmenden Leserschaft finden das prima.
Für mich ist da einiges unklar. Zum einen, warum meine Erziehungsvorstellungen mit denen einiger Migrantinnen meines Alters durchaus identisch sind, von denen meiner 75-jährigen Großmutter jedoch eklatant abweichen. Das könnte an mir liegen. Offen gesagt weicht meine Vorstellung von Sauberkeit schon von der meiner Mutter ab, und die ist gar nicht mal 75 und ich keine Migrantin. Naja, vielleicht bin ich ja ein Sonderfall. Kenne allerdings einige Leute, die ganz gerne mal Pizza liefern lassen. Geht das dann in so einem ethnisch sauberen einheitlichen Mietshaus, das nun gerade nicht italienisch ist, eigentlich noch? Es könnte sich jemand durch den Geruch belästigt fühlen. Was ist, wenn Freunde von mir zu Besuch kämen? Geht das, oder stört die Hautfarbe oder der charmente Akzent möglicherweise jemanden im Treppenhaus? Ich fürchte, ich möchte in meinem Freundeskreis keine ethnische Anpassung durchführen, wäre auch überfordert weil mir die Nationalität vieler meiner Freunde nicht als vordringliches Merkmal bewusst ist. Ich glaube, da sind auch einige "gemischte" Paare dabei. Dürften die dann eigentlich noch zusammen wohnen? Oder sollte man derartige "Zustände" lieber von vornherein vermeiden? Naja. Das sind alles Einzelheiten, die vermutlich nur mir unklar sind. Der Herr Dilger hat das sicher perfekt durchdacht.
Nach wie vor ist mir natürlich bewusst, dass das Zusammenleben mit anderen Menschen eine der größeren Herausforderungen insgesamt ist. Geht ja nicht nur um Ethnie, alles andere ist mindestens genauso schwierig. Ich muss mich z.B. immer wieder zusammenreißen, wenn die Nachbarin auf ihrer ausladenen Joop-Parfüm-Wolke durchs Treppenhaus schwebt. Den Nachbarn mit der billigen Weinfahne (ob das deutscher Wein war vermag ich nicht zu erschnuppern) verleitet mich auch zum Luft anhalten in jedem Sinne. Komisch, dass noch niemand über eine olfaktorische Sortierung nachgedacht hat. Bei manchen Leuten passt mir auch einfach die Nase nicht. Und manchen Leuten - in manchen Kreisen machen die sogar 61% aus - könnte ich für Ihre Ansichten mehrfach in den Arsch treten.
Nunja, man arrangiert sich. Also ich jedenfalls. Wobei ich ja schonmal vorgeschlagen hatte, dass sich jeder in einen Müllsack setzt und oben gut zubindet. Wenn ich darüber nachdenke, wäre das wohl tatsächlich das Allerbeste.