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    Sonntag, 17. Juni 2007
    Stolpersteine

    Heute morgen auf dem Weg zum Bäcker, bzw. eigentlich auf dem Weg vom Bäcker zurück stolperte ich über einen Stein, der schon länger da ist und über den ich schon viele Male nicht gestolpert bin, jedoch ist Brötchen holen morgens, am Wochenende, immer eine andere Situation als alle anderen, und so hatte ich die Muße, diesen Stein zu betrachten. Diese Steine eigentlich eher, es sind viele, verdammt viele, in dem Viertel hier, in der Nähe von "Piano Dingens" wo ich normalerweise die Klaviere betrachte, sehnsüchtig, statt die Steine auf der Straße. Aber Brötchen holen ist nicht normalerweise, also war es heute der Stein, die Steine meine ich. Hier ist ein Altbauviertel, teilweise größere Bauten mit großen Torwegen und Hinterhöfen und Hinterhäusern, teilweise kleinere Wohnhäuser, zwei- bis dreigeschossig, mit noch sichtbaren Balken und mit alten Holzfenstern. Von dem Stein, von den Steinen, schon viele Male mit dem Blick gestreift, wanderte mein Blick zu dem Haus, zu den Fenstern, zu den Gardinen und zu den Pflanzen in den Fenstern, und wenn vor so einem kleinen zweigeschossigen Wohnhaus sechs dieser Steine sind, dann wurden irgendwann verdammt viele Leute aus so einem kleinen Haus abgeholt, vielleicht früh morgens oder nachts, oder vielleicht auch einfach ganz lapidar am Nachmittag.
    Ich überlege, wie das wäre, wenn meine Nachbarn, einzeln oder gleich en masse irgendwann nachmittags abgeholt würden, vielleicht würden sie heulen und zetern oder nur betreten schauen oder resigniert oder bemüht unauffällig, und ich würde vermutlich denken, naja, das wird schon irgendwie seine Richtigkeit haben, ich kenne meine Nachbarn nicht so gut, wird sich schon alles irgendwie klären, ich koche jetzt erstmal das Mittagessen fertig. Deshalb sind es die Steine mit dem Hinweis "Richtung Osten", die mir noch stärker den Magen umdrehen als die mit der Aufschrift "Theresienstadt" oder "Buchenwald", denn "Richtung Osten" ist äußerst unverbindlich, wenn meine Nachbarn von irgendwem "Richtung Osten" abgeholt würden, könnte ich dafür sehr viele Erklärungen finden, die mich nachts gut schlafen lassen.

    Das Thema ist für mich neu. Ich bin ihm bisher gut ausgewichen und habe im Geschichtsunterricht viele Rechenkästchen zu bunten Mustern ausgemalt. Meine Großväter habe ich als Nachzüglerkind nicht mehr kennen gelernt, die Kriegsjahre beschränken sich in meiner Familie auf verschiedene Anekdötchen von einem Opa, der nicht in den Krieg durfte, von einem Onkel der nicht aus Russischer Gefangenschaft zurück wollte von einem anderen Onkel, der sich mit dem anderen Opa einen ganz privaten Krieg lieferte, als dieser nach vielen, vielen Jahren der Abwesenheit überraschend als Familienoberhaupt heimkehrte.

    Jetzt bin ich heute morgen über diesen Stein gestolpert. Er hallt noch nach, dieser Bruch im Rhythmus. Vielleicht wäre es an der Zeit.

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