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    Sonntag, 19. März 2023
    19.3.23

    Ich weiß es zu schätzen, dass mich beim letzten Beitrag niemand auf das komplett falsche Datum aufmerksam gemacht hat. Das Offensichtliche ist immer unglaublich langweilig, es ist gut, dass wir das nicht hier thematisieren mussten.

    Mein Tag heute war überraschend, ich habe etwas getan, was ich so gut wie nie mache: ich saß auf dem Balkon, für mehrere Stunden. Das war überhaupt nicht geplant, ergab sich aber aus eine Vielzahl von einzelnen Ereignissen, die in Ihrer Gesamtheit eben darauf zuliefen, dass ich auf dem Balkon saß. Bilde ich mir jetzt jedenfalls ein, in Wirklichkeit weiß man ja nie so genau, wo eine wirkliche Kausalität liegt und wo nur unser unbändiger inhärenter Wunsch nach Sinn uns glauben lässt, A hätte zu B und B zu C und C zum BALKON geführt, wobei wir D - Z , die was ganz anderes besagen, komplett ausblenden. Sinn erweckt den Eindruck einer gewissen Kontrolle über das Leben, dementsprechend schwer ist es, Sinnlosigkeit auszuhalten.

    Gestern Abend kam ich sehr erschöpft nach Hause, warf nur alle Sachen irgendwo ab und ging bald danach schlafen, so dass ich heute Morgen um 10 Uhr zu der Situation erwachte, dass nicht alle Räume der Wohnung gut bewohnbar waren und ich mit der Familie keine Abstimmung zum Tagesverlauf getroffen hatte. Ich hatte Schanuf zum Kaffee eingeladen, M hatte eine Lerngruppe für die Matheklausur eingeladen, Herr N. wollte Fußball gucken. Es war also notwendig, alle Räume aufzuräumen.

    Vorher hatte ich aber noch Gesangsstunde, das war wichtig, ich beherrsche nämlich die Stücke, die wir am Sonntag im Konzert singen nicht. Beziehungsweise eins davon an drei Stellen nicht, die Töne sitzen nicht, an die Personen links und rechts von mir kann ich mich nicht halten, weil sie nämlich unterschiedliche Dinge singen und nicht weiß, welche von beiden (wenn überhaupt!) richtig liegt. Ich habe wegen meiner Dauererkältung und Beerdigung und Seminar vier der acht Proben verpasst, da passiert so etwas, also bat ich den Gesangslehrer, das mit mir durchzugehen und diese Stellen zu brute-forcen. Damit meine ich, dass er sie mir auf dem Keyboard einspielt und ich sie in Schleife höre, bis ich sie reproduzieren kann. Also als Gegenteil dazu, das Stück zu durchdringen, mir über die Harmonien klarzuwerden, so dass alles glasklar und logisch zu seiner natürlich Auflösung strebt. Das nicht. Brute Force, Schleife hören und reproduzieren, der Rest findet sich vielleicht noch, vielleicht auch nicht, ist aber relativ egal, ich werde am Sonntag die richtigen Töne singen.

    Das dauerte ein bisschen, danach begannen die Aufräumarbeiten (A), es standen viele leere Flaschen herum, die ich in die Kästen auf dem Balkon sortierte (B) und dabei bemerkte, dass es frühlingshaft war (C) und daraufhin dachte, dass ich ja mit Schanuf auf dem Balkon sitzen kann (BALKON - sehen Sie, es scheint komplett kausal und ich würde sagen "bilden Sie sich Ihre eigene Meinung", nur erzähle ich D - Z ja gar nicht erst, so komplett habe ich die schon ausgeblendet in meiner Sinnsuche, also ist "eigene Meinung" keine Option). Also räumte ich die Kästen von dort weg, sie passen unter das Gästebett, hurra, stehen also nicht in der Wohnung herum, fegte einmal den Balkon, saugte den Balkon, wischte den Tisch und die Stühle ab, installierte die Sitzauflagen und legte wärmende Decken bereit. Dann setzte ich mich probeweise selbst auf den Balkon, legte die Füße hoch und schlief umgehend ein. Ohne Decke. Ich erwachte vom Türklingeln etwas fröstelig.

    Im weiteren Verlauf des Tages saßen wir dann mit Decken in Liegestühlen, wie im Sanatorium, tranken Kaffee und aßen Kuchen, es war alles sehr angenehm. Und als Schanuf sich verabschiedete, dachte ich, das sich mich vielleicht dieses Jahr mental mal so weit bewegen könnte, mich auf den Sommer und, noch wichtiger, über den Sommer, wenn er da ist, zu freuen. Er kommt ja sowieso, an dieser Tatsache ändert meine Haltung nichts, vielleicht habe ich aber mehr Möglichkeiten, wenn ich nicht schon standardmäßig 3 Monate schlecht gelaunt bin. Für eine kurzfristige Entscheidung war mir die Herausforderung zu groß, aber heute, zugegeben bei 19 Grad, schien es mir möglich.


    ***
    Noch eine Ergänzung: es handelt sich um "O Haupt voll Blut und Wunden" als Choralkantate von Max Reger. Max Reger wäre heute 150 Jahre alt geworden und die FAZ hat einen schönen Artikel mit der Überschrift "Musik von geistiger Gefräßigkeit".

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