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    Montag, 21. Januar 2008
    Zurück aus der Zukunft

    "Für die praktischen Notwendigkeiten des Alltags bleibt keine Zeit!", sagte sie zu mir, sehr eindringlich.

    Die Frau war mir in der Damenumkleide schon vorher aufgefallen, weil ich fand, dass sie mir auf eine kuriose Weise ähnlich sah. Dieselbe Haarfarbe, ähnliche Größe und Figur, sie hätte ich in ca. 20 Jahre älter sein können. Beim Föhnen vor dem Spiegel war mir die Bürste heruntergefallen, und als ich mich wieder aufrichtete stand sie viel zu nah vor mir, wie ein zeitverzerrtes Spiegelbild.

    "Für die praktischen Notwendigkeiten des Alltags bleibt keine Zeit!".
    Sie fixierte mich mit einem Blick, in dem ich getönte Kontaktlinsen zu erkennen glaubte. Und an der Nasenwurzel hatte sie sogar eine kleine waagerechte Narbe - so wie ich.
    "Was?", fragte ich irritiert. "Sie leben doch, also scheint es ja gerade noch zu gehen."
    "Früher hatte ich die beste Zeit überhaupt", starrte sie mich weiter - beinahe anklagend - an. "Wo ist das hin? Es bleibt Zeit für nichts." Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging.

    Für einen Moment hatte ich den skurrilen Gedanken, einem meiner Ichs aus der Zukunft begegnet zu sein. Dieses Fitness-Studio wird mich noch in den Wahnsinn treiben...

    Too much information

    • "...and grieved
      To have a soulless image on the eye
      That had usurped upon a living thought
      That never more could be."

      Hallo Herr Wordsworth. Sie sind selber schuld. Vergessen Sie nicht - Sie sind absichtlich auf diesen Berg da hochgeklettert. Und ein bisschen sehr theatralisch ist das Ganze schon. Verdrängen Sie das, was Sie gesehen haben, doch einfach.
    • Der Player legte sich sehr ins Zeug heute morgen und schmiss mich in der russisches-Roulette-Variante zwischen den verschiedensten Stimmungen hin und her. Der Abschluss war versöhnlich und passte auch sehr genau, wie ich aber eigentlich schon lange weiß.
    • Ich hab nie gern zugeschaut, wenn der Kater mit den Vögeln, die er hereinbrachte, gespielt hat.
    • Einmal Waschen, Schneiden, Föhnen bitte.

    Sonntag, 20. Januar 2008
    (Un)zusammenhängend

    Unfreiwilliger Stream weil keine Zeit aber Worte im Kopf.

    Das Komische, wenn man morgens aufwacht, vor der Aufstehzeit, aufwacht ohne alles mögliche im Kopf, das Dunkel sieht und das grau, das durch einen Spalt in den Vorhängen hereindrängt, liegt und sich bewusst wird, dass - das klingt jetzt blöd - alles gut ist. Dass immer noch dies und das und jenes zu regeln und zu erledigen und zu bedenken und zu erfragen ist, und auch A, B, C und etc.pp. noch geschehen könnte und sowieso auch das eine und das andere nicht so restlos geklärt sind, aber - hey, was soll's. Draußen zwitschern die Vögel.

    Auch das Komische, herumzubuddeln und Gold zu erhoffen, Dreck zu befürchten und auf Diamant zu stoßen, klar und hart. Staunen mit offenem Mund. Einstecken, Hände waschen und ein Liedchen pfeifen.

    Auf Wiedersehen, Januar. Ich erkläre die Welt für November.

    Freitag, 18. Januar 2008
    Durchatmen! Laut stellen! Mitsingen!

    Ist ja unerträglich mit dem Gejammere. Pah!

