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    Freitag, 28. September 2007

    Manchmal glaube ich dann doch, dass da irgendwo ein kosmisches Wesen sitzt, und sich "Späßken" macht. Es irrsinnig lustig findet, mir jedes Mal, wenn ich beruflich gerade das zweite Bein wieder auf den Boden kriege, das erste wegzukicken. Von Ferne sieht das natürlich auch höchst spaßig aus, wie ich da so herumhopse. Man könnte das glatt für Steptanz halten.

    Gestern verließ ich z.B. das Büro mit dem guten Gefühl, gerade alles auf die Reihe gebracht zu haben und die zwei wichtigen und dringenden Gespräche auf den einzig möglichen Tag innerhalb der nächsten vier Wochen terminiert zu haben - nämlich heute. Heute morgen um drei wurde ich nur nicht von einem Kotzschwall aus dem Mund des vor dem Bett aufgetauchten Kindes geweckt, weil ich rechtzeitig zur Seite wich. Und als der Kinderarzt am Telefon fragte, wie oft sie denn erbricht, musste ich schon morgens um acht zugeben, schlichtweg den Überblick verloren zu haben und das ungefähre Ausmaß des Übels allenfalls noch in Waschmaschinenladungen angeben zu können.

    Die Terminvereinbarung gestaltete sich trotz diverser Joker (Private Krankenversicherung und life-Kotzgeräusche im Hintergrund) schwierig. Natürlich schlief das Kind gleich nach dem Telefonat ein, blieb auch beim Eintreffen zwei Stunden später in der Praxis noch Übelkeitsfrei und erfuhr dort, im Zimmer des Arztes, eine Spontanheilung. Dort lag nämlich eine Tüte mit Gummibärchen. Mittlerweile war aber auch Mittag und meine Termine eh gelaufen. Der Arzt dämpfte die Laune auch noch mit der Ankündigung von sicherlich folgendem Durchfall, wie passend, wenn man am nächsten Tag ins Flugzeug steigen möchte. So war die sinnvollste Tätigkeit heute der Erwerb neuer Windeln, denn ob wir das Anti-Durchfall-Zeug überhaupt mit ins Flugzeug nehmen dürfen ist ja auch fraglich.

    Heute Nacht, als mir dieser unvergleichliche säuerlich-milchige Duft die Nase umwehte während ich versuchte, ihr und mir die Haare aus dieser Angelegenheit zu halten, vielen mir dann auch noch so viele Dinge ein, die alle auf die eine oder andere Art in Verbindung mit einem Fitness-Studio-Besuch gestern hochkamen, und die sich alle noch nicht so recht greifen lassen, aber meinen Kopf umkreisten, nachts, wie kleine Fledermäuse. Auch jetzt lassen sie sich nicht in Worte packen sondern huschen hin und her, wispern mal in das eine, mal in das andere Ohr und lassen in meinen Augenwinkeln Bilder entstehen, die verschwinden, wenn ich den Blick auf sie richte.

    Vielleicht bin ich einfach zu müde. Ein andermal.

    Sonntag, 23. September 2007
    Zustand

    Mal wieder äußert müde und verfroren (sollte es nicht so irgendwie ganz warm werden heute? Naja, draußen vielleicht), und der feste Vorsatz, jetzt endlich mal langsamer zu machen. Mit allem. Langsamer Essen, Trinken, Gehen, Sprechen, Schreiben, Denken. Besonders langsamer Denken. Oder zu allermindestens Pausen zwischendrin machen. Vielleicht von jeder Stunde die letzten 30 Sekunden. Kurz innehalten und überlegen: was mache ich hier gerade? will ich das? wer bin ich noch gleich? Umschauen, schauen, ob alles noch passt. Sowas in der Art.

    Ach, schwierig. Schon wieder 7 Stunden wach und das Umschauen vergessen. Vielleicht sollte ich mir so einen Kurzzeitwecker (Eieruhr!) stellen, der dann nach einer Stunde unerträglich bimmelt. Vielleicht muss der Tag oder muss das Leben einfach in kleinere Einheiten eingeteilt werden, um besser verdaubar zu werden. Vielleicht sind die Bissen einfach zu groß. Aber schmeckt halt so gut. Und diese Sache mit der Mäßigung war ja immer schon schwierig.

    Sich ständig selbst überholen. Dann in Teilen so weit vorn sein, dass der Rest von mir schon nicht mehr sicher ist, welche Abfahrt die da vorn gerade genommen haben, he, hallo, wo seid ihr, Scheiße! brüllt und nervös hinterherhastet.

