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    Donnerstag, 31. August 2006
    Plan B

    Ich war noch keine 16 als ich mich spontan mit Zug - Zug - Schiff - Zug - Überlandbus über rund 1500 km schwang. Von den 36 Stunden non-stop-Reise erinnere ich mich nur an ein vages Gefühl von Adrenalin, Fremdheit und völliger Erschöpfung. Am Zielort erwartete mich (Pubertierende sind ein Stück weit vorhersehbar) ein gedeckter Frühstückstisch mit einem Strauß Osterglocken aus dem Park geklaut. Der Tisch stand vor einem Fenster mit pychedelisch gemusterten orangefarbenen Vorhängen und die Sonne schien.

    Dieses Bild ist in mein Gedächtnis gebrannt, und wenn ich an irgendeinem Ort dieser Welt grüne Äpfel, Lavendel und schwarzen Tee zugleich rieche sitze ich vor einem orangenen Vohang mit psychedelischem Muster, esse ein weichgekochtes Ei und meine Augen tränen weil ich müde bin und mir die Sonne ins Gesicht scheint oder wegen der Osterglocken, natürlich.

    Ich blieb für sechs Wochen und es war, als wäre ich immer dort gewesen, ich war zu Hause. In einem Leben voller Idealismus und Engagement und der Verwirklichung von Träumen. In einem Leben, das nicht mir gehörte, und dem ich immer 10 Jahre hinterherhinkte. Deshalb ging ich zurück. Und weil ich keine Kopie von einem Meisterwerk wollte, ging ich für mich einen komplett anderen Weg.

    An manchen Tagen, wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel zwischen den Wolken scheint, wenn der Wind Kamingeruch in kalter Luft vorbeiträgt oder wenn der Regen ganz besonders weich ist, fühle ich den Sog. Ich weiß dann, dass es nur ein an die Oberfläche gelassener Gedanke wäre, eine kleine Drehung aus dem Gleichgewicht, einige wenige Schritte zum Bahnhof.

    Das ist mein doppelter Boden.

    Nach 1500 km würde ich Osterglocken im Park klauen und mir im Second Hand Shop orangene Vorhänge kaufen.

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