    Donnerstag, 17. Januar 2008
    Januar

    • Fast immer, wenn ich an einem elektrischen Schredder vorbeigehe, heult dieser kurz auf.
    • Ich habe das Gefühl, in einem (mindestens) Fünfeck zu sein und immer gegen die Ecken zu stoßen.
    • Ich hasse es, wenn sich mir Zusammenhänge offenbaren, die ich nicht wissen will. Ich hasse es, hasse es, hasse es!
    • Januar ist nicht meins. Ich weiß nicht, wie das früher war, weil mein Gedächtnis hauptsächlich in Bezug auf Positives funktioniert. Ich rette mich meist ganz gut über den Dezember, nehme den Jahreswechsel nicht allzu ernst und komme mit einem gewissen Maß an Freude, Erholung und Schwung ins neue Jahr. Aber mir drängt sich der Eindruck auf, dass da irgendwo jemand steht und "heeeeeeeeey, junge Frau, so ganz und gar nicht! Hier ist Jahreswechsel und alles auf Null bitteschön, alles mal hier abgeben, Freude Erholung und Schwung, eine Übertragung ins Folgejahr ist leider nicht möglich" ruft. Alles auf Null und dann erstmal ein gutes Stück runter. Das Jahr ist ja noch lang, da muss man ja noch was zu tun haben. So in etwa. Die letzten drei Januare waren grauenhaft. Der 2005 ließ sogar das Kind dauerschreien, gefühlte 31 Tage lang oder so. Der 2006 fand mich in einer tollen neuen Wohnung, die wir von einem bezugsfertigen Objekt allerdings in eine Großbaustelle verwandelt hatten, während wir bereits darin wohnten - mit krankem Kind. An den Januar 2007 habe ich keinerlei Erinnerung, was schon an sich nichts Positives vermuten lässt. Sicher alles aus gutem Grund ordentlich verdrängt. Ich weiß nur noch, dass das Kind wieder krank war, richtig heftig. Von Silvester an, logisch. Im Januar 2008 nun dasselbe. Krankes Kind und alles doof und mir ist mittlerweile danach, auch ohne konkreten Anlass immer mal wieder in Tränen auszubrechen.

      Naja. Ein paar Tage noch.


    Samstag, 12. Januar 2008
    Allein

    Merkwürdig leicht fühlte ich mich schon, als ich die Treppe hinunterging. Und führte es zunächst auf die frisch aufgeräumte Handtasche zurück. Das Schaudern auf der Straße hätte auch daher rühren können, dass ich deutlich zu leicht gekleidet war - nur eine Fleecejacke über einem dünnen Pullover - denn mit Kind gerät man ja doch immer ins Schwitzen.

    Eine Straße weiter, als aus der polnischen Bahnhofskneipe Musik drang und die Bedienung, die zur Zigarettenpause draußen stand, mir freundlich zunickte, drang der Gedanke dann wirklich durch, dass das Kind ja gar nicht dabei war. Das Kind nicht und der Mann nicht und auch keine Freundin, kein Kollege und niemand anderes mir Bekanntes, und ich war auch nicht unterwegs, um jemanden zu treffen, sondern einfach ganz allein, sozusagen ins Unbekannte, ich, ein Abend, draußen, allein: da darf man sich schonmal so wahnsinnig leicht fühlen.

    Für viele mag das etwas ganz normales sein. Für mich ist es das nicht mehr, denn so ein Kind verändert das Leben tatsächlich. Nicht in den großen Sachen, wo man es erwarten würde - da ist man ja auf der Hut! So legten mir eine Vielzahl - samt und sonders wohlmeinende Menschen - während der Schwangerschaft nahe, dass nun ja wohl Schluss sei. also mit den Wochenendreisen, der Stadtwohnung, der ÖPNV-Nutzung und dem Knochblauch essen. Der Grund? Na das Kind! Daheim bleiben, ein Häuschen im Grünen, ein Auto und Schonkost, so gehört sich das doch. Anders geht das doch gar nicht. Ich sagte darauf immer, dass das Kind ja zu uns kommt und sich daher an die herrschenden Gepflogenheiten anpassen müsse. was es - in diesen Dingen - auch tat. In anderen Dingen, diesen winzig kleinen, die alle zusammen den Alltag ausmachen, wurde ich jedoch gnadenlos unterwandert. So fiel mir etwa nach einem Jahr wieder auf, dass bei uns im Flur ein Spiegel hängt (und folgend, das sich mal wieder zum Friseur gehen sollte). Ein anderer, ähnlicher Punkt ist die Handtasche, die ich ja auch schon ansprach. So ein Kind kommt und wie automatisch beginnt man, seine unabdinglich und unbedingt immer mitzuführenden Gegenstände, in ein unförmiges, überfülltes Gebilde namens "Wickelrucksack" zu stopfen. Es ist ja praktisch. Ich hatte letztes Jahr im Sommer dann plötzlich das absolut dringende Bedürfnis, wieder eine Handtasche mein Eigen zu nennen ("eigen" ist in diesem Zusammenhang wichtig, Kinder sind die geborenen Enteigner, weshalb aus meiner Handttasche auch ständig Schnuller, Haarspängelchen, Traubenzuckerbonbons und Spielzeug zu entfernen sind. Was ich gestern tat. Dies alles nur als Hintergrundinformation.

