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    Mittwoch, 14. Oktober 2009

    Zwecks Essen und Trinken ist meine Freundin die Biertrinkerin immer auf der Suche nach Lokalitäten, die sie noch nicht kennt, und ich bin dabei ihre auserwählte Erprobungspartnerin. Dass die neue Forschungsstätte jenseits jeglicher Zivilisation zu liegen schien, erstaunte mich nicht, denn die Biertrinkerin ist an 7 Tagen die Woche unterwegs - wenn auch nicht immer mit mir. Es liegt also auf der Hand, dass für sie "Neues" nicht immer vor der Haustür liegen kann. So ziehe ich die Jacke höher zu, bewundere meine weise Voraussicht, in Turnschuhen statt mit Absätzen unterwegs zu sein, und stapfe an einem verlassenen "Fantreff" und einer Schrebergartenanlage vorbei strikt dem Stadtplanausdruck folgend in den Wald. Es ist so dunkel, dass ich auf der Karte nichts mehr erkennen kann, da es aber sowieso nur einen Weg gibt, ist das kein Problem. Als nach einem Viertelstündchen jedoch auch der Weg nur noch schwer auszumachen ist, bequeme ich mich doch, das Handy aus der Tasche zu ziehen, damit den Kartenausschnitt zu beleuchten, zu beschließen, ihn fortan richtig herum zu halten und den Rückweg anzutreten. Auf der anderen Seite aus dem Bahnhof heraus also, nun gut.

    Auf der anderen Seite der Bahngleise sind keine Straßenschilder, doch steht da ein Mann, den ich frage, ob ich nun wohl auf dem richtigen Weg zur Dingensstraße bzw. dem Lokal soundso sei. Er bedauert, nicht helfen zu können, da er erst seit 2 Tagen in der Stadt wohnt. "Na, dann Herzlich Willkommen" sage ich also, er lacht und bedankt sich und ich spaziere weiter, an Neubaureihenhäusern mit abweisenden Fassaden und laut Schildern bissigen Hunden vorbei, bis ich mehr zufällig auf das gesuchte (übrigens frühmittelalterliches Themen-) Lokal stoße.

    Als erstes fällt mir auf, dass das in den Beschreibungen angepriesene Kaminfeuer nur virtuell stattfindet - auf einem großen Flachbildschirm nämlich. Es ist arschkalt. Ich darf mir einen Tisch in dem mit drei weiteren Gästegrüppchen (ein Frauentrio, eine ältere Dame mit jüngerem Mann und eine Vierergruppe) nur mäßig ausgelasteten Gastraum aussuchen. Die Biertrinkerin ist verspätet, vermutlich auch im Wald unterwegs, und da sich keine Bedienung sehen lässt, habe ich reichlich Zeit, mich umzuschauen. Zugegeben, authentisch ist anders und ich würde einiges wetten, dass das Mittelalterlokal vor nicht allzulanger Zeit noch eher Richtung Mexiko ging, aber egal, es ist angenehm und ich entspanne vor mich hin, als unvermittelt Catweazle an meinem Tisch auftaucht und unter Gemurmel die Kerze entzündet - auf meine Frage nach einer Karte aber erschreckt davonhuscht.

    Wenig später trifft die Biertrinkerin ein. Catweazle scheint verschwunden doch ein südländischer Mensch (der Mexikaner??) bringt und auf unser Drängen hin zwei Karten, die sich jedoch schon auf den ersten Blick als nicht nur optisch sondern auch inhaltlich völlig unterschiedlich erweisen. Welche Karte denn nun die aktuelle ist, kann uns die Bedienung leider nicht sagen. Um die Situation unter Kontrolle zu bringen, bestellen wir daher erstmal ein Bier. Der Mexikaner geht, Zeit verstreicht, Catweazle kommt. "Bier geht nicht" wispert er. "Die Zapfanlage...", und fährt sich symbolträchtig mit dem Daumen über die Kehle. "Gibt es Flaschenbier? Hefeweizen? Kristall? Radler? Alkoholfrei?" rattert die Biertrinkerin routiniert die Alternativen herunter. Catzweazle verschwindet wortlos.

    Eine Viertelstunde verstreicht. Die ältere Dame mit ihrem Sohn am Nebentisch, die bisher über die böse Ex-Schwiegertochter sprachen, haben ihre Aufmerksamkeit auf die Verzögerung ihrer Essenslieferung verlagert. Ein Pärchen Mitte 40/Anfang 50 trifft ein. Aus dem Nichts taucht der Mexikaner auf und serviert uns zwei Hefeweizen, die zwar unerwartet aber willkommen sind. Da wir mittlerweile auch ausgemacht haben, dass die zwei umfangreichen Speisekarten unter Abzug verschiedender Portionsgrößen und Soßenvarianten nur vier verschiedene Gerichte anbieten, bestellen wir das Essen - Schnitzel mit Pommes - in der Hoffnung, damit weniger falsch machen zu können als mit Garnelenspießen, Ofenkartoffel oder Tomatensuppe.

    Zeit vergeht. Das Bier ist leer. Catweazle erscheint noch einmal und fragt, ob wir das Schnitzel bestellt hätten. Wir bejahen. Und ob es "normal" sein solle. Wir bejahen auch dies. Er wuselt davon. Das Pärchen Mitte 40/Anfang 50 springt entnervt vom Nebentisch auf und verlässt das Lokal - sie hatten bisher weder Karte noch Getränke bekommen.

    Mutter und Sohn legen Geld auf den Tisch gehen in dem selben Moment, in dem der Mexikaner unser Schnitzel bringt. Das Schnitzel ist verdächtig quadratisch und könnte geschmacklich ebenso gut Fischstäbchen oder Hähnchennugget sein. Während die Biertrinkerin und ich vor Lachen kaum essen können, trifft der junge Mann vom Bahnhof in weiblicher Begleitung ein, grüßt und sagt, er kenne sich ja noch nicht aus und dachte daher, wo so nette Leute hingehen, könnte er mit seiner Bekannten auch einkehren.

    Um die Zeit zu vertreiben, bis eventuell noch eine Bierbestellung möglich wird, gehe ich zur Toilette - die eine Kabine macht vom Verschmutzungsgrad jedem Bahnhofsklo Konkurrenz, die andere ist sauber, und zwar vermutlich da ohne Licht und ohne Plastikabdeckung der Spültaste, die ich aber mit dem Schraubenzieher, den ich ja immer bei mir trage, zu bedienen verstehe.

    Als ich zurückkehre, fragt der Mann vom Bahnhof, ob wir einen Tipp hätten, wie man zu Essen und Trinken kommen könnte in diesem Lokal. Wir teilen unser über die letzten zwei Stunden gesammeltes Wissen und raten vom Schnitzel ab.

    Danach beschließen wir, dass es vermutlich schneller geht, zurück in die Innenstadt zu fahren als noch eine Bierbestellprozedur zu beginnen. Wir packen zusammen und finden Catweazle hinter der Theke. Was wir bestellt hatten, weiß er nicht mehr, da er "nicht dazu gekommen ist" es in die Kasse einzugeben.

    Das nächste Lokal, das wir aufsuchen, hat einen aufmerksamen Service, eine funktionierende Zapfanlage und überhaupt ist dort alles gut. Dafür gibt es darüber aber auch keine Geschichten zu erzählen.

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