Ich mag es ja eher simpel. Zum Beispiel mag ich Essen, so wie es ist, lieber als hundertmal aufgemotzt, und ich mag keinen Schnickschnack, der in der Wohnung herumsteht. Weil ich mich von den ganzen Gegenständen immer angesprochen fühle - wie die Zeitung von vor drei Tagen "och liiiiiiieees mich doch noch" raschelt und wie das Bild von der Schwiegermutter "ruf mich aaaaaaan" flüstert* und wie die Kerze romantische Abende anmahnt. Das fällt vermutlich unter den Überbegriff "Wahrnehmungsstörung", denn ja, ich habe eine, und zwar leide ich am Gegenteil der selektiven Wahrnehmung. Kennt jemand einen Fachbegriff?
Nunja. Ich gewöhne mich langsam an die Flut der Haarspängelchen, die in unserer Wohnung Einzug gehalten hat, und an glitzernde Perlen überall und allerorts. Auch an das ganze Industriefutter, allein die vier Sorten "Cerealien", über die ich immer gespottet habe, und von den knallbunten Lollis, rot-orange-gelben Puffreiskugeln und Brausetütchen mal ganz abgesehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder sowas brauchen. Und habe sowieso erstaunlich selten Migräneanfälle in der letzten Zeit. Was aber auch mit der Beißschiene gegen das Zähneknirschen zusammenhängen kann.
Manchmal, ja. Manchmal ist mir dann nach Frauentausch. Mit irgendeiner kinderlosen Singlefrau, die keinen Deko-Fimmel hat sondern eher so eine Feng-Shui-Wohnung. Leere und glatte Flächen. Und nur der ganz eigene Dreck. Genau eine benutzte Kaffeetasse und ein Joghurtlöffel. Nur Dinge in der Wohnung, die mich selbst persönlich angehen. Das schöne am Familienleben ist ja, dass man immer jemanden hat. Dass man, auch wenn man allein ist, nie allein ist. Und genau das ist auch das furchtbar anstrengende daran.
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*Herr N. und Frau V., mir ist bewusst, dass wir kein Bild der Schwiegermutter zu Hause aufgehängt haben. Aber es geht hier um atmosphärische Verdichtung. Künstlerische Freiheit. Keine Sozialkontrolle, bitte.
Mail mit höchster Priorität an alle Rapunzelturmbewohner:
"...wie von uns festgestellt wurde, wird der Fahrradraum [...] derzeit von einigen Mitarbeitern als Winterquartier / Lagerstätte für Fahrräder zweckentfremdet. Dies lässt sich u.a. daran erkennen, dass sich auf den nicht durchweg genutzten Zweirädern erheblich mehr Staub abgelagert hat, als bei den dauerhaft genutzten Rädern."
Ich kann nicht genau erklären warum, aber die Mail hat mich vor Lachen unter den Tisch geschmissen. Vermutlich, weil es hier heute sonst wenig zum Lachen gibt.
...fängt es an, mich unglaublich zu nerven und zum ersten Mal frage ich mich auch, genervt, ob das nicht alles auch anders hätte laufen können. Um die Ungerechtigkeit dieser Frage weiß ich im selben Moment.
Ob ich das wirklich kann, frage ich mich. Oder ob ich das wirklich will. Und wenn ja, warum.
Und erkenne dann, dass das doch alles furchtbar egal ist. Dass mir einfach unterwegs die Leichtigkeit abhanden gekommen ist. Ein bisschen hier, ein bisschen da, wie es halt so ist. Also aufhören, wie ein Schimpanse auf Speed gedanklich zwischen den verschiedenen Ästen der Möglichkeiten herumzuhüpfen. Statt dessen Tunnelblick vermeiden. Und Kleeblätter pflücken.