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    Dienstag, 13. Februar 2007
    Verbesserungsfähig

    Wenn man der Linie 715 aus der Innenstadt Richtung Außenbezirk folgt, weil man wie immer zu hibbelig ist, um nach der verpassten Bahn auf die nächste zu warten, und lieber die Beute des Einkaufsbummels ein paar Haltestellen vorwärts schleppt, kommt man zu einer kleinen Schneiderei mit vergilbten Gardinen und Kakteen im Fenster.

    Hibbelig ist man selten nur einmal im Leben, und so war ich an dieser Haltestelle schon einmal, vor vielen Jahren, nachts, im Regen, ohne Einkäufe aber dafür in Gesellschaft. Ich weiß nicht mehr wie es dazu kam, zu viele Jahre seitdem, oder vielleicht wusste ich es auch nie genau, aber nach einigem hin und her kamen die Worte "natürlich kannich ne Scheibe einschlagen" leicht schlurrig aus meinem Mund. Im Nachhinein wundere ich mich sehr, dass es mir damals so wenig schwer fiel, schwachsinnige Dinge zu tun, es mir aber schier unmöglich war, eine Herausforderung abzulehnen oder etwas Gesagtes zurückzunehmen. An eine gewisse Übelkeit unter dem Adrenalin kann ich mich erinnern und an einen kleinen Gedanken, etwas Dummes zu tun, der mich von der großen Scheibe der Auslage auf die kleinere neben der Tür umzuschwenken ließ, als ob es das besser machen würde. Mehr Adrenalin, ein Krachen, das Gefühl, durch brechendes Eis zu stürzen, jemand reißt mich zurück und mit sich, kalte Luft in der Lunge, ein brennender Hals, viele Glassplitter auf der um den Arm gewickelten Jeansjacke, ein Kratzer am Daumenballen, Dosenbier und das Gefühl, dass jedes La-Lü in dieser Nacht mir galt.

    Die Schneiderei sieht noch genauso aus wie vor vielen Jahren, drinnen wieselt ein altes Männlein umher, alles irgendwie in sepia. Ich kann mich so gut verstehen und doch irgendwie gar nicht, ich wünschte, ich könnte es nicht oder ich würde mich besser kennen oder was weiß ich. Wie angewurzelt stehe ich vor dem Laden und das Männlein in sepia grinst und winkt mir zu.

    Schwachsinniges zu tun fällt mir noch immer unglaublich leicht. Plötzlich finde ich mich in dem Laden wieder. Während das Männlein auf mich zusteuert überlege ich blitzartig, was ich hier eigentlich will, die Tür hinter mir öffnet sich und gibt mir einige Sekunden mehr zum Finden der Antwort, die wohl irgendwo darin liegt, mich nach der Fensterscheibe von vor zig Jahren zu erkundigen und ob wohl die Versicherung gezahlt hat und falls nicht, was ich schuldig bin. Um dies genauer zu ergründen möchte ich dem neu angekommenen Ladenbesucher Vortrittt lassen, was dieser mit den Worten "Neee, Frollein, ich bin hier Inventar" ablehnt.
    "Schöner Tag heute, nech? So sonnig!" ruft das Sepia-Männlein fröhlich, das Inventar nickt und produziert eine joviale Antwort und mir wird klar, dass ich hier fehl am Platze bin, hier braucht keiner was außer vielleicht ich selbst, der Mann denkt seit Jahren nicht mehr an seine Scheibe und er hat einen schönen Tag, alte Geschichten sind unangebracht.

    Die Luft wird mir knapp, so als wäre hier zum letzten Mal gelüftet worden, als ich das Loch in die Scheibe schlug. Irgendwas murmele ich und stürze am Inventar vorbei aus dem Laden, auf den drei Stufen knicke ich noch um und stolpere auf das Pflaster, ergreife die Flucht.

    Auf Bahnen warten ist nicht meine Stärke. Nach wenigen Minuten schleiche ich zurück, meine gesamte Barschaft in der Hand. Ein Mann mit seiner Habe in Plastiktüten erspart mir die Peinlichkeit, knapp 130 Euro in den Briefkasten einer Schneiderei mit vergilbten Gardinen und Kakteen im Fenster zu werfen. Endlich kommt dann auch die Bahn.

    Während der Heimfahrt habe ich das Gefühl, dass sämtliche La-Lüs mir gelten. Zwecks Einlieferung, oder so. Vergangenheitsbewältigung. Keiner braucht das.


    Ich bin ich.

    Das Leben drum herum, das sind nur die Rahmenbedingungen.

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