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    Montag, 7. August 2006
    Warum ich keine schönen Fingernägel habe

    Es gibt Blicke, die vergisst man nicht.

    Mit einer meiner WG-Mitbewohnerinnen und Freundin saß ich morgens am Frühstückstisch. Seit einiger Zeit nahmen wir beide diese komischen Hefetabletten, die es in jeder Drogerie gab, denn angeblich sorgen die für makellose Haut, tolle Haare und schöne Fingernägel. Das hatten wir nun aber für eine Woche vergessen, weil so viel los war, und dachten uns daher, im Sinne der Schönheit gleich die Ration für einen ganzen Tag zu schlucken.
    Also frisch aus der Pappschachtel jeder etwa 15 von den Dingern in die Hand geschüttet und geschluckt, mit dem letzten Rest kaltem Morgenkaffee.

    Sachen gepackt, wie immer schon spät dran, und noch den Fahrradschlüssel vom Tisch gelangt. Dabei stieß sie die Pappschachtel um. Die Hefetabletten rollten auf de Tisch, und dazwischen rollte es und wuselte dann und krabbelte und wand sich. Mehlwürmer, Maden, keine Ahnung was. Viele. Tausende. Überall.

    Ich stand auf der einen Seite vom Tisch, sie auf der anderen. Der Fahrradschlüssel fiel unbeachtet in das Gewürm.

    Wir sahen uns an. "Sag an" las ich in ihrem Blick. "Wenn Du schreist, schreie ich auch, und ich höre so schnell nicht mehr auf". Meiner sagte vermutlich so etwas wie "Schrei bitte, dann kann ich mich fallen lassen und wir brüllen hysterisch bis der Arzt kommt". Der Blickkontakt war unendlich lang. Kein Wort wurde gesprochen.

    Ich hob den Fahrradschlüssel aus dem Madenhaufen. Sie nahm die Tequilaflasche vom Regal. Sie trank einen Schluck. Ich gab ihr den Schlüssel, sie gab mir die Flasche. Ich trank einen Schluck.

    Wir fegten die Maden in den Müll und taten, als wäre nichts gewesen. Wir haben nie wieder darüber gesprochen. Nur Hefetabletten haben wir keine mehr genommen.


    Aber als ich heute herzhaft in einen Apfel biss, in dessen Inneren sich ein Fruchtfliegennest (oder wie auch immer man Bauten nennt, in denen diese Viecher in den verschiedensten Entwicklungsstadien vorkommen) befand, stand ich zwar allein in der Küche, aber mir war, als würde ich von der anderen Seite des Tisches genau in ihre Augen sehen.

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