    Ich würde mich gern hier lassen, zum sammeln und einordnen, und selbst so lange weggehen was anderes machen. Ist sonst so langweilig.

    Das Gesamtgefühl fehlt. Sowas Ganzes, Weiches, Warmes, Rundes.

    Mittwoch, 19. September 2007

    Sah nach einem richtig entspannten Tag aus, heute morgen, als der kühle Wind mir um die Nase wehte und alles so schön in der Herbstsonne leuchtete. Hinterhältiger Dreckssack-Tag, verstellt hat er sich auch noch! Gezerre ohne Ende, das Kind in die eine und der Hund in die andere Richtung noch das harmloseste darunter. Mittlerweile heiser gebrüllt und festgestellt, dass aus einer nassen Windel, wenn man sie mit genug Wucht gegen die Wand knallt (ohne Kind drin, kein Grund, das Jugendamt einzuschalten), komisches minihagelkornartiges Granulat rieselt, das sich weder gut aufwischen noch auffegen lässt und der Besserung der Laune nicht zuträglich ist.

    Penetrantes Schrillen des Telefons und Freizeitangebote, wir müssen mal wieder was zusammen machen - warum eigentlich? Naja, das blieb eine ungestellte Frage. Schwimmen gehen ist eine prima Idee, aber warum zusammen? Warum dieser ständige Gesellschaftszwang, komm doch mit, lass uns..., wir... . Ich glaube, ich habe eine 1.-Person-Plural-Allergie. Als ob es nicht genügte, diese Offensiv-Defensive schon im (angeheirateten) Familienkreis zu fahren, um die Treffen auf das exakt akzeptierte Minimum - erträgliche Maximum zu begrenzen, und keine Sekunde mehr. Können Freunde nicht einfach merken, wenn allein ein Konversationsansatz schon eine rot-blinkende no-go Aura hervorbringt? Hier ist der Kopf schon voll, da geht gerade nix! Sieht man doch! Genauso wie ich erwarten würde, dass die Hand, dies ich auf den Arm legt, wie verbrannt zurückzuckt. Statt zu einem Stein, zu einem Felsen, zu einem Gebirge zu werden, das die Arterie abdrückt, bis es anfängt zu kribbeln und der Arm letztendlich einfach abfällt. Jettisoning, was für ein hübsches Wort. Gut, dass die Hand nicht im Nacken lag. Genickbruch kann ich aber auch selbst viel besser.

    Ja. Ich weiß, dass ich manchmal nicht genießbar bin. Wenn unreife Gedanken den ganzen Rest versäuern. Da kann man nur ausspucken. Lasst mich doch einfach in Ruhe meine Erbsen sortieren (einarmig). Ich komm ein andermal mit Tanzen. Barfuß. Prinzen unerwünscht.

    Montag, 17. September 2007
    Wie. mich. das. alles. ankotzt. (!!!)

    Seit ein paar Tagen endlich eingespielte Abläufe, nachlassende Anspannung, das Gefühl, nach langer Zeit wieder Atmen zu können. Pläne - für schöne Dinge und für weniger schöne, aber notwendige, die nun relativ schmerzfrei funktionieren können. Kein Silberstreif am Horizont sondern gleißendes Licht.

    Heute Vollbremsung und Rückwärtsgang Zugegebenerweise alles nicht so wirklich dramatisch: ein krankes Kind, daher die vorläufige Rückkehr zum alten Tagesablauf, ist alles in spätestens einer Woche vorbei und auch vergessen.

    Aber heute fühlt es sich an wie eine kalte Dusche, und während ich das schreibe schrumpft die verbleibende Zeit für das Pensum eines kompletten Arbeitstages von zwei auf 1,5 Stunden zusammen, es ist einfach zum kotzen, ein kleiner Stein im Weg und zurück in alte Muster: Frustkäufe beim Bäcker um kurz nach fünf, "habense auch was das noch nicht ausgetrocknet ist" zum Bäcker und "können Sie auch schneller gucken" zum Kontrolleur, alle, die nicht rechtzeitig aus dem Weg springen angerempelt, der Rezeptionistin "machense das Drehkreuz auf ich hab keinen Bock meine Karte rauszufummeln" zurgeraunzt und den Schuh in zwischen die sich schließenden Aufzugtüren gerammt um dem nächsten die Tür von innen per Knopfdruck vor der Nase zu verschließen.
    Abgehetzt ins Büro und "Hallo" ohne Blick nach rechts und links, dem sich nähernden Chef ein Timeout gestikuliert und den aus NY nach wenigen Minuten Gestammel gebeten, Englisch zu reden, weil geht schneller, jetzt alles wirklich heute notwendige und unerlässliche in der verbleibenden Zeit ohne jede Kontrolle raushauen, nach mir die Sintflut.
    Gleich genauso abgehetzt zurück, denn die Planung einer Fußballmannschaft ist deutlich weniger flexibel als die meines Arbeitstages, mit Nerven wie Zuckerfäden auf die Couch und die Räder werden, wieder einmal, noch ein paar Stunden im Leerlauf überdrehen, ansatzweise besänftigt von Bier und Internet, es ist einfach zum kotzen.