    So war ich also, allein, mit einer Handtasche voller Erwachsenengegenstände in den Freitagabend unterwegs. Ganz allein - das heißt keine Rolle ausfüllen, auf niemanden Rücksicht nehmen, niemanden berücksichtigen, für niemanden verantwortlich sein, auf niemanden warten und niemandem folgen, nichts absprechen, nur für sich selbst Entscheidungen treffen. Manche haben das jeden Tag. Für mich ist das wie Urlaub von mir selbst.

    Schön war das.

    Freitag, 11. Januar 2008
    Good Morning, Frankfurt

    Morgen1

    Morgen2

    Donnerstag, 10. Januar 2008
    Sodann -

    Nach dem ersten Schnellschuss begann ich dann an, mit dem ungewohnten Layout zu fremdeln. Das gehört nunmal dazu. Man denkt sich: ach, jetzt ist es so nett hier, da muss ich mal was richtig Dolles schreiben! Den ersten spontanen Gedanken verwirft man für ein andermal, wegen mangelnder Dollheit. Bevor der zweite sich einstellt hat man schon die hübschen Socken gesehen und braucht selber was, um die kalten Füße zu umhüllen. Hat nichts Vergleichbares im Schrank und entschließt sich, zuallermindest ähnliche Socken einkaufen zu gehen, wenn nicht gar, selbst zu stricken. Natürlich sofort. Vor dem Schreiben. Man kann nur in adäquaten Socken Dolles schreiben.

    Socken

    Dieser Punkt wäre also erledigt. Böse Zungen würden von Prokrastination sprechen. Ich tue das nicht, denn das Wort findet mir in letzter Zeit viel zu inflationär Verwendung. So wie damals das "mäandern". Das hat zum Glück nachgelassen. Naja, und außerdem habe ich diese Socken weder gerade gekauft noch gestrickt, wenn man es mal ganz genau nimmt. Sieht man auch vorne an der Zehspitze, da sind sie nämlich schon etwas abgenutzt. Was mir zu denken gibt, denn das sind doch Markensocken! Beim Fotografieren stellte ich dann auch fest, dass es Markensocken in Markenschuhen sind. Soweit ist es gekommen mit mir. Vor der dollen Sache, die ich schreiben wollte, muss ich also dem Sockenhersteller eine Beschwerdemail schicken. Dem Schuhhersteller gleich mit, zwei Dinge auf einmal erledigen ist nämlcih effizient. Muss mir vorher lediglich noch einen Grund überlegen. Und das Wort Prokrastination will ich nicht mehr hören.

    Eigentlich bin ich ja sowieso auch im Büro. Hier mache ich nur dolle Sachen. Hier entwickele ich mich! Das sagt zum einen gern mein Chef (so in etwa: "Ich hab hier was für Sie, komplett verfahrene Sache ohne Lösungsmöglichkeit, aber machense mal und sorgen Sie dafür, dass mir das Thema vom Hals bleibt bis es gelöst ist, daran können Sie sich entwickeln!") und er hat ja auch recht. Heute morgen half ich der Rezepionistin beim Eindecken für ein Essen und lernte dabei, was ein Richtglas ist. Sowas finde ich toll. Ich liebe Dinge, von denen ich keine Ahnung habe und die mir jemand erklärt.

    Also mich auch noch ein Stück entwickelt, bevor das Dolle geschrieben wird. Die Steuer wollte ich ja auch noch machen. Und mich geistig wegbewegen von diesen viralen Bilanzierungsthemen wie Jahresrückblick und Jahresvorschau. Und den Januar verdrängen, der immer so trostlos ist wie die aufgeweichten Böllerüberreste am Neujahrsmorgen.

    Das Dolle also ein andermal. Solange undoll weiter. Hilft ja nix.

    Montag, 7. Januar 2008
    Zufall

    Schon komisch, wenn in meinen beiden Bürokalendern, die völlig unterschiedliche Themen bedienen und von denen auch nur einer deutschsprachig ist, am selben Tag (der keinen irgendwie gearteten Meilenstein seiner Biographie darstellt) ein Mann in verschiedenen Zusammenhängen zitiert wird, der auch noch nichts wesentliches anderes getan hat, als ein Tagebuch zu schreiben - das auch lediglich von kulturhistorischem Interesse ist.

    January 1st 1662
    Waking this morning out of my sleep on a sudden, I did with my elbow hit my wife a great blow over her face and nose, which waked her with pain - at which I was sorry. And to sleep again.

    (Samuel Pepys, Diary)

    Sonntag, 6. Januar 2008
    Attention Attention

    Frau D is in da house. Wenns hier demnächst anders aussieht, ist sie "Schuld".

