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    Donnerstag, 10. April 2008
    Wellensittichschnabelgefühl

    Ich weiß nicht, woran es liegt, aber manche Kosmetikerinnen (hm, das Wort klingt verdächtig nach politisch inkorrekt, aber wie mag das sonst heißen - face artist??) haben das so richtig drauf mit dem Augenbrauenzupfen und manche nicht. Bei denen, die es nicht drauf haben, bekomme ich viele Tränen und Kopfschmerzen. Bei denen die es drauf haben, fühlt es sich an wie ein Wellensittichschnabel, der ein bisschen um Nase und Brauen knabbert und dabei gurrende Laute ausstößt. Sie kennen ja sicher das Gefühl, wenn man einen Wellensittich auf der Brille sitzen hat, der einem gerade die (natürlich spärliche!) Gesichtsbehaarung ausreißt.

    Also habe ich heute viel an meine Wellensittiche gedacht. Der erste war grün und nach dem damaligen Torwart der Fußballnationalmannschaft Nationalspieler benannt und gar nicht meiner, aber ich durfte ihn noch kennen lernen und erinnere mich an die dumpfen Schläge, die er allmorgendlich beim Frühstück verursachte, indem er mit seiner Schaukel so heftig schaukelte, dass er gegen das Käfigdach knallte, herunterfiel, benommen liegen blieb, aufstand und dann den normalen Tag eines Wellensittichs begann. Eines Morgens erhob er sich jedoch nicht mehr aus dem Vogelsand.
    Der zweite war blau und gehörte mir. Wann ich ihn bekam, weiß ich nicht mehr, aber die Vögelchen überlebten nie wirklich lange bei uns, was wir Kinder gern auf Mamas Dauerdurchzuglüften zurückführten. So schwächelte auch der blaue Wellensittich (den Namen verrate ich nicht) bald und ich erinnere mich noch an den Abend, als er in Papas Hand starb, während ich schon im Bett lag und nicht wissen sollte, was vor sich ging, es aber trotzdem genau wusste. Eine etwas unglückliche Situation, die sich in einem meiner ersten Tagebücher in übergroßer krakeliger 6jährigenschrift verewigt findet.
    Dann war erstmal Schluss mit den Vögeln, bis meine Schwestern einen weiteren blauen aus der Schule mitbrachte, den ein Freund nicht mehr behalten durfte, da das Tier verhaltensgestört war. Bei uns stört sowas nicht, er blieb dann also und erlitt quasi-epileptische Anfälle, sobald man sich bis auf 5 Meter-oder-so dem Käfig näherte. Bis in den Sommerferien dann viele meiner Freunde gleichzeitig verreisten und ich vorübergehend sechs Pflegevögel bei mir aufnahm. Da blühte er auf. Und ich fand es eine wunderschöne Idee, die Vögel mal alle gleichzeitig fliegen zu lassen. Das war auch toll. Nur wusste ich hinterher nicht mehr genau, welcher welcher war (sie waren alle blau!). Aber ich habe bestimmt alles richtig zurücksortiert.

    Ich sage ja auch gern, dass die Narbe auf meiner Nasenwurzel von einem Wellensittichbiss stammt. Was nicht stimmt, aber ich weiß nicht, wie ich sie mir zugezogen habe. An die Situation erinnere ich mich, aber wie sagt man so schön - Wasser hat keine Balken. Wie soll es da bittschön möglich sein, mitten beim Schwimmen plötzlich eine klaffende Schnittwunde im Gesicht zu haben? Der Fall ist bis heute ungeklärt, weshalb es auch gut ein Wellensittich gewesen sein kann, der da über dem 50-Meter-Becken schwebte.

    Eine weitere Narbe habe ich auch noch, über die ich immer so viel lüge, dass ich gar nicht mehr weiß, wie das nun genau damit war. Es war jedenfalls ein Messerstich. Das ist eine zutreffende, doch in ihrer Kürze aufregende Variante. Lassen wir es doch dabei, man muss nicht alles zerreden.

    Die Kosmetikerin hat auch nicht geredet und konnte das mit dem Wellensittichschnabelgefühl. Da geh ich wieder hin.


    Griff vom Fahrradkorb nach drei Tagen auf der Straße wiedergefunden. Mitten in der Stadt.

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