    Aber was jammer ich, die Zeit läuft, das ging drei Jahre gut und wird auch einmal (oder zweimal oder dreimal) mehr gut gehen, Dramen sind was anders, nur komm mir keiner zu nah heute, gute Laune ist nämlich auch was anderes.

    Freitag, 14. September 2007
    Mäh!

    Ich bin zu aktiv. Und zu schnell. Mache Vorschläge, Termine, Verabredungen, Pläne, ich organisiere, ich löse die Probleme und räume die Wiederstände aus dem Weg, bevor die anderen sie überhaupt wahrgenommen haben. Vorausschauendes Fahren.
    Das kostet mich keine besondere Mühe, es war schon immer so, es geschieht einfach, und es hat ganz klar den Vorteil, dass ich zum einen nicht warten muss, bis sich irgendwer zu irgendwas aufrafft (was dann meistens ja nie geschieht) und zum anderen dass alles so abläuft, wie ich es will. Vorausgesetzt ich bin, bevor ich die herumfliegenden Puzzleteilchen im Sprung fange und im Wegsprinten daraus ein nettes Bildchen baue, überhaupt dazu gekommen, mir darüber Gedanken zu machen, was ich will - aber das ist ein Nebenaspekt.

    So ziehe ich die Leute an, die einen Taktgeber suchen der für Struktur sorgt, die Herde sortiert, die Regler schiebt.

    Es geschieht einfach. Aber manchmal, so wie heute, finde ich das sterbenslangweilig, unendlich ermüdend, und ich möchte einfach einmal überrascht werden, das Gefühl haben, dass jemand anders am Steuer sitzt. Einfach hinterherrennen und "Mäh" blöken.

    Montag, 3. September 2007

    • Heute nach langer Zeit mal wieder den Satz "das ist unter meinem Niveau" gehört und richtig lachen müssen, wie albern! Nicht, dass mein Niveau jetzt ganz unterirdisch tief angesetzt wäre... aber es ist schon, sag ich mal, äh, recht spektral?...
    • Wie sich das Verhältnis zu Personen über die Zeit verändert stelle ich immer wieder daran fest, welche Songs ich gerade mit ihnen verbinde (und welche nicht - mehr).
    • Bin ich eigentlich wirklich so furchteinflößend? Mir geschieht seit ein paar Tagen ständig, dass jemand beginnt, etwas zu mir zu sagen, und, sobald ich dann meine Aufmerksamkeit der entsprechenden Person (es tritt bei mehreren auf, auch bei völlig Fremden!) zuwende, verstummt sie mit den Worten "ach schon gut" (oder so ähnlich). Hm?
    • Heute auf der Speisekarte: sinnfreie Bemerkungen (Spezialität des Hauses) und blöde Fragen (blöd nicht im Sinne von dumm, sondern eher "das muss jetzt nicht sein").

      Zu den Fragen - drängend, Vergewisserungsfragen, und so unnötig. Wie kann man die bitte abstellen? Diese Fragen ohne Berechtigung, die zu nichts führen, bei denen es sowieso keine richtigen oder falschen Antworten gibt, die lediglich der Positionierung dienen, wobei Positionierung nicht notwendig ist (ist die überhaupt jemals notwendig? Ich finde ja nicht). Gnah! Wozu das alles? Wie "Wann gibt es Essen?" - "Wenn es fertig ist". Danke, gut, dass wir darüber gesprochen haben.

      Zum zweiten die sinnfreien Bemerkungen, nur als Feststellung an sich, das Bedürfnis, etwas durch Aussprechen sozusagen in der Welt zu verankern. Was zu nichts führt. Bzw. vermutlich zu Erklärungen, oder noch schlimmer: Entschuldigungen, unnötige, weil die Tatsachen bekannt sind und das Verhalten konform ist.

      Dass nur das "darüber gesprochen haben" meist so einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, wenn es doch zu nichts führt, zu nichts führen kann, und deshalb das Aussprechen, das "Verankern" nur eine Manifestation des Scheiterns ist.