    Freitag, 4. Januar 2008
    Sekundenbruchteile

    Nach einem Tag, der morgens um Viertel nach 6 begann und für inhaltlich zwei bis drei Personen locker ausgereicht hätte, war ich um Mitternacht kurz davor, nach einer 10-minütigen Einbeinlandung irgendwann zwischendrin, endlich wieder nach Hause zu kommen.

    Geschätzt waren es noch 300 Meter Luftlinie, ich stand im Regionalexpress in Nähe der Tür und neben mir ein jüngerer Herr aus irgendwo Richtung Fernost. Gemeinsam rollten wir mit den Augen bei Betrachtung des Dritten im Bunde, eine langen, schlacksigen kaukasischen Gestalt mittleren Alters, die offenbar einen netten Abend gehabt hatte und durch ihr Schwanken den gesamten vorderen Türraum einnahm. Vorher hatte dieser Mann noch für sympathische Unterhaltung gesorgt, als nämlich der Zugbegleiter vorbeistürmte und uns "Gab es da gerade eine Ansage??" zurief und er, der Schwankende, mit "Neeee, ich mach heute lieber keine Ansage mehr" antwortete. Ein perfekter Nonsens-Dialog entspann sich (der noch schöner war als der, den ich am Morgen mit einer älteren Dame bei der Post, bzw. vor der Post, führte, die mir erst nach vielen Worten gestattete, ihr auf der Treppe mit dem Laufwagen behilflich zu sein, obwohl ich kein Mann bin) und der Zugbegleiter konkretisierte: "Ich meine doch eine Zugansage" und der Schwankende konkretisierte ebenfalls "Ach kommense, das interessiert doch hier im Zug keinen, ich halt lieber den Mund, und in meinem Zustand erst..." Recht so, obwohl ich bei all dieser Einsicht beinah schon gespannt gewesen wäre, mehr zu erfahren.

    Jedenfalls hielt der Zug am Bahnhof und Schwankende nahm den grünen Türöffnungsknopf ins Visier, stach immer wieder mit seinem dünnen krummen Zeigefinger vorbei. Der Fernöstliche und ich praktizierten noch eine Runde gemeinschaftliches Augenrollen bis ich schließlich den anderen grünen Knopf an der Seite betätigte und der Schwankende mit einem zufriedenen "Hab ich Dich!" Richtung seines Knopfes aus der Bahn taumelte. Wir ließen ihm einen Sicherheitsabstand und er steuerte auf die Treppe zu, verlor jedoch kurzzeitig das Gleichgewicht und stützte sich am Zug ab. Der Zug fuhr an und der Schwankende stürzte in den Mind-the-Gap!-Spalt.

    Nun kann man ja sagen, was man will, aber meine mir durch konsequentes Giga-Tasking anhaftende zeitweise Ungeschicklichkeit hat im Laufe der Jahre hervorragende Reflexe hervorgebracht. Ich bin die Frau, die mal auf einer Silvesterparty ein randvolles LIIT-Glas mit dem Rucksack vom Tisch fegte und dieses vor Aufprall auf dem Fußboden wieder auffing, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten. Und es war deutlich nach Mitternacht und nicht das erste LIIT-Glas und keine Happy-Hour-Variante. So gelang es mir auch, den Mann noch am Arm zu erwischen und der (vermutlich irgendwie extrem kampfsportgeschulte) Fernöstliche half tapfer mit. Der Zug hielt wieder an, den Mann hatten wir äußerlich unversehrt auf den Bahnsteig gezerrt, nur leider war er nicht mehr bei Bewusstsein und schien auch auf den ersten Blick nicht zu atmen.

    Während ich mich noch gedanklich in mein ja gar nicht so lang zurückliegendes Ersthelfertraining vertiefte, begann der Fernöstliche bereits mit "Maßnahmen" und der Zugbeleiter telefonierte. Fast unmittelbar waren Polizei und Rettungsdienst da und mir war kalt und komisch im Bauch und ich musste unbedingt nach Hause. Ein Polizist wollte noch so einiges wissen, aber da mir nichts, was ich sagen konnte, als unmittelbar dringlich für den Gesundheitszustand des Mannes erschien, gab ich ihm meine Kontaktdaten für Fragen ein andermal.

    Keine Antworten am Ende eines solchen Tages kurz nach Mitternacht nach Sekundenbruchteilen, die dem Gehirn sämtliches Wasser für den bald folgenden Gedankentsunami abziehen.

    November seit 6994 Tagen

    Letzter Regen: 12. Mai 2025, 22:59 Uhr