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    Sonntag, 17. Juni 2007
    Einfach so

    Müde, so unendlich müde, ohne das Adrenalin der letzten 1,5 Wochen scheinbar in eine andere Dimension der Welt eingetreten, in der die Luft aus süßlich-warmem flüssigen Vanillpudding besteht, der jede Bewegung zäh macht und jedes Wort unendlich dehnt, doch die Sonne scheint und alles ist gut. Der Wunsch, mich zusammenzurollen und die Augen zu sclhießen, einfach so, ohne dass etwas wäre, und im Arm gehalten zu werden nur aufzunehmen, einfach so, ohne dass etwas ist, aber es ist ja nichts, und "wir sind alle immer für Dich da, wenn mal was ist", aber wenn nichts ist, dann... "wie jetzt, was ist denn? Nichts? Wie, nichts?" Ich will doch nur einfach so.... "aber was hast Du denn?" Na nichts. "Na wenn nichts ist, dann können wir ja jetzt weitermachen. Du brauchst uns ja gerade nicht." Und da ist wieder dder Punkt mit dem brauchen. Brauchen wäre doch einfacher. Nicht besser, aber einfacher. Einfach muss nicht unbedingt gut sein, vielleicht ist gut mir aber zu kompliziert.
    Und dann spüle ich meditativ das Geschirr vom Kaffeetrinken (welches auch nicht gegen den Vanillepuddingzustand helfen wollte), weil ich das Geräusch der Spülmaschine nicht hören möchte, und denke mir, dieses Service habe ich nicht gesucht, sondern gefunden, einfach so, und mitgenommen, einfach so, und jetzt freue ich mich daran, jeden Tag, und will es nicht mehr hergeben, einfach so, weil es wunderschön ist.
    Komm lass ich die Augen zu machen und mich zusammenrollen, einfach so, auch wenn nichts ist.

    Stolpersteine

    Heute morgen auf dem Weg zum Bäcker, bzw. eigentlich auf dem Weg vom Bäcker zurück stolperte ich über einen Stein, der schon länger da ist und über den ich schon viele Male nicht gestolpert bin, jedoch ist Brötchen holen morgens, am Wochenende, immer eine andere Situation als alle anderen, und so hatte ich die Muße, diesen Stein zu betrachten. Diese Steine eigentlich eher, es sind viele, verdammt viele, in dem Viertel hier, in der Nähe von "Piano Dingens" wo ich normalerweise die Klaviere betrachte, sehnsüchtig, statt die Steine auf der Straße. Aber Brötchen holen ist nicht normalerweise, also war es heute der Stein, die Steine meine ich. Hier ist ein Altbauviertel, teilweise größere Bauten mit großen Torwegen und Hinterhöfen und Hinterhäusern, teilweise kleinere Wohnhäuser, zwei- bis dreigeschossig, mit noch sichtbaren Balken und mit alten Holzfenstern. Von dem Stein, von den Steinen, schon viele Male mit dem Blick gestreift, wanderte mein Blick zu dem Haus, zu den Fenstern, zu den Gardinen und zu den Pflanzen in den Fenstern, und wenn vor so einem kleinen zweigeschossigen Wohnhaus sechs dieser Steine sind, dann wurden irgendwann verdammt viele Leute aus so einem kleinen Haus abgeholt, vielleicht früh morgens oder nachts, oder vielleicht auch einfach ganz lapidar am Nachmittag.
    Ich überlege, wie das wäre, wenn meine Nachbarn, einzeln oder gleich en masse irgendwann nachmittags abgeholt würden, vielleicht würden sie heulen und zetern oder nur betreten schauen oder resigniert oder bemüht unauffällig, und ich würde vermutlich denken, naja, das wird schon irgendwie seine Richtigkeit haben, ich kenne meine Nachbarn nicht so gut, wird sich schon alles irgendwie klären, ich koche jetzt erstmal das Mittagessen fertig. Deshalb sind es die Steine mit dem Hinweis "Richtung Osten", die mir noch stärker den Magen umdrehen als die mit der Aufschrift "Theresienstadt" oder "Buchenwald", denn "Richtung Osten" ist äußerst unverbindlich, wenn meine Nachbarn von irgendwem "Richtung Osten" abgeholt würden, könnte ich dafür sehr viele Erklärungen finden, die mich nachts gut schlafen lassen.

    Das Thema ist für mich neu. Ich bin ihm bisher gut ausgewichen und habe im Geschichtsunterricht viele Rechenkästchen zu bunten Mustern ausgemalt. Meine Großväter habe ich als Nachzüglerkind nicht mehr kennen gelernt, die Kriegsjahre beschränken sich in meiner Familie auf verschiedene Anekdötchen von einem Opa, der nicht in den Krieg durfte, von einem Onkel der nicht aus Russischer Gefangenschaft zurück wollte von einem anderen Onkel, der sich mit dem anderen Opa einen ganz privaten Krieg lieferte, als dieser nach vielen, vielen Jahren der Abwesenheit überraschend als Familienoberhaupt heimkehrte.

    Jetzt bin ich heute morgen über diesen Stein gestolpert. Er hallt noch nach, dieser Bruch im Rhythmus. Vielleicht wäre es an der Zeit.

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