      Der Vorsatz, einfach weiter zu senden, und sei es ins Leere. Vielleicht sind es auch einprasselnde Puzzelteile, nur noch nicht resonanzreif, das Bild muss sich noch setzen. Und lieber ist mir ein gewachsenes Bild aus vielen Einzelteilen mitsamt jedem Interpretationsspielraum allemal, als ein herbeigeredetes, präsentiertes, als fertig ausgegebenes, inklusive beigelegter Deutung. Der Nachgedanke aber, dass das Senden ohne Fragen, ohne (Selbst-)zensur bei allem Mut, den es zu erfordern scheint, sich so bedingungslos offen zu legen, letztendlich die einfache und feige Variante ist, weil entscheidungsfrei.
    • Beim Aufzug-Abwärtsfahren ging die Frage durch den Kopf, ob mir dann irgendwann beim Blick in den Spiegel einfach nur noch schlecht wird, möglicherweise?

    Donnerstag, 23. August 2007
    Verkehrte Welt

    Auch komisch - im betrunkenen Zustand die Unhaltbarkeit der ganzen Situation sehen und das eigene Verhalten unmöglich und unverständlich finden. Das Letzte bis möglicherweise Allerletzte sowieso.

    Wieder nüchtern dann nasekräuselnd zufrieden darüber Grinsen. Man lebt nur einmal (äh - oder?). So what?

    Donnerstag, 23. August 2007

    Am frühen Nachmittag plötzlich die ganze Welt in hoffnungslosem, mutlosem Sepia, und ertränkt in Gedanken, das alles hinzuwerfern und bleiben zu lassen (als ob das noch möglich wäre!), wie ich es nicht an mir leiden kann (an anderen auch nicht), und schnell verkrochen, denn in diesen Sepiamomenten brauche ich für meine Zunge einen Waffenschein (das ist jetzt rein verbal gemeint), wäre es doch möglich, muss es doch so sein, dass irgendwo noch Farbe ist und was, wenn nicht Blut, wäre rot, so lassen wir es fließen und schneiden immer tiefer. Also Einzelhaft und aussitzen, in ein paar Stunden ist alles vorbei und die Farbe kehrt zurück, hoffentlich auch in die Gesichter, wenn ich mich ausreichend zusammengerissen habe.

    Abends auf der Party als Fremdkörper gefühlt und neben der Tür zwecks Flucht gelungert, plötzlich einsetztende laute Musik geht mit plötzlichem Schweißausbruch einher und dann sind - ebenso plötzlich - die Farben wieder da, und was für Farben, absoluter Overkill, Zuckerwatte, bunte Bonbons, ein Schokoladenbrunnen, farbige Fruchtshakes, Brause, bemalte Gesichter, leuchtende Augen, ein roter Cadillac, die Fassade grün und orange angestrahlt und derselbe Fotograf mit den schlechten Zähnen, der es schon letztes Jahr auf uns abgesehen hatte und die Bilder nie schickte, und nirgenwo Wasser in Sicht, deshalb roten Wein getrunken, viel viel roten Wein, und eine unbekannte Treppe mit Kerzenbeleuchtung hinaufgestolpert in diesem Hotel, in dem ich jede Ecke kenne, in einen Raum, in dem alles richtig war, mit einer Couch zum versinken und sich selbst wieder finden in diesem Emotionswirrwarr. Mehr Wein.

    Nochmal aufgerafft und mit ziemlicher Schlagseite zurück ins Büro, dort unbestimmte Zeit mit offenem Mund und an die Scheibe gelehnter Stirn von oben auf die nächtliche Stadt gestarrt, auf die Aussicht, die ich jeden Tag sehe und tatsächlich, auch wenn Besucher es immer anzweifeln, jeden Tag bewusst sehe, aber selten so sehe, mit diesen irrsinnigen Lichtern und Farben vor der Erinnerung an eine Welt in Sepia und an vieles anderes. Einen Computer befreit, alles abgesprochen, aber dennoch kamen wir uns vor wie die Panzerknacker persönlich, in Anbetracht der Uhrzeit und des Zustandes aller Beiligten.

    Taxifahrt nach Hause und in den Straßen überfallen von einem ganz neuen Gefühl von, hm, Heimat? Hier?? (Vielleicht muss man erst wegfahren, um anzukommen? So wie man erst loslassen muss, um Sicherheit zu finden?)

    Freitag, 20. Juli 2007
    Die Schatzkiste



    I.
    Ganz rechts auf dem Bild, vor einem der Fenster im zweiten Stockwerk, ist eine Kiste. Die ist da schon immer, also seit es mich gibt, daher also, für mich, schon immer.
    Wenn ich früher, als Kleinkind, mit Mama in "die Stadt" fuhr, kamen wir jedes Mal mit der Straßenbahn an diesem Haus vorbei. Die Leuchtreklame entziffern konnte ich noch nicht, aber den Kasten sah ich, jedes Mal aufs Neue staunend, und fragte Mama, was wohl darin sei. Meine Vermutung war, ein Mann, der dort arbeitete, habe seinen Aktenkoffer vor dem Fenster abgestellt und vergessen. Mama glaubte dies nicht, wusste aber auch keine Erklärung. Gern hätte ich dort geklingelt und nachgefragt, welche Bewandnis es mit dieser Kiste hat. Doch Mama ist nicht der Typ Mensch, der bei Fremden klingelt und derartige Fragen stellt. Papa ist solch ein Mensch - jedoch dann wieder keiner, der zum Bummeln in die Stadt fährt, so dass sich die Gelegenheit nie ergab.
    So blieb die Kiste eines der Geheimnisse meiner Kindheit. "Du musst da später mal arbeiten, in dem Haus", sagte Mama. "Dann kannst Du das Fenster aufmachen und in die Kiste schauen."


    II.
    Je älter ich wurde, desto mehr verlor die Kiste an Bedeutung. Ganz vergaß ich sie jedoch nie. Als Jugendliche hätte ich natürlich jederzeit selbst im 2. Stock klingeln und nachfragen können. Zuerst war ich jedoch zu schüchtern, später dann viel zu cool. Es ist erstaunlich, wie einfach es ist, sich selbst im Weg zu stehen.

    III.
    Gegen Ende des Studiums meldete sich meine Chefin, für die ich freiberuflich tätig war, mit den Worten "Kindchen, ich habe einen Auftrag für Dich". Nun wollte ich gar keinen Auftrag, steckte ich doch gerade in der Examensphase mit diversen mündlichen und schriftlichen Prüfungen. "Zumindest sprichst Du mit denen", verlangte sie. So rief ich an, formulierte gleich meinen Dank und meine Absage und hörte die Stimme einer älteren Dame, die in sehr gewählter und dramatischer Sprache vom Unfalltod des Mitarbeiters und der Dringlichkeit der Angelegenheit sprach. Erweiterte ihr Angebot immer mehr, so dass es mir in Anbetracht der Notlage mittlerweile gleichermaßen unmoralisch erschien, es anzunehmen oder abzulehnen und ich mich darauf einließ, "doch wenigstens einmal vorbei zu kommen".
    Am nächsten Tag zur vereinbarten Zeit stand ich vor dem Haus mit der Kiste und drückte die Klingel zum 2. Stock.

    Drinnen ein unbeschreibliches Dreiergespann in Räumlichkeiten, in denen die Zeit stehen geblieben war. Alte Bildung und Herzensgüte und sehr unerwarteter Sinn für Humor. Nachdem wir uns per Handschlag geeinigt hatten, dass ich am nächsten morgen anfangen würde, bat ich darum, die Kiste untersuchen zu dürfen.

    IV.
    Wenn ich jetzt an dem Haus mit der Kiste vorbei komme, muss ich lächeln. Etwas wehmütig war mein Lächeln heute, denn die Räumlichkeiten werden verkauft. Damit wird wohl auch meine Schatzkiste verschwinden.

    Montag, 9. Juli 2007
    Wahrnehmung

    Süße Lethargie, auf weichen, warmen Sand gebettet, liebevoll umschlungen, die Nacht wie eine Umarmung, Blütenduft und Meeresrauschen, zeitverloren, gedankenverloren.

    Ein Blitz, der das Dunkel zerreißt und mir ein Bild auf die Netzhaut brennt - der Sand ist Asche, die nächtliche Umarmung ein erstickendes Tuch und das Meeresrauschen ein Ventilator, der den süßlichen Modergeruch immer wieder aufquirlt.

    Ein Sekundenbruchteil vor erneutem Einsetzen der Schwere - schließe die Augen, es war nur ein Traum, es war nur ein Traum... - Flucht.

    Jahre später noch manchmal die Frage, welches Bild das wirkliche war. Und melancholische Sehnsucht nach einem Zustand, der vielleicht nie existierte.

    November seit 6821 Tagen

    Letzter Regen: 20. November 2024, 21:47 Uhr